Papst Franziskus überraschend am Sarg von Giorgio Napolitano

Eine Geste mit welchem Zweck?


Papst Franziskus gestern vor dem Sarg des verstorbenen ehemaligen italienischen Staatspräsidenten Giorgio Napolitano im Palazzo Madama
Papst Franziskus gestern vor dem Sarg des verstorbenen ehemaligen italienischen Staatspräsidenten Giorgio Napolitano im Palazzo Madama

(Rom) Papst Fran­zis­kus such­te gestern über­ra­schend den Palaz­zo Madama auf, um dem dort auf­ge­bahr­ten Leich­nam des ehe­ma­li­gen ita­lie­ni­schen Staats­prä­si­den­ten Gior­gio Napo­li­ta­no (lai­zi­stisch) die letz­te Ehre zu erwei­sen. Napo­li­ta­no war am ver­gan­ge­nen Frei­tag im Alter von 98 Jah­ren verstorben.

Anzei­ge

Fran­zis­kus ließ sich mit einem Auto zum Sitz des ita­lie­ni­schen Senats brin­gen, wo er der anwe­sen­den Wit­we sein Bei­leid aus­drück­te und dann eini­ge Augen­blicke schwei­gend vor dem Sarg ver­harr­te. Kein Kreuz­zei­chen, kein erkenn­ba­res Gebet… Ein lai­zi­sti­scher Abschied? Begrün­det wur­de der Besuch mit dem Hin­weis, daß Napo­li­ta­no 2013, als Fran­zis­kus gewählt wur­de, Ita­li­ens Staats­ober­haupt war.

Gior­gio Napo­li­ta­no (1925–2023)

Es han­del­te sich zugleich um den ersten Besuch eines Pap­stes im Palaz­zo Madama, der seit 1871 Amts­sitz des ita­lie­ni­schen Senats (bis 1947 des König­reichs, seit­her der Repu­blik Ita­li­en) ist. Benannt ist der römi­sche Renais­sance-Palast mit Barock­fas­sa­de nach Mar­ga­re­the von Öster­reich, einer Toch­ter von Kai­ser Karl V. Bevor der Palast nach der Erobe­rung Roms durch ita­lie­ni­sche Trup­pen beschlag­nahmt wur­de, befan­den sich dar­in das Finanz­mi­ni­ste­ri­um des Kir­chen­staa­tes und die päpst­li­che Postverwaltung.

Der Besuch war vom Hei­li­gen Stuhl nicht öffent­lich ange­kün­digt wor­den. Begrüßt wur­de Fran­zis­kus von Igna­zio La Rus­sa (Fra­tel­li d’Italia), dem amtie­ren­den Senatspräsidenten.

Nach dem Bekannt­wer­den von Napo­li­ta­nos Able­ben hat­te Fran­zis­kus bereits ein Bei­leids­te­le­gramm an die Fami­lie geschickt, in dem er den Ver­stor­be­nen als „Staats­mann“ mit „gro­ßen intel­lek­tu­el­len Fähig­kei­ten“ und „beseelt von der Suche nach dem Gemein­wohl“ bezeichnete.

Das hat­te man vor Fran­zis­kus schon ein­mal anders gesehen.

Vom Stalinisten zum Atlantiker

Der am 29. Juni 1925 gebo­re­ne Gior­gio Napo­li­ta­no ent­stamm­te einer bür­ger­li­chen Fami­lie Nea­pels. Sein Vater Gio­van­ni Napo­li­ta­no war ein bekann­ter Rechts­an­walt, Libe­ra­ler und füh­ren­der Frei­mau­rer in der ein­sti­gen Haupt­stadt des König­reichs Bei­der Sizi­li­en. Die Mut­ter ent­stamm­te pie­mon­te­si­schem Adel.

Kriegs­be­dingt wur­den Napo­li­ta­no zwei Schul­jah­re nach­ge­las­sen, sodaß er bereits im Herbst 1942 an der Uni­ver­si­tät sei­ner Hei­mat­stadt imma­tri­ku­lie­ren konn­te, wo er Mit­glied der faschi­sti­schen Stu­den­ten­or­ga­ni­sa­ti­on GUF wur­de, für die es nur eine frei­wil­li­ge Mit­glied­schaft gab, da Beni­to Mus­so­li­ni dar­aus „die zukünf­ti­ge faschi­sti­sche Füh­rungs­schicht“ for­men woll­te. 1944, Nea­pel war bereits von den Alli­ier­ten kon­trol­liert, in Nord­ita­li­en, wo es eine star­ke Par­ti­sa­nen­tä­tig­keit gab, wur­de aber noch gekämpft, knüpf­te Napo­li­ta­no, wie vie­le gleich­alt­ri­ge Intel­lek­tu­el­le, Kon­tak­te zu kom­mu­ni­sti­schen Krei­sen. 1945 wur­de er Mit­glied der Kom­mu­ni­sti­schen Par­tei Ita­li­ens (KPI).

1947 schloß er sein Jura­stu­di­um ab. Doch anstatt wie sein Vater Rechts­an­walt zu wer­den, wur­de er im Alter von 22 Jah­ren unter dem unum­strit­ten kom­mu­ni­sti­schen Anfüh­rer Pal­mi­ro Togliat­ti haupt­amt­li­cher Par­tei­funk­tio­när. Togliat­ti, der seit 1927 (mit kur­zer Unter­bre­chung) Gene­ral­se­kre­tär der Kom­mu­ni­sti­schen Par­tei Ita­li­ens war und sich zum Erben Anto­nio Gram­scis, sei­nes Vor­gän­gers als KP-Vor­sit­zen­den, erklärt hat­te, war 1944 aus dem Exil in der Sowjet­uni­on zurück­ge­kehrt. Der 27jährige Napo­li­ta­no wird 1953 von der KP in die Abge­ord­ne­ten­kam­mer des Ita­lie­ni­schen Par­la­ments ent­sandt, der er bis 1996, gan­ze 43 Jah­re lang, ange­hö­ren sollte.

Napo­li­ta­no ist bedin­gungs­los auf Par­tei­li­nie und daher auch über­zeug­ter Sta­li­nist. 1956 wird er vom Par­tei­kon­greß mit Unter­stüt­zung Togliat­tis in das Zen­tral­ko­mi­tee der KPI gewählt. Kurz dar­auf ver­ur­teilt er den Unga­ri­schen Volks­auf­stand. Wäh­rend ande­re Intel­lek­tu­el­le, die mit dem Kom­mu­nis­mus sym­pa­thi­siert hat­ten, sich ent­setzt abwen­den, als die Rote Armee den Auf­stand bru­tal nie­der­schlägt, ver­tei­digt Napo­li­ta­no das sowje­ti­sche Vor­ge­hen öffent­lich und ener­gisch. Er beju­belt die Sowjet­pan­zer als „Frei­heits­brin­ger“, wofür er sich spä­ter, viel spä­ter – als man ihn nach der Wen­de, als er sich auf dem Weg in die höch­sten Staats­äm­ter befin­det, damit kon­fron­tiert – ent­schul­digt. Doch 1968 unter­stütz­te er auch die Sowjet­pan­zer, die den „Pra­ger Früh­ling“ nie­der­walz­ten, wofür sich Napo­li­ta­no nie ent­schul­dig­te. Doch Kom­mu­ni­sten wer­den sol­che „Klei­nig­kei­ten“ groß­zü­gig nach­ge­se­hen. Viel­leicht des­halb, weil die Medi­en­ma­cher in der gro­ßen Mehr­zahl auch links sind?

In der kom­mu­ni­sti­schen Par­tei­zei­tung L’U­ni­tà beju­bel­te Napo­li­ta­no die Gewalt durch die Rote Armee

Noch in den 60er Jah­ren wur­de ihm, wie ande­ren kom­mu­ni­sti­schen Funk­tio­nä­ren, die Ein­rei­se in die USA ver­wei­gert, doch das ändert sich dann. Napo­li­ta­no wird „Schat­ten­au­ßen­mi­ni­ster“ der oppo­si­tio­nel­len KPI. Er wird unter US-Prä­si­dent Jim­my Car­ter mit­ten im Kal­ten Krieg als erster kom­mu­ni­sti­scher Funk­tio­när zu einer Vor­trags­rei­se in die USA ein­ge­la­den, um an den renom­mier­te­sten Uni­ver­si­tä­ten zu spre­chen. Das geschieht just zu der Zeit, als in Ita­li­en der dama­li­ge Vor­sit­zen­de der regie­ren­den Christ­de­mo­kra­ten und ehe­ma­li­ge Mini­ster­prä­si­dent Aldo Moro von den Roten Bri­ga­den ent­führt und ermor­det wird – ein Mord, der die ita­lie­ni­sche Öffent­lich­keit zutiefst erschüt­ter­te und des­sen Hin­ter­grün­de bis heu­te nicht rest­los auf­ge­klärt sind. Es fol­gen wei­te­re Rei­sen Napo­li­ta­nos nach Washing­ton, die bele­gen, daß er von den „Atlan­ti­kern“ als ver­läß­lich ein­ge­stuft wurde.

Es gilt in Rom als offe­nes Geheim­nis, daß sein Vater dem Sohn nicht nur die Lie­be zu den Para­gra­phen, son­dern auch zur gro­ßen „Bru­der­schaft“ ver­mit­telt habe, der die Fami­lie seit der Zeit der Par­the­no­päi­schen Repu­blik von 1799 ver­bun­den ist. Eine (angel­säch­si­sche) Logen­mit­glied­schaft Napo­li­ta­nos wird auch von Giu­lia­no Di Ber­nar­do, ehe­ma­li­ger Groß­mei­ster des frei­mau­re­ri­schen Groß­ori­ents von Ita­li­en, ange­deu­tet. Bele­ge dafür gibt es, im Gegen­satz zur Logen­mit­glied­schaft des Vaters und Groß­va­ters und… aber kei­ne. Als am 13. Juni 2010 Gustavo Raf­fi, der dama­li­ge Groß­mei­ster des frei­mau­re­ri­schen Groß­ori­ents von Ita­li­en, in einer Fern­seh­sen­dung über­ra­schend gefragt wur­de, ob Staats­prä­si­dent Napo­li­ta­no, aus dem Blick­win­kel der „Wer­te“ betrach­tet, ein Frei­mau­rer sein könn­te, ant­wor­te­te die­ser: „Mei­ner Mei­nung nach ja, für die Mensch­lich­keit, die Gelas­sen­heit, die Intel­li­genz, dafür, daß er den Stein bear­bei­tet hat, dafür, daß er ihn geglät­tet hat, ich sage das in der Spra­che der Frei­mau­rer, in die­sem Sin­ne ja.“
Noch bezeich­nen­der dürf­te es sein, daß der Groß­ori­ent von Ita­li­en an sei­nem Haupt­sitz der­zeit zu Ehren Napo­li­ta­nos Trau­er­be­flag­gung zeigt.

Napo­li­ta­no um 1980, als er in die USA ein­ge­la­den wurde

Für ande­re zäh­len mehr Napo­li­ta­nos Ver­bin­dun­gen zur CIA. Doch auch die­se kön­nen nicht direkt nach­ge­wie­sen wer­den, nicht für Napo­li­ta­no, sehr wohl aber für sei­nen poli­ti­schen Men­tor in der Kom­mu­ni­sti­schen Par­tei, den eben­falls aus Nea­pel stam­men­den Gior­gio Amen­do­la (1907–1980).

Die Fami­li­en Amen­do­la und Napo­li­ta­no waren in den Rei­hen der par­the­no­päi­schen Frei­mau­re­rei mit­ein­an­der ver­bun­den. Amen­do­las Vater war ein beschürz­ter Bru­der, sozia­li­sti­scher Abge­ord­ne­ter, eini­ge Zeit Theo­soph der Blava­ts­ky-Schu­le mit beson­de­rem Inter­es­se für Eso­te­rik. Sei­ne Mut­ter Eva Kühn war eine deutsch­spra­chi­ge litaui­sche Jüdin, die dem Futu­ris­mus anhing. Das Paar lern­te sich in theo­so­phi­schen Zir­keln ken­nen und hei­ra­te­te in einer Wal­den­ser­kir­che, obwohl es die­ser nicht ver­bun­den war.

Napo­li­ta­no blieb Mit­glied der Kom­mu­ni­sti­schen Par­tei bis zu deren Selbst­auf­lö­sung im Jahr 1991, um genau zu sein, bis zu deren Umbe­nen­nung in Par­tei des Demo­kra­ti­schen Sozia­lis­mus (PDS), dann in Links­de­mo­kra­ten, seit 2007 nach US-ame­ri­ka­ni­schem Vor­bild nur mehr Demo­kra­ti­sche Par­tei (PD). Nur letz­te­rer Nach­fol­ge­par­tei gehör­te er for­mal nicht mehr an, weil er inzwi­schen zum Staats­prä­si­den­ten gewählt wor­den war. Die Kom­mu­ni­sten – Ita­li­en hat­te nach dem Zwei­ten Welt­krieg die größ­te kom­mu­ni­sti­sche Par­tei des Westens – voll­zie­hen nach dem Zusam­men­bruch des Ost­blocks und dem Ende der Sowjet­uni­on eine Häu­tung. Nur eini­ge Ideo­lo­gen hal­ten als soge­nann­te „Alt­kom­mu­ni­sten“ an Ham­mer und Sichel fest. Der wen­di­ge­re Teil erklärt sich selbst für „sozi­al­de­mo­kra­ti­siert“ und sucht sich mit der „ein­zi­gen ver­blie­be­nen Welt­macht“ für neue links­li­be­ra­le Mehr­hei­ten zu arran­gie­ren. Sei­ner Auto­bio­gra­phie gab Napo­li­ta­no den ehr­li­che­ren Unter­ti­tel: „Von der KPI zum euro­päi­schen Sozia­lis­mus“.

Der Lohn der neuen Allianz

Napo­li­ta­no wird 1992 Prä­si­dent der ita­lie­ni­schen Abge­ord­ne­ten­kam­mer, 1996 Innen­mi­ni­ster, 1999 wech­selt er ins EU-Par­la­ment, dem er bereits 1989 bis 1992 ange­hört hat­te. 2005 erhält er einen Sitz im ita­lie­ni­schen Senat und wird schließ­lich 2006 von der Natio­nal­ver­samm­lung als erster Ex-Kom­mu­nist zum elf­ten Prä­si­den­ten der Ita­lie­ni­schen Repu­blik gewählt. Als 2015 sein Man­dat aus­läuft, wird er auto­ma­tisch zum Sena­tor auf Lebens­zeit. Als Staats­prä­si­dent war er ein Garant für die Mäch­ti­gen. Als er 1996 auf dem Vimi­nal sein Amt als Innen­mi­ni­ster antrat, tat er dies mit den Wor­ten: „Ich bin nicht gekom­men, um die Schrän­ke des Vimi­nals zu öff­nen“. Ein ein­deu­ti­ges Signal, daß sich bestimm­te Per­so­nen kei­ne Sor­gen machen muß­ten, nicht in Ita­li­en, nicht in Washing­ton, nicht in…

Napo­li­ta­no ver­brach­te ein Leben im Kreis der Macht und wuß­te sich unter den Mäch­ti­gen zu bewe­gen. Obwohl er in der Öffent­lich­keit kate­go­risch par­tei­li­ni­en­treu war, pfleg­te er zugleich atlan­ti­sche Kon­tak­te. Hen­ry Kis­sin­ger begrüß­te ihn 2001 herz­lich mit den Wor­ten: „Mein Lieblingskommunist“.

Als dunk­ler Schat­ten auf Napo­li­ta­nos Amts­zeit als Staats­prä­si­dent liegt sei­ne Wei­ge­rung vom 6. Febru­ar 2009, eine Not­ver­ord­nung der ita­lie­ni­schen Regie­rung – damals war Sil­vio Ber­lus­co­ni Mini­ster­prä­si­dent – zu unter­zeich­nen, mit der die Eutha­na­sie­rung der Wach­ko­ma­pa­ti­en­tin Elu­a­na Eng­la­ro ver­hin­dert wer­den soll­te. Die jun­ge Frau ließ man in einem Kran­ken­haus elend ver­hun­gern und ver­dur­sten, als die Regie­rung Ber­lus­co­ni in extre­mis mit einer Not­ver­ord­nung sie zu ret­ten ver­such­te. Um den Fall Eng­la­ro war eine hef­ti­ge Dis­kus­si­on über die Eutha­na­sie ent­brannt, bei dem sich katho­li­sche und anti­kle­ri­ka­le Kräf­te erbit­tert gegen­über­stan­den. Napo­li­ta­no schlug sich mit sei­ner Ent­schei­dung auf die Sei­te der Eutha­na­sie-Befür­wor­ter und besie­gel­te damit Eng­la­ros Tod.

In atlan­ti­scher Treue sorg­te Napo­li­ta­no dafür, daß Ita­li­en die Plä­ne zum Sturz von Muammar al-Gad­da­fi in Liby­en unter­stütz­te, mit allen ver­hee­ren­den Fol­gen, die sich bis heu­te dar­aus erge­ben. Liby­en exi­stiert seit­her als Staat nur mehr auf dem Papier und macht seit­her die berüch­ti­ge Mit­tel­meer­rou­te, Sym­bol der ille­ga­len Mas­sen­ein­wan­de­rung nach Euro­pa, möglich.

In einem auto­kra­ti­schen Akt erzwang Napo­li­ta­no 2011 inner­halb von vier Tagen den Rück­tritt Ber­lus­co­nis als Mini­ster­prä­si­dent, ernann­te er den ehe­ma­li­gen EU-Kom­mis­sar, inter­na­tio­na­len Bei­rat von Gold­man Sachs und Mit­be­grün­der der Spi­nel­li-Grup­pe Mario Mon­ti zum Sena­tor auf Lebens­zeit und setz­te des­sen Ernen­nung zum neu­en Mini­ster­prä­si­den­ten durch, dem selbst Ber­lus­co­ni und sei­ne Par­tei zustim­men mußten.

Ber­lus­co­ni hat­te Ver­hand­lun­gen über einen Aus­tritt Ita­li­ens aus dem Euro begin­nen wol­len, was sofort durch eine Straf­ak­ti­on unter­bun­den wur­de. Der „Staats­streich“ zur Besei­ti­gung einer recht­mä­ßig gewähl­ten Regie­rung eines sou­ve­rä­nen Staa­tes erfolg­te im Sin­ne der EU und der Euro­päi­schen Zen­tral­bank. Und Napo­li­ta­no war ihr aus­füh­ren­des Organ. Der Sturz eines ita­lie­ni­schen Mini­ster­prä­si­den­ten ohne Zustim­mung oder zumin­dest Dul­dung Washing­tons, wo damals Barack Oba­ma regier­te, wäre natür­lich nicht mög­lich gewe­sen. Um in Ita­li­en aus­rei­chend Kräf­te für den Putsch zu gewin­nen oder ande­re zu einem Still­hal­ten zu bewe­gen, wur­den dem Land vom Welt­wäh­rungs­fonds 135 Mil­li­ar­den Euro zuge­scho­ben. Auch Ber­lus­co­ni selbst, der den Wink mit dem Zaun­pfahl ver­stan­den hat­te, schwieg dazu. Außer­halb Ita­li­ens erfuhr die brei­te Öffent­lich­keit kaum etwas über die Hin­ter­grün­de. Eine der zahl­rei­chen media­len „Bun­ga Bunga“-Kampagnen über Ber­lus­co­ni sorg­te für die nöti­ge Ablenkung.

Die „laizistische Staatstrauerfeier“

Am 22. Sep­tem­ber ver­starb Gior­gio Napo­li­ta­no in der römi­schen Kli­nik mit dem Namen „Sal­va­tor Mundi“.

Gior­gio Napo­li­ta­no, der erste Kom­mu­nist, der zwi­schen 2006 und 2015 das höch­ste Staats­amt inne­hat­te, starb am Frei­tag­nach­mit­tag im Alter von 98 Jah­ren in der Kli­nik „Sal­va­tor Mun­di“ in Rom. Am mor­gi­gen Diens­tag wird erst­mals für einen ehe­ma­li­gen Staats­prä­si­den­ten auf sei­nen Wunsch hin ein lai­zi­sti­sches Staats­be­gräb­nis statt­fin­den. Der Staats­akt wird vom ita­lie­ni­schen Fern­se­hen direkt über­tra­gen wer­den. Bereits ande­re ehe­ma­li­ge kom­mu­ni­sti­sche Par­tei­füh­rer, die höch­ste Ämter im Staat beklei­de­ten, hat­ten einen sol­chen are­li­giö­sen Akt ver­langt, so die bei­den ehe­ma­li­gen Par­la­ments­prä­si­den­ten Pie­tro Ingrao (1976–1979) und Nil­de Iot­ti (1979–1992), Togliat­tis Lebens­ge­fähr­tin, die heu­te auf der Web­site der Euro­päi­schen Uni­on als „EU-Pio­nie­rin“ gefei­ert wird. Bei ihrer „lai­zi­sti­schen Trau­er­fei­er“ hielt Napo­li­ta­no eine Rede.

Die ita­lie­ni­sche Öffent­lich­keit wird der­zeit dar­über auf­ge­klärt, was eine „lai­zi­sti­sche Staats­trau­er­fei­er“ ist. „Die Alter­na­ti­ve zum Got­tes­dienst, die für die­je­ni­gen vor­ge­se­hen ist, die kei­nem Glau­bens­be­kennt­nis ange­hö­ren, hat kein vor­her fest­ge­leg­tes Ritu­al“, so die Pres­se­agen­tur ADN Kro­nos heute.

Was aber ver­an­laß­te Papst Fran­zis­kus gestern zum Besuch im Palaz­zo Madama, da Napo­li­ta­no auch im Tod bekann­te, weder Katho­lik noch Christ zu sein und kei­ne reli­giö­se Ver­ab­schie­dung zu wol­len? Nur tak­ti­sches Kalkül?

2021 schrieb der Histo­ri­ker und katho­li­sche Intel­lek­tu­el­le Rober­to de Mat­tei zum hun­der­sten Grün­dungs­tag der Kom­mu­ni­sti­schen Par­tei Ita­li­ens:

„Für Papst Fran­zis­kus wie für [Enri­co] Ber­lin­guer [KPI/P­CI-Vor­sit­zen­der von 1972 bis 1984] zählt die Pra­xis mehr als die Leh­re, das Han­deln mehr als das Den­ken, das Ergeb­nis mehr als die Mit­tel, um es zu errei­chen. In einem Auf­satz über ‚Lenin und unse­re Par­tei‘, der im Mai 1960 in der Rina­s­ci­ta erschien, faß­te Pal­mi­ro Togliat­ti das Wesen des Mar­xis­mus-Leni­nis­mus in einem Zitat von Marx und Engels zusammen:

‚Unse­re Theo­rie ist kein Dog­ma, son­dern eine Anlei­tung zum Handeln.‘

Der Kom­mu­nis­mus ist kei­ne Theo­rie, er ist eine revo­lu­tio­nä­re Pra­xis, und die Revo­lu­ti­on schafft nicht, son­dern zer­stört. Was zählt, ist der Sturz des Fein­des, der immer der­sel­be bleibt: die Fami­lie, das Pri­vat­ei­gen­tum, der Staat und die Kir­che. Jede Meta­mor­pho­se und jede Alli­anz ist legi­tim. Alle, die in die­sem Unter­neh­men mit­ar­bei­ten, sind will­kom­men, unab­hän­gig von den Mit­teln, die sie ein­set­zen, um die­sen Zweck zu errei­chen. Die genea­lo­gi­sche For­schung zum PCI hilft uns, die Kon­ti­nui­tät zu ver­ste­hen, die noch heu­te zwi­schen den gei­sti­gen Vor­läu­fern und ihren Erben besteht.“

Gior­gio Napo­li­ta­no wan­del­te sich vom Kom­mu­ni­sten zum Sozi­al­de­mo­kra­ten, vom Sta­li­ni­sten zum Atlan­ti­ker. Was sich nicht wan­del­te, war sei­ne athe­isti­sche Überzeugung.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Youtube/​Wikicommons (Screen­shot)

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