Von Paolo M. Siano*
- Die Loge Propaganda 2 zwischen Geheimdiensten und Esoterik (Teil 1)
- Die Loge Propaganda 2 zwischen Geheimdiensten und Esoterik (Teil 2)
- Die Loge Propaganda 2 zwischen Geheimdiensten und Esoterik (Teil 3)
8. Gelli, die Loge P2 und die Geheimdienste gemäß Anselmi-Kommission (1984)
Was die Beziehung zwischen Gelli, der Loge P2 und den Geheimdiensten betrifft, lohnt sich ein Blick in den (Mehrheits-)Bericht der parlamentarischen Untersuchungskommission unter dem Vorsitz von Tina Anselmi (1927–2016), der dem Parlament am 12. Juli 1984 vorgelegt wurde.
Die Geheimdienste hatten sich seit 1945 mit Licio Gelli befaßt, nachdem sie gegen zwei feindliche Agenten ermittelt hatten, die Pistoia im Gefolge der Deutschen verlassen hatten. Von Gelli erfuhren die Geheimdienste (bei einem Verhör in Cagliari), daß er, Leutnant der Fallschirmjäger, 1943 von den Deutschen gefangengenommen und vor die Wahl gestellt worden war, sich Mussolinis Italienischer Sozialrepublik von Salò anzuschließen oder in das Dritte Reich deportiert zu werden. Gelli entschied sich für Ersteres. Obwohl er also Verbindungsoffizier bei der SS wurde, stellte sich Gelli parallel in den Dienst der Partisanen und dann (ab Oktober 1944) auch der amerikanischen Gegenspionage in Italien. Gelli gab nach dem Krieg seine Rolle als Doppelagent und Informant zu und lieferte bei dieser Gelegenheit die Namen von 56 Personen, die aktiv mit den Deutschen kollaboriert hatten. Es war diese Liste, die der Investigativjournalist Mino Pecorelli, selbst Mitglied der Loge P2, in der Ausgabe des „Osservatore Politico“ zu veröffentlichen versprach, was jedoch nie geschah… Pecorelli wurde 1979 ermordet.
Sicher ist, daß Gelli als Offizier der italienischen SS britische Gefangene und Antifaschisten verfolgte, einen Pfarrer unter dem Verdacht verhaften ließ, Antifaschisten zu begünstigen, und vier Wehrdienstverweigerer verhaften und anschließend erschießen ließ. 1950 führte der italienische Militärgeheimdienst SIFAR Licio Gelli als einen wahrscheinlichen Agenten des östlichen Geheimdienstes KOMINFORM und das seit 1944 oder zumindest 1947. Doch man beschränkt sich, nur Gellis Tätigkeit als Buchhändler zu überprüfen. Im Jahr 1960 wird Gelli als Geschäftsmann bezeichnet, der keine weiteren Verbindungen zur Politik habe. So wurde es 13 Jahre lang still um Gelli, bis 1973 jemand vom SIFAR darum bat, herauszufinden, ob Licio Gelli mit einem gewissen Luigi Gerla identisch sei, der 1964 als Agent des ungarischen Geheimdienstes A.V.H. gemeldet wurde. In demselben Vermerk heißt es, daß Gelli behauptet, Verbindungen zum SIFAR unterhalten zu haben, und offenbar Kontakte zu ungarischen Kreisen hatte.1
Alle diese Präzedenzfälle sind in einem Dossier enthalten, das vom damaligen Militärgeheimdienst SISMI 1981 an die parlamentarische Untersuchungskommission für den P2 übermittelt wurde. Der SISMI teilt uns auch mit, daß Licio Gelli, wie aus zwei Vermerken (einer von 1972 und der andere von 1974) hervorgeht, die von einigen Offizieren des Florentiner Zentrums des seinerzeitigen italienischen Militärgeheimdienstes SID verfaßt wurden, im Juni 1971 mehreren Personen anvertraut hat, daß er unter dem Decknamen „Filippo“ ein Agent des SID selbst sei (siehe S. 63f). Im Übermittlungsschreiben des SISMI (1981) wird eingeräumt, daß diese beiden Notizen (1972 und 1974) nie nach Rom (SID-Hauptquartier) gelangt sind. Die Parlamentsabgeordnete Anselmi schreibt diesbezüglich:
„Wie im Übermittlungsschreiben (1. September 1981) zugegeben wird, sind die beiden Notizen nie nach Rom übermittelt worden, und wir können den Grund dafür verstehen, wenn wir eine wichtige Passage lesen:
‚Nach einigen Tagen teilte derselbe Kommandant von … dem Kommandanten dieses Zentrums mit, daß der damalige Kommandant der Abteilung D wegen der Ermittlungen in bezug auf das Konto von Gelli in Wut geraten sei. Einige Zeit später rügte der Befehlshaber der Abteilung D den Befehlshaber dieses Zentrums persönlich dafür, daß er bei der Durchführung von Ermittlungen gegen Gelli, eine Person, die seiner Meinung nach einflußreich und nützlich für den Dienst war, dem Befehlshaber von … gehorcht hatte, und drohte damit, ihn zu den territorialen Streitkräften zurückzuversetzen“‘ (S. 64).
Weiter schreibt Anselmi:
„1974 interessierte sich auch das Büro I der Finanzwache für Licio Gelli und erstellte im Frühjahr drei Berichte, denen kein besseres Schicksal beschieden war als den beiden oben erwähnten Notizen des SID-Zentrums Florenz. Die Ermittlungen wurden offenbar auf Ersuchen der Antiterrorismusstelle von Santillo – im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen den des Waffenhandels verdächtigten Lenzi Luigi aus Quarrata (P2) – eingeleitet und vom Kommandanten des Büros I, Oberst Florio, Oberstleutnant Giuseppe Serrentino, Major Antonino De Salvo und Hauptmann Luciano Rossi anvertraut. Der vollständigste der drei Berichte ist zweifellos der von Major De Salvo, der über die neuen wirtschaftlichen Aktivitäten von Gelli und die Positionen in zwei Unternehmen der Lebole-Gruppe im Bekleidungssektor berichtet: […]. Dieser Ermittlungsstrang wurde von keinem Nachrichtendienst wieder aufgegriffen, obwohl der Bericht mit Sicherheit den Kontakt zwischen Licio Gelli und Luigi Lenzi dokumentiert. In dem Bericht wird auch erwähnt, daß das Zentrum in Florenz eine auf den Namen von Licio Gelli lautende Personalakte sicher verwahrt hat, die er nicht einsehen konnte. Die gegen Licio Gelli durchgeführten Ermittlungen scheinen den Beamten, die mit ihm zu tun hatten, nicht zugutegekommen zu sein. Major De Salvo scheint Mitglied der Loge P2 geworden zu sein; Luciano Rossi beging schließlich Selbstmord, nachdem er, wie es scheint, von Gelli bedroht worden war; Serrentino verließ den Dienst aufgrund eines Gebrechens; Oberst Florio starb, nachdem er in der Arma [Carabinieri] durch die Ankunft von Giudice und Trisolini eine regelrechte Verfolgung erlitten hatte (über Giudice hatte er, laut seiner Witwe, ein heißes Dossier gesammelt), bei einem Autounfall“ (S. 65f).
In bezug auf das Verhalten der italienischen Geheimdienste stellte die Abgeordnete Anselmi einen bemerkenswerten Widerspruch fest: In dem Moment, in dem Gelli als wahrscheinlicher Spion für den Osten gemeldet wird, hören die italienischen militärischen Geheimdienste praktisch auf, sich mit ihm zu befassen. Das Fehlen von Aufklärungsmaßnahmen der Geheimdienste in bezug auf Gelli steht sowohl im Gegensatz zu dem wachsenden Gewicht, das Gelli erlangt hatte, als auch zu den Angaben anderer nachrichtendienstlicher Stellen (Büro I der Finanzwache, Generalinspektion zur Terrorismusbekämpfung der Staatspolizei), die Gellis Kontakte zu Freimaurerkreisen und der subversiven Rechten aufdeckten (vgl. S. 70). Im Gegensatz zum SISMI-Vermerk von 1977 und dem Bericht von General Santovito von 1978 (das P2-Mitglied General Santovito leitete von 1978 bis 1981 den Militärgeheimdienst SISMI) bietet die Antiterrorismusstelle von Emilio Santillo (insbesondere im Vermerk von 1976) präzise und detaillierte Daten über Licio Gelli und die Loge P2. Das Engagement von Santillos Dienststelle steht im Gegensatz zu der außergewöhnlichen Unaufmerksamkeit der anderen Dienststellen gegenüber Gelli und der P2. Sein Diensteifer führte dazu, daß nicht Santillo, sondern das P2-Mitglied General Grassini Chef des zivilen Geheimdienstes SISDE wurde (vgl. S. 70f).Die Abg. Anselmi schließt daraus, daß Gelli ein Geheimdienstler war:
„[…] Faßt man die vorgebrachten Argumente zusammen, so kann man mit absoluter Sicherheit die Existenz einer Art Informations- und Schutzring bestätigen, der von den Geheimdiensten eingerichtet wurde, um Gelli und alles, was ihn betrifft, zu schützen, und zwar nach einer unbestreitbaren Kontinuitätslinie, die nicht nur die Periode von Gellis Karrierehöhepunkt betrifft – eine Epoche, in der es erklärbar wäre, auf das Argument des Einflusses zurückzugreifen, den er innerhalb und außerhalb des Geheimdienstes erlangt hat –, sondern die bis 1950 zurückreicht, als Gelli eine Person von viel geringerem Ansehen war, so daß man ihm sicherlich keine Handlungen mit Druckausübung auf die Geheimdienste vorwerfen kann. Eine Kontinuität der Haltung also, die Gelli während seiner gesamten Laufbahn begleitet, ohne nennenswerte Abweichungen, die seine in der Tat überraschende Entwicklung kennzeichnen. Unter den verschiedenen möglichen Erklärungen für eine solche konstante Haltung – wobei diejenige der Ineffizienz der Geheimdienste verworfen wird, weil sie eindeutig nicht vorstellbar ist – bleibt keine andere Schlußfolgerung als die, daß Gelli selbst eine Person ist, die den Geheimdiensten angehört, denn nur mit einer solchen Hypothese kann man eine logische Erklärung für die Deckung durch letztere finden, die Gelli in einer Art und Weise zugesichert wird, die sowohl passiv ist, indem keine Informationen über seine Person aufgenommen werden, als auch aktiv, indem solche nicht an die politische Autorität geliefert werden, die sie verlangt“ (S. 71).
Der Anselmi-Bericht bietet diese „Interpretationslinie“ bezüglich Schutz und Kontrolle der Geheimdienste für Gelli:
„[…] Die vorgelegten Beweise und die Argumentationslinie, die wir auf sie konzentriert haben, bezeugen eindeutig die Existenz eines Schutzschirms, der von den Geheimdiensten zum Schutz von Gelli und der Loge P2 errichtet wurde, der pünktlich gegenüber jeder politischen oder gerichtlichen Behörde aktiviert wurde, die in Ausübung ihrer Funktionen Informationen und Erklärungen zu diesen Angelegenheiten verlangte. Wir haben den tiefgreifenden Grund für dieses Verhalten in der Zugehörigkeit Licio Gellis zum Geheimdienst ausgemacht und diese Zugehörigkeit auf das Jahr 1950 datiert, das Jahr, in dem der KOMINFORM-Bericht erstellt wurde. Die Konsequenz dieser Aussage ist, daß der wahre Grund für den informellen Cordon sanitaire nicht in der angeblichen Kontrolle zu suchen ist, die Gelli über die Geheimdienste ausüben würde, sondern im gegenteiligen Grund, dem der Kontrolle, die sie über ihn haben. […] Zu behaupten, Licio Gelli sei seit Beginn seiner Karriere ein Mann der Geheimdienste, bedeutet, sich zu fragen, ob diese seine Situation mit der Organisation als solcher oder mit seinen Sektoren zusammenhängt, denn es ist sicher, daß der Apparat in diesen Umgebungen eine innere Realität hat, die der von außen erkennbare monolithische Anschein nicht vermuten läßt. Es bedeutet auch, sich zu fragen, ob und auf welche Weise sich die Figur Gelli im Rahmen der internationalen Beziehungen bewegt, die die Geheimdienste nach einer natürlichen Logik im Bereich homogener Allianzen knüpfen, wenn nicht sogar, wie manche behaupten, manchmal quer zu denselben politischen Zusammenhängen, denen sie angehören“ (S. 76).
Und nochmals zu Gelli und den Geheimdiensten schreibt Anselmi:
„Das Gedeihen und die Entwicklung der Loge P2 zeugt von einem immer größeren Interesse Licio Gellis an Militärkreisen, vor allem in bezug auf deren hohe Hierarchien; was die jeweiligen Ernennungen angeht, war der Leiter der Loge P2 laut Aussage von General Fulberto Lauro jedoch stets bestens im voraus informiert, sowohl in bezug auf die Armee als auch auf die Carabinieri und die Finanzwache. […] Was die Leitung der Geheimdienste betrifft, so hat Gelli in seiner Aussage vor Richter Vigna zugegeben, daß er an der Ernennung von General Miceli zum Leiter des SID interessiert war; diese Aussage wird durch die Aussagen von General Rosseti und des Journalisten Coppetti bestätigt. Auch nach der Reform der Geheimdienste im Jahr 1978 standen die Leiter der Nachrichtendienste alle auf den P2-Listen: General Grassini als Leiter des SISDE, General Santovito als Leiter des SISMI und Präfekt Pelosi als Leiter des CESIS, der die beiden vorherigen Dienste koordinieren sollte. General Musumeci übernahm die Leitung des Kontroll- und Sicherheitsbüros und des Generalsekretariats des SISMI zur Zeit von Santovito.“ 2
* * *
In einem Interview aus dem Jahr 1992 stellte Tina Anselmi fest, daß die Loge P2 in der Tat den USA und der amerikanischen Freimaurerei gegenüber loyal war.3 Der hyperamerikanische Charakter von Gelli und der P2 wird auch vom ehemaligen italienischen Staatspräsidenten Francesco Cossiga (1928–2010) in einem Interview mit dem Journalisten Ferruccio Pinotti bestätigt.4
9. Gelli, die Loge P2 und Argentinien
Werfen wir nun einen Blick auf die Kontakte zwischen der „Macht“ der Gelli-P2 und Argentinien, einem Land, in dem das Vordringen der italienischen Freimaurerei unmittelbar nach der italienischen Einigung (1859–1870) begann und eine erstaunliche Entwicklung nahm: 1893 gab es in Argentinien über 3000 Freimaurer, die in zehn italienischen Logen versammelt waren, die von einem Freimaurerkomitee koordiniert wurden, das in Verbindung mit dem Großorient von Italien in Rom stand. Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte die Freimaurerei auch in Argentinien eine Wiedergeburt. Bereits 1946 reiste Licio Gelli dorthin und freundete sich mit General Juan Domingo Perón an. Als Leiter der P2 knüpfte Gelli enge Beziehungen zu Männern in den argentinischen Geheimdiensten. Mit der Rückkehr Peróns an die Macht 1973 wurde der Großmeister der argentinischen Großloge, Cesar de la Vega, zum Wohlfahrtsminister und anschließend zum Botschafter bei der UNESCO in Paris ernannt.5
In bezug auf Argentinien möchte ich auf den Esoteriker und Magier Frank G. Ripel (Gianfranco Perilli) hinweisen, an den Licio Gelli 1989 ein Lobesschreiben für seine Bücher über die Magie richtete. Unter diesen Werken möchte ich „La magia di Atlantide“ („Die Magie von Atlantis“, 1985) hervorheben, das ins Spanische übersetzt und 1988 vom argentinischen esoterischen und theosophischen Verlag Kier in Buenos Aires, der 1907 gegründet worden war, vertrieben wurde. In diesem Buch preist Ripel Luzifer als Träger von Licht, Wahrheit und Freiheit.6 Ripel preist auch das große universelle magische Agens oder die große universelle Kraft, die sich in ihrem zweifachen Aspekt manifestiert, nämlich als Satan, der die Finsternis verbreitet, und als Luzifer, der das Licht bringt… Diese Kraft wird durch die Schlange Ouroboros repräsentiert und entspricht dem Dämon, dem „Baphomet“ und dem Androgynos (vgl. S. 100–102).
Und noch zum Thema Gelli-Esoterik-Argentinien: Licio Gellis Freund und Mitglied der P2 ist, zusammen mit dem Großmeister der Großloge von Argentinien Cesar de la Vega, auch der Esoteriker José Lopez Rega (1916–1989), der 1962 im Verlag Rosa de Libres der argentinischen Bundeshauptstadt das Buch „Astrologia esoterica (secretos develados)“ („Esoterische Astrologie. Enthüllte Geheimnisse“) von etwa 740 Seiten veröffentlichte. Zu Cesar de la Vega (mindestens seit 1977 Mitglied der Loge P2) und Lopez Rega (kein Logeneintrittsdatum bekannt) siehe Fußnote7.
9.1. Gelli zwischen dem Großorient von Italien und der Großloge von Argentinien
In einem Brief vom 27. Juni 1973 teilt der damalige Großmeister der Gran Logia de la Argentina de Libres y Aceptados Masones (gegründet am 11. Dezember 1857), Cesar de la Vega, dem Großmeister des Großorientes von Italien (GOI), Lino Salvini, seine Zustimmung mit, Br. Licio Gelli die Urkunde des Großrepräsentanten der Großloge von Argentinien beim Großorient auszustellen.8
In einem Schreiben vom 20. Juli 1977 teilt der Großsekretär des Großorients von Italien, Spartaco Mennini, Licio Gelli mit, daß er (Gelli) nach dem Urteil des Zentralgerichts der Großloge vom 18.12.1976 die Voraussetzungen für ein freimaurerisches Amt für einen Zeitraum von drei Jahren verloren hat und daher die Urkunde des Großrepräsentanten der Großloge von Argentinien zurückgeben muß.9
Aber nach einigen Jahren kehrt Gelli zurück, um die argentinische Freimaurerei beim Großorient zu vertreten; in der Tat bittet Licio Gelli mit einem Brief, der mit „Rom, 10. Februar 1981“ datiert ist, den Großsekretär des Großloge, Spartaco Mennini, um ein Duplikat seiner Mitgliedskarte als Garant der Freundschaft und Großrepräsentant der Großloge von Argentinien beim Großorient von Italien, da er die ihm damals ausgehändigte verloren hatte.10
Mit eingeschriebenem Brief vom 13.2.1981, Prot. Nr. 201, schickt Großsekretär Mennini Gelli auf Anfrage das Duplikat des Ausweises.11
Das argentinische Außenministerium stellte Licio Gelli am 28. Juli 1976 einen bis zum 28. Juli 1981 gültigen Diplomatenpaß als „Wirtschaftsberater“ aus.12
9.2. Gelli und Argentinien laut Angelo Rizzoli (P2)
Zu den Beziehungen zwischen Licio Gelli und Argentinien ist die Aussage des Verlegers, Filmproduzenten und P2-Mitglieds Angelo Rizzoli vor der parlamentarischen Untersuchungskommission interessant. [Rizzoli war 1970 der größte Zeitungs- und Zeitschriftenverlag Italiens und die zweitgrößte Buchhandelskette.]
Rizzoli erklärt, daß er im Herbst 1975 im Büro eines seiner Berater, Umberto Ortolani (ebenfalls P2-Mitglied), Licio Gelli kennenlernte; Ortolani stellte ihn als eine Person vor, die in der Lage sei, bestimmte Schwierigkeiten zu lösen (zumindest in den Beziehungen zu den lokalen politischen Behörden), auf die Rizzolis Tätigkeit in Argentinien stieß (der Verlag war dort seit Ende der 60er Jahre tätig). Und tatsächlich hat Gelli dazu beigetragen, diese Schwierigkeiten mit den argentinischen Behörden zu lösen.13
Zur damaligen Situation in Argentinien sagte Angelo Rizzoli:
„Es gab ein Trio von Militärs an der Macht, einer vertrat die Armee, einer die Marine und einer das Heer, es war eine Art Triumvirat der drei Waffengattungen, das in jenen Jahren an der Macht war. Ich hatte die Gelegenheit, Admiral Massera persönlich zu treffen, er kam nach Italien und traf sich nicht nur mit mir; als er mich bat, mich mit ihm zu treffen, sprach er zu mir von Gelli, als ob er ein enger Freund von ihm wäre und als ob er eine Person wäre, zu der er so gute Beziehungen hätte, daß man ihm nichts abschlagen könnte. Das Treffen mit Massera fand im Grand Hotel in Rom statt, ich erinnere mich nicht mehr an die Uhrzeit, und Gelli befand sich draußen im Gefolge des Admirals; ich hatte ein persönliches Treffen mit dem Admiral, und er sprach zu mir von Licio Gelli als einem Mann, dem in Argentinien alles erlaubt war“ (S. 277).
Der Abgeordnete Franco Calamandrei, Mitglied der Untersuchungskommission, fragte Rizzoli nach den „Gründen, der Art dieser engen Beziehungen“ zwischen Gelli und diesen Personen. Rizzoli antwortete:
„Ich werde Ihnen die Sache gleich erklären, so wie sie ist. Zunächst einmal war ich kaum mehr als ein Kind; ich hatte nur sehr begrenzte Erfahrung; wenn ich etwas mehr Erfahrung gehabt hätte, wären mir bestimmte Fehler nicht unterlaufen. Gelli erklärte mir den Grund: In diesen südamerikanischen Republiken stellt die Freimaurerei eine sehr starke konstituierte Macht dar; in Argentinien, Brasilien, Mexiko, Uruguay stellt sie eine Art herrschende Elite dar, daher hat ihm seine Rolle als Vertreter der Freimaurerei, als bekanntester Vertreter der Freimaurerei, die Kontakte zu diesen Personen sehr erleichtert. Wie auch immer, ich weiß nicht, welcher Art die Beziehungen waren, aber Gelli war ein Vermittler, ich mußte bestimmte Probleme lösen, und Gelli half mir, sie zu lösen. Ob es persönliche Freundschaften waren, weiß ich nicht“ (S. 278).
(Fortsetzung folgt.)
*Pater Paolo Maria Siano gehört dem Orden der Franziskaner der Immakulata (FFI) an; der promovierte Kirchenhistoriker gilt als einer der besten katholischen Kenner der Freimaurerei, der er mehrere Standardwerke und zahlreiche Aufsätze gewidmet hat. Durch seine Veröffentlichungen bringt er den Nachweis, daß die Freimaurerei von Anfang an bis heute esoterische und gnostische Elemente enthielt, die ihre Unvereinbarkeit mit der kirchlichen Glaubenslehre begründen.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana
1 vgl. Tina Anselmi, Vorsitzende und Berichterstatterin: Relazione della Commissione Parlamentare d’Inchiesta sulla Loggia Massonica P2, Dok. XXIII – Nr. 2, Camera dei Deputati – Senato della Repubblica – IX. Legislatur, Rom 12. Juli 1984, S. 59–63.
2 S. 80f; in dem zitierten Text wird Rosseti statt Rossetti geschrieben.
3 vgl. Andrea Tornielli: P come Patto Atlantico, in: 30 Giorni, Nr. 8/9, August/September 1992, S. 9
4 vgl. F. Pinotti, Fratelli d’Italia, BUR, Mailand 2007, S. 95
5 vgl. Giacomo Galeazzi/Ferruccio Pinotti: Vaticano massone. Logge, denaro e poteri occulti: il lato segreto della Chiesa di papa Francesco, Edizioni Piemme, Milano 2013, S. 68f
6 vgl. Frank G. Ripel: La Magia de la Atlantida, Editorial Kier, Buenos Aires 1988, S. 69f.
7 vgl. Anlage 4/C der Beschlagnahme, die am 17. März 1981 in Castiglion Fibocchi durchgeführt wurde: Liste der in der P2 Eingeschriebenen mit den Positionen der Einschreibung und der buchhalterischen Erfassung, in der Abgeordnetenkammer – Senat der Republik – IX. Legislatur, 2. Reihe: Dokumentensammlung der Kommission, Band VII. Geheimdienste-Subversion-Massaker-Organisiertes Verbrechen-Waffen‑, Drogen- und Ölhandel-Pecorelli, Band II, Dok. XXIII Nr. 2‑quater/7/II, Rom 1987, S. 127 (85-–52). Ich zitiere das Werk als CPIP2.
Zu Lopez Rega siehe hier: https://it.wikipedia.org/wiki/Jos%C3%A9_L%C3%B3pez_Rega
8 vgl. Cesar A. de la Vega, Großmeister: Brief an Großmeister Lino Salvini (GOI), Buenos Aires 27.06.1973, Gran Logia de la Argentina, in: CPIP2, Doc. XXIII Nr. 2‑quater/3/VII-bis, Rom 1985, S. 173
9 vgl. Spartaco Mennini, Großsekretär: Brief an Br. Licio Gelli, 20.07.1977, in: CPIP2, Dok. XXIII Nr. 2‑quater/3/VII-bis, Rom 1985, S. 182
10 vgl. Licio Gelli: Brief an Br. Spartaco Mennini, Rom, 10.02.1981, in: CPIP2, Dok. XXIII Nr. 2‑quater/3/VII-bis, Rom 1985, S. 185
11 vgl. Spartaco Mennini: Einschreiben an Br. Licio Gelli, Rom 13.2.1981, Prot. Nr. 201, in: CPIP2, op. cit., Dok. XXIII n. 2‑quater/3/VII-bis, Rom 1985, S. 185
12 vgl. CPIP2, Dok. XXIII Nr. 2‑quater/3/VII-bis, Rom 1985, S. 200
13 vgl. Auszüge aus der Anhörung von A. Rizzoli vor der P2-Kommission vom 28. Januar 1982, in: CPIP2, Dok. XXIII n. 2‑quater/3/VII-bis, Rom 1985, S. 275 (273–278)