
Von Roberto de Mattei*
Am 16. Februar trafen sich in Mailand Vertreter der wichtigsten Freimaurer-Obödienzen und einige maßgebliche katholische Prälaten zu einem Studientag.
An dem Seminar, das in der Stiftung Ambrosianum vom GRIS (Gruppe für sozio-religiöse Forschung und Information, einer Beobachtungsstelle für Sekten und Sondergemeinschaften) veranstaltet wurde, nahmen die drei Großmeister der italienischen Freimaurerei teil: Stefano Bisi für den Großorient von Italien (GOI), Luciano Romoli für die Großloge von Italien des Alten und Angenommenen Schottischen Ritus (GLDI) und Fabio Venzi für die Reguläre Großloge von Italien (GLRI). Von katholischer Seite nahmen der Erzbischof von Mailand Mario Delpini, Kardinal Francesco Coccopalmerio, ehemaliger Vorsitzender des Päpstlichen Rates für Gesetzestexte, der Franziskanertheologe Pater Zbigniew Suchecki und Bischof Antonio Staglianò, Präsident der Päpstlichen Akademie für Theologie, an dem Treffen teil. Erzbischof Delpini hielt die Eröffnungsrede und Kardinal Coccopalmerio die Schlußansprache. Das Treffen fand hinter verschlossenen Türen statt, aber die Relevanz der Teilnehmer ließ den Inhalt durchsickern, der zuerst von Riccardo Cascioli in der Nuova Bussola Quotidiana vom 19. Februar ans Licht gebracht wurde.
Am 20. Februar wurde auf der Website des Großorients von Italien der vollständige Bericht von Großmeister Bisi veröffentlicht, der seit zehn Jahren an der Spitze dieser größten Freimaurerorganisation Italiens steht. „In den mehr als 300 Jahren ihres Bestehens ist keine Institution so sehr bekämpft, mystifiziert, verleumdet und gefürchtet worden wie die Weltfreimaurerei“, sagte Bisi und kritisierte dafür die katholische Kirche, „die in der Freimaurerei einen potentiellen Konkurrenten bei der Vergeistigung und Erhebung des Menschen gesehen hat“, vergaß aber zu sagen, daß es gerade die Freimaurerei war, die die Kirche in den vergangenen drei Jahrhunderten bekämpft, mystifiziert und verleumdet hat.
„Warum ist die Freimaurerloge so schön und warum gefällt sie den kirchlichen Autoritäten nicht?“, fragte Bisi: „Weil unter demselben Himmel – der die Schöpfung darstellt – jeder Mensch ein Bruder für den anderen ist, das Band der Brüderlichkeit ist unabhängig vom Glauben. Man muß nur an den großen Baumeister des Universums glauben. Der Sternenhimmel ist derselbe für den Buddhisten, für den Katholiken, für den Waldenser, für den Moslem, für alle, die an ein höheres Wesen glauben. (…) Absolute Wahrheiten und Mauern des Verstandes gehören nicht zu uns, und für uns müssen sie niedergerissen werden.“ Für Bisi, der die Unverfrorenheit besaß, den Papst aufzufordern, sich um das Denkmal des Ketzers und Apostaten Giordano Bruno zu scharen, gehört zu den Wahrheiten, die zerstört werden müssen, natürlich auch der katholische Glaube, der sich als absolut und universal präsentiert. Der Wunsch von Bisi, „die Zugehörigkeit zu einer Freimaurerloge und die Zugehörigkeit zum katholischen Glauben für vereinbar zu erklären“, ist nichts anderes als eine Aufforderung an die Kirche, ihrer Lehre den Rücken zu kehren, um Teil des freimaurerischen, gnostischen und relativistischen Pantheons zu werden. Und die Tatsache, daß der Großmeister die Namen von Kardinal Ravasi und Kardinal Martini als große Schirmherren nannte, bestätigt diesen Eindruck.
Bisi erinnerte daran, daß Kardinal Martini in Freimaurerkreisen „zu Hause war“ und lobte den bekannten Artikel „Liebe Brüder Freimaurer“ von Kardinal Ravasi, der am 14. Februar 2016 in der Tageszeitung Il Sole 24Ore veröffentlicht wurde. Ihre Pionierarbeit scheint Kardinal Coccopalmerio fortzusetzen, der auf dem Mailänder Treffen unter anderem sagte: „Vor fünfzig Jahren gab es weniger Wissen, aber die Dinge haben sich weiterentwickelt, und ich hoffe, daß diese Begegnungen hier nicht aufhören. Ich frage mich, ob wir nicht an einen ständigen Tisch denken können, auch auf offizieller Ebene, um die Dinge besser zu diskutieren.“
Erzbischof Staglianò kritisierte seinerseits das von Kardinal Víctor Manuel Fernández unterzeichnete und von Papst Franziskus ex audientia gebilligte Dokument des Dikasteriums für die Glaubenslehre vom 13. November 2023, wonach Katholiken der Beitritt zu Freimaurerlogen „wegen der Unvereinbarkeit zwischen katholischer Lehre und Freimaurerei“ weiterhin verboten ist. Dieses Dokument bestätigt die jahrhundertealte Verurteilung der Kirche, die offenbar nur von Pater Zbigniew Suchecki während der Studientagung in Erinnerung gerufen wurde. Man wird jedoch die Veröffentlichung aller Reden abwarten müssen, um sich ein genaues Urteil über den Verlauf des Seminars bilden zu können.
Sicher ist, daß nach Angaben der Großloge von Italien des Alten und Angenommenen Schottischen Ritus das Treffen „in einem einstimmigen Konsens über die Zweckmäßigkeit der Einrichtung eines ständigen Runden Tisches gipfelte“.
An dieser Stelle sei daran erinnert, daß der Relativismus die Seele der Freimaurerei ist, auch wenn er nicht ihr ganzes Wesen ausmacht. Die Freimaurerei maßt sich nämlich an, eine „Weltreligion“ zu sein, die ein Geheimnis birgt, dessen sich der Freimaurer nach und nach durch die Riten, Symbole und Texte bewußt wird, die er sich aneignet, aber auch durch die Atmosphäre, die er in den Logen atmet, in die er aufgenommen wird.
Man muß hinzufügen, daß es nicht eine „schlechte“ Freimaurerei gibt, die atheistisch und antiklerikal, und eine „gute“ Freimaurerei, die „religiös“ und „spirituell“ ist, wie man oft hört, wenn zwischen der romanischen (linken) und der angelsächsischen (rechten) Freimaurerei unterschieden wird. In Wirklichkeit werden in allen Logen die ersten Grade von freimaurerischen Hochgraden überlagert, die als „Riten“ bezeichnet werden und sich durch ihren magischen und kabbalistischen Inhalt auszeichnen. Nicht alle, die der Freimaurerei angehören, kennen ihre letzten Ziele, die nur die Eingeweihten der höchsten Grade erfahren, die bei Todesstrafe schwören, sie nicht preiszugeben, aber hinter den verschiedenen Riten und Obödienzen steht dieselbe Weltanschauung, die derjenigen der katholischen Kirche diametral entgegengesetzt ist. Die Studien von Jean-Claude Lozac’hmeur über die okkulten Ursprünge der Freimaurerei zeigen, daß sie den Glauben und die Bräuche aus dem Gnostizismus übernommen hat (Fils de la veuve: essai sur le symbolisme maçonnique, Éditions Sainte Jeanne d’Arc, Chiré 1990), und Pater Paolo Siano hat sich eingehend mit dem freimaurerischen Luziferismus befaßt und dabei die These jener widerlegt, die glauben, daß er nur von der sogenannten „Randfreimaurerei“ gepflegt wird, d. h. marginal und der regulären Freimaurerei fremd sei (Studi vari sulla Libera Muratoria, Casa Mariana, Frigento 2012). Pater Siano selbst, der der Freimaurerei zahlreiche Aufsätze gewidmet hat, hat kürzlich in der Corrispondenza Romana in einer Polemik mit Gaetano Masciullo, Autor des Buches „La tiara e la loggia. La Massoneria contro la Chiesa“ („Tiara und Loge. Die Freimaurerei gegen die Kirche“, Fede e Cultura, Verona 2023), gezeigt, daß die Freimaurerei alles andere als im Niedergang begriffen ist, sondern immer noch lebendig und aktiv ist.
Die Gefahr besteht darin, die Aufmerksamkeit von der Freimaurerei abzulenken, um Formen des Neokomplottismus zu verfolgen, die das Wirken von „plutokratischen Eliten“ und „Kabalen“ verschiedener Art anprangern und dabei die Präsenz dessen vergessen, was Leo XIII. in seinem Schreiben Custodi di quella fede vom 8. Dezember 1892 als „eine Sekte, die nach neunzehn Jahrhunderten christlicher Zivilisation danach strebt, die katholische Kirche zu stürzen“, definiert. Wenn die Freimaurerei keine Bedrohung mehr darstellt, finden sogar Treffen wie das in Mailand ihren Grund.
*Roberto de Mattei, Historiker, Vater von fünf Kindern, Professor für Neuere Geschichte und Geschichte des Christentums an der Europäischen Universität Rom, Vorsitzender der Stiftung Lepanto, Autor zahlreicher Bücher, zuletzt in deutscher Übersetzung: Verteidigung der Tradition: Die unüberwindbare Wahrheit Christi, mit einem Vorwort von Martin Mosebach, Altötting 2017, und Das Zweite Vatikanische Konzil. Eine bislang ungeschriebene Geschichte, 2. erw. Ausgabe, Bobingen 2011.
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Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana