Christi Leib und Kleid

Vorläufig Abschließendes zur Einordnung von Traditionis Custodes


Jesus Christus eingehüllt in das Grabtuch, dessen Hauptteil nahtlos gewebt ist.
Jesus Christus eingehüllt in das Grabtuch, dessen Hauptteil nahtlos gewebt ist.

Ein Bei­trag von Cle­mens Vic­tor Oldendorf.

Anzei­ge

Eine Beschäf­ti­gung mit Tra­di­tio­nis Cus­to­des (TC) und ein Ver­gleich mit Sum­morum Pon­ti­fi­cum (SP) erfor­dern es, bei­de Motu­pro­prien zu kon­tex­tua­li­sie­ren. Das bedeu­tet vor allem, sie in der theo­re­ti­schen Grund­le­gung nicht nur auf theo­lo­gi­sche Arbei­ten Joseph Ratz­in­gers zurück­zu­be­zie­hen, was im letz­ten Bei­trag anhand aus­ge­wähl­ter Zita­te skiz­ziert wur­de, son­dern auch die vor­aus­ge­gan­ge­ne lehr­amt­li­che Aus­sa­ge im Motu pro­prio vom 2. Juli 1988, Eccle­sia Dei aff­lic­ta (ED), noch ein­mal auf­zu­su­chen, was bis­her nur in Andeu­tun­gen gesche­hen ist. 

Kon­kret geht es um ED Nr. 4: „Die Wur­zel die­ses schis­ma­ti­schen Aktes [gemeint ist damit die Wei­he von vier Bischö­fen durch Erz­bi­schof Mar­cel Lefeb­v­re am 30. Juni 1988 im schwei­ze­ri­schen Ecô­ne, Anm. C.V.O.] ist in einem unvoll­stän­di­gen und wider­sprüch­li­chen1 Begriff der Tra­di­ti­on zu suchen: unvoll­stän­dig, da er den leben­di­gen Cha­rak­ter der Tra­di­ti­on nicht genug berück­sich­tigt, die, wie das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil sehr klar lehrt, ‚von den Apo­steln über­lie­fert, […] unter dem Bei­stand des Hei­li­gen Gei­stes einen Fort­schritt kennt: Es wächst das Ver­ständ­nis der über­lie­fer­ten Din­ge und Wor­te durch das Nach­sin­nen und Stu­di­um der Gläu­bi­gen, die sie in ihrem Her­zen erwä­gen, durch inne­re Ein­sicht, die aus geist­li­cher Erfah­rung stammt, wie auch durch die Ver­kün­di­gung derer, die mit der Nach­fol­ge im Bischofs­amt das siche­re Cha­ris­ma der Wahr­heit emp­fan­gen haben‘ (DV 8). Vor allem aber ist ein Tra­di­ti­ons­be­griff unzu­tref­fend und wider­sprüch­lich, der sich dem uni­ver­sa­len Lehr­amt der Kir­che wider­setzt, das dem Bischof von Rom und dem Kol­le­gi­um der Bischö­fe zukommt. Denn nie­mand kann der Tra­di­ti­on treu blei­ben, der die Ban­de zer­schnei­det, die ihn an jenen bin­den, dem Chri­stus selbst in der Per­son des Apo­stels Petrus den Dienst an der Ein­heit in sei­ner Kir­che anvertraute.“

Der ver­kür­zen­de Gebrauch der Kon­zils­aus­sa­ge von DV 8, den jetzt Papst Fran­zis­kus macht, lag bereits sei­ner­zeit zugrun­de, und es darf nicht über­se­hen wer­den, dass Tra­di­ti­on für Ratz­in­ger letzt­lich ein Hilfs­kon­strukt ist, das mit dem jeweils aktu­el­len Lehr­amt im End­ef­fekt bis zur Unun­ter­scheid­bar­keit deckungs­gleich wird, wobei dann das gegen­wär­ti­ge Lehr­amt Tra­di­ti­on über­la­gert und so ein Tra­di­ti­ons­bruch defi­ni­ti­ons­ge­mäß aus­ge­schlos­sen ist, da im Zwei­fels­fal­le aus­schließ­lich das Lehr­amt, zuletzt der Papst allein (vgl. DH 3070), atte­stie­ren oder ver­nei­nen kann, ob etwas tra­di­ti­ons­kon­form ist. Somit stellt Her­me­neu­tik der Reform in Kon­ti­nui­tät an frag­li­chen oder sogar umstrit­te­nen Punk­ten maxi­mal for­ma­le Über­ein­stim­mung fest, kann jedoch kei­nen inhalt­lich sub­stan­ti­ier­ten Nach­weis mehr erbringen.

Hin­zu­zu­neh­men ist ED Nr. 5 b): „Wir möch­ten fer­ner auch die Theo­lo­gen und Fach­ge­lehr­ten der ande­ren kirch­li­chen Wis­sen­schaf­ten dar­auf auf­merk­sam machen, dass auch sie von den augen­blick­li­chen Umstän­den her­aus­ge­for­dert sind. Die Brei­te und Tie­fe der Leh­ren des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils machen näm­lich neue und ver­tief­te Unter­su­chun­gen not­wen­dig, in denen die Kon­ti­nui­tät des Kon­zils mit der Tra­di­ti­on klar her­vor­ge­ho­ben wird, vor­nehm­lich in jenen Berei­chen der Leh­re, die, weil sie viel­leicht neu sind, von eini­gen Teil­grup­pen der Kir­che noch nicht recht ver­stan­den wur­den.“ Hier soll offen­bar der inhalt­li­che Nach­weis ange­regt und ange­strebt wer­den, und in vie­len Punk­ten ist eine sol­che Inter­pre­ta­ti­on ja auch unbe­strit­ten mög­lich. Indes ist sie in man­chen Aspek­ten schwie­rig oder sogar unmög­lich, aber wur­de vor allem selbst im Pon­ti­fi­kat Bene­dikts XVI. dort, wo sie mög­lich ist, nie als ver­bind­lich durch­ge­setzt. Man merkt der zitier­ten Stel­le eine Zurück­hal­tung und Rela­ti­vie­rung hin­sicht­lich der Leh­ren des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils an, die von tra­di­tio­na­li­sti­scher Sei­te als neu oder kon­flikt­haft wahr­ge­nom­men wer­den, denn sie sol­len nur viel­leicht neu sein, und sie wer­den nur von eini­gen Teil­grup­pen der Kir­che als pro­ble­ma­ti­sche Neue­run­gen emp­fun­den, da die­se sie noch nicht recht ver­ste­hen. Den­je­ni­gen, die sie kri­ti­sie­ren, fehlt also bloß das not­wen­di­ge Ver­ständ­nis die­ser Leh­ren, womög­lich die nöti­ge gei­sti­ge Fle­xi­bi­li­tät und intel­lek­tu­el­le Fassungskraft.

Aus­führ­li­cher zu ED Nrn. 4 und 5 b) habe ich mich schon vor fast exakt neun Jah­ren geäu­ßert: Neue Ana­lo­gie zum Mono­phy­si­tis­mus oder Catho­lic Amish Peo­p­le? « kath­news. Dort schrieb ich: „Gera­de aus Grün­den der öku­me­ni­schen Glaub­wür­dig­keit, die natür­lich nur unan­ge­foch­ten bestehen kann, solan­ge Rom sich nicht nur um Über­win­dung bestehen­der Spal­tung der Chri­sten­heit bemüht, son­dern sich erst recht enga­giert, neue Tren­nun­gen von der katho­li­schen Kir­che, von der Kir­che Roms, zu ver­mei­den und vor allem nicht selbst zu pro­vo­zie­ren, wird die Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on sich zwei­fel­los bemü­hen, bei der Pius­bru­der­schaft und ihren Gläu­bi­gen ein inhalt­li­ches Motiv für die Tren­nung zu benen­nen und eine theo­lo­gi­sche Fehl­hal­tung, einen lehr­mä­ßi­gen Irr­tum oder direkt eine lefeb­vria­ni­sche Häre­sie nach­zu­wei­sen. Wenn auch der Prä­si­dent des Päpst­li­chen Ein­heits­ra­tes, Kurt Kar­di­nal Koch, am 31. Juli 2012 in ver­grö­bern­der Argu­men­ta­ti­on bereits eine Par­al­le­le zwi­schen der Kon­zils­kri­tik Luthers und der­je­ni­gen Lefeb­v­res zie­hen woll­te, wird man wohl kaum ein sola tra­di­tio­ne als Inhalt die­ser Irr­leh­re ange­ben. Das wäre viel zu ein­fach und theo­lo­gisch naiv gedacht. Rufen wir uns aber das Motu pro­prio Eccle­sia Dei aff­lic­ta mit sei­ner Nr. 4 ins Gedächt­nis, wäre es eine wahr­schein­li­che Mög­lich­keit, dass man bei einem defi­zi­tä­ren Tra­di­ti­ons­be­griff ansetzt, von dem man sagen wird, dass er ‚den leben­di­gen Cha­rak­ter der Tra­di­ti­on nicht genug berück­sich­tigt‘. Das könn­te der Fall sein, wenn die Pius­bru­der­schaft unter der Tra­di­ti­on tat­säch­lich aus­schließ­lich den Aspekt des inhalt­li­chen, apo­sto­li­schen Abschlus­ses der Offen­ba­rung Jesu Chri­sti ver­ste­hen wür­de und den pneu­ma­ti­schen Aspekt des Pro­zes­ses der Wei­ter­ga­be die­ses, in sich voll­stän­di­gen, Inhalts in Lehr­amt und Glau­bens­sinn der jeweils aktu­el­len Kir­che wirk­lich ganz über­se­hen oder aber prin­zi­pi­ell und pau­schal behaup­ten woll­te, die­ser pneu­ma­ti­sche Bei­stand, der der Kir­che ja wäh­rend ihrer gesam­ten Geschichts­dau­er ver­hei­ßen ist, sei bei oder spä­te­stens nach dem II. Vati­ka­ni­schen Kon­zil grund­sätz­lich unter­bro­chen wor­den und nur durch ent­schie­de­ne und voll­stän­di­ge Abkehr von den Leh­ren und Refor­men die­ses Kon­zils kön­ne er wie­der erlangt werden.“

Eine Befürchtung, die sich bewahrheitet

Für die nähe­re Aus­ein­an­der­set­zung mit einer sol­chen Argu­men­ta­ti­on ver­wei­se ich auf den dama­li­gen Bei­trag, und zwar nicht bloß, weil sich die dar­in aus­ge­spro­che­ne Pro­gno­se jetzt lei­der voll­kom­men bestä­tigt, wenn Papst Fran­zis­kus im Begleit­brief zu TC bekun­det: „Ich bin […] trau­rig über den instru­men­tel­len Gebrauch des Mis­sa­le Roma­num von 1962, der zuneh­mend durch eine wach­sen­de Ableh­nung nicht nur der Lit­ur­gie­re­form, son­dern auch des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils gekenn­zeich­net ist, mit der unbe­grün­de­ten und unhalt­ba­ren Behaup­tung, es habe die Tra­di­ti­on und die ‚wah­re Kir­che‘ ver­ra­ten. Wenn es stimmt, dass der Weg der Kir­che in der Dyna­mik der Tra­di­ti­on zu ver­ste­hen ist, ‚die von den Apo­steln aus­geht und sich in der Kir­che unter dem Bei­stand des Hei­li­gen Gei­stes wei­ter­ent­wickelt‘ (DV 8), dann stellt das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil die jüng­ste Etap­pe die­ser Dyna­mik dar, in der der katho­li­sche Epi­sko­pat dar­auf hör­te, den Weg zu erken­nen, den der Geist der Kir­che auf­zeigt. Am Kon­zil zu zwei­feln, bedeu­tet, an den Absich­ten der Väter selbst zu zwei­feln, die auf dem Öku­me­ni­schen Kon­zil fei­er­lich ihre kol­le­gia­le Voll­macht cum Petro et sub Petro aus­ge­übt haben, und letzt­lich auch am Hei­li­gen Geist selbst, der die Kir­che lei­tet.“ Es geht dabei nicht in erster Linie um die Pau­scha­li­tät die­ses Vor­wurfs gera­de an die Adres­se derer, die sich auf SP und die vor­aus­ge­gan­ge­nen Indul­te gestützt haben, son­dern um die gera­de­zu radi­ka­le Gewich­tung der Neu­heit durch Papst Fran­zis­kus, die klar wird, wenn man wie­der­um Zita­te der Anspra­chen, die bei den päpst­li­chen Weih­nachts­emp­fän­gen 2005 und 2020 gehal­ten wur­den, gleich­sam wie in einem Dia­log zuein­an­der in Bezie­hung setzt.

Bene­dikt XVI. sag­te beim Weih­nachts­emp­fang 2005:„Die Kir­che ist ein Sub­jekt, das mit der Zeit wächst und sich wei­ter­ent­wickelt, dabei aber immer sie selbst bleibt, das Got­tes­volk als das eine Sub­jekt auf sei­nem Weg. Die Her­me­neu­tik der Dis­kon­ti­nui­tät birgt das Risi­ko eines Bru­ches zwi­schen vor­kon­zi­lia­rer und nach­kon­zi­lia­rer Kir­che in sich.“ Die Ableh­nung einer Her­me­neu­tik der Dis­kon­ti­nui­tät ist aber nun bei Ratz­in­ger nicht gleich­zu­set­zen mit der Ableh­nung oder Ver­nei­nung jeder Dis­kon­ti­nui­tät. Was er zurück­wies, war eine Her­me­neu­tik, in der Dis­kon­ti­nui­tät zum Ver­ständ­nis­schlüs­sel wird: Es ist klar, dass in all [den] Berei­chen, die in ihrer Gesamt­heit ein und das­sel­be Pro­blem dar­stel­len, eine Art Dis­kon­ti­nui­tät ent­ste­hen konn­te und dass in gewis­sem Sin­ne tat­säch­lich eine Dis­kon­ti­nui­tät auf­ge­tre­ten war. Trotz­dem stell­te sich jedoch her­aus, dass, nach­dem man zwi­schen ver­schie­de­nen kon­kre­ten histo­ri­schen Situa­tio­nen und ihren Ansprü­chen unter­schie­den hat­te, in den Grund­sät­zen die Kon­ti­nui­tät nicht auf­ge­ge­ben wor­den war – eine Tat­sa­che, die auf den ersten Blick leicht über­se­hen wird. […] Genau in die­sem Zusam­men­spiel von Kon­ti­nui­tät und Dis­kon­ti­nui­tät auf ver­schie­de­nen Ebe­nen liegt die Natur der wah­ren Reform. Die kon­kre­ten Umstän­de, die von der histo­ri­schen Situa­ti­on abhän­gen und daher Ver­än­de­run­gen unter­wor­fen sein kön­nen, sind dage­gen nicht eben­so bestän­dig [wie die lei­ten­den Prin­zi­pi­en, Anm. C.V.O.]. So kön­nen die grund­sätz­li­chen Ent­schei­dun­gen ihre Gül­tig­keit behal­ten, wäh­rend die Art ihrer Anwen­dung auf neue Zusam­men­hän­ge sich ändern kann.“ Ent­spre­chend fuhr Bene­dikt fort: „Das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil hat durch die Neu­be­stim­mung des Ver­hält­nis­ses zwi­schen dem Glau­ben der Kir­che und bestimm­ten Grund­ele­men­ten des moder­nen Den­kens eini­ge in der Ver­gan­gen­heit gefäll­te Ent­schei­dun­gen neu über­dacht oder auch kor­ri­giert, aber trotz die­ser schein­ba­ren Dis­kon­ti­nui­tät hat sie ihre wah­re Natur und ihre Iden­ti­tät bewahrt und ver­tieft. Die Kir­che war und ist vor und nach dem Kon­zil die­sel­be eine, hei­li­ge, katho­li­sche und apo­sto­li­sche Kir­che, die sich auf dem Weg durch die Zei­ten befindet.“

Die vom Geist gewollte Krise

In der Anspra­che beim Weih­nachts­emp­fang 2020 erwi­der­te Papst Fran­zis­kus auf die­se Dar­le­gun­gen sei­nes Amts­vor­gän­gers gleich­sam: „[Ich möch­te] Euch drin­gend bit­ten, eine Kri­se nicht mit einem Kon­flikt zu ver­wech­seln. Das sind zwei ver­schie­de­ne Din­ge. Die Kri­se hat im All­ge­mei­nen einen posi­ti­ven Aus­gang, wäh­rend ein Kon­flikt immer Aus­ein­an­der­set­zung, Wett­streit und einen schein­bar unlös­ba­ren Ant­ago­nis­mus her­vor­bringt, bei dem die Men­schen in lie­bens­wer­te Freun­de und zu bekämp­fen­de Fein­den ein­ge­teilt wer­den, wobei am Schluss nur eine der Par­tei­en als Sie­ge­rin her­vor­ge­hen kann. Die Logik des Kon­flikts sucht immer nach ‚Schul­di­gen‘, die man stig­ma­ti­siert und ver­ach­tet, und nach ‚Gerech­ten‘, über die man nichts kom­men lässt, um das – oft magi­sche – Bewusst­sein zu schaf­fen, dass man mit die­ser oder jener Situa­ti­on nichts zu tun hat. Die­ser Ver­lust eines Zusam­men­ge­hö­rig­keits­ge­fühls begün­stigt das Wach­sen oder die Ver­här­tung bestimm­ter eli­tä­rer Hal­tun­gen und ‚geschlos­se­ner Grup­pen‘, die begren­zen­de und par­ti­el­le Denk­wei­sen för­dern, die die Uni­ver­sa­li­tät unse­rer Mis­si­on ver­ar­men las­sen. ‚Wenn wir im Auf und Ab der Kon­flik­te ver­har­ren, ver­lie­ren wir den Sinn für die tie­fe Ein­heit der Wirk­lich­keit‘ (Apo­sto­li­sches Schrei­ben Evan­ge­lii gau­di­um Nr. 226). Inter­pre­tiert man die Kir­che nach den Kate­go­rien des Kon­flikts – rechts und links, pro­gres­siv und tra­di­tio­na­li­stisch –, frag­men­tiert, pola­ri­siert, per­ver­tiert und ver­rät man ihr wah­res Wesen: Sie ist ein Leib, der fort­wäh­rend in der Kri­se ist, gera­de weil er leben­dig ist, aber sie darf nie­mals zu einem Leib wer­den, der in einem Kon­flikt mit Sie­gern und Besieg­ten steht. In der Tat wird sie auf die­se Wei­se Angst ver­brei­ten; sie wird star­rer und weni­ger syn­odal wer­den und eine ein­heit­li­che und ver­ein­heit­li­chen­de Logik durch­set­zen, die so weit von dem Reich­tum und der Plu­ra­li­tät ent­fernt ist, die der Geist sei­ner Kir­che geschenkt hat. Die Neu­heit, die durch die vom Geist gewoll­te Kri­se ein­ge­führt wur­de, ist nie­mals eine Neu­heit, die im Wider­spruch zum Alten steht, son­dern eine Neu­heit, die aus dem Alten her­vor­geht und es fort­wäh­rend frucht­bar macht.“ Den Ant­ago­nis­mus des Kon­flikts such­te auch schon Bene­dikt XVI. zu über­win­den, doch muss man Fran­zis­kus fra­gen, ob er nicht im Begriff ist, mit TC und sei­nen flan­kie­ren­den Maß­nah­men, die noch nicht alle bekannt sind, eine ein­heit­li­che und ver­ein­heit­li­chen­de Logik durch­zu­set­zen und Angst zu ver­brei­ten und wo dabei der Reich­tum und die Plu­ra­li­tät blei­ben, die der Geist sei­ner Kir­che geschenkt hat.

Das ungeteilte Gewand Christi und die Einheit seines Leibes, der Kirche

In sei­nen Aus­füh­run­gen trifft der regie­ren­de Hei­li­ge Vater eine inter­es­san­te Unter­schei­dung, zwi­schen dem Leib Chri­sti und sei­nem naht­lo­sen Gewand, das schon seit den Zei­ten der Kir­chen­vä­ter gern als Sinn­bild kirch­li­cher Ein­heit ange­se­hen wur­de: „In jeder Kri­se gibt es immer ein begrün­de­tes Bedürf­nis nach einem Aggior­na­men­to: Das ist ein Schritt vor­wärts. Aber wenn wir wirk­lich eine sol­che Aktua­li­sie­rung wol­len, müs­sen wir den Mut zu einer umfas­sen­den Bereit­schaft haben; wir müs­sen auf­hö­ren, die Reform der Kir­che als das Flicken eines alten Klei­des zu betrach­ten oder als schlich­te Abfas­sung einer neu­en Apo­sto­li­schen Kon­sti­tu­ti­on. Die Reform der Kir­che ist etwas ande­res. Es geht nicht dar­um, ein Gewand zu flicken, denn die Kir­che ist kein ein­fa­ches Gewand Chri­sti, son­dern sein Leib, der die gan­ze Geschich­te umfasst (vgl. 1 Kor 12,27). Wir sind nicht auf­ge­ru­fen, den Leib Chri­sti zu ver­än­dern oder zu refor­mie­ren – ‚Jesus Chri­stus ist der­sel­be gestern und heu­te und in Ewig­keit‘! (Hebr 13,8) –, aber wir sind auf­ge­ru­fen, den­sel­ben Leib mit einem neu­en Gewand zu beklei­den, damit klar ersicht­lich wird, dass die Gna­de, die wir besit­zen, nicht von uns, son­dern von Gott kommt; denn ‚die­sen Schatz tra­gen wir in zer­brech­li­chen Gefä­ßen; so wird deut­lich, dass das Über­maß der Kraft von Gott und nicht von uns kommt‘ (2 Kor 4,7).“

Liturgische Gewänder als Metaphern von Paradigmen

In die­ser vom Papst gewähl­ten Betrach­tungs­wei­se las­sen sich Lit­ur­gie und Ritus im über­tra­ge­nen Sin­ne als Gewand Chri­sti betrach­ten und lässt sich dies auch über got­tes­dienst­li­che For­men hin­aus­ge­hend als die Auf­ga­be eines Kon­zils und der von ihm ange­sto­ße­nen Impul­se ver­ste­hen. Das Kon­zil von Tri­ent hät­te in die­sem Bild der Kir­che ein triden­ti­ni­sches Gewand geschnei­dert, das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil ihr ihr heu­ti­ges Kleid gege­ben. Dem kann man in gewis­ser Wei­se etwas abge­win­nen, und irgend­wie zeigt sich, dass der Vor­wurf des Pap­stes, den er schon öfters geäu­ßert hat, die Rück­kehr zu frü­he­ren lit­ur­gi­schen For­men sei nur eine Mode­er­schei­nung, gar nicht so ober­fläch­lich gemeint ist, wie er klingt. Trotz­dem ist das Ver­ständ­nis von Papst Fran­zis­kus in die­sem Bild sehr begrenzt. Man hat es oft für eine per­sön­li­che Vor­lie­be und Geschmacks­fra­ge gehal­ten, dass Bene­dikt XVI. in der Gestal­tung sei­ner Lit­ur­gien und der Wahl sei­ner Para­men­te sehr tra­di­ti­ons­be­tont war. Es mag auch mit sei­nem ästhe­ti­schen und kul­tu­rel­len Emp­fin­den zu tun gehabt haben, mehr aber war sei­ne Absicht dabei die Dar­stel­lung sei­nes Kon­ti­nui­täts­an­spruchs. Des­we­gen ist es auch bedenk­lich, dass Fran­zis­kus in die­sem Bereich von Anfang an wie­der mit einem Stil­bruch reagiert hat­te. Hin­zu kommt, dass die Kir­che immer eine Viel­heit von Riten und Lit­ur­gien gekannt, nie also nur eine ein­zi­ge Uni­form getra­gen hat.

Zwar argu­men­tiert Fran­zis­kus in sei­ner weih­nacht­li­chen Anspra­che vom ver­gan­ge­nen Jahr wei­ter biblisch: „Die Kir­che ist immer ein zer­brech­li­ches Gefäß, wert­voll auf­grund ihres Inhal­tes, und nicht auf­grund des­sen, was sie manch­mal von sich zeigt. […] Für die Zeit der Kri­se warnt uns Jesus vor eini­gen Lösungs­ver­su­chen, die von Anfang an zum Schei­tern ver­ur­teilt sind. ‚Nie­mand schnei­det ein Stück von einem neu­en Gewand ab und setzt es auf ein altes Gewand.‘ Das Ergeb­nis wäre abseh­bar: Das Neue wäre zer­schnit­ten, denn ‚zu dem alten wür­de das Stück von dem neu­en nicht pas­sen‘. Ent­spre­chend ‚füllt nie­mand jun­gen Wein in alte Schläu­che. Sonst wür­de ja der jun­ge Wein die Schläu­che zer­rei­ßen; er läuft aus und die Schläu­che sind unbrauch­bar. […] Jun­gen Wein muss man in neue Schläu­che fül­len‘ (Lk 5,36–38)“, aber man muss befürch­ten, dass der amtie­ren­de Pon­ti­fex meint, es gin­ge nicht nur um ein neu­es Gewand, son­dern doch auch um einen neu­en Inhalt. Biblisch gemeint ist jedoch viel­mehr die Neu­heit, die Chri­stus gegen­über dem Alten Bun­de gebracht hat und die inhalt­lich nie mehr ver­al­tet, die der Ver­än­de­rung nicht bedür­fen kann oder ihr über­haupt zugäng­lich ist. Schließ­lich sagt Fran­zis­kus: „Das rich­ti­ge Ver­hal­ten hin­ge­gen ist das des ‚Schrift­ge­lehr­ten, der ein Jün­ger des Him­mel­rei­ches gewor­den ist‘, und der ‚einem Haus­herrn [gleicht], der aus sei­nem Schatz Neu­es und Altes her­vor­holt‘ (Mt 13,52). Der Schatz ist die Tra­di­ti­on, wie Bene­dikt XVI. in Erin­ne­rung rief, sie ist der leben­di­ge Fluss, der uns mit den Ursprün­gen ver­bin­det, der leben­di­ge Fluss, in dem die Ursprün­ge stets gegen­wär­tig sind, der gro­ße Fluss, der uns zum Hafen der Ewig­keit führt‘ (Kate­che­se, 26. April 2006). Und mir kommt die­ser Satz die­ses gro­ßen Musi­kers in den Sinn: ‚Die Tra­di­ti­on ist die Bewah­rung der Zukunft, und nicht ein Muse­um, also ein Hüter der Asche.‘ Das ‚Alte‘ ist die Wahr­heit und Gna­de, die wir bereits besit­zen. Das ‚Neue‘ sind die ver­schie­de­nen Aspek­te der Wahr­heit, die wir all­mäh­lich ver­ste­hen. Kei­ne geschicht­li­che Wei­se, das Evan­ge­li­um zu leben, gelangt je zu einem erschöp­fen­den Ver­ständ­nis des­sel­ben. Wenn wir uns vom Hei­li­gen Geist lei­ten las­sen, wer­den wir ‚der gan­zen Wahr­heit‘ (Joh 16,13) Tag für Tag näher­kom­men. Ohne die Gna­de des Hei­li­gen Gei­stes, selbst wenn man beginnt, die Kir­che syn­odal zu den­ken, wird sie sich, anstatt sich auf die Gemein­schaft mit der Prä­senz des Hei­li­gen Gei­stes zu bezie­hen, als eine belie­bi­ge demo­kra­ti­sche Ver­samm­lung ver­ste­hen, die sich aus Mehr­hei­ten und Min­der­hei­ten zusam­men­setzt. Wie ein Par­la­ment, bei­spiels­wei­se: Das ist nicht Syn­oda­li­tät. Allein die Gegen­wart des Hei­li­gen Gei­stes macht den Unter­schied.“

Wenn es also durch­aus Berüh­rungs­punk­te gibt, die Papst Fran­zis­kus mit Papst Bene­dikts her­me­neu­ti­schem Ansatz teilt, was sich auch sonst immer wie­der ein­mal auf­zei­gen lässt (Papst Fran­zis­kus bekräf­tigt Papst Bene­dikts „Her­me­neu­tik der Reform“ « kath­news), so ist doch die von ihm ent­wor­fe­ne Her­me­neu­tik der Kri­se ins­ge­samt nicht davon frei­zu­spre­chen, eine dem Hei­li­gen Geist zuge­schrie­be­ne Her­me­neu­tik der Dis­kon­ti­nui­tät zu sein, in der also sehr wohl das Neue als Aspek­te der Wahr­heit, die wir all­mäh­lich ver­ste­hen, der Schlüs­sel der Deu­tung ist, statt selbst vom Kon­text ver­bind­li­cher und greif­ba­rer Tra­di­ti­on her gedeu­tet zu werden.

Wie sich zu TC stellen?

Wäh­rend in der theo­re­ti­schen Grund­le­gung auch schon bei SP zu fra­gen war, ob man sich wirk­lich dar­auf stüt­zen konn­te oder soll­te, um der lit­ur­gi­schen Über­lie­fe­rung und dem in ihr vor­aus­ge­setz­ten und aus­ge­drück­ten Glau­ben ver­bun­den zu blei­ben, scheint die­se Mög­lich­keit mit TC prin­zi­pi­ell genom­men, zumal das neue Motu pro­prio nur noch gering­ste Bewe­gungs­frei­heit lässt, so dass sich auch rein prag­ma­ti­sche Kom­pro­mis­se nicht mehr rentieren.

Wenn man über­haupt glau­ben soll, dass es Papst Fran­zis­kus in TC um die Ein­heit der Kir­che geht, soll­te man dar­an erin­nern, dass Papst Johan­nes Paul II. 1995 in sei­ner Enzy­kli­ka Ut unum sint Nr. 95 nach einer Pri­mats­aus­übung such­te, die die Ein­heit för­dert und nicht behin­dert oder mut­wil­li­ger Gefähr­dung preis­gibt. Papst Fran­zis­kus hat sie offen­sicht­lich noch nicht ein­mal inner­halb der Kir­che gefun­den und scheint zu mei­nen, über dem Apo­stel­wort des Pau­lus zu ste­hen: „Wir sind nicht Her­ren eures Glau­bens, son­dern Die­ner eurer Freu­de, denn im Glau­ben steht ihr ja fest“ (2 Kor 1, 24).

Sie­he auch die bereits ver­öf­fent­lich­ten Bei­trä­ge von Cle­mens Vic­tor Olden­dorf zum Motu pro­prio Tra­di­tio­nis custodes:

Bild: MiL/​Verhüllter Chri­stus von Giu­sep­pe Sanm­ar­ti­no, 1753 (San Severo, Neapel)


1 Fett­satz hier und in allen wei­te­ren Stel­len zur Her­vor­he­bung von Schlüs­sel­be­grif­fen und ‑aus­sa­gen.

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1 Kommentar

  1. Chri­stus hat gesagt „Ich bin die Wahrheit“
    Er ist Gott, die­ser ist abso­lut unver­än­der­lich (und damit auch die Wahr­heit), sonst wäre er nicht Gott.
    Die Kir­che ist nur dann Katho­lisch, wenn sie die­se Tra­di­ti­on der Unver­än­der­lich­keit lehrt und anders­lau­ten­de Leh­ren verurteilt.
    ED 4 ist der Offen­ba­rungs­eid gegen­über Gott. Tra­di­ti­on soll ver­än­der­lich sein und erfährt einen Fort­schritt durch das Stu­di­um und Nach­sin­nen der Gläubigen.
    Das hat die Kon­zils­kir­che EB Leb­fe­v­re vor­ge­wor­fen und als Grund­la­ge für eine Exkom­mu­ni­ka­ti­on genom­men, die kei­ne war mit dem Vor­wurf, er hät­te einen fal­schen Traditionsbegriff.
    Unfassbar.

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