
(Rom) Die Ereignisse in Rom überschlagen sich. Die am Montag begonnene Amazonassynode läßt eine auffällige Unruhe aufkommen. Da durfte Eugenio Scalfari, der atheistische Freund und bevorzugte Gesprächspartner von Papst Franziskus, nicht fehlen. Erneut verkündete er „im Namen des Papstes“ sein Scalfari-Lehramt. Dieses Mal zündete er die Atombombe aller Atombomben: „Der Papst denkt, daß Jesus nicht Gott ist“. Ein direkter Stich ins Herz der Kirche.
Die Vorgehensweise ist bekannt. Seit dem Sommer 2013 stehen Eugenio Scalfari und Papst Franziskus in Kontakt. Eine ungewöhnliche Beziehung, ist Franziskus doch katholisches Kirchenoberhaupt und Stellvertreter Christi auf Erden und Scalfari immerhin der Doyen des italienischen Linksjournalismus und bekennender Atheist aus freimaurerischem Haus (schon sein Ur-Ur-Ur-Großvater war Freimaurer, woran sich die Generationen hindurch nichts änderte, nur über seine eigene Logenzugehörigkeit schweigt sich Scalfari aus). Sie treffen sich zu Gesprächen oder telefonieren miteinander. Wann immer ein direkter Kontakt zwischen beiden zustande kommt, folgt eine Veröffentlichung, mit der Scalfari der Welt kundtut, was ihm das Kirchenoberhaupt anvertraut habe. Dies geschieht immer in der von Scalfari gegründeten Tageszeitung La Repubblica, der italienischen Süddeutschen.
Obwohl das, was Scalfari vom Papst mitteilte, immer veritable Skandale sind, und obwohl Scalfari selbst zugab, sich während der Gespräche keine Notizen zu machen, sondern anschließend aus dem Gedächtnis zu rekonstruieren – weshalb die dem Papst in den Mund gelegten Aussagen zwar nicht ganz wörtlich zu nehmen seien, er, Scalfari, aber für deren Echtheit bürge –, distanzierte sich der Vatikan nie davon. Im Gegenteil, Franziskus legt Wert auf die Freundschaft und hält den Kontakt aufrecht. Die Scalfari-Interviews mit dem Papst wurden vom Vatikanverlag sogar in Buchform herausgebracht.
Es darf also angenommen werden, daß sich nicht nur Scalfari als „Sprachrohr des Papstes“ geriert, wenn es die Gelegenheit eben erlaubt, sondern daß auch Franziskus Scalfari mehr oder weniger gezielt als „Sprachrohr des Papstes“ einsetzt.
Daß Scalfari und seine Zeitung für Kirchenfürsten und Gläubige nicht zu den glaubwürdigsten Quellen gehören, sehr wohl aber für den Mainstream, erlaubt ungezwungener Versuchsballone zu starten und den Boden zu bereiten.
Scalfari informierte die Öffentlichkeit bereits gestern online und heute in der gedruckten Ausgabe der Repubblica über seine jüngsten Enthüllungen von Franziskus. Wann ihm Franziskus gesagt hat, was er wiedergibt, erwähnt Scalfari nicht. Er wolle wegen der Amazonassynode „in Erinnerung“ rufen, was Franziskus ihm anvertraute.
Die Anführungszeichen, die von Scalfari dabei gesetzt werden, um wörtliche Zitate von Franziskus zu kennzeichnen, sind nicht ganz für bare Münze zu nehmen. Da weder Franziskus noch der Vatikan bisher die Behauptungen Scalfaris aber beanstandeten, besteht kein Grund zur Annahme, seine Wiedergaben seien nicht korrekt. Scalfari selbst betont in seiner heutigen Kolumne, „alle Gespräche immer buchstabengetreu in dieser Zeitung“ wiedergegeben zu haben.
Was enthüllte Scalfari also über das Denken von Franziskus?
Das „Amazonas-Problem“ sei „von fundamentaler Bedeutung für die gesamte Menschheit“.
Und was ist laut Scalfari daran von so „fundamentaler Bedeutung“?
„Franziskus hat schon seit Jahren die Idee des Einen Gottes vorangetrieben. Es ist natürlich eine revolutionäre Idee.“
In der Tat findet sich in jeder Kolumne Scalfaris, in der er als Sprachrohr von Franziskus auftritt, „Revolutionäres“. Die Palette reicht von der Abschaffung der Sünde und der Hölle über die Kommunion für alle und die Papst-Aussage, Scalfari „nicht bekehren“ zu wollen, bis zur Zielvorgabe einer globalen Rassenvermischung („Mestizentum“) durch Massenmigration.
Die jüngste Revolution – und sie verdient diese Bezeichnung ganz und gar –, ist das Projekt des Einen Gottes. Die Aussage deckt sich mit synkretistischen Aussagen und Handlungen von Franziskus seit Anfang 2016: Die Religionszugehörigkeit sei „nicht wichtig“, weil „alle Kinder Gottes“ seien und somit – irgendwie – an denselben Gott glauben würden.
Dieses Projekt des Einen Gottes oder der Einen Religion hat allerdings einen zentralen Haken, und um den geht es in der Kernbotschaft der jüngsten Scalfari-Kolumne. Scalfari schreibt:
„Wer wie ich mehrfach das Glück hatte, ihm zu begegnen und mit ihm in größter kultureller Vertrautheit zu sprechen, weiß, daß Papst Franziskus Christus als Jesus von Nazareth, als Mensch und nicht als menschgewordenen Gott versteht.“
Der Satz birgt Sprengkraft, die alle Atombomben zusammengenommen übertrifft. Und damit wäre bekanntlich die Vernichtung des Lebens, jedenfalls der Menschheit, tatsächlich möglich.
Scalfari fährt fort und verweist, daß Jesus im Garten Getsemani den Vater darum gebeten hat, den Kelch an ihm vorübergehen zu lassen, und daß er am Kreuz klagte, daß Gott ihn verlassen habe. So handle kein Gott.
„Als es mir möglich war, diese Sätze zu diskutieren, sagte mir Papst Franziskus: ‚Sie sind der erwiesene Beweis, daß Jesus von Nazareth, sobald er Mensch wurde, wenn auch ein Mensch mit außergewöhnlichen Kräften, mitnichten Gott war.“
Das sagte Papst Franziskus? An dieser Stelle muß man tief Luft holen.
Hier zeigt sich also der zentrale Haken, denn bereits der Apostel Paulus schreibt:
„Wir dagegen verkündigen Christus als den Gekreuzigten: für Juden ein empörendes Ärgernis, für Heiden eine Torheit (1 Kor 1,23).
Und Christus selbst sagte:
„Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater außer durch mich“ (Joh 14,6).
Christus ist also das Problem, seine Gottessohnschaft ist das Problem, das große Hindernis auf dem Weg zum Projekt des Einen Gottes der Einheitsreligion. Sowohl die Juden als auch die Muslime lehnen die Dreifaltigkeit, besonders aber Christus als Sohn Gottes, explizit ab.
Scalfari läßt Papst Franziskus in seiner Kolumne nichts weniger als ein antitrinitarisches, ein zutiefst antichristliches Programm verkünden.
Das Problem ist aber nicht Jesus Christus, einziger Retter und Heiland aller Menschen und daher auch einziger Heilsweg. Das Problem ist, daß Papst Franziskus das wirklich gesagt haben könnte. Scalfari verbreitet zwar nur, was Wasser auf seine Mühlen ist, aber man wird ihm nicht unterstellen können, Aussagen, die er Franziskus in den Mund legt, frei zu erfinden.
Die Aussage ist der Supergau, der die „Häresie der Häresien“ des Abu-Dhabi-Dokuments, das Franziskus im vergangenen Februar unterzeichnete, noch in den Schatten stellt.
Daneben fällt noch ein Detail auf. Nur ein Detail, aber immerhin:
Was meint Scalfari genau mit seiner Formulierung, daß die Begegnungen zwischen ihm und Franziskus „in größter kultureller Vertrautheit“ stattfanden? Was ist diese „größte kulturelle Vertrautheit“ für einen Atheisten und Freimaurer?
Wie wird der Heilige Stuhl reagieren? Wie bisher: schweigend?
Text: Giuseppe Nardi
Bild: La Repubblica/Wikicommons (Screenshots)