
(Rom) Anfang April wurde bekannt, daß Papst Franziskus im kommenden Juni den Libanon besuchen möchte. Nun wurde ein möglicher Hintergrund dieser Reise genannt: Im Libanon könnte das angestrebte Treffen von Franziskus mit dem russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill stattfinden. Eine im Zusammenhang mit der Ukrainekrise möglicherweise bedeutsame Begegnung, da Franziskus zwischen den Kriegsparteien zu vermitteln versucht, um den Frieden wiederherzustellen.
Am 5. April empfing der libanesische Staatspräsident General Michel Aoun den Apostolischen Nuntius Msgr. Joseph Spiteri. Der Nuntius überreichte dem Staatsoberhaupt die schriftliche Mitteilung, daß Papst Franziskus im kommenden Juni den Libanon besuchen möchte. Um eine genaue Terminabstimmung mit dem Heiligen Stuhl wurde gebeten.
Staatspräsident Aoun, ein maronitischer Christ, zeigte sich sehr erfreut, daß seine Einladung vom katholischen Kirchenoberhaupt angenommen wurde, die der General am 21. März bei seinem Empfang im Vatikan ausgesprochen hatte.
Der Libanon, ein vielfach zerrissenes und geschundenes Land, erwarte den Besuch des Papstes mit Freude und Hoffnung, so Aoun. Man wisse um die Wertschätzung, die Franziskus für den Libanon und seine Menschen hege, und um seine Initiativen und Gebete für die Herstellung von Frieden und Stabilität in dem Land am östlichen Mittelmeer.
Der Libanon ist ein religiös und politisch zerrissenes Land. 18 Religionsgemeinschaften sind anerkannt. Die Verfassung des seit 1943 unabhängigen Staates versucht den Ausgleich zwischen den verschiedenen Gemeinschaften. Dieser geriet seit 1975 aus dem Gleichgewicht, als die palästinensische Befreiungsorganisation PLO die Macht im Libanon an sich reißen wollte. Der Libanon hatte den Großteil der palästinensischen Flüchtlinge und Vertriebenen aufgenommen und 1970 auch akzeptiert, daß die PLO ihr Hauptquartier im Land aufschlägt. Eine fatale Entscheidung. Als die PLO nach dem Sechstagekrieg die Aussichten schwinden gesehen hatte, den Staat Israel in absehbarer Zeit zu besiegen und nach Palästina zurückkehren zu können, versuchte sie sich einen Nachbarstaat als Operationsgrundlage zu schaffen. Nachdem ein Putschversuch in Jordanien vereitelt wurde, versuchte die PLO-Führung im Libanon an die Macht zu gelangen. Das Ergebnis war ein langjähriger Bürgerkrieg, der das zuvor blühende Land, das als „Schweiz der Levante“ bekannt war, in ein Armenhaus verwandelte.
Der christliche Orient
Leidtragende der Entwicklung waren vor allem die Christen, die zuvor die tragenden Positionen im Staat, vor allem in der Wirtschaft innehatten. 1956 stellten die Christen mit 56 Prozent noch die Bevölkerungsmehrheit. Auch sie zerfallen in verschiedene Konfessionen, deren größte die Maroniten sind, eine mit Rom unierte Ostkirche. Heute wird der Anteil der Muslime auf 60 Prozent geschätzt, wobei Sunniten und Schiiten gleich stark sind. Viele Christen wanderten seit den 70er Jahren in den Westen aus, was ihre Präsenz im Land schwächte. Heute leben mehr libanesische Christen über die ganze Welt verstreut als im Libanon. Allein in Brasilien wird ihre Zahl auf sieben Millionen geschätzt.
Insgesamt hat der ganze christliche Orient, in dem es mit dem Libanon sogar einen christlichen Staat in direkter Nachbarschaft zum Heiligen Land gab, seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts, insbesondere seit 1945, einen ungeheuren Aderlaß erlebt.
Die katholisch-chaldäische Kirche der Melkiten, so der offizielle Namen der maronitischen Kirche, entstand im 7. Jahrhundert als Abspaltung der syrisch-orthodoxen Kirche von Antiochien. Nachdem die Muslime im 10. Jahrhundert ihr Zentrum, das Kloster des heiligen Maron in Syrien, zerstört hatten, kam es zu einer Fluchtbewegung in den Libanon, wo die Maroniten inmitten des islamisch gewordenen Orients ein christliches Gebiet schufen. Im 12. Jahrhundert unterstellten sie sich dem Schutz der Kreuzritter, wodurch erste Verbindungen zu Rom entstanden. Nach dem Ende der Kreuzfahrerstaaten und islamischer Verfolgung kam es 1445 zur offiziellen Union mit Rom. Seither erkennen die Maroniten den Papst als Kirchenoberhaupt an.
Da die Schiiten des Landes in den vergangenen Jahrzehnten durch eine überdurchschnittlich hohe Geburtenrate ihren Anteil an der Bevölkerung ausbauen konnten, kam es zu Verschiebungen, die den in der Verfassung festgelegten Proporz aus dem Gleichgewicht bringen, was nur notdürftig kaschiert wird, indem keine offiziellen Religionserhebungen mehr stattfinden. Die Folge waren neue Spannungen. Nachdem seit 1970 die PLO den Libanon in einen Gegensatz zum südlichen Nachbarn brachte, gilt das seit den 80er Jahren und vor allem heute für die eng mit dem Iran verbundene schiitische Hisbollah-Miliz.
Der Libanon wurde nach dem Ersten Weltkrieg vom Osmanischen Reich unabhängig und zunächst ein französisches Mandatsgebiet. 1943 folgte schließlich die Zuerkennung der vollen Souveränität. Das Land war innenpolitisch stabil, von der christlichen Mehrheit bestimmt und sehr europäisch geprägt. Nach Jahrzehnten der bewaffneten Kämpfe im Inneren, von Militärinterventionen Israels und Syriens und der Einmischung von außen durch den Iran und die USA ist das Land instabil gemacht geworden. Die Lage ist in vielerlei Hinsicht prekär.
Laut Verfassung stellen die Christen den Staatspräsidenten. Dieses Amt hat seit 2016 General Michel Aoun inne, der zuvor Oberbefehlshaber der libanesischen Streitkräfte war. 1990 bis 2005 verbrachte er bis zum Abzug der syrischen Truppen aus dem Land im französischen Exil.
Treffen zwischen Papst Franziskus und Patriarch Kyrill im Libanon
Die offiziell vom Vatikan noch nicht bestätigte Libanon-Reise von Papst Franziskus scheint noch einen zweiten Grund zu haben. Dort könnte bei dieser Gelegenheit das angestrebte Treffen mit dem russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill von Moskau stattfinden. Entsprechende Spekulationen gab es schon zuvor, doch nun nahm auch die russisch-orthodoxe Kirche dazu Stellung, was einer indirekten Bestätigung gleichkommt. In der wöchentlichen Sendung „Kirche und Welt“ des russischen Fernsehsender Rossiya 24 nahm Metropolit Hilarion von Wolokolamsk dazu Stellung. Er ist für die Außenbeziehungen des Moskauer Patriarchats zuständig. Der Metropolit sagte, auf die Papstreise in den Libanon angesprochen:
„Der Papst und der Patriarch wollten sich von Anfang an dort treffen, wo es Probleme gibt, wo die christliche Bevölkerung Hilfe braucht, und natürlich wird der Nahe Osten als eine der Prioritäten für ein solches Treffen angesehen.“
Und weiter:
„In der gegenwärtigen komplizierten politischen Situation müssen nicht nur Fragen zum Inhalt des Treffens zwischen dem Papst und dem Patriarchen, sondern auch Fragen der Sicherheit, des Transports und der Logistik sehr sorgfältig ausgearbeitet werden.“
Weitere Einzelheiten nannte Metropolit Hilarion nicht.
Das erste Treffen zwischen Franziskus und Kyrill fand am 13. Februar 2016 in Havanna auf Kuba statt. Eine Begegnung der beiden Kirchenoberhäupter stünde derzeit nicht nur im Zeichen des ökumenischen Dialogs, sondern vor allem des Ukrainekrieges und der sich nicht zuletzt daraus ergebenden Weltlage. Zwischen dem Moskauer Patriarchat und der russischen Staatsführung unter Präsident Wladimir Putin besteht ein enges Näheverhältnis. Papst Franziskus bemüht sich als Vermittler zwischen den Kriegsparteien um die Wiederherstellung des Friedens.

Text: Giuseppe Nardi
Bild: Youtube/Portal Jesus (Screenshot)