KI, soziale Frage und Lampedusa: Weichenstellungen des neuen Pontifikats

Bergoglios omnipräsentes Erbe


Leo XIV. mit Msgr. Antonio Staglianò (rechts), Vorsitzender der Päpstlichen Akademie für Theologie, Kardinal José Tolentino Calaça de Mendonça, Präfekt des Dikasteriums für Kultur und Bildung, und Erzbischof Bruno Forte.
Leo XIV. mit Msgr. Antonio Staglianò (rechts), Vorsitzender der Päpstlichen Akademie für Theologie, Kardinal José Tolentino Calaça de Mendonça, Präfekt des Dikasteriums für Kultur und Bildung, und Erzbischof Bruno Forte.

Nach vier Mona­ten im Amt und dem am Sonn­tag began­ge­nen 70. Geburts­tag steht der Umzug aus dem Palast des Hei­li­gen Offi­zi­ums in den Apo­sto­li­schen Palast bevor. Doch nicht nur das: Auch die Ver­öf­fent­li­chung der ersten Enzy­kli­ka von Papst Leo XIV. kün­digt sich an.
In der Diö­ze­se Rom will der neue Papst eige­ne Wege gehen – ande­re als sein Vor­gän­ger. In der Migra­ti­ons­fra­ge jedoch scheint er in des­sen Fuß­stap­fen tre­ten zu wol­len: So äußer­te er den Wunsch, „bald“ die Insel Lam­pe­du­sa zu besu­chen. Doch der Rei­he nach:

Bergoglianische Nachwehen

Anzei­ge

Sei­ne erste apo­sto­li­sche Exhorta­tio, den Armen gewid­met, soll Anfang Okto­ber ver­öf­fent­licht wer­den. Wie zu erwar­ten, han­delt es sich dabei um einen voll­stän­dig von sei­nem Vor­gän­ger, Papst Berg­o­glio, über­nom­me­nen Text – wie Leo XIV. selbst in der Ein­lei­tung des Doku­ments offen­legt. Der Text wur­de zwar über­nom­men, jedoch, wie es heißt, „über­ar­bei­tet“ – offen­bar, um ihn stär­ker an die pasto­ra­len Schwer­punk­te des neu­en Pon­ti­fi­kats anzupassen.

Damit folgt Leo XIV. einem Vor­ge­hen, das Fran­zis­kus selbst zu Beginn sei­nes Pon­ti­fi­kats wähl­te: Unter sei­nem eige­nen Namen ver­öf­fent­lich­te er die Enzy­kli­ka Lumen Fidei, die über den Glau­ben han­delt, aber noch von Bene­dikt XVI. ver­faßt wor­den war. Sie bil­de­te den Abschluß einer Tri­lo­gie über die theo­lo­gi­schen Tugen­den, die der deut­sche Papst mit Deus Cari­tas Est und Spe Sal­vi begon­nen hatte.

Aller­dings ist anzu­mer­ken, daß die­se „Höf­lich­keits­ver­öf­fent­li­chung“ im wei­te­ren Ver­lauf des berg­o­glia­ni­schen Pon­ti­fi­kats kei­ner­lei Bedeu­tung mehr erlang­te. Die Auf­merk­sam­keit des argen­ti­ni­schen Kir­chen­ober­haupts galt fort­an ganz ande­ren, eige­nen Tex­ten – von denen einer umstrit­te­ner war als der andere.

Abge­se­hen davon ist an die­ser Stel­le eine klei­ne Klam­mer auf­zu­tun: Wenn Bene­dikt XVI. so gro­ßen Wert auf die Voll­endung sei­ner Tri­lo­gie leg­te und der Text der letz­ten Enzy­kli­ka bereits fer­tig­ge­stellt war, drängt sich unwei­ger­lich die Fra­ge auf: War­um blieb er nicht zumin­dest so lan­ge im Amt, um sie selbst zu ver­öf­fent­li­chen? Der über­ra­schen­de Amts­ver­zicht Bene­dikts im Febru­ar 2013 bleibt ein Rät­sel, das bis heu­te kei­nes­wegs ent­schlüs­selt ist.
Dunk­le Schat­ten lie­gen über die­sem Rück­tritt: etwa die völ­lig unge­wöhn­li­che Rück­tritts­auf­for­de­rung durch Kar­di­nal Car­lo Maria Mar­ti­ni SJ im Juni 2012; der zeit­lich so erfolg­te Rück­tritt, daß Kar­di­nal Wal­ter Kas­per – einer der Vor­den­ker und Orga­ni­sa­to­ren des fol­gen­den berg­o­glia­ni­schen Pon­ti­fi­kats – gera­de noch auf­grund von weni­gen Tagen stimm­be­rech­tigt am Kon­kla­ve teil­neh­men konn­te; und nicht zuletzt der Aus­schluß des Vati­kans aus dem SWIFT-System durch US-Prä­si­dent Barack Oba­ma, um nur drei zu nen­nen. Aber das ist ein ande­res Thema.

Fran­zis­kus erklär­te sei­ne bis dahin unge­wöhn­li­che Ent­schei­dung zu Lumen Fidei mit den Wor­ten, daß sein unmit­tel­ba­rer Vor­gän­ger „prak­tisch bereits einen ersten Ent­wurf die­ser Enzy­kli­ka über den Glau­ben fer­tig­ge­stellt hat­te. Ich dan­ke ihm von Her­zen und über­neh­me in der brü­der­li­chen Gemein­schaft in Chri­stus sei­ne wert­vol­le Arbeit, wobei ich dem Text eini­ge eige­ne Bei­trä­ge hin­zu­fü­ge. Der Nach­fol­ger Petri ist – gestern, heu­te und immer – dazu beru­fen, sei­ne Brü­der im uner­meß­li­chen Schatz des Glau­bens zu bestär­ken, den Gott als Licht auf dem Weg eines jeden Men­schen schenkt.“ Leo XIV. hat sich die­se Wor­te zu eigen gemacht, sozu­sa­gen als sym­bo­li­scher Staf­fel­stab von sei­nem direk­ten Vor­gän­ger – da hält offen­bar eine neue Pra­xis Ein­zug im Vati­kan. Die dem­nächst zur Ver­öf­fent­li­chung anste­hen­de Apo­sto­li­sche Ermah­nung über die Armen steht daher in unmit­tel­ba­rer inhalt­li­cher Kon­ti­nui­tät mit den bei­den gro­ßen Sozi­al­enzy­kli­ken von Fran­zis­kus: Lau­da­to si’ und Fra­tel­li tut­ti.

Das erste wirkliche Dokument von Leo XIV.: eine Enzyklika zur Künstlichen Intelligenz

Um das erste Grund­satz­do­ku­ment von Leo XIV. selbst lesen zu kön­nen, wird man hin­ge­gen bis Anfang 2026 war­ten müs­sen. Dann wird der erste US-Ame­ri­ka­ner auf dem Stuhl Petri tat­säch­lich sei­ne erste Enzy­kli­ka unter­zeich­nen, die der Künst­li­chen Intel­li­genz gewid­met sein wird. 

Die Rede ist von einer neu­en Enzy­kli­ka Rer­um novarum – jener berühm­ten Enzy­kli­ka, mit der Leo XIII. im Jahr 1891 die Sozi­al­leh­re der katho­li­schen Kir­che begrün­de­te. Die Künst­li­che Intel­li­genz ist ein The­ma, das dem neu­en Papst sehr am Her­zen liegt. Das erklär­te er selbst gleich nach sei­ner Wahl und bestä­tig­te es weni­ge Tage spä­ter gegen­über den Kar­di­nä­len. Dabei erläu­ter­te er, war­um er den glei­chen Namen wie Leo XIII. gewählt habe:
„Es gibt meh­re­re Grün­de, doch der wich­tig­ste ist, daß Papst Leo XIII. mit sei­ner histo­ri­schen Enzy­kli­ka Rer­um novarum die sozia­le Fra­ge im Kon­text der ersten gro­ßen indu­stri­el­len Revo­lu­ti­on behan­del­te – und heu­te bie­tet die Kir­che allen Men­schen ihren Schatz an Sozi­al­leh­re an, um auf eine neue indu­stri­el­le Revo­lu­ti­on und auf die Ent­wick­lun­gen der Künst­li­chen Intel­li­genz zu ant­wor­ten, die neue Her­aus­for­de­run­gen für die Ver­tei­di­gung der mensch­li­chen Wür­de, der Gerech­tig­keit und der Arbeit mit sich bringen.“

Am Sams­tag wie­der­hol­te Leo XIV. die­se Aus­sa­ge in sei­ner Anspra­che bei der Audi­enz, die er den Teil­neh­mern eines vom Päpst­li­chen Theo­lo­gi­schen Insti­tut unter­stütz­ten Sym­po­si­ums gewähr­te:
„Ein bedeu­ten­des Zeug­nis des Wis­sens um den Glau­ben im Dienst des Men­schen – in all sei­nen Dimen­sio­nen, per­sön­lich, sozi­al und poli­tisch – ist die Sozi­al­leh­re der Kir­che, die heu­te dazu auf­ge­ru­fen ist, auch auf die digi­ta­len Her­aus­for­de­run­gen klu­ge Ant­wor­ten zu geben. Die Theo­lo­gie ist dabei direkt gefor­dert, denn ein rein ethi­scher Zugang zur kom­ple­xen Welt der Künst­li­chen Intel­li­genz reicht nicht aus; viel­mehr ist es not­wen­dig, sich auf eine anthro­po­lo­gi­sche Sicht­wei­se zu bezie­hen, die das ethi­sche Han­deln begrün­det, und somit zur ewi­gen Fra­ge zurück­zu­keh­ren: Wer ist der Mensch? Was ist sei­ne unend­li­che Wür­de, die sich auf kei­nen digi­ta­len Andro­iden redu­zie­ren läßt?“

Andere Wege als Franziskus in der Diözese Rom

Ande­re Wege als sein Vor­gän­ger Fran­zis­kus will Leo XIV. hin­ge­gen in der Diö­ze­se Rom gehen, kon­kret im Vika­ri­at Rom, also dem weit­aus grö­ße­ren Teil der Diö­ze­se, der außer­halb des Vati­kans liegt. Sein Reform sieht unter ande­rem die Wie­der­ein­set­zung von Weih­bi­schö­fen für die fünf Sek­to­ren der Diö­ze­se vor – ein­schließ­lich des Zen­tral­sek­tors (Alt­stadt), der von Fran­zis­kus abge­schafft wor­den war, was im Kle­rus für erheb­li­chen Unmut gesorgt hat­te. Leo XIV. fühlt sich offen­bar auch tief mit sei­ner Beru­fung als Bischof von Rom ver­bun­den. Doch anders als sein Vor­gän­ger, der in die­ser Beto­nung eher einen sym­bo­li­schen und stra­te­gi­schen Ansatz ver­folgt, scheint es Leo XIV. ernst zu mei­nen und setzt daher Zei­chen der Nähe zu sei­nem Klerus.

Dazu paßt es, daß Leo XIV. gegen­über Kar­di­nal Bald­as­sa­re Rei­na, sei­nem Gene­ral­vi­kar für die Diö­ze­se Rom, klar­mach­te, daß er selbst die Aus­wahl der neu­en Weih­bi­schö­fe vor­neh­men wer­de, ohne – wie es unter Fran­zis­kus üblich war – Vor­ga­ben des Vika­ri­ats zu akzep­tie­ren. Leo XIV. äußer­te zudem sein tie­fes Unbe­ha­gen dar­über, daß der Regens des Päpst­li­chen Römi­schen Prie­ster­se­mi­nars ein Bischof ist – und zudem noch aus dem Ambro­sia­ni­schen Ritus stammt. Fran­zis­kus hat­te den aus Mai­land stam­men­den Miche­le Di Tol­ve im Mai 2023 zum Weih­bi­schof von Rom und weni­ge Wochen spä­ter, im Juli 2023, auch zum Regens des römi­schen Prie­ster­se­mi­nars ernannt. Di Tol­ve war zuvor Regens des Prie­ster­se­mi­nars der Erz­diö­ze­se Mai­land. In Di Tol­ves Amts­zeit hat­te sich die Zahl der Semi­na­ri­sten im Mai­län­der Prie­ster­se­mi­nar halbiert.

Leo XIV. möchte nach Lampedusa: Wird das Migrations-Narrativ neu aufgelegt?

Poli­tisch bri­san­ter ist, daß Leo XIV. den Wunsch äußer­te, „bald“ die Insel Lam­pe­du­sa besu­chen zu wol­len – jenes Ziel, das Papst Fran­zis­kus für sei­ne erste Rei­se wähl­te und damit ein Grund­satz­pro­gramm in der Migra­ti­ons­fra­ge formulierte.

Fran­zis­kus mach­te die Insel – sehr zur Freu­de eines inter­es­sier­ten Estab­lish­ments – zu einem bild­ge­wal­ti­gen Sym­bol für die unein­ge­schränk­te Mas­sen­ein­wan­de­rung. Der pro­gres­si­ve Kon­zils­hi­sto­ri­ker Alber­to Mel­lo­ni stell­te die Lam­pe­du­sa-Rede des Pap­stes in eine Linie mit der in die­sen Krei­sen gefei­er­ten Eröff­nungs­an­spra­che Johan­nes’ XXIII. zum Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil – eine Gleich­set­zung, die pro­gram­ma­tisch zu ver­ste­hen ist.

Mit sei­ner Lam­pe­du­sa-Rei­se berei­te­te Fran­zis­kus den Boden für das Jahr 2015, als eben jenes poli­ti­sche Estab­lish­ment die Schleu­sen Euro­pas für eine bis dahin bei­spiel­lo­se Migra­ti­ons­wel­le öff­ne­te. Der Papst unter­stütz­te die­sen Kurs unein­ge­schränkt – und rief im Sep­tem­ber des­sel­ben Jah­res unmiß­ver­ständ­lich: „Nehmt alle auf, Gute und Schlech­te.“

Der argen­ti­ni­sche Pon­ti­fex insze­nier­te gera­de­zu einen Kult um die Migra­ti­on: Man den­ke nur an das Boot, das angeb­lich Migran­ten nach Lam­pe­du­sa gebracht hat­te, spä­ter bei päpst­li­chen Zele­bra­tio­nen als Altar dien­te und des­sen Tei­le reli­qui­en­gleich in Diö­ze­sen welt­weit gebracht wur­den – um auch dort als eine Art lit­ur­gi­sches Sym­bol ver­wen­det zu wer­den. Ziel all des­sen war offen­kun­dig, jede kri­ti­sche Debat­te über das The­ma Migra­ti­on zu tabui­sie­ren.

Es wirkt befremd­lich, wenn Leo XIV. auch in die­sem Punkt in die Fuß­stap­fen sei­nes Vor­gän­gers tre­ten will.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Vati​can​.va (Screen­shot)

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