(Rom) Nach dem Donnerwetter in Santa Marta und dem gescheiterten Versuch auf dem Befehlsweg Benedikt XVI. zum totalen Rückzug vom Plädoyerbuch für den priesterlichen Zölibat zu bewegen, eilte Eugenio Scalfari, der Doyen des italienischen Linksjournalismus, zu Papst Franziskus nach Santa Marta. Das Ergebnis des Besuches ist auf den ersten drei Seiten der Tageszeitung La Repubblica erschienen.
Eugenio Scalfari, der Atheist aus freimaurerischer Familie, bezeichnet sich selbst als Freund von Papst Franziskus. Die Sache mit dem neuen Buch von Benedikt XVI. und Kardinal Robert Sarah muß sehr ernst sein, wenn Santa Marta einen Eugenio Scalfari in den Vatikan bittet.
Das Verhältnis zwischen Papst Franziskus und Scalfari gehört nicht nur zu den Rätseln dieses Pontifikats, sondern zu seinen großen Undurchsichtigkeiten. Im Sommer 2013, nur wenige Monate nach dem Konklave, suchte Franziskus den Kontakt zu Scalfari. Seither wurden daraus eine solide Freundschaft und eine ganze Reihe weniger solider Interviews und Gesprächsartikel, die von Scalfari in der von ihm gegründeten Tageszeitung La Repubblica veröffentlicht wurden.
Soweit so rätselhaft.
Mehrere dieser Veröffentlichungen, besonders das erste Interview vom Oktober 2013, wurden auch auf der offiziellen Internetseite des Heiligen Stuhls publiziert und vom Vatikanverlag in Buchform herausgegeben, während gleichzeitig der jeweils amtierende Vatikansprecher in gewundenen Stellungnahme erklärte, daß genau diese Veröffentlichungen Scalfaris „nicht glaubwürdig“ seien. Franziskus führte dennoch die Gespräche, und so folgten auch weitere Veröffentlichungen.
Das läßt sich nur mit undurchsichtig beschreiben.
Scalfari räumte bereits im November 2013 in einem Pressegespräch ein, daß er während der Gespräche mit Franziskus sich weder Notizen macht noch ein Aufnahmegerät verwendet. Er „rekonstruiere“ anschließend den Inhalt, weshalb nicht jedes Wort, das er dem Kirchenoberhaupt in den Mund lege, tatsächlich ein wörtliches Zitat sei. Er verbürge sich aber, daß der Inhalt der päpstlichen Aussagen getreulich wiedergegeben sind. Das Skurrilitätenkabinett dieser „getreulichen“ Wiedergaben ist seither reich bestückt: demnach habe Franziskus die Hölle abgeschafft, die Existenz einer absoluten Wahrheit bestritten, „faktisch“ die Sünde abgeschafft, er wolle nicht bekehren, habe die Gottheit Jesu Christi geleugnet, wolle eine globale Rassenvermischung für eine „Mestizen“-Menschheit u.a.m.
Einige dieser Themen finden sich auch im neuen Artikel, den Scalfari heute veröffentlichte, und das gleich auf den ersten drei Seiten seiner Repubblica.
Wiederum handelt es sich dabei um die „Rekonstruktion“ eines Gesprächs mit Franziskus. Der bekannte Linksjournalist betont gleich zu Beginn, daß Franziskus laufend mit ihm spreche. Katholisches.info nannte es schon mehrfach das „Scalfari-Lehramt“. Im Stil einer großen Verkündigung ist auch die heutige Titelseite der Repubblica gestaltet. Über alle fünf Spalten reicht die große Schlagzeile:
„Franziskus: Ich, Ratzinger und die Rettung der Erde“
Die beiden Untertitel deuten den Inhaltsreigen an:
„‘Der Planet ist bedroht, das Klima muß unsere erste Sorge sein.‘“
„Verheiratete Priester, nach der von Benedikt erhaltenen Solidarität hat der Papst die Polemik archiviert. ‚Die Kirche ist gezwungen, moderner zu werden: mit den Armen und Schwachen sein, nicht mit den Reichen und Starken.“
An dieser Stelle soll allerdings nur der Teil des Scalfari-Berichts interessieren, indem es um das neue Buch von Benedikt XVI. und Kardinal Sarah geht, das offenbar auch der Anlaß für die jüngste Begegnung zwischen Franziskus und Scalfari war.
Als Zeitpunkt des Gesprächs mit Papst Franziskus nennt Scalfari zunächst „nach den Polemiken über den Zölibat der Priester“. Er wird noch präziser.
Einige Aussagen von Franziskus sind unter Anführungszeichen besonders hervorgehoben und sollen auch das Auge des flüchtigen Lesers einfangen.
„In einer Organisation, die Hunderte Millionen Menschen auf der ganzen Welt umfaßt, gibt es immer jemand, der dagegen ist.“
Und:
„Ich bin nur vom Wunsch angetrieben, daß unsere Kirche überlebt, indem wir unseren kollektiven Geist der modernen Zivilgesellschaft anpassen.“
Hören wir Scalfari selbst, was er zum Zustandekommen des Gesprächs schreibt:
„Vor einigen Tagen habe ich mit unserem Papst Franziskus telefoniert, um ein Treffen zu vereinbaren, dessen Inhalt ich danach den Lesern berichten würde. Unsere Leser wissen, daß ich seit einiger Zeit eine sehr enge Beziehung mit Seiner Heiligkeit habe.“
„Unser Papst Franziskus“? Der devote Tonfall ist kaum zu glauben, wenn man weiß, wie Scalfari bis 2013 gegen Benedikt XVI. und die Kirche alle Geschütze auffahren ließ, deren er habhaft wurde.
Franziskus scheint es zudem nicht zu bekümmern, daß sein atheistischer Freund ihm nach jedem Gespräch Häresien, Blasphemien oder zumindest ärgerniserregende Sätze in den Mund legt. Am Dienstag, 14. Januar, Punkt 16 Uhr, mitten im Medienwirbel um das neue Buch von Benedikt XVI. und Kardinal Sarah, begannen die beiden in Santa Marta ihr Gespräch und bemühten sich gleich zu Beginn, um eine „Kontextualisierung“ des Buches, von der man inzwischen allerdings weiß, daß sie nicht den Tatsachen entspricht. Um so erstaunlicher ist es, daß Scalfari sie dennoch und unverdroßen in seinem Bericht beließ.
Er schildert zunächst die Gefahr, die von dem neuen Buch für Franziskus ausgeht, und die offenbar auch der Grund für die Begegnung war. Die Darstellung erklärt die wütende Reaktion von Santa Marta, als Le Figaro das Buch von Benedikt XVI. und Kardinal Sarah ankündigte.
„Benedikt hatte einen Text geliefert auf dessen Grundlage Sarah ein gemeinsam verfaßtes Buch mit polemisch formuliertem Inhalt drucken ließ. Fast alle großen Tageszeitung haben in großer Aufmachung diese Nachricht gemeldet, die, wäre sie wahr gewesen, eine beachtliche Krise ausgelöst hätte, indem sich unter der Fahne eines Kardinals und eines zurückgetretenen, aber noch voll aktiven Papstes eine Quantität von mehr oder weniger mit dem derzeitigen Pontifikat unzufriedenen Bischöfen gesammelt und Papst Franziskus damit in beachtliche Schwierigkeiten gebracht hätten.“
Scalfaris dem Papst wohlgesonnener Bericht ermöglichtes, zu rekonstruieren, wie er vom regierenden Kirchenoberhaupt informiert wurde. Der versierte Journalist, der Franziskus als „unseren Papst“ anspricht, berichtet vielleicht nicht wörtlich, aber sinngemäß zutreffend – wie man ihm glauben darf – was ihm sein Gesprächspartner mitteilt. Das Plädoyerbuch „wäre“ ein großes Problem geworden, wenn, ja wenn die Mitwirkung Benedikts gestimmt hätte, aber das habe sie nicht.
Das ist aber nicht die einzige Fehlinformation, die Scalfari laut Eigendarstellung von seinem hochrangigen Gegenüber zu hören bekommt.
„Ratzinger hatte wissen lassen, sich keineswegs an die Seite Sarahs gestellt zu haben und auch nie ein Buch mit gemeinsamer Autorenschaft mit ihm autorisiert zu haben.“
Franziskus „enthüllte“ Scalfari noch mehr:
„Benedikt ließ daher Franziskus seine ganze Solidarität zukommen.“
Benedikt sei demnach selbst hintergangen worden und habe sich deshalb ganz mit Papst Franziskus solidarisiert, gegen den sich die Aktion gerichtet habe.
Das sind drei Aussagen, die Scalfari nacheinander vor seiner Leserschaft ausgebreitet, doch keine davon entspricht, wie inzwischen bekannt ist, der Wahrheit.
Die Episode ist deshalb bemerkenswert, weil die offenherzige Darstellung des atheistischen Papstfreundes nahelegt, daß nicht nur vom päpstlichen Umfeld getürkte Informationen gegen Benedikt XVI. und Kardinal Sarah an die Presse weitergegeben wurden, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen, sondern von Papst Franziskus höchstpersönlich.
Scalfari informiert dann, wie Franziskus auf die Buch-Affaire reagiert habe. Kein Wort von einem Wutausbruch, kein Wort von Anweisungen im Befehlston an Erzbischof Gänswein:
„Unser Papst hatte ohnehin den Versuch einer Gruppe von Purpurträgern hinter Sarah nicht ernst genommen und nahm das freundschaftliche und sogar brüderliche Angebot Ratzingers an.“
Scalfari wollte darauf von Franziskus wissen, wie er es „innerlich“ aufgenommen habe, von der Existenz einer „Gruppe“ zu erfahren, die „in Opposition zu seinem Pontifikat“ stehe:
„Die Antwort war, daß es immer jemand gibt, der dagegen ist in einer Organisation, die Hunderte Millionen Menschen auf der ganzen Welt umfaßt. Die Angelegenheit mit Ratzinger war daher abgeschlossen und das wenige oder viele, was an Oppositionellen noch übrigbleibt, ist in einer Organisation dieser Art als einigermaßen normales Phänomen zu betrachten.“
In diesem ganzen Abschnitt des drei Seiten langen Scalfari-Berichts ist keine Stelle als direktes Zitat ausgewiesen. Eine Vorsichtsmaßnahme zur Unterstützung von Franziskus?
Im Kreis der Bergoglianer wurde die Darstellung umgehend aufgegriffen, um Franziskus zu verteidigen.
Sein Biograph Austen Ivereigh, jener Ivereigh, der 2014 die Existenz eines Team Bergoglio zur Vorbereitung von dessen Wahl zum Papst enthüllte, der die Dubia-Kardinäle beschuldigte, „die Früchte des Heiligen Geistes stürzen zu wollen“, der vor wenigen Monaten die Empfehlung gab, man müsse „das Umfeld von Benedikt XVI. unter Kontrolle bringen“, und der bei der Amazonassynode behauptete, die Pachamama-Figuren seien Marienstatuen, schrieb bestätigend auf Twitter:
„Man traut Scalfari ja nicht wirklich, aber was Franziskus ihm sagte – B[enedikt]16 hat ihm seine brüderliche Loyalität zum Ausdruck gebracht, und diesen Papst die Manöver des Sarah Teams nicht berühren – stimmt.“
Wahrscheinlich tut man gut daran, wenn man nicht nur Scalfari „nicht wirklich traut“.
Als Scalfari zum Auftakt der Amazonassynode Anfang Oktober 2019 schrieb, Franziskus habe ihm gegenüber die Gottheit Jesu Christi geleugnet, bestritt Ivereigh ganz energisch, daß Scalfaris Wiedergabe stimme.
Einmal stimmt sie, einmal stimmt sie nicht, gerade so wie es paßt?
Andere bergoglianische Medien verhielten sich ähnlich.
Nun wird man sehen, ob der amtierende Vatikansprecher, derzeit Matteo Bruni, wiederum erklären wird, Scalfaris Wiedergaben seien „nicht glaubwürdig“.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: La Repubblica (Screenshots)