Von Wolfram Schrems*
Im Anschluß an den ersten Teil vom 21. März und den ersten Exkurs vom 28. März soll ein Blick auf den derzeitigen Zustand des Jesuitenordens geworfen werden. Freilich handelt es sich um Stückwerk bzw. um Momentaufnahmen und einzelne Erfahrungswerte.
Sie ergeben in der Zusammenschau für den, der Augen hat, um zu sehen, aber sehr wohl ein Bild.
Zunächst das Offenkundige:
Die wirren Formulierungen von Papst Franziskus – Symptom und Rezept für Desaster
Seit zwei Jahren werden die Katholiken mit der ganz merkwürdigen Diktion eines Papstes verwirrt. Erinnerlich ist z. B. Folgendes (teilweise wörtlich, teilweise sinngemäß zitiert): „Zu den Rändern gehen“, „dogmatische Sicherheiten sind neurotisch“, „Proselytenmachen ist eine Riesendummheit“, „Barmherzigkeit“, „Hirten müssen nach den Schafen riechen“ und vieles mehr. Die Predigten in Santa Marta interpretieren die jeweiligen Bibelstellen häufig am Wortsinn vorbei oder gegen diesen.
Völlig abwegig ist das in kryptischer Insider-Sprache gehaltene Dokument Evangelii gaudium, wobei besonders die Ausführungen zu Islam und Judentum jeglichen Realitätsbezug und jegliche theologische Einordnung vermissen lassen.
Diese Phrasen sind allerdings auch fixer Bestandteil der Jesuitenpastoral der vergangenen Jahrzehnte. Papst Franziskus schöpft hier aus einem Becken an Ideologemen, die innerhalb des Ordens populär sind.
Diese Sprüche sind mir aus eigener Erfahrung wohlvertraut.
Charakteristisch für unsere Zeit ist noch ein weiteres Symptom der Auflösung: nämlich die Welle an durchgeführten bzw. angekündigten Rücktritten von auf Lebenszeit zu bekleidenden Ämtern. Neben dem („freiwilligen“) Rücktritt von Papst Benedikt XVI. ist hier der vorzeitige Rücktritt von P. Peter-Hans Kolvenbach als Generaloberer der Gesellschaft Jesu im Jahr 2007 zu nennen. Auch der jetzige General P. Adolfo Nicolás Pachón hat schon seinen Rücktritt für das Jahr 2016 angekündigt.
Es scheint, daß es dort niemanden mehr recht freut.
Hat man den Führungs- und Gestaltungswillen verloren?
Es sieht so aus. Meines Erachtens ist das eine direkte Folge der inhaltlichen Desorientierung.
Daher ein Schlaglicht auf rezente Entwicklungen:
Auswertung der jüngsten Ordensgeschichte am Beispiel Österreichs
Zu meiner diesbezüglichen Qualifikation möge die pauschale Information ausreichen, daß ich in den 90er Jahren zwei Jahre Noviziat in Innsbruck (das für die österreichische, die schweizerische und die litauische Provinz zuständig war) absolvierte (und ohne Gelübde abgelegt zu haben, ins zivile Leben zurückkehrte).
Ohne ins Detail zu gehen einige Punkte zur Zustandsbeschreibung seit jener Zeit:
Mein Eintrittsjahrgang ist vollständig erloschen. Auch sonst sind viele Jesuiten zwischenzeitlich ausgetreten, einschließlich einiger Priester (von denen mindestens zwei in Diözesen überwechselten). Das Noviziat wurde aufgelassen und mit Nürnberg zusammengelegt, das Gebäude geschleift. Dem Vernehmen nach steht dort jetzt ein Supermarkt. Das in dessen Nachbarschaft befindliche internationale Priesterseminar Collegium Canisianum mit (ehemaligem) Weltruf ist seit kurzem ebenfalls Geschichte. Die noch verbliebenen Priester, die ein Doktoratsstudium absolvieren, finden im Jesuitenkolleg Platz. Der Lehrkörper der Innsbrucker Theologischen Fakultät, die in der Verantwortung des Ordens steht, enthält nur mehr wenige Jesuiten. Die Konsultation des Mitteilungsblattes „Baustelle Theologie“ läßt kein katholisches Profil dieser Einrichtung erkennen.
Das Exerzitienhaus Schloß Kollegg in St. Andrä im Lavanttal (Kärnten) ist verkauft, die dortige Stadtpfarre aufgegeben. Aufgegeben wurde auch die Pfarre St. Canisius (Wien IX.).
Offenbar hat sich das Konzept nicht bewährt.
Trotzdem hält man daran fest:
Sinnbildlich für den Zustand des Ordens in Österreich sind besonders zwei Einrichtungen: das „Jesuitenfoyer“ am Dr. Ignaz Seipel-Platz in der Wiener Innenstadt mit seinen vielen Ausstellungen einer vom Anti-Logos kündenden „Kunst“ (so etwa die besonders häßliche Installation „Höllentor“ vor wenigen Jahren) und das „Kardinal-König-Haus“ in Wien – Lainz (XIII. Bezirk) mit der sinnigerweise einer Freimaurerloge nachempfundenen „Konzilsgedächtniskirche“.
Motus in fine velocior
Die Bewegung wird gegen Ende hin immer schneller, wie Roberto de Mattei einmal auf dieser Seite in anderem Zusammenhang schrieb.
Was für einen Katarakt gilt, gilt auch für sich innerlich auflösende soziale Einheiten, in diesem Fall für die österreichische Provinz der Gesellschaft Jesu. Deren Entwicklung verfolge ich aufgrund nachbarschaftlicher Nähe in meiner Heimatstadt seit 28 Jahren bewußt mit.
Schnell ist es gegangen.
Analoge Entwicklungen sind mir aufgrund persönlicher Kontakte von der Schweizer Provinz, die im doppelten Wortsinn die „Orientierung“ aufgegeben hat, und von der Ungarischen Provinz, die enorme Austrittszahlen zu verzeichnen hatte, bekannt.
Dabei ist es so, daß ich religiös und menschlich vorbildliche Jesuiten kenne bzw. kannte. Einer von ihnen stellte sich beispielsweise in einem eigenen Schriftenapostolat gegen den Zeitgeist, mußte aber auf Befehl („Bitte“) der Oberen davon ablassen.
Es ist zweifelsfrei so, daß die Gesellschaft Jesu auch heute noch gläubige, vernünftige und zum Kampf gegen die normative Kraft des negativ Faktischen bereite Menschen hervorbringt. Aber sie prägen nicht die Linie des Ordens.
Wie ich weiß, sind gläubige Jesuiten mit dem Zustand des Ordens sehr unglücklich.
Radikale Verweltlichung im Zeichen des Kubus
Schließlich fiel mir bei einem Besuch in der Hauptkirche des Ordens, Il Gesà¹, im Jahr 2011 auf, daß man dort einen würfelförmigen „Volksaltar“ (mit einem angedeuteten Riß in der Mitte, sehr häßlich) mit zwei Leuchtern links und rechts, installiert hatte, der 2007 noch nicht dort gestanden war.
Was auch immer das genau bedeuten soll, klar ist, daß – frei nach Töhötöm Nagy – „Jesuiten und Freimaurer“ keine Feinde mehr sein sollen und de facto ohnehin keine Feinde mehr sind (von einzelnen Ausnahmen abgesehen).
Womit wir aber wiederum beim größeren Bild wären:
Was hat das alles mit Papst Franziskus zu tun?
Wir denken in diesem Zusammenhang noch einmal an das kryptische Schreiben Evangelii gaudium. Hätte der Papst doch nur den Rat seines Ordensgründers beherzigt, das fertige Elaborat durchgestrichen und uns auf einem Drittel des Umfanges in klarer Sprache mitgeteilt, was wirklich wichtig und richtig ist!
Was aber steckt im konkreten Fall dahinter?
Meiner Einschätzung nach hat sich der Jesuitenorden (wie gesagt: als Gesamtgebilde, nicht jedes einzelne Mitglied) der Gnosis zugewandt.
Diese tritt innerhalb der Kirche in verschiedenen Masken auf: im sozialethischen Bereich als Marxismus, in der geistlichen Begleitung als Psychotherapie, Psychoanalyse und Gruppendynamik, in der Theologie und Mission (oder was davon übrig geblieben ist) als interreligiöser Dialog.
Mehr oder weniger stillschweigend vorausgesetzt ist dabei ein monistisches System: Alles ist eins, es gibt keinen Riß in der Wirklichkeit durch Engelssturz, Sündenfall und Erbsünde. „Polarisierungen“ sind zu vermeiden, es geht ausschließlich um „Integration“. Die Eschatologie spielt keine Rolle.
Konsequenterweise stellt sich auch die Jesuitenfakultät Innsbruck mit ihrem Projekt „Weltordnung – Religion – Gewalt“ als Think Tank in den Dienst der New World Order. Hiezu ganz charakteristisch der Buchtitel von P. Herwig Büchele: Eine Welt oder keine: sozialethische Grundfragen angesichts einer ausbleibenden Weltordnungspolitik. P. Büchele hat auch mit dem sozialistischen Bundeskanzler Bruno Kreisky, unter dessen Regime 1974 die Fristenlösung durchgedrückt wurde, das Buch Kirche und demokratischer Sozialismus und mit Anton Pelinka, Professor der von der Soros-Foundation finanzierten Central European University in Budapest, u. a. den Titel Weltinnenpolitik herausgegeben.
Es ist also klar, woher der Wind weht.
Die Diktion von Papst Franziskus ist meines Erachtens ganz ähnlich, seine Politik entspricht dieser weltlichen Ausrichtung.
Weichenstellung durch die 34. Generalkongregation
Durch die 34. Generalkongregation 1995 wurden die vier Leitlinien Glaube, Gerechtigkeit, Dialog und Inkulturation festgelegt. Dabei ist „Glaube“ bei weitem nicht eindeutig inhaltlich definiert, von einer klaren bekenntnisorientierten katholischen Doktrin kann eben nicht die Rede sein. „Gerechtigkeit“ ist immer „links“ interpretiert. Sie wird so gut wie nie für die Ungeborenen und für verfolgte Christen eingefordert, schon gar nicht gegen die ungerechte Enteignung durch eine maßlose Steuerlast und gegen die Diskriminierung der autochthonen Europäer durch radikale Überfremdung. „Dialog“ heißt erfahrungsgemäß, daß unzählige sinnbefreite und konsequenzenlose Konferenzen durchgeführt werden. „Inkulturation“ ist die durch die Wirklichkeit x‑fach widerlegte Illusion, man könne das Evangelium in jeder beliebigen Philosophie, Kultur und Sprache ausdrücken und strukturell umsetzen.
Resümee
Meiner Beobachtung nach herrscht im Jesuitenorden elementare Konfusion. Man hat zuungunsten des Glaubens eine Art von innerweltlichem Zukunftsoptimismus etabliert, der nun wahrhaftig kein Ordensleben mehr begründen kann. Er braucht es auch nicht.
Die Mentalität in der ordensinternen Formation ist etwa so:
Es gibt keine Feinde der Kirche mehr, alles ist eine Frage der „Konfliktbewältigung“, des „Dialogs“ und der „Offenheit“. Das radikale Böse gibt es nicht. Eine inhaltlich katholische Verkündigung zu betreiben, wäre verwerfliche „Selbstsicherheit“. Von der Hölle ist selbstverständlich auch nicht zu reden. Die Botschaft Jesu ist somit bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt.
Ist es da ein Wunder, daß der Nachwuchs ausbleibt? Wozu eine solche Lebensweise auf sich nehmen, wenn es ja letztlich nicht nötig ist? Denn der Sozialarbeiter oder Psychotherapeut kann es ja auch. Oder vermeintlich.
Die enormen Austrittszahlen erklären sich also nicht aus der Härte der Lebensweise sondern aus deren Sinnlosigkeit.
Und es ist genau diese Mentalität, die sich bei Papst Franziskus kryptisch codiert wiederfindet. Es läuft einem kalt den Rücken hinunter.
Wie man sieht, leert diese Phraseologie sukzessive den Petersplatz. Denn wen soll das schon interessieren? „Die ersten Jesuiten“ (John W. O’Malley SJ) zogen die Zuhörer in Massen an, da es um eine klare Botschaft ging. Im 20. Jahrhundert noch versammelte ein P. Johannes Leppich große Menschenmengen.
Aber jetzt? Man hat offenbar nichts mehr zu sagen. Darum bleiben die Leute aus. Und die Mitglieder.
Es ist unerbittlich: An den Früchten erkennt man den Baum.
In den kommenden Teilen wird auf diesbezügliche theologische Fragen näher eingegangen und eine Deutung der Situation versucht.
*MMag. Wolfram Schrems, Linz und Wien, Theologe, Philosoph, Katechist
Die vollständige Reihe:
- Der Jesuit auf dem Papstthron – Von zwei Katastrophen in einer Person (1. Teil)
- Der Jesuit auf dem Papstthron – 1. Exkurs: Zum 60. Todestag von Pierre Teilhard de Chardin SJ (1881–1955)
- Der Jesuit auf dem Papstthron – Von zwei Katastrophen in einer Person (2. Teil)
- Der Jesuit auf dem Papstthron – 2. Exkurs: Karl Rahner und die Zerstörung der Theologie
- Der Jesuit auf dem Papstthron – 3. Exkurs: Töhötöm Nagy, „Jesuiten und Freimaurer“
- Der Jesuit auf dem Papstthron – Von zwei Katastrophen in einer Person (3. Teil/1)
- Der Jesuit auf dem Papstthron – von zwei Katastrophen in einer Person (3. Teil/2)
- Der Jesuit auf dem Papstthron – Von zwei Katastrophen in einer Person (3. Teil/3 – Schluß)
Bild: Jesuiten.at/Wikicommons/Theol. Fakultät Innsbruck (Screenshot)/