Ein Beitrag von Clemens Victor Oldendorf.
Eine Beschäftigung mit Traditionis Custodes (TC) und ein Vergleich mit Summorum Pontificum (SP) erfordern es, beide Motuproprien zu kontextualisieren. Das bedeutet vor allem, sie in der theoretischen Grundlegung nicht nur auf theologische Arbeiten Joseph Ratzingers zurückzubeziehen, was im letzten Beitrag anhand ausgewählter Zitate skizziert wurde, sondern auch die vorausgegangene lehramtliche Aussage im Motu proprio vom 2. Juli 1988, Ecclesia Dei afflicta (ED), noch einmal aufzusuchen, was bisher nur in Andeutungen geschehen ist.
Konkret geht es um ED Nr. 4: „Die Wurzel dieses schismatischen Aktes [gemeint ist damit die Weihe von vier Bischöfen durch Erzbischof Marcel Lefebvre am 30. Juni 1988 im schweizerischen Ecône, Anm. C.V.O.] ist in einem unvollständigen und widersprüchlichen1 Begriff der Tradition zu suchen: unvollständig, da er den lebendigen Charakter der Tradition nicht genug berücksichtigt, die, wie das Zweite Vatikanische Konzil sehr klar lehrt, ‚von den Aposteln überliefert, […] unter dem Beistand des Heiligen Geistes einen Fortschritt kennt: Es wächst das Verständnis der überlieferten Dinge und Worte durch das Nachsinnen und Studium der Gläubigen, die sie in ihrem Herzen erwägen, durch innere Einsicht, die aus geistlicher Erfahrung stammt, wie auch durch die Verkündigung derer, die mit der Nachfolge im Bischofsamt das sichere Charisma der Wahrheit empfangen haben‘ (DV 8). Vor allem aber ist ein Traditionsbegriff unzutreffend und widersprüchlich, der sich dem universalen Lehramt der Kirche widersetzt, das dem Bischof von Rom und dem Kollegium der Bischöfe zukommt. Denn niemand kann der Tradition treu bleiben, der die Bande zerschneidet, die ihn an jenen binden, dem Christus selbst in der Person des Apostels Petrus den Dienst an der Einheit in seiner Kirche anvertraute.“
Der verkürzende Gebrauch der Konzilsaussage von DV 8, den jetzt Papst Franziskus macht, lag bereits seinerzeit zugrunde, und es darf nicht übersehen werden, dass Tradition für Ratzinger letztlich ein Hilfskonstrukt ist, das mit dem jeweils aktuellen Lehramt im Endeffekt bis zur Ununterscheidbarkeit deckungsgleich wird, wobei dann das gegenwärtige Lehramt Tradition überlagert und so ein Traditionsbruch definitionsgemäß ausgeschlossen ist, da im Zweifelsfalle ausschließlich das Lehramt, zuletzt der Papst allein (vgl. DH 3070), attestieren oder verneinen kann, ob etwas traditionskonform ist. Somit stellt Hermeneutik der Reform in Kontinuität an fraglichen oder sogar umstrittenen Punkten maximal formale Übereinstimmung fest, kann jedoch keinen inhaltlich substantiierten Nachweis mehr erbringen.
Hinzuzunehmen ist ED Nr. 5 b): „Wir möchten ferner auch die Theologen und Fachgelehrten der anderen kirchlichen Wissenschaften darauf aufmerksam machen, dass auch sie von den augenblicklichen Umständen herausgefordert sind. Die Breite und Tiefe der Lehren des Zweiten Vatikanischen Konzils machen nämlich neue und vertiefte Untersuchungen notwendig, in denen die Kontinuität des Konzils mit der Tradition klar hervorgehoben wird, vornehmlich in jenen Bereichen der Lehre, die, weil sie vielleicht neu sind, von einigen Teilgruppen der Kirche noch nicht recht verstanden wurden.“ Hier soll offenbar der inhaltliche Nachweis angeregt und angestrebt werden, und in vielen Punkten ist eine solche Interpretation ja auch unbestritten möglich. Indes ist sie in manchen Aspekten schwierig oder sogar unmöglich, aber wurde vor allem selbst im Pontifikat Benedikts XVI. dort, wo sie möglich ist, nie als verbindlich durchgesetzt. Man merkt der zitierten Stelle eine Zurückhaltung und Relativierung hinsichtlich der Lehren des Zweiten Vatikanischen Konzils an, die von traditionalistischer Seite als neu oder konflikthaft wahrgenommen werden, denn sie sollen nur vielleicht neu sein, und sie werden nur von einigen Teilgruppen der Kirche als problematische Neuerungen empfunden, da diese sie noch nicht recht verstehen. Denjenigen, die sie kritisieren, fehlt also bloß das notwendige Verständnis dieser Lehren, womöglich die nötige geistige Flexibilität und intellektuelle Fassungskraft.
Ausführlicher zu ED Nrn. 4 und 5 b) habe ich mich schon vor fast exakt neun Jahren geäußert: Neue Analogie zum Monophysitismus oder Catholic Amish People? « kathnews. Dort schrieb ich: „Gerade aus Gründen der ökumenischen Glaubwürdigkeit, die natürlich nur unangefochten bestehen kann, solange Rom sich nicht nur um Überwindung bestehender Spaltung der Christenheit bemüht, sondern sich erst recht engagiert, neue Trennungen von der katholischen Kirche, von der Kirche Roms, zu vermeiden und vor allem nicht selbst zu provozieren, wird die Glaubenskongregation sich zweifellos bemühen, bei der Piusbruderschaft und ihren Gläubigen ein inhaltliches Motiv für die Trennung zu benennen und eine theologische Fehlhaltung, einen lehrmäßigen Irrtum oder direkt eine lefebvrianische Häresie nachzuweisen. Wenn auch der Präsident des Päpstlichen Einheitsrates, Kurt Kardinal Koch, am 31. Juli 2012 in vergröbernder Argumentation bereits eine Parallele zwischen der Konzilskritik Luthers und derjenigen Lefebvres ziehen wollte, wird man wohl kaum ein sola traditione als Inhalt dieser Irrlehre angeben. Das wäre viel zu einfach und theologisch naiv gedacht. Rufen wir uns aber das Motu proprio Ecclesia Dei afflicta mit seiner Nr. 4 ins Gedächtnis, wäre es eine wahrscheinliche Möglichkeit, dass man bei einem defizitären Traditionsbegriff ansetzt, von dem man sagen wird, dass er ‚den lebendigen Charakter der Tradition nicht genug berücksichtigt‘. Das könnte der Fall sein, wenn die Piusbruderschaft unter der Tradition tatsächlich ausschließlich den Aspekt des inhaltlichen, apostolischen Abschlusses der Offenbarung Jesu Christi verstehen würde und den pneumatischen Aspekt des Prozesses der Weitergabe dieses, in sich vollständigen, Inhalts in Lehramt und Glaubenssinn der jeweils aktuellen Kirche wirklich ganz übersehen oder aber prinzipiell und pauschal behaupten wollte, dieser pneumatische Beistand, der der Kirche ja während ihrer gesamten Geschichtsdauer verheißen ist, sei bei oder spätestens nach dem II. Vatikanischen Konzil grundsätzlich unterbrochen worden und nur durch entschiedene und vollständige Abkehr von den Lehren und Reformen dieses Konzils könne er wieder erlangt werden.“
Eine Befürchtung, die sich bewahrheitet
Für die nähere Auseinandersetzung mit einer solchen Argumentation verweise ich auf den damaligen Beitrag, und zwar nicht bloß, weil sich die darin ausgesprochene Prognose jetzt leider vollkommen bestätigt, wenn Papst Franziskus im Begleitbrief zu TC bekundet: „Ich bin […] traurig über den instrumentellen Gebrauch des Missale Romanum von 1962, der zunehmend durch eine wachsende Ablehnung nicht nur der Liturgiereform, sondern auch des Zweiten Vatikanischen Konzils gekennzeichnet ist, mit der unbegründeten und unhaltbaren Behauptung, es habe die Tradition und die ‚wahre Kirche‘ verraten. Wenn es stimmt, dass der Weg der Kirche in der Dynamik der Tradition zu verstehen ist, ‚die von den Aposteln ausgeht und sich in der Kirche unter dem Beistand des Heiligen Geistes weiterentwickelt‘ (DV 8), dann stellt das Zweite Vatikanische Konzil die jüngste Etappe dieser Dynamik dar, in der der katholische Episkopat darauf hörte, den Weg zu erkennen, den der Geist der Kirche aufzeigt. Am Konzil zu zweifeln, bedeutet, an den Absichten der Väter selbst zu zweifeln, die auf dem Ökumenischen Konzil feierlich ihre kollegiale Vollmacht cum Petro et sub Petro ausgeübt haben, und letztlich auch am Heiligen Geist selbst, der die Kirche leitet.“ Es geht dabei nicht in erster Linie um die Pauschalität dieses Vorwurfs gerade an die Adresse derer, die sich auf SP und die vorausgegangenen Indulte gestützt haben, sondern um die geradezu radikale Gewichtung der Neuheit durch Papst Franziskus, die klar wird, wenn man wiederum Zitate der Ansprachen, die bei den päpstlichen Weihnachtsempfängen 2005 und 2020 gehalten wurden, gleichsam wie in einem Dialog zueinander in Beziehung setzt.
Benedikt XVI. sagte beim Weihnachtsempfang 2005:„Die Kirche ist ein Subjekt, das mit der Zeit wächst und sich weiterentwickelt, dabei aber immer sie selbst bleibt, das Gottesvolk als das eine Subjekt auf seinem Weg. Die Hermeneutik der Diskontinuität birgt das Risiko eines Bruches zwischen vorkonziliarer und nachkonziliarer Kirche in sich.“ Die Ablehnung einer Hermeneutik der Diskontinuität ist aber nun bei Ratzinger nicht gleichzusetzen mit der Ablehnung oder Verneinung jeder Diskontinuität. Was er zurückwies, war eine Hermeneutik, in der Diskontinuität zum Verständnisschlüssel wird: „Es ist klar, dass in all [den] Bereichen, die in ihrer Gesamtheit ein und dasselbe Problem darstellen, eine Art Diskontinuität entstehen konnte und dass in gewissem Sinne tatsächlich eine Diskontinuität aufgetreten war. Trotzdem stellte sich jedoch heraus, dass, nachdem man zwischen verschiedenen konkreten historischen Situationen und ihren Ansprüchen unterschieden hatte, in den Grundsätzen die Kontinuität nicht aufgegeben worden war – eine Tatsache, die auf den ersten Blick leicht übersehen wird. […] Genau in diesem Zusammenspiel von Kontinuität und Diskontinuität auf verschiedenen Ebenen liegt die Natur der wahren Reform. Die konkreten Umstände, die von der historischen Situation abhängen und daher Veränderungen unterworfen sein können, sind dagegen nicht ebenso beständig [wie die leitenden Prinzipien, Anm. C.V.O.]. So können die grundsätzlichen Entscheidungen ihre Gültigkeit behalten, während die Art ihrer Anwendung auf neue Zusammenhänge sich ändern kann.“ Entsprechend fuhr Benedikt fort: „Das Zweite Vatikanische Konzil hat durch die Neubestimmung des Verhältnisses zwischen dem Glauben der Kirche und bestimmten Grundelementen des modernen Denkens einige in der Vergangenheit gefällte Entscheidungen neu überdacht oder auch korrigiert, aber trotz dieser scheinbaren Diskontinuität hat sie ihre wahre Natur und ihre Identität bewahrt und vertieft. Die Kirche war und ist vor und nach dem Konzil dieselbe eine, heilige, katholische und apostolische Kirche, die sich auf dem Weg durch die Zeiten befindet.“
Die vom Geist gewollte Krise
In der Ansprache beim Weihnachtsempfang 2020 erwiderte Papst Franziskus auf diese Darlegungen seines Amtsvorgängers gleichsam: „[Ich möchte] Euch dringend bitten, eine Krise nicht mit einem Konflikt zu verwechseln. Das sind zwei verschiedene Dinge. Die Krise hat im Allgemeinen einen positiven Ausgang, während ein Konflikt immer Auseinandersetzung, Wettstreit und einen scheinbar unlösbaren Antagonismus hervorbringt, bei dem die Menschen in liebenswerte Freunde und zu bekämpfende Feinden eingeteilt werden, wobei am Schluss nur eine der Parteien als Siegerin hervorgehen kann. Die Logik des Konflikts sucht immer nach ‚Schuldigen‘, die man stigmatisiert und verachtet, und nach ‚Gerechten‘, über die man nichts kommen lässt, um das – oft magische – Bewusstsein zu schaffen, dass man mit dieser oder jener Situation nichts zu tun hat. Dieser Verlust eines Zusammengehörigkeitsgefühls begünstigt das Wachsen oder die Verhärtung bestimmter elitärer Haltungen und ‚geschlossener Gruppen‘, die begrenzende und partielle Denkweisen fördern, die die Universalität unserer Mission verarmen lassen. ‚Wenn wir im Auf und Ab der Konflikte verharren, verlieren wir den Sinn für die tiefe Einheit der Wirklichkeit‘ (Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium Nr. 226). Interpretiert man die Kirche nach den Kategorien des Konflikts – rechts und links, progressiv und traditionalistisch –, fragmentiert, polarisiert, pervertiert und verrät man ihr wahres Wesen: Sie ist ein Leib, der fortwährend in der Krise ist, gerade weil er lebendig ist, aber sie darf niemals zu einem Leib werden, der in einem Konflikt mit Siegern und Besiegten steht. In der Tat wird sie auf diese Weise Angst verbreiten; sie wird starrer und weniger synodal werden und eine einheitliche und vereinheitlichende Logik durchsetzen, die so weit von dem Reichtum und der Pluralität entfernt ist, die der Geist seiner Kirche geschenkt hat. Die Neuheit, die durch die vom Geist gewollte Krise eingeführt wurde, ist niemals eine Neuheit, die im Widerspruch zum Alten steht, sondern eine Neuheit, die aus dem Alten hervorgeht und es fortwährend fruchtbar macht.“ Den Antagonismus des Konflikts suchte auch schon Benedikt XVI. zu überwinden, doch muss man Franziskus fragen, ob er nicht im Begriff ist, mit TC und seinen flankierenden Maßnahmen, die noch nicht alle bekannt sind, eine einheitliche und vereinheitlichende Logik durchzusetzen und Angst zu verbreiten und wo dabei der Reichtum und die Pluralität bleiben, die der Geist seiner Kirche geschenkt hat.
Das ungeteilte Gewand Christi und die Einheit seines Leibes, der Kirche
In seinen Ausführungen trifft der regierende Heilige Vater eine interessante Unterscheidung, zwischen dem Leib Christi und seinem nahtlosen Gewand, das schon seit den Zeiten der Kirchenväter gern als Sinnbild kirchlicher Einheit angesehen wurde: „In jeder Krise gibt es immer ein begründetes Bedürfnis nach einem Aggiornamento: Das ist ein Schritt vorwärts. Aber wenn wir wirklich eine solche Aktualisierung wollen, müssen wir den Mut zu einer umfassenden Bereitschaft haben; wir müssen aufhören, die Reform der Kirche als das Flicken eines alten Kleides zu betrachten oder als schlichte Abfassung einer neuen Apostolischen Konstitution. Die Reform der Kirche ist etwas anderes. Es geht nicht darum, ein Gewand zu flicken, denn die Kirche ist kein einfaches Gewand Christi, sondern sein Leib, der die ganze Geschichte umfasst (vgl. 1 Kor 12,27). Wir sind nicht aufgerufen, den Leib Christi zu verändern oder zu reformieren – ‚Jesus Christus ist derselbe gestern und heute und in Ewigkeit‘! (Hebr 13,8) –, aber wir sind aufgerufen, denselben Leib mit einem neuen Gewand zu bekleiden, damit klar ersichtlich wird, dass die Gnade, die wir besitzen, nicht von uns, sondern von Gott kommt; denn ‚diesen Schatz tragen wir in zerbrechlichen Gefäßen; so wird deutlich, dass das Übermaß der Kraft von Gott und nicht von uns kommt‘ (2 Kor 4,7).“
Liturgische Gewänder als Metaphern von Paradigmen
In dieser vom Papst gewählten Betrachtungsweise lassen sich Liturgie und Ritus im übertragenen Sinne als Gewand Christi betrachten und lässt sich dies auch über gottesdienstliche Formen hinausgehend als die Aufgabe eines Konzils und der von ihm angestoßenen Impulse verstehen. Das Konzil von Trient hätte in diesem Bild der Kirche ein tridentinisches Gewand geschneidert, das Zweite Vatikanische Konzil ihr ihr heutiges Kleid gegeben. Dem kann man in gewisser Weise etwas abgewinnen, und irgendwie zeigt sich, dass der Vorwurf des Papstes, den er schon öfters geäußert hat, die Rückkehr zu früheren liturgischen Formen sei nur eine Modeerscheinung, gar nicht so oberflächlich gemeint ist, wie er klingt. Trotzdem ist das Verständnis von Papst Franziskus in diesem Bild sehr begrenzt. Man hat es oft für eine persönliche Vorliebe und Geschmacksfrage gehalten, dass Benedikt XVI. in der Gestaltung seiner Liturgien und der Wahl seiner Paramente sehr traditionsbetont war. Es mag auch mit seinem ästhetischen und kulturellen Empfinden zu tun gehabt haben, mehr aber war seine Absicht dabei die Darstellung seines Kontinuitätsanspruchs. Deswegen ist es auch bedenklich, dass Franziskus in diesem Bereich von Anfang an wieder mit einem Stilbruch reagiert hatte. Hinzu kommt, dass die Kirche immer eine Vielheit von Riten und Liturgien gekannt, nie also nur eine einzige Uniform getragen hat.
Zwar argumentiert Franziskus in seiner weihnachtlichen Ansprache vom vergangenen Jahr weiter biblisch: „Die Kirche ist immer ein zerbrechliches Gefäß, wertvoll aufgrund ihres Inhaltes, und nicht aufgrund dessen, was sie manchmal von sich zeigt. […] Für die Zeit der Krise warnt uns Jesus vor einigen Lösungsversuchen, die von Anfang an zum Scheitern verurteilt sind. ‚Niemand schneidet ein Stück von einem neuen Gewand ab und setzt es auf ein altes Gewand.‘ Das Ergebnis wäre absehbar: Das Neue wäre zerschnitten, denn ‚zu dem alten würde das Stück von dem neuen nicht passen‘. Entsprechend ‚füllt niemand jungen Wein in alte Schläuche. Sonst würde ja der junge Wein die Schläuche zerreißen; er läuft aus und die Schläuche sind unbrauchbar. […] Jungen Wein muss man in neue Schläuche füllen‘ (Lk 5,36–38)“, aber man muss befürchten, dass der amtierende Pontifex meint, es ginge nicht nur um ein neues Gewand, sondern doch auch um einen neuen Inhalt. Biblisch gemeint ist jedoch vielmehr die Neuheit, die Christus gegenüber dem Alten Bunde gebracht hat und die inhaltlich nie mehr veraltet, die der Veränderung nicht bedürfen kann oder ihr überhaupt zugänglich ist. Schließlich sagt Franziskus: „Das richtige Verhalten hingegen ist das des ‚Schriftgelehrten, der ein Jünger des Himmelreiches geworden ist‘, und der ‚einem Hausherrn [gleicht], der aus seinem Schatz Neues und Altes hervorholt‘ (Mt 13,52). Der Schatz ist die Tradition, wie Benedikt XVI. in Erinnerung rief, sie ist der lebendige Fluss, der uns mit den Ursprüngen verbindet, der lebendige Fluss, in dem die Ursprünge stets gegenwärtig sind, der große Fluss, der uns zum Hafen der Ewigkeit führt‘ (Katechese, 26. April 2006). Und mir kommt dieser Satz dieses großen Musikers in den Sinn: ‚Die Tradition ist die Bewahrung der Zukunft, und nicht ein Museum, also ein Hüter der Asche.‘ Das ‚Alte‘ ist die Wahrheit und Gnade, die wir bereits besitzen. Das ‚Neue‘ sind die verschiedenen Aspekte der Wahrheit, die wir allmählich verstehen. Keine geschichtliche Weise, das Evangelium zu leben, gelangt je zu einem erschöpfenden Verständnis desselben. Wenn wir uns vom Heiligen Geist leiten lassen, werden wir ‚der ganzen Wahrheit‘ (Joh 16,13) Tag für Tag näherkommen. Ohne die Gnade des Heiligen Geistes, selbst wenn man beginnt, die Kirche synodal zu denken, wird sie sich, anstatt sich auf die Gemeinschaft mit der Präsenz des Heiligen Geistes zu beziehen, als eine beliebige demokratische Versammlung verstehen, die sich aus Mehrheiten und Minderheiten zusammensetzt. Wie ein Parlament, beispielsweise: Das ist nicht Synodalität. Allein die Gegenwart des Heiligen Geistes macht den Unterschied.“
Wenn es also durchaus Berührungspunkte gibt, die Papst Franziskus mit Papst Benedikts hermeneutischem Ansatz teilt, was sich auch sonst immer wieder einmal aufzeigen lässt (Papst Franziskus bekräftigt Papst Benedikts „Hermeneutik der Reform“ « kathnews), so ist doch die von ihm entworfene Hermeneutik der Krise insgesamt nicht davon freizusprechen, eine dem Heiligen Geist zugeschriebene Hermeneutik der Diskontinuität zu sein, in der also sehr wohl das Neue als Aspekte der Wahrheit, die wir allmählich verstehen, der Schlüssel der Deutung ist, statt selbst vom Kontext verbindlicher und greifbarer Tradition her gedeutet zu werden.
Wie sich zu TC stellen?
Während in der theoretischen Grundlegung auch schon bei SP zu fragen war, ob man sich wirklich darauf stützen konnte oder sollte, um der liturgischen Überlieferung und dem in ihr vorausgesetzten und ausgedrückten Glauben verbunden zu bleiben, scheint diese Möglichkeit mit TC prinzipiell genommen, zumal das neue Motu proprio nur noch geringste Bewegungsfreiheit lässt, so dass sich auch rein pragmatische Kompromisse nicht mehr rentieren.
Wenn man überhaupt glauben soll, dass es Papst Franziskus in TC um die Einheit der Kirche geht, sollte man daran erinnern, dass Papst Johannes Paul II. 1995 in seiner Enzyklika Ut unum sint Nr. 95 nach einer Primatsausübung suchte, die die Einheit fördert und nicht behindert oder mutwilliger Gefährdung preisgibt. Papst Franziskus hat sie offensichtlich noch nicht einmal innerhalb der Kirche gefunden und scheint zu meinen, über dem Apostelwort des Paulus zu stehen: „Wir sind nicht Herren eures Glaubens, sondern Diener eurer Freude, denn im Glauben steht ihr ja fest“ (2 Kor 1, 24).
Siehe auch die bereits veröffentlichten Beiträge von Clemens Victor Oldendorf zum Motu proprio Traditionis custodes:
- Zwei weihnachtliche Papstansprachen im Hochsommer nach Traditionis Custodes
- Tradition und Papstamt zwischen Engführung und Überdehnung
Bild: MiL/Verhüllter Christus von Giuseppe Sanmartino, 1753 (San Severo, Neapel)
1 Fettsatz hier und in allen weiteren Stellen zur Hervorhebung von Schlüsselbegriffen und ‑aussagen.
Christus hat gesagt „Ich bin die Wahrheit“
Er ist Gott, dieser ist absolut unveränderlich (und damit auch die Wahrheit), sonst wäre er nicht Gott.
Die Kirche ist nur dann Katholisch, wenn sie diese Tradition der Unveränderlichkeit lehrt und anderslautende Lehren verurteilt.
ED 4 ist der Offenbarungseid gegenüber Gott. Tradition soll veränderlich sein und erfährt einen Fortschritt durch das Studium und Nachsinnen der Gläubigen.
Das hat die Konzilskirche EB Lebfevre vorgeworfen und als Grundlage für eine Exkommunikation genommen, die keine war mit dem Vorwurf, er hätte einen falschen Traditionsbegriff.
Unfassbar.