Die Loge Propaganda 2 zwischen Geheimdiensten und Esoterik (Teil 4)

Die Freimaurerei und die Macht


Der Hochgradfreimaurer und Meister der Geheimloge P2 Licio Gelli arbeitete für den faschistischen Geheimdienst, die SS, die Partisanen, den US-Geheimdienst und wurde von den italienischen Geheimdiensten geschützt
Der Hochgradfreimaurer und Meister der Geheimloge P2 Licio Gelli arbeitete für den faschistischen Geheimdienst, die SS, die Partisanen, den US-Geheimdienst und wurde von den italienischen Geheimdiensten geschützt

Von Pao­lo M. Siano*

8. Gelli, die Loge P2 und die Geheimdienste gemäß Anselmi-Kommission (1984)

Anzei­ge

Was die Bezie­hung zwi­schen Gel­li, der Loge P2 und den Geheim­dien­sten betrifft, lohnt sich ein Blick in den (Mehrheits-)Bericht der par­la­men­ta­ri­schen Unter­su­chungs­kom­mis­si­on unter dem Vor­sitz von Tina Ansel­mi (1927–2016), der dem Par­la­ment am 12. Juli 1984 vor­ge­legt wurde.

Die Geheim­dien­ste hat­ten sich seit 1945 mit Licio Gel­li befaßt, nach­dem sie gegen zwei feind­li­che Agen­ten ermit­telt hat­ten, die Pistoia im Gefol­ge der Deut­schen ver­las­sen hat­ten. Von Gel­li erfuh­ren die Geheim­dien­ste (bei einem Ver­hör in Caglia­ri), daß er, Leut­nant der Fall­schirm­jä­ger, 1943 von den Deut­schen gefan­gen­ge­nom­men und vor die Wahl gestellt wor­den war, sich Mus­so­li­nis Ita­lie­ni­scher Sozi­alrepu­blik von Salò anzu­schlie­ßen oder in das Drit­te Reich depor­tiert zu wer­den. Gel­li ent­schied sich für Erste­res. Obwohl er also Ver­bin­dungs­of­fi­zier bei der SS wur­de, stell­te sich Gel­li par­al­lel in den Dienst der Par­ti­sa­nen und dann (ab Okto­ber 1944) auch der ame­ri­ka­ni­schen Gegen­spio­na­ge in Ita­li­en. Gel­li gab nach dem Krieg sei­ne Rol­le als Dop­pel­agent und Infor­mant zu und lie­fer­te bei die­ser Gele­gen­heit die Namen von 56 Per­so­nen, die aktiv mit den Deut­schen kol­la­bo­riert hat­ten. Es war die­se Liste, die der Inve­sti­ga­ti­v­jour­na­list Mino Peco­rel­li, selbst Mit­glied der Loge P2, in der Aus­ga­be des „Osser­va­to­re Poli­ti­co“ zu ver­öf­fent­li­chen ver­sprach, was jedoch nie geschah… Peco­rel­li wur­de 1979 ermor­det.
Sicher ist, daß Gel­li als Offi­zier der ita­lie­ni­schen SS bri­ti­sche Gefan­ge­ne und Anti­fa­schi­sten ver­folg­te, einen Pfar­rer unter dem Ver­dacht ver­haf­ten ließ, Anti­fa­schi­sten zu begün­sti­gen, und vier Wehr­dienst­ver­wei­ge­rer ver­haf­ten und anschlie­ßend erschie­ßen ließ. 1950 führ­te der ita­lie­ni­sche Mili­tär­ge­heim­dienst SIFAR Licio Gel­li als einen wahr­schein­li­chen Agen­ten des öst­li­chen Geheim­dien­stes KOMINFORM und das seit 1944 oder zumin­dest 1947. Doch man beschränkt sich, nur Gel­lis Tätig­keit als Buch­händ­ler zu über­prü­fen. Im Jahr 1960 wird Gel­li als Geschäfts­mann bezeich­net, der kei­ne wei­te­ren Ver­bin­dun­gen zur Poli­tik habe. So wur­de es 13 Jah­re lang still um Gel­li, bis 1973 jemand vom SIFAR dar­um bat, her­aus­zu­fin­den, ob Licio Gel­li mit einem gewis­sen Lui­gi Ger­la iden­tisch sei, der 1964 als Agent des unga­ri­schen Geheim­dien­stes A.V.H. gemel­det wur­de. In dem­sel­ben Ver­merk heißt es, daß Gel­li behaup­tet, Ver­bin­dun­gen zum SIFAR unter­hal­ten zu haben, und offen­bar Kon­tak­te zu unga­ri­schen Krei­sen hat­te.1

Alle die­se Prä­ze­denz­fäl­le sind in einem Dos­sier ent­hal­ten, das vom dama­li­gen Mili­tär­ge­heim­dienst SISMI 1981 an die par­la­men­ta­ri­sche Unter­su­chungs­kom­mis­si­on für den P2 über­mit­telt wur­de. Der SISMI teilt uns auch mit, daß Licio Gel­li, wie aus zwei Ver­mer­ken (einer von 1972 und der ande­re von 1974) her­vor­geht, die von eini­gen Offi­zie­ren des Flo­ren­ti­ner Zen­trums des sei­ner­zei­ti­gen ita­lie­ni­schen Mili­tär­ge­heim­dien­stes SID ver­faßt wur­den, im Juni 1971 meh­re­ren Per­so­nen anver­traut hat, daß er unter dem Deck­na­men „Filip­po“ ein Agent des SID selbst sei (sie­he S. 63f). Im Über­mitt­lungs­schrei­ben des SISMI (1981) wird ein­ge­räumt, daß die­se bei­den Noti­zen (1972 und 1974) nie nach Rom (SID-Haupt­quar­tier) gelangt sind. Die Par­la­ments­ab­ge­ord­ne­te Ansel­mi schreibt diesbezüglich:

„Wie im Über­mitt­lungs­schrei­ben (1. Sep­tem­ber 1981) zuge­ge­ben wird, sind die bei­den Noti­zen nie nach Rom über­mit­telt wor­den, und wir kön­nen den Grund dafür ver­ste­hen, wenn wir eine wich­ti­ge Pas­sa­ge lesen:

‚Nach eini­gen Tagen teil­te der­sel­be Kom­man­dant von … dem Kom­man­dan­ten die­ses Zen­trums mit, daß der dama­li­ge Kom­man­dant der Abtei­lung D wegen der Ermitt­lun­gen in bezug auf das Kon­to von Gel­li in Wut gera­ten sei. Eini­ge Zeit spä­ter rüg­te der Befehls­ha­ber der Abtei­lung D den Befehls­ha­ber die­ses Zen­trums per­sön­lich dafür, daß er bei der Durch­füh­rung von Ermitt­lun­gen gegen Gel­li, eine Per­son, die sei­ner Mei­nung nach ein­fluß­reich und nütz­lich für den Dienst war, dem Befehls­ha­ber von … gehorcht hat­te, und droh­te damit, ihn zu den ter­ri­to­ria­len Streit­kräf­ten zurück­zu­ver­set­zen“‘ (S. 64).

Wei­ter schreibt Anselmi:

„1974 inter­es­sier­te sich auch das Büro I der Finanz­wa­che für Licio Gel­li und erstell­te im Früh­jahr drei Berich­te, denen kein bes­se­res Schick­sal beschie­den war als den bei­den oben erwähn­ten Noti­zen des SID-Zen­trums Flo­renz. Die Ermitt­lun­gen wur­den offen­bar auf Ersu­chen der Anti­ter­ro­ris­musstel­le von San­til­lo – im Zusam­men­hang mit den Ermitt­lun­gen gegen den des Waf­fen­han­dels ver­däch­tig­ten Len­zi Lui­gi aus Quar­ra­ta (P2) – ein­ge­lei­tet und vom Kom­man­dan­ten des Büros I, Oberst Flo­rio, Oberst­leut­nant Giu­sep­pe Ser­ren­ti­no, Major Anto­ni­no De Sal­vo und Haupt­mann Lucia­no Ros­si anver­traut. Der voll­stän­dig­ste der drei Berich­te ist zwei­fel­los der von Major De Sal­vo, der über die neu­en wirt­schaft­li­chen Akti­vi­tä­ten von Gel­li und die Posi­tio­nen in zwei Unter­neh­men der Lebo­le-Grup­pe im Beklei­dungs­sek­tor berich­tet: […]. Die­ser Ermitt­lungs­strang wur­de von kei­nem Nach­rich­ten­dienst wie­der auf­ge­grif­fen, obwohl der Bericht mit Sicher­heit den Kon­takt zwi­schen Licio Gel­li und Lui­gi Len­zi doku­men­tiert. In dem Bericht wird auch erwähnt, daß das Zen­trum in Flo­renz eine auf den Namen von Licio Gel­li lau­ten­de Per­so­nal­ak­te sicher ver­wahrt hat, die er nicht ein­se­hen konn­te. Die gegen Licio Gel­li durch­ge­führ­ten Ermitt­lun­gen schei­nen den Beam­ten, die mit ihm zu tun hat­ten, nicht zugu­te­ge­kom­men zu sein. Major De Sal­vo scheint Mit­glied der Loge P2 gewor­den zu sein; Lucia­no Ros­si beging schließ­lich Selbst­mord, nach­dem er, wie es scheint, von Gel­li bedroht wor­den war; Ser­ren­ti­no ver­ließ den Dienst auf­grund eines Gebre­chens; Oberst Flo­rio starb, nach­dem er in der Arma [Cara­bi­nie­ri] durch die Ankunft von Giudi­ce und Triso­li­ni eine regel­rech­te Ver­fol­gung erlit­ten hat­te (über Giudi­ce hat­te er, laut sei­ner Wit­we, ein hei­ßes Dos­sier gesam­melt), bei einem Auto­un­fall“ (S. 65f).

In bezug auf das Ver­hal­ten der ita­lie­ni­schen Geheim­dien­ste stell­te die Abge­ord­ne­te Ansel­mi einen bemer­kens­wer­ten Wider­spruch fest: In dem Moment, in dem Gel­li als wahr­schein­li­cher Spi­on für den Osten gemel­det wird, hören die ita­lie­ni­schen mili­tä­ri­schen Geheim­dien­ste prak­tisch auf, sich mit ihm zu befas­sen. Das Feh­len von Auf­klä­rungs­maß­nah­men der Geheim­dien­ste in bezug auf Gel­li steht sowohl im Gegen­satz zu dem wach­sen­den Gewicht, das Gel­li erlangt hat­te, als auch zu den Anga­ben ande­rer nach­rich­ten­dienst­li­cher Stel­len (Büro I der Finanz­wa­che, Gene­ral­inspek­ti­on zur Ter­ro­ris­mus­be­kämp­fung der Staats­po­li­zei), die Gel­lis Kon­tak­te zu Frei­mau­rer­krei­sen und der sub­ver­si­ven Rech­ten auf­deck­ten (vgl. S. 70). Im Gegen­satz zum SIS­MI-Ver­merk von 1977 und dem Bericht von Gene­ral San­to­vi­to von 1978 (das P2-Mit­glied Gene­ral San­to­vi­to lei­te­te von 1978 bis 1981 den Mili­tär­ge­heim­dienst SISMI) bie­tet die Anti­ter­ro­ris­musstel­le von Emi­lio San­til­lo (ins­be­son­de­re im Ver­merk von 1976) prä­zi­se und detail­lier­te Daten über Licio Gel­li und die Loge P2. Das Enga­ge­ment von San­til­los Dienst­stel­le steht im Gegen­satz zu der außer­ge­wöhn­li­chen Unauf­merk­sam­keit der ande­ren Dienst­stel­len gegen­über Gel­li und der P2. Sein Dienst­ei­fer führ­te dazu, daß nicht San­til­lo, son­dern das P2-Mit­glied Gene­ral Gras­si­ni Chef des zivi­len Geheim­dien­stes SISDE wur­de (vgl. S. 70f).

Die Abg. Ansel­mi schließt dar­aus, daß Gel­li ein Geheim­dienst­ler war:

„[…] Faßt man die vor­ge­brach­ten Argu­men­te zusam­men, so kann man mit abso­lu­ter Sicher­heit die Exi­stenz einer Art Infor­ma­ti­ons- und Schutz­ring bestä­ti­gen, der von den Geheim­dien­sten ein­ge­rich­tet wur­de, um Gel­li und alles, was ihn betrifft, zu schüt­zen, und zwar nach einer unbe­streit­ba­ren Kon­ti­nui­täts­li­nie, die nicht nur die Peri­ode von Gel­lis Kar­rie­re­hö­he­punkt betrifft – eine Epo­che, in der es erklär­bar wäre, auf das Argu­ment des Ein­flus­ses zurück­zu­grei­fen, den er inner­halb und außer­halb des Geheim­dien­stes erlangt hat –, son­dern die bis 1950 zurück­reicht, als Gel­li eine Per­son von viel gerin­ge­rem Anse­hen war, so daß man ihm sicher­lich kei­ne Hand­lun­gen mit Druck­aus­übung auf die Geheim­dien­ste vor­wer­fen kann. Eine Kon­ti­nui­tät der Hal­tung also, die Gel­li wäh­rend sei­ner gesam­ten Lauf­bahn beglei­tet, ohne nen­nens­wer­te Abwei­chun­gen, die sei­ne in der Tat über­ra­schen­de Ent­wick­lung kenn­zeich­nen. Unter den ver­schie­de­nen mög­li­chen Erklä­run­gen für eine sol­che kon­stan­te Hal­tung – wobei die­je­ni­ge der Inef­fi­zi­enz der Geheim­dien­ste ver­wor­fen wird, weil sie ein­deu­tig nicht vor­stell­bar ist – bleibt kei­ne ande­re Schluß­fol­ge­rung als die, daß Gel­li selbst eine Per­son ist, die den Geheim­dien­sten ange­hört, denn nur mit einer sol­chen Hypo­the­se kann man eine logi­sche Erklä­rung für die Deckung durch letz­te­re fin­den, die Gel­li in einer Art und Wei­se zuge­si­chert wird, die sowohl pas­siv ist, indem kei­ne Infor­ma­tio­nen über sei­ne Per­son auf­ge­nom­men wer­den, als auch aktiv, indem sol­che nicht an die poli­ti­sche Auto­ri­tät gelie­fert wer­den, die sie ver­langt“ (S. 71).

Der Ansel­mi-Bericht bie­tet die­se „Inter­pre­ta­ti­ons­li­nie“ bezüg­lich Schutz und Kon­trol­le der Geheim­dien­ste für Gelli:

„[…] Die vor­ge­leg­ten Bewei­se und die Argu­men­ta­ti­ons­li­nie, die wir auf sie kon­zen­triert haben, bezeu­gen ein­deu­tig die Exi­stenz eines Schutz­schirms, der von den Geheim­dien­sten zum Schutz von Gel­li und der Loge P2 errich­tet wur­de, der pünkt­lich gegen­über jeder poli­ti­schen oder gericht­li­chen Behör­de akti­viert wur­de, die in Aus­übung ihrer Funk­tio­nen Infor­ma­tio­nen und Erklä­run­gen zu die­sen Ange­le­gen­hei­ten ver­lang­te. Wir haben den tief­grei­fen­den Grund für die­ses Ver­hal­ten in der Zuge­hö­rig­keit Licio Gel­lis zum Geheim­dienst aus­ge­macht und die­se Zuge­hö­rig­keit auf das Jahr 1950 datiert, das Jahr, in dem der KOM­IN­FORM-Bericht erstellt wur­de. Die Kon­se­quenz die­ser Aus­sa­ge ist, daß der wah­re Grund für den infor­mel­len Cor­don sani­taire nicht in der angeb­li­chen Kon­trol­le zu suchen ist, die Gel­li über die Geheim­dien­ste aus­üben wür­de, son­dern im gegen­tei­li­gen Grund, dem der Kon­trol­le, die sie über ihn haben. […] Zu behaup­ten, Licio Gel­li sei seit Beginn sei­ner Kar­rie­re ein Mann der Geheim­dien­ste, bedeu­tet, sich zu fra­gen, ob die­se sei­ne Situa­ti­on mit der Orga­ni­sa­ti­on als sol­cher oder mit sei­nen Sek­to­ren zusam­men­hängt, denn es ist sicher, daß der Appa­rat in die­sen Umge­bun­gen eine inne­re Rea­li­tät hat, die der von außen erkenn­ba­re mono­li­thi­sche Anschein nicht ver­mu­ten läßt. Es bedeu­tet auch, sich zu fra­gen, ob und auf wel­che Wei­se sich die Figur Gel­li im Rah­men der inter­na­tio­na­len Bezie­hun­gen bewegt, die die Geheim­dien­ste nach einer natür­li­chen Logik im Bereich homo­ge­ner Alli­an­zen knüp­fen, wenn nicht sogar, wie man­che behaup­ten, manch­mal quer zu den­sel­ben poli­ti­schen Zusam­men­hän­gen, denen sie ange­hö­ren“ (S. 76).

Und noch­mals zu Gel­li und den Geheim­dien­sten schreibt Anselmi:

„Das Gedei­hen und die Ent­wick­lung der Loge P2 zeugt von einem immer grö­ße­ren Inter­es­se Licio Gel­lis an Mili­tär­krei­sen, vor allem in bezug auf deren hohe Hier­ar­chien; was die jewei­li­gen Ernen­nun­gen angeht, war der Lei­ter der Loge P2 laut Aus­sa­ge von Gene­ral Ful­ber­to Lau­ro jedoch stets bestens im vor­aus infor­miert, sowohl in bezug auf die Armee als auch auf die Cara­bi­nie­ri und die Finanz­wa­che. […] Was die Lei­tung der Geheim­dien­ste betrifft, so hat Gel­li in sei­ner Aus­sa­ge vor Rich­ter Vigna zuge­ge­ben, daß er an der Ernen­nung von Gene­ral Mic­e­li zum Lei­ter des SID inter­es­siert war; die­se Aus­sa­ge wird durch die Aus­sa­gen von Gene­ral Ros­se­ti und des Jour­na­li­sten Cop­pet­ti bestä­tigt. Auch nach der Reform der Geheim­dien­ste im Jahr 1978 stan­den die Lei­ter der Nach­rich­ten­dien­ste alle auf den P2-Listen: Gene­ral Gras­si­ni als Lei­ter des SISDE, Gene­ral San­to­vi­to als Lei­ter des SISMI und Prä­fekt Pelo­si als Lei­ter des CESIS, der die bei­den vor­he­ri­gen Dien­ste koor­di­nie­ren soll­te. Gene­ral Musu­me­ci über­nahm die Lei­tung des Kon­troll- und Sicher­heits­bü­ros und des Gene­ral­se­kre­ta­ri­ats des SISMI zur Zeit von San­to­vi­to.“ 2

* * *

In einem Inter­view aus dem Jahr 1992 stell­te Tina Ansel­mi fest, daß die Loge P2 in der Tat den USA und der ame­ri­ka­ni­schen Frei­mau­re­rei gegen­über loy­al war.3 Der hypera­me­ri­ka­ni­sche Cha­rak­ter von Gel­li und der P2 wird auch vom ehe­ma­li­gen ita­lie­ni­schen Staats­prä­si­den­ten Fran­ces­co Cos­si­ga (1928–2010) in einem Inter­view mit dem Jour­na­li­sten Fer­ruc­cio Pinot­ti bestä­tigt.4

9. Gelli, die Loge P2 und Argentinien

Wer­fen wir nun einen Blick auf die Kon­tak­te zwi­schen der „Macht“ der Gel­li-P2 und Argen­ti­ni­en, einem Land, in dem das Vor­drin­gen der ita­lie­ni­schen Frei­mau­re­rei unmit­tel­bar nach der ita­lie­ni­schen Eini­gung (1859–1870) begann und eine erstaun­li­che Ent­wick­lung nahm: 1893 gab es in Argen­ti­ni­en über 3000 Frei­mau­rer, die in zehn ita­lie­ni­schen Logen ver­sam­melt waren, die von einem Frei­mau­rer­ko­mi­tee koor­di­niert wur­den, das in Ver­bin­dung mit dem Groß­ori­ent von Ita­li­en in Rom stand. Nach dem Zwei­ten Welt­krieg erleb­te die Frei­mau­re­rei auch in Argen­ti­ni­en eine Wie­der­ge­burt. Bereits 1946 rei­ste Licio Gel­li dort­hin und freun­de­te sich mit Gene­ral Juan Dom­in­go Perón an. Als Lei­ter der P2 knüpf­te Gel­li enge Bezie­hun­gen zu Män­nern in den argen­ti­ni­schen Geheim­dien­sten. Mit der Rück­kehr Peróns an die Macht 1973 wur­de der Groß­mei­ster der argen­ti­ni­schen Groß­lo­ge, Cesar de la Vega, zum Wohl­fahrts­mi­ni­ster und anschlie­ßend zum Bot­schaf­ter bei der UNESCO in Paris ernannt.5

In bezug auf Argen­ti­ni­en möch­te ich auf den Eso­te­ri­ker und Magi­er Frank G. Ripel (Gian­fran­co Peri­l­li) hin­wei­sen, an den Licio Gel­li 1989 ein Lobes­schrei­ben für sei­ne Bücher über die Magie rich­te­te. Unter die­sen Wer­ken möch­te ich „La magia di Atlan­ti­de“ („Die Magie von Atlan­tis“, 1985) her­vor­he­ben, das ins Spa­ni­sche über­setzt und 1988 vom argen­ti­ni­schen eso­te­ri­schen und theo­so­phi­schen Ver­lag Kier in Bue­nos Aires, der 1907 gegrün­det wor­den war, ver­trie­ben wur­de. In die­sem Buch preist Ripel Luzi­fer als Trä­ger von Licht, Wahr­heit und Frei­heit.6 Ripel preist auch das gro­ße uni­ver­sel­le magi­sche Agens oder die gro­ße uni­ver­sel­le Kraft, die sich in ihrem zwei­fa­chen Aspekt mani­fe­stiert, näm­lich als Satan, der die Fin­ster­nis ver­brei­tet, und als Luzi­fer, der das Licht bringt… Die­se Kraft wird durch die Schlan­ge Ourob­oros reprä­sen­tiert und ent­spricht dem Dämon, dem „Bapho­met“ und dem Andro­gy­nos (vgl. S. 100–102).

Und noch zum The­ma Gel­li-Eso­te­rik-Argen­ti­ni­en: Licio Gel­lis Freund und Mit­glied der P2 ist, zusam­men mit dem Groß­mei­ster der Groß­lo­ge von Argen­ti­ni­en Cesar de la Vega, auch der Eso­te­ri­ker José Lopez Rega (1916–1989), der 1962 im Ver­lag Rosa de Libres der argen­ti­ni­schen Bun­des­haupt­stadt das Buch „Astro­lo­gia eso­te­ri­ca (secre­tos deve­la­dos)“ („Eso­te­ri­sche Astro­lo­gie. Ent­hüll­te Geheim­nis­se“) von etwa 740 Sei­ten ver­öf­fent­lich­te. Zu Cesar de la Vega (min­de­stens seit 1977 Mit­glied der Loge P2) und Lopez Rega (kein Logen­ein­tritts­da­tum bekannt) sie­he Fuß­no­te7.

9.1. Gelli zwischen dem Großorient von Italien und der Großloge von Argentinien

In einem Brief vom 27. Juni 1973 teilt der dama­li­ge Groß­mei­ster der Gran Logia de la Argen­ti­na de Libres y Acep­ta­dos Maso­nes (gegrün­det am 11. Dezem­ber 1857), Cesar de la Vega, dem Groß­mei­ster des Groß­ori­en­tes von Ita­li­en (GOI), Lino Sal­vi­ni, sei­ne Zustim­mung mit, Br. Licio Gel­li die Urkun­de des Groß­re­prä­sen­tan­ten der Groß­lo­ge von Argen­ti­ni­en beim Groß­ori­ent aus­zu­stel­len.8

In einem Schrei­ben vom 20. Juli 1977 teilt der Groß­se­kre­tär des Groß­ori­ents von Ita­li­en, Spart­a­co Men­ni­ni, Licio Gel­li mit, daß er (Gel­li) nach dem Urteil des Zen­tral­ge­richts der Groß­lo­ge vom 18.12.1976 die Vor­aus­set­zun­gen für ein frei­mau­re­ri­sches Amt für einen Zeit­raum von drei Jah­ren ver­lo­ren hat und daher die Urkun­de des Groß­re­prä­sen­tan­ten der Groß­lo­ge von Argen­ti­ni­en zurück­ge­ben muß.9

Aber nach eini­gen Jah­ren kehrt Gel­li zurück, um die argen­ti­ni­sche Frei­mau­re­rei beim Groß­ori­ent zu ver­tre­ten; in der Tat bit­tet Licio Gel­li mit einem Brief, der mit „Rom, 10. Febru­ar 1981“ datiert ist, den Groß­se­kre­tär des Groß­lo­ge, Spart­a­co Men­ni­ni, um ein Dupli­kat sei­ner Mit­glieds­kar­te als Garant der Freund­schaft und Groß­re­prä­sen­tant der Groß­lo­ge von Argen­ti­ni­en beim Groß­ori­ent von Ita­li­en, da er die ihm damals aus­ge­hän­dig­te ver­lo­ren hat­te.10

Mit ein­ge­schrie­be­nem Brief vom 13.2.1981, Prot. Nr. 201, schickt Groß­se­kre­tär Men­ni­ni Gel­li auf Anfra­ge das Dupli­kat des Aus­wei­ses.11

Das argen­ti­ni­sche Außen­mi­ni­ste­ri­um stell­te Licio Gel­li am 28. Juli 1976 einen bis zum 28. Juli 1981 gül­ti­gen Diplo­ma­ten­paß als „Wirt­schafts­be­ra­ter“ aus.12

9.2. Gelli und Argentinien laut Angelo Rizzoli (P2)

Zu den Bezie­hun­gen zwi­schen Licio Gel­li und Argen­ti­ni­en ist die Aus­sa­ge des Ver­le­gers, Film­pro­du­zen­ten und P2-Mit­glieds Ange­lo Riz­zo­li vor der par­la­men­ta­ri­schen Unter­su­chungs­kom­mis­si­on inter­es­sant. [Riz­zo­li war 1970 der größ­te Zei­tungs- und Zeit­schrif­ten­ver­lag Ita­li­ens und die zweit­größ­te Buchhandelskette.]

Riz­zo­li erklärt, daß er im Herbst 1975 im Büro eines sei­ner Bera­ter, Umber­to Orto­la­ni (eben­falls P2-Mit­glied), Licio Gel­li ken­nen­lern­te; Orto­la­ni stell­te ihn als eine Per­son vor, die in der Lage sei, bestimm­te Schwie­rig­kei­ten zu lösen (zumin­dest in den Bezie­hun­gen zu den loka­len poli­ti­schen Behör­den), auf die Riz­zo­lis Tätig­keit in Argen­ti­ni­en stieß (der Ver­lag war dort seit Ende der 60er Jah­re tätig). Und tat­säch­lich hat Gel­li dazu bei­getra­gen, die­se Schwie­rig­kei­ten mit den argen­ti­ni­schen Behör­den zu lösen.13

Zur dama­li­gen Situa­ti­on in Argen­ti­ni­en sag­te Ange­lo Rizzoli:

„Es gab ein Trio von Mili­tärs an der Macht, einer ver­trat die Armee, einer die Mari­ne und einer das Heer, es war eine Art Tri­um­vi­rat der drei Waf­fen­gat­tun­gen, das in jenen Jah­ren an der Macht war. Ich hat­te die Gele­gen­heit, Admi­ral Mas­se­ra per­sön­lich zu tref­fen, er kam nach Ita­li­en und traf sich nicht nur mit mir; als er mich bat, mich mit ihm zu tref­fen, sprach er zu mir von Gel­li, als ob er ein enger Freund von ihm wäre und als ob er eine Per­son wäre, zu der er so gute Bezie­hun­gen hät­te, daß man ihm nichts abschla­gen könn­te. Das Tref­fen mit Mas­se­ra fand im Grand Hotel in Rom statt, ich erin­ne­re mich nicht mehr an die Uhr­zeit, und Gel­li befand sich drau­ßen im Gefol­ge des Admi­rals; ich hat­te ein per­sön­li­ches Tref­fen mit dem Admi­ral, und er sprach zu mir von Licio Gel­li als einem Mann, dem in Argen­ti­ni­en alles erlaubt war“ (S. 277).

Der Abge­ord­ne­te Fran­co Cala­man­drei, Mit­glied der Unter­su­chungs­kom­mis­si­on, frag­te Riz­zo­li nach den „Grün­den, der Art die­ser engen Bezie­hun­gen“ zwi­schen Gel­li und die­sen Per­so­nen. Riz­zo­li antwortete:

„Ich wer­de Ihnen die Sache gleich erklä­ren, so wie sie ist. Zunächst ein­mal war ich kaum mehr als ein Kind; ich hat­te nur sehr begrenz­te Erfah­rung; wenn ich etwas mehr Erfah­rung gehabt hät­te, wären mir bestimm­te Feh­ler nicht unter­lau­fen. Gel­li erklär­te mir den Grund: In die­sen süd­ame­ri­ka­ni­schen Repu­bli­ken stellt die Frei­mau­re­rei eine sehr star­ke kon­sti­tu­ier­te Macht dar; in Argen­ti­ni­en, Bra­si­li­en, Mexi­ko, Uru­gu­ay stellt sie eine Art herr­schen­de Eli­te dar, daher hat ihm sei­ne Rol­le als Ver­tre­ter der Frei­mau­re­rei, als bekann­te­ster Ver­tre­ter der Frei­mau­re­rei, die Kon­tak­te zu die­sen Per­so­nen sehr erleich­tert. Wie auch immer, ich weiß nicht, wel­cher Art die Bezie­hun­gen waren, aber Gel­li war ein Ver­mitt­ler, ich muß­te bestimm­te Pro­ble­me lösen, und Gel­li half mir, sie zu lösen. Ob es per­sön­li­che Freund­schaf­ten waren, weiß ich nicht“ (S. 278).

(Fort­set­zung folgt.)

*Pater Pao­lo Maria Sia­no gehört dem Orden der Fran­zis­ka­ner der Imma­ku­la­ta (FFI) an; der pro­mo­vier­te Kir­chen­hi­sto­ri­ker gilt als einer der besten katho­li­schen Ken­ner der Frei­mau­re­rei, der er meh­re­re Stan­dard­wer­ke und zahl­rei­che Auf­sät­ze gewid­met hat. Durch sei­ne Ver­öf­fent­li­chun­gen bringt er den Nach­weis, daß die Frei­mau­re­rei von Anfang an bis heu­te eso­te­ri­sche und gno­sti­sche Ele­men­te ent­hielt, die ihre Unver­ein­bar­keit mit der kirch­li­chen Glau­bens­leh­re begründen.

Über­set­zung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Cor­ri­spon­den­za Romana


1 vgl. Tina Ansel­mi, Vor­sit­zen­de und Bericht­erstat­te­rin: Rela­zio­ne del­la Com­mis­sio­ne Par­la­men­ta­re d’Inchiesta sul­la Log­gia Masso­ni­ca P2, Dok. XXIII – Nr. 2, Came­ra dei Depu­ta­ti – Sena­to del­la Repubbli­ca – IX. Legis­la­tur, Rom 12. Juli 1984, S. 59–63.

2 S. 80f; in dem zitier­ten Text wird Ros­se­ti statt Ros­set­ti geschrieben.

3 vgl. Andrea Tor­ni­el­li: P come Pat­to Atlan­ti­co, in: 30 Gior­ni, Nr. 8/​9, August/​September 1992, S. 9

4 vgl. F. Pinot­ti, Fra­tel­li d’I­ta­lia, BUR, Mai­land 2007, S. 95

5 vgl. Gia­co­mo Galeazzi/​Ferruccio Pinot­ti: Vati­ca­no masso­ne. Log­ge, den­a­ro e pote­ri occul­ti: il lato segre­to del­la Chie­sa di papa Fran­ces­co, Edi­zio­ni Piem­me, Mila­no 2013, S. 68f

6 vgl. Frank G. Ripel: La Magia de la Atlan­ti­da, Edi­to­ri­al Kier, Bue­nos Aires 1988, S. 69f.

7 vgl. Anla­ge 4/​C der Beschlag­nah­me, die am 17. März 1981 in Castig­li­on Fiboc­chi durch­ge­führt wur­de: Liste der in der P2 Ein­ge­schrie­be­nen mit den Posi­tio­nen der Ein­schrei­bung und der buch­hal­te­ri­schen Erfas­sung, in der Abge­ord­ne­ten­kam­mer – Senat der Repu­blik – IX. Legis­la­tur, 2. Rei­he: Doku­men­ten­samm­lung der Kom­mis­si­on, Band VII. Geheim­dien­ste-Sub­ver­si­on-Mas­sa­ker-Orga­ni­sier­tes Ver­bre­chen-Waf­fen‑, Dro­gen- und Ölhan­del-Peco­rel­li, Band II, Dok. XXIII Nr. 2‑quater/​7/​II, Rom 1987, S. 127 (85-–52). Ich zitie­re das Werk als CPIP2.
Zu Lopez Rega sie­he hier: https://it.wikipedia.org/wiki/Jos%C3%A9_L%C3%B3pez_Rega

8 vgl. Cesar A. de la Vega, Groß­mei­ster: Brief an Groß­mei­ster Lino Sal­vi­ni (GOI), Bue­nos Aires 27.06.1973, Gran Logia de la Argen­ti­na, in: CPIP2, Doc. XXIII Nr. 2‑qua­ter/3/VII-bis, Rom 1985, S. 173

9 vgl. Spart­a­co Men­ni­ni, Groß­se­kre­tär: Brief an Br. Licio Gel­li, 20.07.1977, in: CPIP2, Dok. XXIII Nr. 2‑qua­ter/3/VII-bis, Rom 1985, S. 182

10 vgl. Licio Gel­li: Brief an Br. Spart­a­co Men­ni­ni, Rom, 10.02.1981, in: CPIP2, Dok. XXIII Nr. 2‑qua­ter/3/VII-bis, Rom 1985, S. 185

11 vgl. Spart­a­co Men­ni­ni: Ein­schrei­ben an Br. Licio Gel­li, Rom 13.2.1981, Prot. Nr. 201, in: CPIP2, op. cit., Dok. XXIII n. 2‑qua­ter/3/VII-bis, Rom 1985, S. 185

12 vgl. CPIP2, Dok. XXIII Nr. 2‑qua­ter/3/VII-bis, Rom 1985, S. 200

13 vgl. Aus­zü­ge aus der Anhö­rung von A. Riz­zo­li vor der P2-Kom­mis­si­on vom 28. Janu­ar 1982, in: CPIP2, Dok. XXIII n. 2‑qua­ter/3/VII-bis, Rom 1985, S. 275 (273–278)

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