(Beirut) Einen Hilferuf und eine Anklage richtet Ignatius Joseph III., der syrisch-katholische Patriarch von Antiochien und des ganzen Ostens, an den Westen:
„Wir haben große Angst, wenn diese Krise anhält, daß das in ein paar Jahren das Ende der Christen im Libanon und im gesamten Nahen Osten sein wird. Normalerweise kehren Christen, wenn sie weggehen – wie im Irak, in Syrien und in der Türkei geschehen – nicht mehr zurück. Sie fragen sich: Warum gehen wir zurück, wenn wir unseren Kindern kein anständiges Leben und keine Religionsfreiheit garantieren können?“
Der Patriarch ist das Oberhaupt der mit Rom unierten syrisch-katholischen Kirche, deren Gründung auf das Jahr 1444 zurückgeht, als der damalige syrische Patriarch Basilius IV. auf dem Konzil von Florenz die Rückkehr in die Einheit mit Rom unterzeichnete. Durch seinen kurz darauf erfolgten Tod blieb dieser Schritt jedoch folgenlos. Nach weiteren Annäherungsversuchen wurden 1662 schließlich zwei Patriarchen gewählt, ein katholischer und ein orthodoxer. Die Reihe der katholischen Patriarchen war zwischen 1702 und 1783 allerdings unterbrochen, da die osmanische Regierung nach dem Tod von Ignatius Petrus VI. den orthodoxen Zweig unterstützte und die Wahl eines katholischen Nachfolgers unterband. 1768 gab es nur mehr 200 unierte Familien. Heute zählt die syrisch-katholische Kirche fast 270.000 Gläubige.
Patriarch Ignatius Joseph III., seit 2009 im Amt, beklagte in der Vergangenheit, daß der Westen die christlichen Minderheiten im Nahen Osten verraten habe. Gegenüber der Päpstlichen Stiftung Kirche in Not sagte er nun:
„Einem Mitglied des syrisch-katholischen Klerus, der eine Aufenthaltsgenehmigung beantragen wollte, sagte ein Beamter, daß derzeit 5.000 Pässe pro Tag ausgestellt werden, und man schätzt, daß mindestens 3.000 davon für Christen bestimmt sind, die auswandern. Wir können sie nicht zum Bleiben überreden, denn sie fragen sich: Wie können wir uns dieser Situation stellen? Es gibt keine Hoffnung für unsere Zukunft! Wir müssen uns die Probleme im Libanon ansehen und den Politikern sagen, daß es genug ist. Aber vielleicht ist der Libanon für die Politiker im Westen nicht mehr von Interesse, da sie sich um andere Interessen kümmern müssen“.
In den vergangenen Tagen war es in Beirut zu gewaltsamen Zusammenstößen gekommen, bei denen sieben Menschen ums Leben kamen. Diese Auseinandersetzungen folgten auf Proteste, bei denen Demonstranten forderten, Richter Tarek Bitar von der Untersuchung der Explosion im Beiruter Hafen im August 2020 abzuziehen, bei der mehr als 200 Menschen ums Leben kamen und große Teile der Stadt verwüstet wurden, vor allem christliche Viertel.
Der Libanon befindet sich in einer schweren Wirtschaftskrise, die zu einer steigenden Inflation geführt hat. Mehr als 50 Prozent der Bevölkerung leben wegen verbreiteter Korruption, schlechter öffentlicher Infrastruktur und den Corona-Maßnahmen unterhalb der Armutsgrenze.
Patriarch Ignatius Joseph III. kritisierte erneut die Prioritäten des Westens und sagte, daß die europäischen Regierungen mehr an Tierrechten interessiert seien und sich dem Mainstream anbiederten, was auf Kosten der Unterstützung für Christen gehe:
„Der Westen tut nicht das, was er zu tun hätte, um die Minderheiten im Nahen Osten und insbesondere die Christen zu verteidigen, und zwar auf kluge und ehrliche Weise. Wir sind schon seit Jahrtausenden hier. Wir haben alle Arten von Unterdrückung ertragen…“.
Kirche in Not stellte nach der Explosion im Hafen von Beirut im Jahr 2020 mehr als 5,4 Millionen Euro für den Libanon bereit, darunter Soforthilfe und Reparaturen an Kirchengebäuden im christlichen Viertel. 2021 unterstützt Kirche in Not mehr als 100 Projekte im Libanon und im benachbarten Syrien.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: InfoCatolica