(Rom) Kardinal Oscar Rodriguez Maradiaga, der Erzbischof von Tegucigalpa in Honduras, trat nach der Wahl von Papst Franziskus mit einer solchen Selbstsicherheit auf, daß ihm Vatikanisten den Spitznamen „Vizepapst“ gaben. Er gehört seit dem 13. März 2013 zum engsten Beraterkreis des derzeitigen Kirchenoberhauptes, wurde von diesem als Vertreter Mittelamerikas in den C9-Kardinalsrat berufen und brachte sich selbst als Nachfolger und nächster Papst in Stellung.
Letzteres soll Franziskus nicht unbedingt zugesagt haben. 2015 mußte Maradiaga das Amt des Vorsitzenden der Caritas Internationalis an Kardinal Luis Antonio Tagle abgeben, der von Franziskus als Thronfolger gefördert wird. An Maradiagas privilegiertem Zugang zu Santa Marta änderte das aber nichts. Auch seine Ambitionen gab der erste honduranische Purpurträger der Geschichte nicht auf. Wiederholt tat er sich als besonders lautstarker Verteidiger von Papst Franziskus und dessen Umfeld hervor. Die Qualität der Argumentation ließ allerdings manchmal zu wünschen übrig.
Als vier Kardinäle 2016 Dubia (Zweifel) zum umstrittenen nachsynodalen Schreiben Amoris laetitia vorlegten (sie betreffen die Unauflöslichkeit der sakramentalen Ehe) und vergebens auf eine Reaktion von Santa Marta warteten, rechtfertigte Kardinal Maradiaga das päpstliche Schweigen. Der Lateinamerikaner, dem nachgesagt wird, um originelle und „sachliche“ Verteidigungsstrategien nie verlegen zu sein, beschimpfte die vier Dubia-Unterzeichner, „nichts“ zur Waffenproduktion und zum Waffenhandel in der Welt zu sagen, weshalb sie lieber „etwas anderes tun sollten“, als sich in öffentliche Diskussionen einzumischen. Und überhaupt seien sie ohnehin schon „in Pension“ (was nur für einen zutraf, während zwei weitere von Papst Franziskus emeritiert worden waren).
Vom Papst geschützt
2017/2018 erlebte Maradiagas Aufstieg durch Enthüllungen einen jähen Dämpfer. Es wurde bekannt, daß sich der Kardinal von der Katholischen Universität von Honduras, deren Großkanzler er ist, monatlich 35.000 Dollar auf Privatkonten überweisen ließ. Die Witwe des ehemaligen honduranischen Botschafters beim Heiligen Stuhl erklärte, daß die Familie durch Empfehlungen des Kardinals das gesamte Vermögen verloren habe. Schließlich wurde das homosexuelle Doppelleben seines Weihbischofs und rechten Arms Juan José Pineda bekannt, der während der häufigen Abwesenheit des Kardinals das Erzbistum leitete und sich dabei sogar an Seminaristen des Bistums vergangen haben soll.
Kardinal Maradiaga verteidigte sich, indem er den Papst zu Hilfe rief, denn er werde nur deshalb geschlagen, weil man Papst Franziskus treffen wolle. Und tatsächlich nahm Franziskus seinen Vertrauten Anfang 2018 ausdrücklich in Schutz. Daran hat sich bis heute, Fakten hin oder her, nichts geändert. Weihbischof Pineda mußte im Juli des Jahres allerdings seinen Posten räumen, um den Kardinal aus der Schußlinie zu nehmen. Dafür wurde Pineda offenbar Straffreiheit zugesichert. Als Papabile gilt Maradiaga seither zwar nicht mehr, aber durch den Schutz des Papstes, den er weiterhin genießt, trat er Anfang September 2018, nur wenige Wochen, nachdem er selbst vor dem Absturz schien, als Verteidiger von Kardinal McCarrick auf.
Theodor McCarrick, emeritierter Erzbischof von Washington, war damals noch Kardinal, der unter Franziskus großen Einfluß auf die Bischofsernennungen in den USA und andere Personalentscheidungen ausübte. Durch die Enthüllung seines homosexuellen Doppellebens mußte ihn Papst Franziskus nach einigem hin und her und widerwillig fallenlassen. Maradiaga verteidigte das skandalöse Verhalten McCarricks als „Privatsache“ und tat den ganzen Fall als eine „administrative Angelegenheit ab“. Das hatte vor allem damit zu tun, daß Kardinal Maradiaga im Viganò-Dossier selbst schwer belastet wurde. Seither steht der Purpurträger nicht nur im Verdacht der Bestechlichkeit, sondern auch eines Abtreibungs-Deals mit George Soros. Der ehemalige Vatikandiplomat weiß, wovon er spricht: Als Maradiaga die Soros-„Spende“ für die USA-Reise von Papst Franziskus organisierte, war Msgr. Viganò Nuntius in Washington.
Am 30. Mai 2019 mußte der Kardinal am Flughafen von Tegucigalpa aus dem Flugzeug nach Panama durch den Hinterausstieg in Sicherheit gebracht werden, wie der Vatikanist Edward Pentin berichtete. Es wurde befürchtet, er könnte von der aufgebrachten Menge wegen seiner „Geschäfte“ gelyncht werden. Konkret richteten sich die Proteste gegen die honduranische Regierung, die von Maradiaga unterstützt wird, so wie er 2009 auch einen Militärputsch unterstützt hatte.
„Papst wollte schon seit Jahren eine Finanzreform“
La Repubblica, gegründet von Eugenio Scalfari, dem atheistischen Freund des Papstes, und die einzige Tageszeitung, die Franziskus laut eigenen Angaben täglich liest, veröffentlichte am Montag ein Interview mit Maradiaga, das vom Vatikanisten Marco Tosatti als „erstaunlich, ärgerniserregend und sogar lächerlich“ bezeichnet wurde. Das Interview führte Paolo Rodari, der Vatikanist der Zeitung.
In der Tat wirkt die Verteidigungslinie, mit der Honduras‘ Purpurträger zum Fall Becciu Stellung nimmt, fast peinlich. Das beginnt bereits mit der Überschrift. Der Papst habe die von verschiedenen vatikanischen Stellen „gebunkerten Schätze satt“. Franziskus habe „bereits seit Jahren“ eine Finanzreform gewollt und diese nach Bekanntwerden des jüngsten Skandals „sofort beschleunigt“.
Eine solche Verteidigung ist fast wie ein Dolchstoß. Man könnte Franziskus, einen Papst, der seit siebeneinhalb Jahren und im Vergleich zu seinen Vorgängern mit außergewöhnlicher Entschlossenheit regiert, in der Sache kaum mehr bloßstellen. Abgesehen davon geht es im Fall Beccius nicht um „gebunkerte Schätze“, sondern um offizielle Rücklagen aus dem Peterspfennig, die der damalige Substitut des Staatssekretariats investieren sollte.
Nicht viel anders verhält es sich mit der Antwort des Kardinals auf die Frage, ob Franziskus in der Kirche „isoliert“ sei. Nein, sagt Maradiaga – wie übrigens auch Kardinal Kasper –, „das ist absolut nicht so, weil er die Kirche auf kollegiale Weise leitet, indem er sich austauscht und dann entscheidet“. An der Römischen Kurie dürften dieser Darstellung viele von jenen nicht zustimmen, die innerhalb der Leoninischen Mauern seit 2013 einen anderen Regierungsstil zu spüren bekommen.
Selbst die blinde Radikalität, die sich im Vorfeld der US-Präsidentschaftswahlen trotz seiner sprichwörtlichen Diplomatie des Heiligen Stuhls zu bemächtigen scheint, wird von Maradiaga verteidigt. Zur unfreundlichen Ausladung von US-Außenminister Mike Pompeo, der gestern von Franziskus in Audienz empfangen werden sollte, fällt dem Salesianer aus Honduras nur ein, daß Pompeo bloß „die Wiederwahl Trumps erreichen“ wolle, „aber nicht die Interessen der Amerikaner wahrnimmt“. Hatte der Heilige Stuhl den beispiellosen Affront nicht gerade damit begründet, daß sich Franziskus nicht in den US-Wahlkampf einmischen wolle?
„Es gibt ein Anti-Franziskus-Netzwerk“
Doch Maradiaga weiß noch mehr zu berichten, ja zu enthüllen:
„Es gibt ein Anti-Franziskus-Netzwerk. Die zwei Männer, die dieses Netz anführen, sind Steve Bannon und Carlo Maria Viganò. Sie wollen, daß alles so bleibt, wie es immer war, eine Strenge, die der Kirche nicht gut tut.“
Bannon, der Buhmann der Trump-Gegner, wird mit Erzbischof Viganò, dem nachdrücklichsten Kritiker der Amtsführung von Papst Franziskus, kurzerhand in einen Topf gerührt. Das negative Image, das dem einen in bestimmten Kreisen anhaftet, soll implizit auf den anderen übertragen werden. Innerkirchliche Umgangsformen waren schon einmal vornehmer und brüderlicher.
Zur Entlastung von Franziskus im Finanzskandal verweist Maradiaga zudem auf dessen Aufforderung an die UNO, die Steuerparadiese zu beseitigen. Der Papst scheint aber darauf vergessen zu haben, das auch seinem Vertrauten Kardinal Becciu mitzuteilen. Und Kardinal Maradiaga scheint vergessen zu haben, daß von derselben UNO auch schon der Vatikan als angebliches Steuerparadies an den Pranger gestellt wurde.
Auch die Kurzsichtigkeit mancher Maradiaga-Argumente tut der Kirche „nicht gut“.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: La Repubblica (Screenshot)