Vorbereitungen für den Papstbesuch am Grab des heiligen Scharbel

Der Libanon und die Christen im Nahen Osten


Das Kloster des heiligen Maron in Annaya im Berglibanon, wo sich das Grab des heiligen Scharbel befindet.
Das Kloster des heiligen Maron in Annaya im Berglibanon, wo sich das Grab des heiligen Scharbel befindet.

Inmit­ten der zer­klüf­te­ten Berg­land­schaft des Zen­tral­li­ba­non lau­fen im Maro­ni­ten­klo­ster von Anna­ya die letz­ten Vor­be­rei­tun­gen für ein Ereig­nis von beson­de­rer Trag­wei­te: Anfang Dezem­ber wird Papst Leo XIV. erst­mals die Grab­stät­te des hei­li­gen Schar­bel besu­chen, eines maro­ni­ti­schen liba­ne­si­schen Mönchs, der von 1828 bis 1898 leb­te und im Liba­non heu­te als bedeu­tend­ster mit dem Land ver­bun­de­ner Hei­li­ger ver­ehrt wird. Für die Gemein­schaft der maro­ni­ti­schen Chri­sten, die seit Jahr­hun­der­ten eine tra­gen­de Rol­le in der reli­giö­sen und poli­ti­schen Viel­falt des Lan­des spie­len, bedeu­tet die­ser Besuch mehr als ein pro­to­kol­la­ri­scher Akt – es ist ein Moment tie­fen sym­bo­li­schen Gewichts.

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Rund um das Klo­ster von Sankt Maron, in dem 14 Mön­che leben, wird die Infra­struk­tur mit Hoch­druck erneu­ert. Stra­ßen wer­den asphal­tiert, neue Beleuch­tun­gen instal­liert, und selbst die Grab­stät­te des 1898 ver­stor­be­nen Ere­mi­ten erhält den letz­ten Schliff. „Die Papst­vi­si­te ruft uns dazu auf, wie Sankt Schar­bel das Evan­ge­li­um zu leben und nicht nur dar­über zu spre­chen“, erklärt Pater John Sema­an. Der Kult um den aus dem 19. Jahr­hun­dert stam­men­den Hei­li­gen, des­sen Kör­per nach sei­nem Tod wun­der­sa­me Zei­chen zeig­te, zieht jedes Jahr Hun­dert­tau­sen­de von Pil­gern an – sowohl aus dem Liba­non als auch Gläu­bi­ge aus der inzwi­schen gro­ßen maro­ni­ti­schen Diaspora.

Der Papst­be­such wird in einem Land statt­fin­den, des­sen christ­li­che Prä­senz tief ver­wur­zelt, aber zugleich fra­gil gewor­den ist. Die liba­ne­si­schen Chri­sten machen nur mehr 40 Pro­zent der Gesamt­be­völ­ke­rung aus. Der Liba­non gilt noch als der ein­zi­ge Staat der ara­bi­schen Welt mit christ­li­cher Mehr­heit. Als sol­cher wur­de er 1920 gegrün­det, um die Chri­sten im Nahen Osten zu schüt­zen. Unter die­sen bil­den die Maro­ni­ten, die seit früh­by­zan­ti­ni­scher Zeit exi­stie­ren, die größ­te Grup­pe. Sie sind seit 1182 offi­zi­ell mit Rom uniert, wobei die Maro­ni­ten nach ihrem Selbst­ver­ständ­nis beto­nen, immer in Ein­heit mit Rom gewe­sen zu sein. 

Seit der Staats­grün­dung 1920 und ins­be­son­de­re seit dem Natio­na­len Pakt von 1943 tra­gen die Maro­ni­ten wesent­lich zur poli­ti­schen Ord­nung des Lan­des bei: Der Prä­si­dent der Repu­blik ist gemäß dem Pakt und sei­ner kon­fes­sio­nel­ler Macht­ba­lan­ce immer ein Maronit.

Das Grab des hei­li­gen Schar­bel, das Papst Leo XIV. im Dezem­ber besu­chen wird

Doch die Geschich­te der Chri­sten im Liba­non ist kei­nes­wegs nur eine Erfolgs­ge­schich­te. Der Bür­ger­krieg (1975–1990) hat die Gemein­den nach­hal­tig geprägt, und seit den Kri­sen­jah­ren ab 2019 sehen sich vie­le Chri­sten – wie auch die übri­ge Bevöl­ke­rung – mit wirt­schaft­li­cher Not, Abwan­de­rung und poli­ti­scher Läh­mung kon­fron­tiert. Den­noch bleibt der Liba­non das letz­te Land der Regi­on, in dem christ­li­ches Leben in bemer­kens­wer­tem Umfang fort­be­stehen kann. (Zur Geschich­te der christ­li­chen Prä­senz im Liba­non sie­he den Hin­ter­grund­teil am Ende des Artikels.)

Neben Anna­ya berei­tet sich auch das Mari­en­hei­lig­tum von Haris­sa, eines der wich­tig­sten Wall­fahrts­zie­le des Nahen Ostens, auf den päpst­li­che Besuch vor. Schon 2012 fei­er­te Bene­dikt XVI. dort eine Mes­se, und auch dies­mal wer­den tau­sen­de Gläu­bi­ge erwar­tet. „Der Ort ist zu einem natio­na­len, spä­ter inter­na­tio­na­len Pil­ger­zen­trum gewor­den“, erklärt Wall­fahrts­di­rek­tor Kha­lil Alwan.

Indem Papst Leo XIV. sowohl die Grab­stät­te des hei­li­gen Schar­bel als auch das Hei­lig­tum Unse­rer Lie­ben Frau vom Liba­non besucht, setzt er ein star­kes Zei­chen für die geschun­de­nen christ­li­chen Gemein­schaf­ten der Regi­on. In einem Land, das sich zugleich zwi­schen Kri­se und Hoff­nung bewegt, kann der Besuch nicht nur geist­li­che Bestär­kung brin­gen, son­dern auch ein Signal sein, um die inter­na­tio­na­le Auf­merk­sam­keit auf die bedroh­te Zukunft der Chri­sten im Nahen Osten zu lenken.

Der Liba­non, ein viel­fach zer­ris­se­nes und geschun­de­nes Land, erwar­te den Besuch des Pap­stes mit Freu­de und Hoff­nung, so Staats­prä­si­dent Michel Aoun. Die Ein­la­dung hat­te das Staats­ober­haupt bereits gegen­über Papst Fran­zis­kus aus­ge­spro­chen. 2022 gab es Vor­be­rei­tun­gen für ein Tref­fen zwi­schen Fran­zis­kus und dem rus­sisch-ortho­do­xen Patri­ar­chen Kyrill, das letzt­lich aber nicht zustan­de­kam.

Das christ­li­che Leben ist im Liba­non sehr prä­sent. 2017 wur­de dem hei­li­gen Schar­bel ein rie­si­ges Stand­bild in Fera­ya, auf 1800 Metern Mee­res­hö­he, errich­tet, das weit­um sicht­bar ist. 2018 folg­te ein zwei­tes Rie­sen­stand­bild in Ham­ma­na. Im Liba­non ent­steht auch der größ­te Rosen­kranz der Welt.

Und wo Licht ist, ist auch Schat­ten.

Der Libanon

Der Liba­non ist ein reli­gi­ös und poli­tisch zer­ris­se­nes Land. 18 Reli­gi­ons­ge­mein­schaf­ten sind aner­kannt. Die Ver­fas­sung (Natio­na­ler Pakt) des seit 1943 unab­hän­gi­gen Staa­tes ver­sucht den Aus­gleich zwi­schen den ver­schie­de­nen Gemein­schaf­ten. Die­ser geriet seit 1975 aus dem Gleich­ge­wicht, als die palä­sti­nen­si­sche Befrei­ungs­or­ga­ni­sa­ti­on PLO die Macht im Liba­non an sich rei­ßen woll­te. Der Liba­non hat­te den Groß­teil der palä­sti­nen­si­schen Flücht­lin­ge und Ver­trie­be­nen auf­ge­nom­men und 1970 auch akzep­tiert, daß die PLO ihr Haupt­quar­tier ins Land ver­legt. Eine fata­le Ent­schei­dung. Als die PLO nach dem Sechs­ta­ge­krieg die Aus­sich­ten schwin­den gese­hen hat­te, den Staat Isra­el in abseh­ba­rer Zeit zu besie­gen und nach Palä­sti­na zurück­keh­ren zu kön­nen, ver­such­te sie durch Über­nah­me eines Nach­bar­staa­tes eine Ope­ra­ti­ons­grund­la­ge zu schaf­fen. Nach­dem ein Putsch­ver­such in Jor­da­ni­en ver­ei­telt wur­de, ver­such­te die PLO-Füh­rung im Liba­non die Macht zu über­neh­men. Das Ergeb­nis war ein lang­jäh­ri­ger Bür­ger­krieg, der von 1975 bis 1990 das zuvor blü­hen­de Land, das als „Schweiz der Levan­te“ bekannt war, in ein Armen­haus verwandelte.

Leid­tra­gen­de der Ent­wick­lung waren vor allem die Chri­sten, die zuvor die tra­gen­de Rol­le im Staat und vor allem in der Wirt­schaft spiel­ten. Bis in die 1950er Jah­re stell­ten die Chri­sten die Bevöl­ke­rungs­mehr­heit. Wobei auch sie in ver­schie­de­ne Kon­fes­sio­nen zer­fal­len, deren größ­te die Maro­ni­ten sind, eine mit Rom unier­te Ost­kir­che. Heu­te wird der Anteil der Mus­li­me auf 60 Pro­zent geschätzt, wobei Sun­ni­ten und Schii­ten in etwa gleich stark sind. Vie­le Chri­sten wan­der­ten seit Aus­bruch des Bür­ger­kriegs in den 1970er Jah­ren in den Westen aus, was ihre Prä­senz im Land schwäch­te. Heu­te leben mehr liba­ne­si­sche Chri­sten in der Dia­spo­ra als im Liba­non. Allein in Bra­si­li­en wird ihre Zahl der Nach­kom­men liba­ne­si­scher Chri­sten auf acht Mil­lio­nen geschätzt.

Ins­ge­samt hat der gan­ze christ­li­che Ori­ent, in dem es mit dem Liba­non sogar einen christ­li­chen Staat in direk­ter Nach­bar­schaft zum Hei­li­gen Land gab, seit dem Beginn des 20. Jahr­hun­derts, ins­be­son­de­re seit 1945, einen unge­heu­ren Ader­laß erlebt.

Die katho­lisch-chaldäi­sche Kir­che der Mel­ki­ten, so der offi­zi­el­le Namen der maro­ni­ti­schen Kir­che, ent­stand im 7. Jahr­hun­dert als Abspal­tung der syrisch-ortho­do­xen Kir­che von Antio­chi­en. Nach­dem die Mus­li­me im 10. Jahr­hun­dert ihr Zen­trum, das Klo­ster des hei­li­gen Maron in Syri­en, zer­stört hat­ten, kam es zu einer Flucht­be­we­gung in den Liba­non, wo die Maro­ni­ten inmit­ten des isla­misch gewor­de­nen Ori­ents im soge­nann­ten Berg­li­ba­non ein christ­li­ches Gebiet schu­fen, in dem um 1920 mehr als 80 Pro­zent der Ein­woh­ner Chri­sten waren. 

Im 12. Jahr­hun­dert hat­ten sich die Maro­ni­ten dem Schutz der Kreuz­rit­ter unter­stellt, als die­se das Hei­li­ge Land befrei­ten. Durch die Kreuz­rit­ter ent­stan­den erste Ver­bin­dun­gen zu Rom. Nach dem Ende der Kreuz­fah­rer­staa­ten und dem Beginn einer neu­en Wel­le der isla­mi­schen Ver­fol­gung kam es zur offi­zi­el­len Uni­on mit Rom. Seit­her erken­nen die Maro­ni­ten den Papst als Kir­chen­ober­haupt an.

Anstoß für die Errich­tung des Liba­non als eigen­stän­di­ger Staat war das Bestre­ben, den Chri­sten eine siche­re Hei­mat zu ver­schaf­fen. Die Chri­sten im Berg­li­ba­non waren zwar nicht direkt vom anti­christ­li­chen Völ­ker­mord der Osma­nen an den Arme­ni­ern, Assy­rern und Grie­chen betrof­fen, doch lit­ten sie wäh­rend des Ersten Welt­kriegs unter der ver­hee­rend­sten Hun­gers­not in der Geschich­te der Regi­on. Ursa­che war eine dop­pel­te Blocka­de: Im Lan­des­in­ne­ren errich­te­te die osma­ni­sche Füh­rung eine geziel­te Hun­ger­blocka­de gegen den über­wie­gend christ­li­chen Berg­li­ba­non, wäh­rend die mit den Osma­nen ver­fein­de­ten Bri­ten das gesam­te öst­li­che Mit­tel­meer für Nach­schub von außen abrie­gel­ten. Die Bevöl­ke­rung geriet dadurch in einen töd­li­chen Wür­ge­griff. Mehr als ein Drit­tel der Chri­sten des Berg­li­ba­non star­ben an Hun­ger und Krank­hei­ten – ein dra­ma­ti­sches Mas­sen­ster­ben, das man­che Histo­ri­ker als „Hun­ger­ge­no­zid“ bezeichnen.

Da die Schii­ten des Lan­des in den ver­gan­ge­nen Jahr­zehn­ten durch eine über­durch­schnitt­lich hohe Gebur­ten­ra­te ihren Anteil an der Bevöl­ke­rung aus­bau­en konn­ten, kam es zu Ver­schie­bun­gen, die den in der Ver­fas­sung fest­ge­leg­ten Pro­porz aus dem Gleich­ge­wicht brin­gen. Das wird nur not­dürf­tig kaschiert, indem kei­ne offi­zi­el­len Reli­gi­ons­er­he­bun­gen mehr statt­fin­den. Tat­sa­che ist jedoch, daß die Chri­sten in die Min­der­heit gedrückt wur­den und es auch inner­is­la­mi­sche zu einer Gewichts­ver­la­ge­rung gekom­men ist. Die Fol­ge sind neue Span­nun­gen. War es zunächst die PLO, die den Liba­non seit den 1970er Jah­ren in einen Gegen­satz zum süd­li­chen Nach­barn brach­te, gilt das seit den 1980er Jah­ren und vor allem heu­te für die eng mit dem Iran ver­bun­de­ne schii­ti­sche Miliz His­bol­lah.

Der Liba­non, der seit dem 16. Jahr­hun­dert zum Osma­ni­schen Reich gehör­te, wur­de nach dem Ersten Welt­krieg unab­hän­gig und zunächst ein fran­zö­si­sches Man­dats­ge­biet. 1943 folg­te schließ­lich die Zuer­ken­nung der vol­len Sou­ve­rä­ni­tät. Das Land war innen­po­li­tisch sta­bil, von der christ­li­chen Mehr­heit bestimmt und sehr euro­pä­isch geprägt. Nach Jahr­zehn­ten der bewaff­ne­ten Kämp­fe im Inne­ren, von Mili­tär­in­ter­ven­tio­nen Isra­els und Syri­ens sowie der geo­po­li­ti­schen moti­vier­ten Ein­mi­schung von außen durch den Iran und die USA ist das Land, nicht zuletzt auch durch Flücht­lings­strö­me – zuerst aus Palä­sti­na, neu­er­dings aus Syri­en – insta­bil (gemacht) gewor­den. Die Lage in dem Land, das Papst Leo XIV. besu­chen wird, ist in vie­ler­lei Hin­sicht pre­kär.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: MiL

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