Von Roberto de Mattei*
Das Logo der Reise von Papst Franziskus in die Vereinigten Arabischen Emirate zeigt eine Taube mit einem Olivenzweig. Papst Franziskus sagte dazu:
„Es ist ein Bild, das an die Geschichte der Sintflut erinnert, die in verschiedenen religiösen Traditionen vorkommt. Nach dem biblischen Bericht bittet Gott Noah, mit seiner Familie in die Arche zu gehen, um die Menschheit vor der Zerstörung zu bewahren. Auch heute müssen wir im Namen Gottes, um den Frieden zu sichern, gemeinsam als eine einzige Familie in eine Arche eintreten, die die stürmischen Meere der Welt befahren kann: die Arche der Brüderlichkeit.“
Laut dieser Lesart ist die Arche Noah eine Arche der Brüderlichkeit, in der Menschen unterschiedlicher Religion zusammenleben, weil Gott selbst den religiösen Pluralismus wollte. In der Tat heißt es in dem vom Papst in Abu Dhabi unterzeichneten Dokument:
„Der Pluralismus und die Verschiedenheit der Religion, der Hautfarbe, des Geschlechts, der Rasse und der Sprache entsprechen dem weisen, göttlichen Willen, mit dem Gott die Menschen erschaffen hat.“
Diese Lesart scheint die Lehre des Evangeliums auf den Kopf zu stellen. Die Arche, die Noah im frommen Gehorsam nach der Anweisung Gottes vor der Sintflut als Zuflucht für sich, seine Familie und alle Tierarten baute (Gen 6,13–22), wird vom Heiligen Paulus als Zuflucht des Heils für die Gläubigen und als Zeichen der Weltentsagung gelehrt (Hebr 11,7).
Daher hat die katholische Tradition die Arche Noah immer als Symbol für die Kirche gesehen, außerhalb derer es kein Heil gibt (vgl. Hl. Ambrosius, De Noe et Arca, 6.9, in Migne, Patrologia Latina, Bd. 14, Sp. 368–374, und Hugo von Hurter, De arca Noe Ecclesiae typo Patrum sententiae, in Sanctorum Patrum opuscula selecta, III, Innsbruck 1868, S. 217–233). Und deshalb hat die Kirche den Auftrag, den katholischen Glauben zu bewahren und zu verbreiten.
Unser Herr sagte nämlich zu den Aposteln:
„Geht hinaus in die ganze Welt, und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen! Wer glaubt und sich taufen läßt, wird gerettet; wer aber nicht glaubt, wird verdammt werden“ (Mk 16,15f).
Und der Völkerapostel bekräftigt:
„Es gibt nur einen Herrn, einen Glauben, eine Taufe“ (Eph 4,5).
Es ist ein Glaubensdogma, das vom Vierten Laterankonzil unter Innozenz III. verkündet wurde:
„Una vero est fidelium universalis Ecclesia, extra quam nullus omnino salvatur.”
„Es gibt eine allgemeine Kirche der Gläubigen, außerhalb der überhaupt keiner gerettet wird.“
Der Grundsatz „nulla salus extra Ecclesiam“ schließt jene vom Heil nicht aus, die wegen eines unüberwindlichen Irrtums außerhalb der Kirche sind, aber dieser zumindest implizit durch einen Wunsch zugeordnet sind. Sie haben allerdings keine Heilsverheißung und keine ordentlichen Mittel, sie zu erlangen.
Diese Glaubenswahrheit wurde unter anderem von Gregor XVI. (Mirari vos vom 15. August 1832), Pius IX. (Singulari quidem vom 17. März 1856 an die Bischöfe von Österreich), Leo XIII. (Satis cognitum vom 29. Juni 1896) und Pius XI. (Mortalium animos vom 6. Januar 1928) bestätigt. Letzterer erklärt darin, daß es im Bereich des Glaubens nicht möglich ist, auf dieselbe Weise wie im Bereich der Politik, zu einer brüderlichen Einheit zu gelangen.
Die Glaubenswahrheit der Brüderlichkeit unterzuordnen, bedeutet, die religiöse Gleichgültigkeit zu bekennen, die vom allgemeinen Lehramt der Kirche immer verurteilt wurde.
Die „Brüderlichkeit“ ist zusammen mit der „Freiheit“ und der „Gleichheit“ vielmehr ein konstitutiver Grundsatz der Französischen Revolution. Dieser revolutionäre Dreiklang beschränkt sich auf ein System von Beziehungen, in dem es kein übernatürliches Prinzip gibt, auf das man sich beziehen könnte. Die drei höchsten Werte, von denen jeder absolut gesehen wird, geraten daher zwangsläufig untereinander in Konflikt.
Da ein höherer Zweck fehlt, wird die Brüderlichkeit, die weit davon entfernt ist, ein Element des Zusammenhalts für die Gesellschaft zu sein, zu einer Quelle für ihren Zerfall. Wenn die Menschen nämlich im Namen der Brüderlichkeit zusammengezwungen werden ohne einen Zweck, der ihrem Zugehörigkeitsgefühl einen Sinn gibt, wird die „Arche“ zum Kerker, und die mit Worten aufgenötigte Brüderlichkeit wird ins Gegenteil umschlagen und als zentrifugale Kraft zu Zersplitterung und Chaos führen.
Die bloße Betonung des brüderlichen Zusammenlebens ist nicht imstande, ein Opfer zu rechtfertigen, das der höchste Ausdruck der Nächstenliebe ist, weil ein Opfer immer Verzicht auf ein reales Gut im Namen eines höheren Guts ist. Die Brüderlichkeit kennt aber kein höheres Gut, das eines Opfers würdig wäre, außer dem bloßen Zusammenleben, das an sich kein Wert, sondern lediglich eine Tatsache ohne tiefere Bedeutung ist. Der Mythos der Brüderlichkeit kaschiert in Wirklichkeit selbst den größten sozialen Egoismus und stellt das Gegenteil zur christlichen Liebe dar, die das einzige, wirkliche Fundament in den sozialen Beziehungen der Menschen ist.
Ein Dogma der Freimaurerei
Die Brüderlichkeit ist auch ein Dogma der Freimaurerei, die in ihrer Ideologie und ihren Ritualen eine Parodie der christlichen Glaubenslehre und der christlichen Liturgie darstellt. Es ist kein Zufall, daß die Großloge von Spanien mit folgendem Tweet Papst Franziskus für seine Weihnachtsbotschaft vom 25. Dezember 2018 dankte:
„Todos los masones del mundo se unen a la petición del Papa por ‘la fraternida dentre personas de diversas religiones’.”
„Alle Freimaurer der Welt schließen sich dem Aufruf des Papstes an für eine ‚Brüderlichkeit zwischen Menschen verschiedener Religionen‘.“
Die Freimaurer schreiben weiter und zitieren Papst Franziskus:
„In seiner Weihnachtsbotschaft hat Papst Franziskus zum Triumph der universellen Brüderlichkeit zwischen allen Menschen aufgefordert: ‚Brüderlichkeit zwischen Menschen jeder Nation und Kultur. Brüderlichkeit zwischen Menschen mit verschiedenen Ideen, die aber fähig sind, einander zu achten und zuzuhören. Brüderlichkeit zwischen Menschen verschiedener Religionen.‘ […] Die Worte des Papstes zeigen die aktuelle Linie der Kirche gegenüber dem Inhalt von Humanum Genus (1884), der letzten großen, katholischen Verurteilung der Freimaurerei.“
In Wirklichkeit ist die Freimaurerei weiterhin von der Kirche verurteilt, auch wenn es scheint, daß die höchsten Kirchenmänner sich ihre Ideen zu eigen machen. Die Lehre des Göttlichen Meisters findet aber Widerhall in den treuen Herzen: Dort kann die Liebe für den Nächsten nur auf der Liebe für Gott gründen. Ohne einen Bezug auf den wahren Gott, der nur innerhalb der Kirche, der Arche des Heils, wirklich geliebt werden kann, ist die Brüderlichkeit nur ein leeres Wort, das den Haß gegen Gott und gegen den Nächsten verschleiert.
*Roberto de Mattei, Historiker, Vater von fünf Kindern, Professor für Neuere Geschichte und Geschichte des Christentums an der Europäischen Universität Rom, Vorsitzender der Stiftung Lepanto, Autor zahlreicher Bücher, zuletzt in deutscher Übersetzung: Verteidigung der Tradition: Die unüberwindbare Wahrheit Christi, mit einem Vorwort von Martin Mosebach, Altötting 2017.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana