Von Paolo M. Siano*
Im ersten Teil habe ich mich mit folgenden Themen beschäftigt: mit der Loge P2; Geheimdienste und Esoterik; mit Licio Gelli als Freimaurer des 3° bzw. 33°, der P2 und als Esoteriker; Gelli zwischen Faschismus und Geheimdienst.
Ich werde nun fortfahren, indem ich Informationen und Aussagen von Beamten der italienischen Finanzwache (Guardia di Finanza, GdF, Mannstärke: ca. 65.000) über die Gelli-P2 präsentiere, die in den Akten der parlamentarischen Untersuchungskommission zur Loge P2 (ich verwende für die Akten die Abkürzung: CPIP2) enthalten sind.
5. Die Macht der Gelli-P2 nach Angaben und Zeugenaussagen der Finanzwache (1974–1981)
1974 untersuchten einige Beamte der Finanzwache die Person und das Wirken von Licio Gelli und stießen dabei auf Elemente, die durch spätere Untersuchungen (z. B. die der parlamentarischen Untersuchungskommission zur P2), journalistische Enthüllungen und verschiedene Studien weiter bestätigt wurden. Meines Wissens ist einer dieser Berichte der Finanzwache das erste Ermittlungsdokument eines Nachrichtendienstes (der mit einer Polizeitruppe verbunden ist), das offen auf die Verbindungen zwischen Licio Gelli und der italienischen und der internationalen Freimaurerei hinweist.
Die Berichte, die das Ergebnis von Ermittlungen sind, die vom damaligen Leiter der 2. Abteilung der Finanzwache (auch „Informationsbüro“, später 4. Abteilung genannt), Oberst Salvatore Florio (der am 26. Juli1978 bei einem mysteriösen Autounfall ums Leben kam), angefordert wurden, lauten wie folgt:
Dienstliches „Gedächtnisprotokoll“ vom 13. März 1974, verfaßt von Oberstleutnant Giuseppe Serrentino (2. Abteilung), damals im Dienst des militärischen Geheimdienstes SID (1966–1977, später ersetzt durch den SISMI, 1977–2010, gefolgt von dem heutigen Auslandsgeheimdienst AISE), auf eigenen Wunsch am 03.10.1974 aus der Finanzwache entlassen.
„Informationslage LICIO GELLI“ und sein Anhang vom 19. März 1974, verfaßt von Major Antonino De Salvo (2. Abteilung, Leiter der Dienststelle Florenz), der am 17.01.1982 wegen Dienstunfähigkeit entlassen wurde. Es stellte sich heraus, daß er selbst Mitglied der Loge P2 war.
Aktennotiz, undatiert, von Hauptmann Luciano Rossi (2. Abteilung, Leiter der Dienststelle Rom), der am 5. Juni 1981 durch Selbstmord starb.1
5.1. Der Vermerk von Oberstleutnant Serrentino
Von September 1970 bis Mai 1974 war Oberstleutnant Giuseppe Serrentino (später im Oktober 1974 aus der Finanzwache ausgeschieden und leitender Angestellter von FINSIDER) Verbindungsoffizier zwischen der 2. Abteilung der Finanzwache (oder „Büro I“) und der Abteilung „D“ des SID. Gegenüber Richter Dell’Osso sagte Serrentino (am 26. Mai 1981) unter anderem aus, daß der Sekretär der Abteilung „D“ des SID, damals Oberstleutnant Antonio Viezzer, genannt „der Professor“, und der Kommandant der Abteilung „D“ des SID Gianadelio Maletti war.2 Viezzer und Maletti stellten sich als Mitglieder der P2 heraus.
In seinem Gedächtnisprotokoll schreibt Serrentino u. a., daß Licio Gelli:
- „wirtschaftlich hervorragend gestellt und seit drei Jahren Generaldirektor der Verpackungsfabrik der GIOLE AG in Castiglion Fibocchi (Arezzo) ist;
- freundschaftlich verbunden ist mit bekannten politischen Persönlichkeiten, die er häufig in seiner Luxusvilla Wanda in Arezzo empfängt:
- dem Leiter des SID und anderen Beamten dieser Organisation; - häufig nach Rom reist, wo er im Hotel Excelsior wohnt“. 3
5.2 Die Informationen von Major De Salvo
Der wichtigste, weil ausführlichste Bericht (z. B. über die Verbindungen zwischen Gelli und der italienischen und internationalen Freimaurerei) ist derjenige, der am 19. März 1974 von Major Antonino De Salvo vom Büro „I“ [Informationsbüro, damals auch 2. Abteilung, später, in den 1980er Jahren, 4. Abteilung) der Finanzwache verfaßt wurde.
Der Bericht (5 Seiten + 2 Seiten Anhang) ist unterteilt in: 1) Biographische Angaben; 2) Tätigkeiten; 3) Wirtschaftliche Stellung; 4) Politische Position; 5) Freundschaften und Beziehungen; Sonstige Angaben.
Bezüglich der „Politischen Position“ weist Major De Salvo darauf hin, daß „Gelli in all seinen Aktivitäten ein skrupelloses Element ist und diese Haltung auch in seiner politischen Einstellung zum Ausdruck kommt“; Gelli „ist kein politisch qualifizierbares Subjekt“; bis 1956 ist Gelli Mitglied des kommunistischen Provinzkomitees (aus dem er im selben Jahr ausgeschlossen wird), dann nähert er sich der christdemokratischen Partei DC an, vielleicht wegen beruflicher Interessen beim Unternehmen Permaflex; später nimmt Gelli eine „rechte“ Haltung an, bleibt aber im Rahmen der DC.4
Bezüglich der Freundschaften und Beziehungen in Arezzo bemerkt De Salvo, daß Gelli „auf lokaler Ebene immer die Beziehungen zu den lokalen Behörden (Präfekt, Quästor, Carabinieri, Finanzwache) gepflegt hat“ (S. 119). Die Tochter von Licio Gelli, Maria Rosa Gelli, heiratet einen in Arezzo tätigen Staatsanwalt. Trauzeugen waren Luftwaffengeneral Montorsi (ehemals zuständig für die Sicherheit des Staatspräsidenten) und Hauptmann Annunziata, Kommandant der Finanzwache in Arezzo, Abteilung Steuerfahndung (siehe S. 119–120).
De Salvo schreibt über Licio Gelli:
- „aus vertrauenswürdigen Quellen haben wir erfahren, daß er Mitglied einer Freimaurerloge ist (um genau zu sein, haben wir erfahren, daß er ein hoher Vertreter der internationalen Freimaurerei ist);
- er gilt praktisch als einer der ‚Unberührbaren‘ des Sitzes in Arezzo, da er so viele Beziehungen in der Gegend hat, daß er in der Lage wäre, jegliche Ermittlungen gegen ihn zunichte zu machen und abzulenken“ (S. 120).
In bezug auf Gellis Freundschaften und Beziehungen „auf gesamtstaatlicher Ebene“ erwähnt De Salvo die Namen von: Giulio Andreotti5 und anderen aus dessen DC-Strömung, dann Giuseppe Saragat6 (anscheinend war Gelli mit Saragat per du), Fanfani7, Bucciarelli Ducci, Unterstaatssekretären und verschiedenen ehrenwerten Männern (vgl. S. 120).
Zu Gellis Freundschaften und Beziehungen „auf internationaler Ebene“ schreibt De Salvo: „Es gibt eine Reihe von Beziehungen auf internationaler Ebene, die nach dem, was man uns gesagt hat, auf seine herausragende Stellung innerhalb der internationalen Freimaurerei zurückgehen könnten […]“ (S. 120).
De Salvo berichtet auch, daß im „lokalen C.S.“ [Geheimdienstzentrum] eine Akte über Gelli existiert, die vom Leiter des Zentrums geführt wird. De Salvo wendet sich an diesen Kollegen und bittet ihn um Informationen über Gelli, wobei er sich auf die Steuerfahndung beschränkt. Der C.S.-Kollege blieb jedoch allgemein, bestätigte aber mündlich einen Teil der Informationen in De Salvos Bericht. Er schien über den Fall Gelli auf dem laufenden zu sein, erwähnte aber nicht die von ihm geführte Akte. De Salvo merkt an, daß ihn diese Haltung verwirrt habe, da er bei früheren Untersuchungen keine Schwierigkeiten gehabt habe, die von diesem Zentrum aufbewahrten Unterlagen umfassend einzusehen (siehe S. 121f).
5.2.1 Die Aussage von Oberstleutnant De Salvo (ehem. P2)
Sehr interessant ist auch die Aussage von Antonino De Salvo selbst (inzwischen zum Oberstleutnant der Finanzwache befördert) gegenüber Staatsanwalt Pier Luigi Maria Dell’Osso in Mailand vom 26. Mai 1981.
Seit 1968 leitete De Salvo das Zentrum 10 („C10“) in Florenz, d. h. eine der Außenstellen des Generalkommandos der 2. Abteilung. Im März 1974 bittet ihn sein Vorgesetzter Oberst Salvatore Florio, Kommandant der 2. Abteilung, „sehr vertraulich und detailliert so viele Informationen wie möglich über Licio Gelli zu sammeln“. De Salvo betont, daß es sich um einen „Paukenschlag“ handelte, der von Oberst Florio persönlich an ihn herangetragen wurde, der ihn auch bat, eventuelle Verbindungen zwischen Gelli und einem gewissen Lenzi, einem Industriellen aus Pistoia, zu ermitteln, der samt Waffen auf einer Yacht in Sardinien angetroffen worden war. Innerhalb von 15 Tagen gelang es De Salvo, alle möglichen Informationen zu sammeln und einen 5seitigen Bericht mit zwei Seiten Anhang zu verfassen. Zu diesem Zeitpunkt rät ihm Florio, vorsichtig zu sein und sein Interesse an der Person Gelli zu stoppen, da dieser „ein schwierig zu erforschendes Terrain“ zu sein scheint.
- Kurz darauf wird De Salvo wegen Nichtanzeige eines Zigarettenschmuggels angeklagt… Das Gerichtsverfahren endet nach drei Jahren mit einem Freispruch (1977).
- Zwischen März und Oktober 1974 tritt der Oberkommandant der Finanzwache General Borsi in den Ruhestand und wird durch General Raffaele Giudice ersetzt.
- Oberst Florio wird unerwartet nach Genua versetzt.
De Salvo erinnert daran, daß zeitgleich mit der Versetzung von Florio auch der Stabschef der Finanzwache durch General Donato Lo Prete ersetzt wurde. [Sowohl Giudice als auch Lo Prete waren Mitglieder der P2]. Etwa im Januar/Februar 1975 wird De Salvo von einem Bekannten, Sergio Denti, Kunsthändler in Calenzano, kontaktiert. Denti gibt De Salvo zu verstehen, daß eine bestimmte Person mit ihm sprechen wolle. De Salvo geht zu dem Treffen, das in der Bar Giubbe Rosse in Florenz stattfindet. Dort trifft er auf Denti und Licio Gelli!
De Salvo hat das Gefühl, daß Gelli über seine Informationssammlung Bescheid weiß… Gelli deutet an, daß die Versetzung von Oberst Florio auf ihn (Gelli) zurückgehen könnte… Bei diesem Treffen erwähnt Gelli auch das Verfahren gegen De Salvo, beruhigt ihn aber, mit dem Hinweis, daß seine Position recht gut sei und daß an der Sache ja nichts dran sei…
Nach einigen Tagen informiert De Salvo Oberst Florio über das Treffen und betont, daß „sich der Verdacht, Gelli könnte mit der Führung der Finanzwache befreundet sein, erhärtet hat“. De Salvo erklärt gegenüber Staatsanwalt Dell’Osso, daß er (De Salvo) zwischen Ende 1973 und Anfang 1974 seinen Bekannten Sergio Denti beauftragte, ihn in die Freimaurerei einzuschreiben. Auf Anraten von Denti hoffte De Salvo, durch die Aufnahme in die Freimaurerei Besuche und medizinische Versorgung in den USA für seinen schwerkranken Sohn sicherstellen zu können. Nach dem Treffen mit Gelli sagte Denti zu De Salvo, daß es sich empfehle, einer landesweiten Loge beizutreten, der hohe Persönlichkeiten angehörten. De Salvo stimmt zu, auch weil er bestimmten ihm bekannten Tatsachen auf den Grund gehen habe wollen, darunter Florios Versetzung und das gegen ihn eingeleitete Gerichtsverfahren.
Im Sommer 1975 reist De Salvo mit Denti nach Rom und wird von Licio Gelli in die Loge P2 aufgenommen. De Salvo erzählt, daß er einmal mit einem Kollegen zu Licio Gelli in dessen Fabrik Giole ging, der vor ihnen General Spaccamonti von der Finanzwache anrief und ihn per du ansprach. Zu diesem Zeitpunkt habe De Salvo begriffen, daß „Gelli mit Sicherheit gute Beziehungen zu den hohen Tieren des Polizeikorps hatte“. Dann erkannte De Salvo, daß die Zugehörigkeit zur P2 für ihn nicht von Nutzen war, um besser für die Gesundheit seines Sohnes sorgen zu können, und so beantwortete er Gellis Briefe nicht, schickte keine Fotos für die Mitgliedskarte und zahlte keine Beiträge.
Ende 1975 schreibt De Salvo auf der Grundlage eines Artikels in der Tageszeitung La Nazione einen detaillierten Bericht über Importe aus Rumänien, die von den Firmen Giole, Socam und Incom getätigt wurden; an den ersten beiden war Gelli direkt beteiligt. Nachdem er diesen Bericht an die 2. Abteilung der Finanzwache geschickt hatte, teilte De Salvo seiner Frau mit, daß er jeden Moment eine Versetzung befürchte, die dann auch tatsächlich im Mai/Juni 1976 eintrat: Es folgte die Versetzung von Florenz nach Trient. Schließlich erreichte er, daß er aus familiären Gründen in Florenz bleiben konnte.8
5.3 Die Aussage der Witwe von Oberst Florio
Ich wende mich der Aussage von Myriam Cappuccio, der Witwe von Oberst Florio von der Finanzwache, zu, die sie am 30. Mai 1981 vor Staatsanwalt Dell’Osso gemacht hat.
Zwischen August und September 1973 benötigt Frau Florio eine besondere zahnärztliche Behandlung. Zu dieser Zeit ist Oberst Florio Kommandeur des Büros I, auch bekannt als 2. Abteilung des Generalkommandos des Korps. Sie und ihr Mann wenden sich an den Vertrauensarzt der Finanzwache, der sie an Prof. Antonio Colasanti in Rom verweist. Dieser wird immer freundlicher und vertrauter und geht sogar so weit, Oberst Florio das Du anzubieten und ihm zu sagen, daß er um seine hohe Stellung in der Finanzwache wisse. Das ist für Oberst Florio eine große Überraschung. Später lädt Colasanti den Oberst zu einem „Freimaurertreffen ein und sagt ihm, daß er dort unter Freunden sein würde“. Florio will nicht hingehen, weil er damit rechnet, daß er dort Gelli treffen würde. Florio nennt ihn „diesen Schwindler Gelli“.
Eines Abends, etwa im März/April 1974, lädt Colasanti das Ehepaar Florio zum Abendessen in das römische Restaurant Elefante Bianco ein. An einem runden Tisch in der Nähe sitzen mehrere Personen, von denen eine plötzlich aufsteht, sich dem Tisch der Florios nähert und zum Stabsoffizier sagt: „Herr Oberst, Sie haben eine schlechte Meinung von mir, aber Sie werden es sich noch einmal überlegen“. Der Oberst erkennt den Mann, antwortet ihm aber nicht. Auf der Heimfahrt im Auto erzählt Florio seiner Frau, daß es sich bei dem Mann um „diesen Schwindler Gelli“ handelte und daß er inzwischen verstanden hatte, daß „sie versuchten, ihn zu ködern, ihm eine Falle zu stellen oder etwas Ähnliches“.
Die Witwe erinnert sich, daß damals über die Ernennung des neuen Oberkommandanten der Finanzwache gesprochen wurde, da die Amtszeit von General Borsi bald ablief. Florios Witwe gibt zu Protokoll, daß zwischen ihrem Mann und General Borsi „höchste gegenseitige Wertschätzung“ herrschte; in der Tat war das von Florio geleitete Büro I direkt dem Oberkommandanten der Finanzwache unterstellt. Im Juli 1974 wird der neue Oberkommandant, General Raffaele Giudice, ernannt. Die Ernennung löst in der Finanzwache Erstaunen aus, da Giudice nicht auf der Kandidatenliste stand. Oberst Florio sagt zu seiner Frau: „Das ist ein Freimaurer. Du wirst sehen, daß sie mich von meinem Posten entfernen werden“.
Kurz darauf wird der Stabschef der Finanzwache, General Arturo Dell’Isola, nach Mailand versetzt und General Donato Lo Prete tritt an seine Stelle. Dell’Isola ruft Florio an und teilte ihm mit, er solle ebenfalls seine Koffer packen, da er versetzt werden würde… Und so geschah es. Florio, dem die Posten in Catanzaro und Messina angeboten wurden, gelingt es, den Posten in Genua zu erhalten. Später vertraut er seiner Frau an, daß er versetzt wurde, weil er sich geweigert hatte, der Freimaurerei beizutreten, wie dies Licio Gelli gewollt hätte. Von Genua aus beginnt Florio, etwas Undurchsichtiges über einen Ölhandel zu vermuten… In dieser Zeit wird Florio von Oberst Trisolini, dem „Faktotum“ von General Giudice, stark unter Druck gesetzt. Nach kaum einem Jahr wird Florio als Kommandeur der 9. Legion nach Rom versetzt, dann an die Unteroffiziersschule. Im Juni 1978 besucht General Giudice die Unteroffiziersschule und hat eine heftige Diskussion mit Oberst Florio. Florio sagt ihm, daß er bald alles enthüllen werde, was er weiß. General Giudice nimmt es mit einem Lachen auf und umarmt Oberst Florio zum ersten Mal.
Bei diesem Treffen ist auch der Kommandant der Schule, General Danilo Montanari, anwesend, der später zu Frau Florio sagen wird: „Ich war Zeuge eines Schlagabtausches mafiöser Art“. Einen Monat später, am 26. Juli 1978, kommt Oberst Florio bei einem Autounfall ums Leben. Florio hatte sowohl seinen Dienstwagen als auch seinen Privatwagen gründlich überprüfen lassen. Der tödliche Unfall ereignete sich um 19.00 Uhr auf der Höhe der Mautstelle Carpi, auf der Schnellstraße, die in die Autobahn mündet. Es herrschten ausgezeichnete Sichtverhältnisse. Der Wagen kam von Sterzing. Der Fahrer hatte sich vor der Fahrt ausgeruht. Das Auto von Oberst Florio geriet ins Schleudern und stieß frontal mit einem Auto zusammen, das mit zwei Personen in der Gegenrichtung unterwegs war. Alle vier Insassen der beiden Autos starben. Florios Witwe und sein Schwager Nino Florio (damals Präsident der Rechtsanwaltskammer von Catania) und andere vermuteten, daß das Auto des Oberst manipuliert worden war.9
5.4. Die Ermittlungen von Hauptmann Rossi
Ein weiterer Ermittler der Finanzwache, der Informationen über Licio Gelli sammelte, war der damalige Hauptmann Luciano Rossi, der später zum Oberstleutnant befördert wurde. Im Jahr 1981 erschoß er sich mit seiner Dienstwaffe.
Am 26. Mai 1981 sagt Oberstleutnant Luciano Rossi vor Staatsanwalt Dell’Osso aus. Von 1970 bis Ende 1976 oder Anfang 1977 steht Rossi im Dienst der 2. Abteilung des Oberkommandos der Finanzwache, auch bekannt als „Informationsbüro“ (Büro I). Rossi, der aus Arezzo stammt, wird mit der Aufgabe betraut, Informationen über den in Arezzo lebenden Gelli zu sammeln. Der Kommandant der 2. Abteilung ist zu diesem Zeitpunkt Oberst Florio. Rossi erklärt, er habe in dem Bewußtsein gehandelt, daß es sich um eine sehr heikle Untersuchung handle, denn laut Rossis Angaben ist es Aufgabe der 2. Abteilung, „heikle und vertrauliche Informationen“ zu sammeln. Rossis Quelle zeigt sich „erstaunt über den raschen wirtschaftlichen Aufstieg von Gelli“, der „eine Person mit wenigen Skrupeln“ und einer „gewissen Skrupellosigkeit“ zu sein scheint.10
* * *
Es fällt auf, daß die oben genannten Finanzwache-Beamten, die gegen Gelli ermittelten, in ihrer Laufbahn kein „Glück“ hatten: Beurlaubung auf Antrag (Serrentino, 1974), Unfalltod (Florio, 1978), Selbstmord (Rossi, 1981), Beurlaubung wegen Dienstunfähigkeit (De Salvo, 1982).
5.5 Anhörung und Denkschrift von General Fulberto Lauro (ehem. P2)
Sehr interessant sind einige Auszüge aus der Anhörung von General Fulberto Lauro von der Finanzwache vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuß zur Loge P2 am 18. November 1982. General Lauro spricht über seine freimaurerischen Erfahrungen in Gellis P2. Der hochrangige Offizier beschreibt Gelli als einen „gut informierten Mann“, der „alles wußte“, nicht nur über die Finanzwache, sondern auch über die Carabinieri, den Generalstab, die Armee.11 Lauro, der später aus der P2 ausschied, bekräftigt, daß Gelli über ausgezeichnete Verbindungen und Quellen für sein Wissen verfügte; er wußte „im voraus“ von Wechseln in der Führungsspitze der Carabinieri und der Polizei (vgl. S. 352).
Ebenso interessant sind einige Auszüge aus dem Memorandum von General Lauro an das Oberkommando der Finanzwache vom 30. Mai 1981, aus dem hervorgeht, daß in Militärkreisen (unabhängig davon, ob sie mit den Geheimdiensten verbunden waren oder nicht) in jenen Jahren die Mitgliedschaft in einer regulären Freimaurerloge (unabhängig vom Fall P2) als etwas Positives angesehen wurde, insbesondere wenn andere Kollegen oder Vorgesetzte Mitglieder waren.
Lauro berichtete, daß im Frühjahr 1976 ein Wirtschaftsprüfer, ein Bekannter von ihm und wie er Rotarier („beide Mitglieder desselben Rotary-Clubs“), ihn einlud, der Freimaurerei beizutreten, konkret der Loge P2, die er als reguläre Loge des Großorients von Italien beschrieb.12
General Lauro schreibt unter anderem: „Nachdem mir bestätigt worden war, daß die P2 keine Partei war, daß sie regulärer Teil des Großorients von Italien war, daß ihr bereits die Crème de la Crème der öffentlichen Verwaltung angehörte und daß sich ihr Personen aus den Streitkräften, darunter mehrere Generäle des Korps, sowie zahlreiche Politiker aller Parteien angeschlossen hatten; nachdem mir bestätigt worden war, daß es keine Unvereinbarkeit mit meinem katholischen Glauben gab, dem auch die Proponenten aus Ancona angehörten, überredete ich mich schließlich selbst zum Beitritt, aus Angst, von der bereits etablierten und im Aufbau befindlichen Elite abgeschnitten zu werden“ (S. 358).
In seinen Schlußbemerkungen schreibt Gen. Lauro: „Heute ist es leicht, diejenigen zu tadeln, die der P2 beigetreten sind, mich eingeschlossen, aber man muß bedenken, daß ich, als ich mich zu diesem Schritt entschloß, ungeachtet der Überzeugungsarbeit, die in meiner Hinsicht geleistet wurde, vor allem durch die Überlegung veranlaßt wurde, daß die Generäle Giudice, Scibetta, Spaccamonti und Lo Prete, die damals im Dienst waren, sowie zahlreiche andere Offiziere bekannte Mitglieder dieser Organisation waren; […] Ein weiterer Grund, der mich zum Beitritt bewogen hat, war das unklare Verständnis eines Unterschieds, der heute zwischen der P2 und anderen Logen geltend gemacht wird. Für mich und für andere war die P2 eine der vielen Logen des italienischen Orients, vielleicht diejenige, die am meisten Anhänger zu gewinnen vermochte; ich konnte sie auch nicht als eigenständige Einrichtung betrachten, da unsere Einweihung von Giordano Gamberini geleitet wurde, der lange Zeit Großmeister der gesamten Freimaurerei war; und in der Tat, wenn mir ein solches Angebot früher von einer anderen Loge gemacht worden wäre, hätte ich es sicherlich angenommen. Auch wäre ich damals nie auf den Gedanken gekommen, daß die Institution, der ich beitrat, auch nur den geringsten Anflug von Illegalität oder Unregelmäßigkeit haben könnte, wenn man die Anwesenheit von General Picchiotti betrachtet und die behauptete Mitgliedschaft von aktiven Spitzenkräften (was sich später als wahr herausstellte) der Streitkräfte und anderer staatlicher oder öffentlicher Verwaltungen“ (S. 360f).
(Fortsetzung folgt)
*Pater Paolo Maria Siano gehört dem Orden der Franziskaner der Immakulata (FFI) an; der promovierte Kirchenhistoriker gilt als einer der besten katholischen Kenner der Freimaurerei, der er mehrere Standardwerke und zahlreiche Aufsätze gewidmet hat. Durch seine Veröffentlichungen bringt er den Nachweis, daß die Freimaurerei von Anfang an bis heute esoterische und gnostische Elemente enthielt, die ihre Unvereinbarkeit mit der kirchlichen Glaubenslehre begründen.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana
1 vgl. Comando Generale della Guardia di Finanza – IV Reparto – General C.A. Nicola Chiari, Nr. 34386/RDA di prot, Rom, 21.12.1982: An die Abgeordnete Tina Anselmi, Vorsitzende des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Freimaurerloge P2, in: Camera dei Deputati – Senato della Repubblica – IX Legislatura – Commissione Parlamentare d’inchiesta sulla Loggia Massonica P2 – Allegati alla Relazione – Serie II : Von der Kommission gesammelte Dokumentation. Band III. In den Berichten zitierte Dokumente, Band III, Doc. XXIII n. 2‑quater/3/III, Rom 1984, S. 111–113).
2 vgl. Aussage von Giuseppe Serrentino gegenüber Richter Pier Luigi Maria Dell’Osso (dep. proc. Milan), 26. Mai 1981, in: CPIP2, Doc. XXIII, Nr. 2‑quater/6/X, Rom 1987, S. 66–74
3 Oberstlt. Giuseppe Serrentino, Gedächtnisprotokoll, 13. März 1974, in: CPIP2, Doc. XXIII, Nr. 2‑quater/3/III, Rom 1984, S. 116.
4 vgl. [Mag. Antonino De Salvo], Situazione Informativa – GELLI Licio, 19. März 1974, in CPIP2, Doc. XXIII, n. 2‑quater/3/III, Rom 1984, S. 119 (117–124)
5 Andreotti war mehrfach italienischer Ministerpräsident.
6 Saragat war von 1964 bis 1971 Italiens Staatspräsident.
7 Fanfani war ebenfalls mehrfach Ministerpräsident.
8 vgl. Aussage von Antonino De Salvo gegenüber Staatsanwalt Dell’Osso, 26. Mai 1981, in: CPIP2, Dok. XXIII, Nr. 2‑quater/6/X, Rom 1987, S. 75–97
9 vgl. Aussage der Witwe Myriam Cappuccio Florio bei Richter Dell’Osso, 30. Mai 1981, in: CPIP2, Doc. XXIII, Nr. 2‑quater/6/X, Rom 1987, S. 98–117.
10 vgl. Deposition von Luciano Rossi vor Richter Dell’Osso, 26. Mai 1981, in: CPIP2, Dok. XXIII no. 2‑quater/6/XI, Rom 1987, S. 59–65.
11 vgl. Auszug aus der Anhörung von General Fulberto Lauro (Guardia di Finanza) vor der P2-Kommission, 18. November 1982, in: CPIP2, Doc. XXIII, Nr. 2‑quater/3/III, Rom 1984, S. 344f.
12 vgl. Aus der Akte der formellen Disziplinaruntersuchung gegen General Fulberto Lauro: Auszug aus dem Memorandum, das der Beschuldigte am 30. Mai 1981 an das Oberkommando schickte, in: CPIP2, op. cit., Doc. XXIII, Nr. 2‑quater/3/III, Rom 1984, S. 357–358 (355–361)