
(Rom) Wenige Tage vor dem diesjährigen Marsch für das Leben in Rom sprach der Schweizer Journalist Giuseppe Rusconi (siehe Bericht 1 und Bericht 2) mit Alejandro Geyer, dem Organisator des Marsches für das Leben in Argentinien. Geyer, der betont, daß der Marsch für das Leben in Argentinien seinen Anstoß von dem in Rom nahm berichtete über die jüngsten Entwicklungen in seiner lateinamerikanischen Heimat, wo das Parlament derzeit in einer gespannten Atmosphäre über ein Gesetz zur Legalisierung der Abtreibung diskutiert, was bisher immer abgelehnt wurde.
Harte Fans zeigen mehr Menschlichkeit als Vorzeigeintellektuelle
Giuseppe Rusconi verfaßte aus aktuellem Anlaß einen Vorspann zum Interview:

„Samstag, 28. April, nachts um 2.30 Uhr ist der kleine Alfie Evans gestorben, nicht direkt getötet durch die Krankheit, sondern durch die brutale und zynische Anwendung eines bürokratischen Gesundheitsprotokolls durch ein bereits auf traurige Weise berühmten, englischen Krankenhauses, dem Alder Hey Hospital von Liverpool. In die Geschichte eingegangen sind die heroische Haltung der Eltern Tom und Kate und der verbissene Mangel an Sensibilität der verantwortlichen Ärzte, unterstützt von der englischen (und auch europäischen) Justiz, vom komplizenhaften und beschämenden Schweigen eines Großteils von Politik und Medien sowie der britischen Monarchie (die nie unnützer und überflüssiger erschien als in diesem Moment) und von der bestürzenden Heuchelei der englischen Kirchenführung, besonders des Bischofs von Liverpool, Malcolm Patrick Mahon, und des Kardinals Vincent Nichols, Vorsitzender der Bischofskonferenz von England und Wales (es kommt einem das Schaudern beim Gedanken, daß der zweiundsiebzigeinhalb Jahre alte Nichols an einem Konklave teilnehmen könnte, sollte es innerhalb der kommenden sieben Jahre stattfinden). Gegen soviel Zynismus haben sich vor allem im Vatikan (Papst, Staatssekretariat), in Italien (Verleihung der Staatsbürgerschaft an Alfie durch die Regierung Gentiloni) und in Polen (unter anderem durch die Erklärungen von Staatspräsident Andrzej Duda) gewichtige, katholische Stimmen erhoben, um ihrer Empörung Ausdruck zu verleihen (darunter Bischöfe wie Francesco Cavina, Luigi Negri und Giampaolo Crepaldi und die Vorsitzenden von politischen Parteien wie der Lega Nord und der Fratelli d’Italia und einzelne Abgeordnete wie Lucio Malan, Paola Binetti, Silvia Costa und Patrizia Toia). Zahlreich waren auch die Gebetswachen die abgehalten wurden.
Auch aus der Welt des Fußballs kam Solidarität und Empörung. Die Fans von Everton, der zweiten großen Fußballmannschaft von Liverpool (die Vereinsfarbe ist blau wie die Farbe der Luftballons, die beim Tod des kleinen Alfie über dem Alder Hey Hospital gen Himmel aufstiegen sind), haben das Geld für die Gerichtsspesen der Eltern gesammelt.

Am Sonntagabend, 29. April, wurde im Fußballstadion Grande Torino von den „unbeugsamen“ Fans von Lazio Rom ein großes Transparent mit der Aufschrift gezeigt: „Alfie Evans, Goodbye kleiner Krieger“. Ein ähnliches Transparent wurde auch von den Fans des FC Turin gezeigt.
Am 2. Mai haben auch die Fans des AS Rom den kleinen Alfie beim Halbfinal-Spiel der Champions League gegen Liverpool mit zwei großen Spruchbändern geehrt, auf denen stand: „Ciao kleiner Alfie, ruhe bei den Engeln“ und „Alder Hey Hospital Killers, Alfie Evans Little Warrior“. Die Fankurven von Lazio und AS Roma, die nicht gerade den vortrefflichsten Ruf genießen, haben bei dieser Gelegenheit weit mehr Sensibilität und Menschlichkeit gezeigt als die Radical-chic- und Catho-fluid-Intellektuellen, die von den Kanzeln der politischen Korrektheit dozieren und mit ihren Ansichten die Leitmedien fluten.
Von der Person zum leicht manipulierbaren Individuum
Nun aber zum Interview mit Alejandro Geyer, der den Marsch für das Leben – Argentinien koordiniert.
Angesichts der täglich wütenden Versuche der berüchtigten Lobby, die der Welt eine neue Anthropologie aufzwingen will, die den Menschen von einer Person in ein schwaches und daher leicht manipulierbares Individuum verwandeln möchte (das mehr Objekt als Subjekt ist), ist die massive Mobilisierung für das menschliche Leben – vor allem mit dem Marsch für das Leben, der seit Jahren in zahlreichen Ländern stattfindet – nicht nur eine Pflicht, sondern unausweichlich. In Rom findet der diesjährige Marsch am 19. Mai statt. In Argentinien ist das Thema Abtreibung relativ neu. Alejandro Geyer erklärt die dortige Situation.
Der Marsch für das Leben – Argentinien
Rusconi: Zunächst: Wer ist Alejandro Geyer?

Geyer: Ich bin Argentinier, 58 Jahre alt und war lange Zeit in Rom Mitarbeiter in loco der argentinischen Botschaft. 2016 bin ich in meine Heimat zurückgekehrt und seit mehr als einem Jahr arbeite ich für die NGO Marcha por la Vida, die Teil der Stiftung Gospa ist. Heute bin ich Koordinator des argentinischen Marsches für das Leben, der erstmals am 27. September 2017 stattgefunden hat. Der zweite Marsch mit fast zwei Millionen Teilnehmern in mehr als 220 argentinischen Orten fand am vergangenen 25. März, am Dia del Nino por Nacer, am Tag des ungeborenen Kindes statt.
Rusconi: In Rom werden Sie den italienischen Marsch für das Leben kennengelernt haben.
Geyer: Ja. Als ich in Rom war, wurde ich eingeladen, am italienischen Marsch für das Leben teilzunehmen. Das habe ich sehr gerne getan, weil der Wert des Lebens für mich von grundlegender Bedeutung ist. Ich habe auch bei der Organisation mitgeholfen. Eines Tages rief mich ein teurer Freund aus Argentinien an und erzählte, daß sich die Lage im Land verändere: Die Abtreibungspropaganda nehme zu, und der Freund befürchtete, daß man früher oder später im Parlament über eine Abtreibungslegalisierung diskutieren würde, wo das Thema bis dahin nie auf der Tagesordnung stand. Die Befürchtung sollte sich bewahrheiten. Vor einigen Wochen wurde im Parlament die Debatte über ein Abtreibungsgesetz begonnen.
Die „Wende“ von Staatspräsident Mauricio Macri
Rusconi: Hatte Mauricio Macri, Sohn eines Unternehmers kalabresischer Abstammung, der bei den Stichwahlen im Dezember 2015 zum argentinischen Staatspräsidenten gewählt wurde und zuvor bereits Präsident des Fußballklubs Boca Juniors und Gouverneur von Buenos Aires war, aber nicht immer betont, gegen Abtreibung zu sein?

Geyer: Mauricio Macri, der Ende 2015 von einer Mitte-rechts-Mehrheit zum Staatspräsidenten gewählt wurde, hatte nie eine Bereitschaft für ein argentinisches Abtreibungsgesetz durchblicken lassen. Am 16. Juni 2016 hatte er am Ende der Abschlußmesse beim nationalen Eucharistischen Kongreß in Tucuman vielmehr öffentlich vor 300.000 Menschen gesagt: „Defiendo la vida desde la concepción hasta la muerte“ (Ich verteidige das Leben von der Zeugung bis zum Tod).
Rusconi: Aber bei der traditionellen Eröffnung der Parlamentssession am vergangenen 1. März erteilte Macri der Debatte über ein Abtreibungsgesetz grünes Licht.
Geyer: Bei der Gelegenheit sagte er, weiterhin Abtreibungsgegner zu sein, aber es für richtig zu halten, daß das Parlament auf „reife und verantwortungsbewußte“ Weise über die vorliegenden Gesetzesentwürfe zum Thema diskutiert.
Rusconi: Können Sie uns, bevor wir über die möglichen Motive für Macris „Wende“ sprechen, die heutige Situation in Sachen Abtreibung in Argentinien schildern?
Geyer: Die Abtreibung ist nur in einigen Regionen und in wenigen Fällen erlaubt, zum Beispiel nach einer Vergewaltigung. Es gibt kein Abtreibungsgesetz auf nationaler Ebene. Auch Cristina Kirchner, die vorherige Staatspräsidentin, hatte eine Parlamentsdebatte zum Thema abgelehnt, obwohl eine kleine, aber sehr aktive Abtreibungslobby seit Jahrzehnten Druck ausübt. Macri ist Staatspräsident geworden und, ich wiederhole, seine Wähler hatten keine Ahnung, daß er eine Abtreibungsdebatte beginnen würde.
Rusconi: Was sind die Motive, die Macri zu dieser „Wende“ bewogen haben?

Geyer: Seit Macris Wahl sind bereits mehr als zwei Jahre vergangen, aber die Wirtschaftskrise dauert an: Argentinien hat ein großes Arbeitslosen- und Armutsproblem, während die Inflation die Ersparnisse auffrißt. Zudem sind Skandale bekanntgeworden, in die Mitarbeiter des Präsidenten verwickelt sein sollen. Daher gibt es einige, die der Meinung sind, daß Macris „Wende“ von der Absicht diktiert sei, die schwierige Wirtschaftslage mit einer Diskussion über ein Thema zu überdecken, das im ganzen Land starke Emotionen auslöst. Tatsächlich steht das Thema Abtreibung heute in den Medien an erster Stelle, während viel weniger über Armut und Arbeitslosigkeit gesprochen wird.
Es gibt auch jene, die überzeugt sind, daß das Abtreibungsgesetz durchgehen wird. Macri habe die Abtreibungsdebatte im Parlament zugelassen, weil er den vorliegenden Gesetzentwürfen ihre extremsten Spitzen nehmen wolle.
Andere wiederum halten es für plausibel, daß die „Wende“ eine Bedingung der Weltbank und anderer internationaler Einrichtungen zur Gewährung neuer Kredite für Argentinien ist, Kredite, die das Land dringen braucht, um den Armen zumindest ein Lebensminimum zu sichern.
Die Bedingung der Weltbank
Rusconi: Erklärung Sie uns diesen Mechanismus etwas genauer.
Geyer: Die Weltbank und die mit ihr verbundene Institutionen wollen nicht große Summen ausgeben, um damit Arme zu erhalten. Die Zahl der Armen, so ihre Forderung, habe reduziert zu werden. Ein Weg, dies zu erreichen, ist die Legalisierung der Abtreibung, weil die Globalisten überzeugt sind, daß Arme dazu neigen, „zu viele“ Kinder zu zeugen. Aus diesem Grund sagt man den Ländern, die Kredite beantragen: „Wenn ihr das Geld wollt, müßt ihr uns garantieren, daß ihr ein Abtreibungsgesetz einführt“. So hat man es oft mit den ärmsten Ländern in Afrika und anderswo gemacht, und so macht man es – und es gibt gute Gründe, das zu glauben – auch mit Argentinien. Natürlich ist Abtreibung auch ein großes internationales Business, ein bösartiges, aber gewinnträchtiges Geschäft. Die finanziellen Interessen, die damit bewegt werden, sind enorm.

Rusconi: Es genügt an die International Planned Parenthood Federation (IPPF) zu denken, deren Kern die berüchtigte Kette von Planned Parenthood-Abtreibungkliniken in den USA bildet, die unter anderem in illegalen Handel mit Körperteilen abgetriebener Kinder verstrickt ist.
Geyer: Es ist wohl kein Zufall, daß ausgerechnet Planned Parenthood in Buenos Aires ein großes Gebäude bezogen hat. Jetzt, wo Donald Trump der IPPF in den USA die Gelder gestrichen hat, zeigt Planned Parenthood verstärktes Interesse an Lateinamerika. Der Abtreibungskonzern setzt dabei offenbar auf Argentinien, wie der Erwerb eines so luxuriösen Stützpunktes in der argentinischen Hauptstadt beweist. Was läßt Planned Parenthood so optimistisch sein? Offenbar gibt es entsprechende Zusicherungen.
Rusconi: Nachdem Macri grünes Licht für die Parlamentsdebatte gegeben hatte, gab es Überraschungen auch unter den Abgeordneten?
Geyer: Einige haben sich für ein Abtreibungsgesetz ausgesprochen, von denen man es sich nicht erwartet hätte.
Viele Macri-Wähler sind empört
Rusconi: Das Parlament, der Argentinische Nationalkongreß, umfaßt die Abgeordnetenkammer und den Senat. Wie sieht es in der Abgeordnetenkammer aus, wo die Debatte begonnen wurde?
Geyer: Es gibt 257 Abgeordnete. Derzeit dürfte die Front der Abtreibungsgegner eine allerdings wackelige Mehrheit von etwa zehn Stimmen haben. Senatoren gibt es 72. Viele sind Peronisten, aber in verschiedene Richtungen gespalten. Das wirkliche Problem ist, daß sich viele Parlamentsvertreter noch nicht zum Thema geäußert haben (mindestens an die 40). Sie stellen eine Grauzone dar. Im Wahlkampf hat natürlich keiner von ihnen gesagt, daß er für ein Abtreibungsgesetz ist.
Rusconi: Wie hat die Wählerschaft auf die neue Situation reagiert?

Geyer: Viele sind nicht nur enttäuscht, sondern empört und bezichtigten ihre Vertreter des Verrats. Unserer Meinung nach verfügt das Parlament nicht über die moralische Autorität, eine Debatte zu diesem Thema zu führen. Erstens: Das Leben kann nicht Thema einer Parlamentsdebatte sein. Es steht nicht zur Verfügung. Zweitens: Im Wahlkampf hat niemand über diese Thema als Tagesordnungspunkt der Parlamentsarbeit gesprochen. Überall hört man daher die Bürger sagen, daß die Verräter bei den Parlamentswahlen 2019 nicht mehr gewählt werden.
Rusconi: Die argentinische Verfassung sieht vor, daß der Staatspräsident gegen Gesetzesentwürfe, die vom Parlament beschlossen wurden, ein Veto einlegen kann.
Geyer: Macri hat aber bereits öffentlich angekündigt, daß er beim Abtreibungsgesetz nicht davon Gebrauch machen werde. Es stimmt, die Verfassung sieht das Präsidentenveto vor, das aber überwunden werden kann, wenn beide Kammern des Parlaments den Entwurf mit Zweidrittelmehrheit bestätigen.
Rusconi: Es ist auch daran zu erinnern, daß das argentinische Zivilgesetzbuch sagt, daß „der Mensch mit dem Moment seiner Zeugung im Mutterleib“ zu existieren beginnt und „eine Person bereits vor der Geburt über Rechte verfügt wie ein Geborener“. Auch in Argentinien erzeugt die Abtreibungslobby aber massiven Druck…
Geyer: Wir haben im vergangenen September mit dem ersten argentinischen Marsch für das Leben mobil gemacht. Wir Laien fühlten die Pflicht, mit Nachdruck einer drohenden Gefahr entgegentreten zu müssen. Der Marsch fand am 27. September 2017 in Buenos Aires und in 20 weiteren Städten statt. Argentinien ist sehr groß und nur wenige haben die Möglichkeit, für eine landesweite Kundgebung in die Hauptstadt zu kommen. Deshalb haben wir entschieden, daß jeder in seiner Stadt einen Marsch organisieren kann. Ohne besondere Unterstützer und eigentlich nur gestützt auf die sozialen Netzwerke ist es uns gelungen, am 27. September mehrere zehntausend Menschen zu mobilisieren.
Der 25. März: ein Erfolg jenseits aller Erwartungen
Rusconi: Am vergangenen 25. März waren es viel mehr, fast zwei Millionen…
Geyer: Ich muß vorausschicken, daß der 25. März für Argentinien ein besonderer Tag ist: der 1995 unter Staatspräsident Menem eingeführte Tag des ungeborenen Kindes. Der Marsch für das Leben am 25. März 2018 war ein Ereignis, das alle gezwungen hat, zur Kenntnis zu nehmen, daß es eine große Volksbewegung gegen die Abtreibung gibt. In Buenos Aires haben mehr als 150.000 Menschen demonstriert, in Cordoba 135.000, mehr als 80.000 in Mendoza, 75.000 in Rosario und so weiter an mehr als 220 Orten.

Rusconi: Sie waren in Buenos Aires…
Geyer: Es war ein Erfolg jenseits aller Erwartungen. Ein Sonntag nachmittag um 15 Uhr, bei Sonnenschein und der argentinischen Gewohnheit, den ganzen Nachmittag bei Tisch zu sitzen… und dann die Siesta und anschließend das Fußballspiel… Da paßt eine Kundgebung eigentlich nicht hinein, und doch kamen viele, so viele, daß wird den Marsch früher als geplant beginnen mußten, weil die Plaza Italia bereits überfüllt war, aber immer mehr Menschen zusammenströmten. Es waren viele Familien, Eltern mit ihren Kindern, viele junge Menschen… Zu den beliebtesten Slogans gehörte die Mahnung an die Politiker: „Kommt die Abtreibung, wähle ich dich nicht!“
Rusconi: Ein Argument auf das Politiker sensibel reagieren.
Geyer: In der Tat: Nach dem Marsch war die erste konkrete Auswirkung, daß uns verschiedene Abgeordnete angerufen haben, um sich über den Erfolg zu erkundigen. „Reden wir kurz miteinander: Wie war das, daß so viele Leute teilgenommen haben“… Fast zwei Millionen Menschen in ganz Argentinien.
Rusconi: Und danach?
Geyer: Durch den großen Erfolg war es nicht mehr möglich, den Marsch für das Leben totzuschweigen. Die Berichte über den Marsch verbreiteten sich in Windeseile, vor allem im Internet. Und die Fotos, besonders die Luftaufnahmen, haben eine klare Sprache gesprochen…
Rusconi: Der Marsch ist nicht konfessionell gebunden. Er wird von Laien getragen und ist für alle offen.
Geyer: Ich habe mit den Bischöfen gesprochen und alle eingeladen… In der argentinischen Kirche gab es solche, die den Marsch unterstützt und Autobusse mit der Pfarrjugend geschickt haben, und solche, die ihn nicht unterstützt haben… Es ist klar, daß der Marsch alle Menschen guten Willens umfaßt. Er ist kein konfessioneller Marsch, sondern ein von Laien getragener, ökumenischer, für alle offener Marsch. Ich muß auch die wertvolle Unterstützung der Protestanten erwähnen, die bei verschiedenen Kundgebungen sichtbar wurde. Wir müssen den Charakter des Marsches als Initiative von Laien beibehalten. Die Medien sind immer bereit, die eine oder andere, klar zuordenbare Person herauszuheben in der Absicht, das Ganze lächerlich zu machen und alle Teilnehmer als bigotte Intergralisten hinzustellen, die sich in die argentinische Politik einmischen wollen. Dann heißt es: „Wissen die nicht, daß die Kirche in ihren Sakristeien zu bleiben hat?“ Die Diskussion in Argentinien wird beim Stichwort „Kirche“ sehr lebendig und angespannt.
Ein Dokument der Priester von den Rändern
Rusconi: Haben sie in der Haltung der Kirche zwischen September 2017 und März 2018 eine Veränderung festgestellt?
Geyer: Ja, in dem Sinn, daß der 25. März für uns die Wende zwischen dem „vorher“ zum „nachher“ markiert. Das ist allen klargeworden. Wenn ich im vergangenen Jahr für den Marsch am 27. September an die Türen der Bischofssitze und der Pfarrhäuser klopfte, bekam ich oft die Frage zu hören:
„Wer seid ihr denn?“ „Der Marsch für das Leben… kennen sie den von Lima, Washington, Rom?“ „Nein“. „Na dann eben nicht. Ich heiße Alejandro Geyer und auf Wiedersehen.“
Jetzt hingegen sind wir bekannt. Es gibt einige Bischöfe, so zum Beispiel an den Rändern von Buenos Aires, zum Beispiel La Plata und San Miguel, die uns vom ersten Augenblick an unterstützt und die Pfarreien angehalten haben, teilzunehmen.

Rusconi: 22 Curas villeros (Priester der Armenviertel) haben ein Dokument gegen das Abtreibungsgesetz veröffentlicht.
Geyer: Sie leisten ihren Dienst in den Villas miserias, die in Brasilien Favelas genannt werden. Ich war mit einem von ihnen, Don Pepe, nach dem Marsch zusammen. Die Wirklichkeit ist, daß die Armen das Leben lieben. Sie lieben ihre Kinder. Für sie ist es die natürlichste Sache der Welt, Kinder zu haben. Sie sparen sich den Bissen Brot vom Mund ab, um ihn einem Kind zu geben. Die Curas villeros haben die Politiker aufgefordert, die Armen nicht zu instrumentalisieren. Ihre Botschaft lautet: Die Armen treiben nicht ab. Manche werden dann ihre Schwierigkeiten haben, aber die Armen beweisen Respekt für das Leben, den andere nicht haben. Es war eine sehr wichtige Stellungnahme. Die Unterzeichner wurden auch eingeladen, ihre Beweggründe im Parlament darzulegen.
Rusconi: Der Papst hat am 16. März 2018 einen Brief an das argentinische Volk geschickt, in dem er seine Landsleute unter anderem aufruft, zur „Verteidigung des Lebens und der Gerechtigkeit“ beizutragen. Wieviel Gewicht hatten diese Worte von Franziskus für den Erfolg des Marsches am 25. März?
Geyer: Wenig, und das aus einem ganz einfachen Grund: Die Medien, mit wenigen Ausnahmen im katholischen Bereich, haben geschwiegen und den Brief und seinen Inhalt nicht berichtet.
Angespannte Parlamentsdebatte – Nächster Marsch am 20. Mai
Rusconi: Wie kommt die Diskussion in der Abgeordnetenkammer voran? Wann ist die Abstimmung vorgesehen?

Geyer: Die Debatte erfolgt in einem angespanntem Klima. Der Kampf ist hart und der Ausgang ungewiß. Voraussichtlich wird die Abgeordnetenkammer am 6. oder 13. Juni abstimmen. Es werden verschiedene Vorschläge abgestimmt, die bis auf einen von den Abtreibungsbefürwortern stammen. In einigen wird unter anderem die Abtreibung für minderjährige Mädchen erlaubt, die Abtreibung wegen Depression der Schwangere oder wegen Streß. In allen Entwürfen der Abtreibungsbefürworter ist ein Verbot der Verweigerung aus Gewissensgründen vorgesehen. Das ist ebenso empörend wie schrecklich. Wir verteidigen zwei Leben, das des ungeborenen Kindes und das der schwangeren Mutter. Wir retten einerseits das Ungeborene und verhindern zugleich, daß die Schwangere im Elend des Post-Abortion-Syndroms endet. Wie auch aus den Statistiken hervorgeht, hat die Abtreibung die Selbstmordrate unter betroffenen Frauen um ein Drittel erhöht.
Rusconi: Wie soll es mit der Mobilisierung der Straße weitergehen?
Geyer: Der nächste Marsch für das Leben ist bereits für den 20. Mai geplant, in Buenos Aires und vielen anderen Städten. Die verschiedenen Gruppen, die am Marsch teilnehmen, sind inzwischen zahlreich geworden. So haben sich zum Beispiel Ärztegruppen gebildet, die am 25. März am Ende der Kundgebung in Buenos Aires in ihren weißen Kitteln vor der großen Menschenmenge den Eid des Hippokrates erneuert haben. Das war ein sehr bewegender Augenblick. Wir hoffen, daß die Teilnehmerzahlen im ganzen Land noch zunehmen. Mit Sicherheit werden wir am Tag der Abstimmung auch vor dem Parlament stehen.
Rusconi: Zurück nach Rom: Sie haben gesagt, daß der argentinische Marsch für das Leben ein „Kind“ des römischen Marsches ist, der in diesem Jahr am 19. Mai von der Piazza della Repubblica ausgehen wird.
Geyer: Ja, wir sind Kinder des Marsches für das Leben in Rom. Ich stehe in dessen Schuld. Es ist mir ein Anliegen seine Botschaft nach Argentinien zu tragen. In Rom habe ich gelernt … ich habe mit den Augen gespeichert und mir gedacht: Wer weiß, vielleicht wird es eines Tages in Argentinien nützlich sein. Und so war es. Fast zwei Millionen Menschen sind gekommen. Nun geht es darum, weiterzumachen und nicht locker zu lassen. Es lohnt sich. Aus ganzer Überzeugung und mit aller Entschlossenheit und ohne Energie zu sparen. Alles für die Verteidigung des kostbarsten Gutes: des Lebens!
Interview: Giuseppe Rusconi/Rossoporpora
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Marcha por la Vita – Argentina/Alfie Evans (Screenshots)