
2006 veröffentlichte Msgr. Victor Manuel Fernández, der neuernannte Präfekt der römischen Glaubenskongregation und bisherige Erzbischof von La Plata, eine Kritik an Msgr. Livio Melina, dem er vorwarf, daß dessen Position zur Empfängnisverhütung zu „unflexibel und lieblos“ sei. Doch diese Position ist die des kirchlichen Lehramtes.
Der neue Präfekt des Dikasteriums für die Glaubenslehre, wie die bisherige Glaubenskongregation seit einem Jahr heißt, beschwert sich seit Tagen, daß er zur Zielscheibe fadenscheiniger Anschuldigungen werde, die sich gegen seine Person richten. Dagegen verteidigt er sich unter anderem mit dem Rückgriff auf eine rassistische Argumentation, indem er die Angriffe auf seine Herkunft zurückführt: Weil er Lateinamerikaner sei, werde er nun von jenen attackiert, die meinen, eine Erbpacht auf bestimmte Posten und Ämter zu haben. Doch niemand hat bisher den Umstand kritisiert, daß Msgr. Fernández Argentinier oder Lateinamerikaner ist. Der Vorwurf hat schon auf den ersten Blick etwas Skurriles an sich, schließlich ist seit 2013 selbst der Papst ein Lateinamerikaner und Argentinier. Die Kritik an Msgr. Fernández, dem engsten Vertrauten und Ghostwriter von Papst Franziskus, hat ganz andere Gründe, Gründe, die nicht an der Oberfläche hängenbleiben, sondern inhaltlicher Natur sind.
Seine Kritiker, so der neuernannte Glaubenspräfekt, würden sich an seinem Buch über das Küssen festbeißen, doch habe er zahlreiche Artikel und Bücher von hohem theologischem Niveau geschrieben.
Genau das aber ist der springende Punkt und sorgt für Skepsis, denn in seinen Publikationen findet sich „das Schlimmste“, so Luisella Scrosati. Die Philosophin, die sich bei der Internet-Tageszeitung La Nuova Bussola Quotidiana um Fragen der Glaubenslehre kümmert und bei Radio Maria Italien die Sendung „In der Schule des heiligen Benedikt“ gestaltet, erinnert an folgende Passage einer Veröffentlichung von Msgr. Fernández:
„Es gibt auch den Fall der sexuellen Enthaltsamkeit, der der christlichen Hierarchie der Werte widerspricht, die von der Nächstenliebe gekrönt wird. Wir können zum Beispiel nicht die Augen vor den Schwierigkeiten verschließen, denen sich eine Frau gegenübersieht, wenn sie die Stabilität der Familie dadurch gefährdet sieht, daß sie ihren nicht praktizierenden Ehemann einer Enthaltsamkeit unterwirft. In diesem Fall würde die starre Verweigerung jeglicher Kondombenutzung dazu führen, daß die Beachtung einer äußeren Regel Vorrang vor der ernsten Verpflichtung hat, für die liebevolle Gemeinschaft und die Stabilität der Ehe zu sorgen, die die Nächstenliebe am unmittelbarsten fordert.“
Die Passage ist einem Aufsatz von Msgr. Fernández entnommen, damals Vizerektor der Päpstlichen Katholischen Universität von Argentinien, den er für die Revista Teología, die Vierteljahresschrift der Theologischen Fakultät der Universität [La dimensión trinitaria de la moral, II. Profundización del aspecto ético a la luz de „Deus caritas est“ (Die trinitarische Dimension der Moral, II. Die Vertiefung des ethischen Aspekts im Lichte von „Deus caritas est“), Tomo XLIII, Nr. 89, April 2006, 133–163), geschrieben hatte. Der Artikel ist eine Kritik an dem Buch „La plenitud del obrar cristiano. Dinámica della acción y perspectiva teológica de la moral“ (2001) der Theologen Livio Melina, José Noriega und Juan José Pèrez Soba. Alle drei waren Professoren der Moral- oder Pastoraltheologie am Päpstlichen Institut Johannes Paul II. für Studien über Ehe und Familie, ein Institut, das von Papst Franziskus ab 2016 radikal umgebaut wurde. Der Moraltheologe Melina war bis 2016 der Rektor des Instituts.

Die Autoren, so der Vorwurf von Fernández, hätten den Primat der Nächstenliebe nicht berücksichtigt und „die Nächstenliebe sklavisch den moralischen Tugenden und dem Naturrecht untergeordnet“ (La dimensión trinitaria, 145). Auf diese Weise würde die brüderliche Liebe nicht mehr das grundlegende hermeneutische Prinzip der Moral sein und das moralische Leben des Christen würde seinen „evangelischen Duft“ verlieren, so Fernández. Kern der Kritik von Fernández ist, daß die Nächstenliebe in der Sichtweise von Melina und seiner Mitautoren keinen eigenen Gegenstand hätte, weil das Gute nur durch die moralischen Tugenden und das Naturrecht bestimmt wird. Scrosati schreibt dazu:
„Wenn wir uns auf den ersten Absatz mit der Offenheit für die Empfängnisverhütung ‚in bestimmten Fällen‘ konzentrieren, wird deutlich, daß der ehemalige Rektor de facto die gesamte katholische Morallehre demontiert. Allein aus dieser Aussage wird schon hinreichend deutlich, daß die Enzyklika Pauls VI. aus dem Jahr 1968 (ebenso wie Veritatis Splendor) direkt in den Reißwolf wandern kann. Denn Humanae Vitae verurteilt die Empfängnisverhütung nicht ut in pluribus, sondern absolut, indem es ‚jede Handlung ausschließt, die (…) als Ziel oder Mittel vorschlägt, die Fortpflanzung zu verhindern‘ (HV, 14).
Paul VI. hatte ausdrücklich gelehrt, daß der Grund, warum der Rückgriff auf die Empfängnisverhütung in keiner Weise gerechtfertigt werden kann, in der Tatsache liegt, daß sie von Natur aus böse ist, d. h. in keinem Fall dem Guten dienen kann: ‚Es ist nicht rechtmäßig, auch nicht aus sehr schwerwiegenden Gründen, Böses zu tun, damit Gutes daraus entsteht, d. h. etwas zum Gegenstand eines positiven Willensaktes zu machen, was von Natur aus ungeordnet und daher der menschlichen Person unwürdig ist, auch wenn es in der Absicht geschieht, die individuellen, familiären oder sozialen Güter zu schützen oder zu fördern‘.
Die Aussage von Msgr. Fernández ist das genaue Gegenteil von Humanae vitae, denn sie bejaht im speziellen, was Humanae vitae generell verneint. Wer weiß, ob es nicht auch dieser Artikel war, der ins Visier der damaligen Glaubenskongregation geriet, die sich entschied, Fernández‘ Beförderung zum Rektor der Katholischen Universität von Buenos Aires nicht zu erlauben?“
Zu seiner in offenem Widerspruch zur Lehre der Kirche stehenden Schlußfolgerung gelangte Fernández wie folgt:
- das Gute einer moralischen Tugend kann „mit Bezug auf die brüderliche Liebe richtig interpretiert werden, aber niemals von ihr absehen“ (S. 143);
- in der Hierarchie der Tugenden hat die Nächstenliebe den Vorrang in der praktischen Ordnung;
- in einigen schwierigen Situationen kann ein „echtes Konkurrenzverhältnis zwischen der brüderlichen Liebe und den sittlichen Tugenden“ auftreten (S. 147);
- in diesen Situationen muß der praktische Inhalt der Nächstenliebe Vorrang haben.
Scrosati verweist auf den „Irrtum dieser Argumentation“, der grundlegender Art ist. Fernández schreibt nicht nur, daß die Verwendung des Kondoms erlaubt sei, sondern in konkreten Situationen sogar den Vorrang der Nächstenliebe am besten zum Ausdruck bringe, nämlich „die Verpflichtung, für die liebende Gemeinschaft und die eheliche Stabilität zu sorgen, die die Liebe am unmittelbarsten verlangt“, sondern daß es sogar ethisch falsch wäre, die Verhütung zu verweigern. Entsprechend schreibt er:
„Man darf nicht vergessen, daß eine objektiv richtige Entscheidung im Rahmen einer bestimmten Phase der persönlichen Geschichte einen echten egozentrischen Rückschlag auf dem Weg des persönlichen Wachstums nach sich ziehen kann.“
Der „egozentrische Rückschlag“ bestünde laut Msgr. Fernández darin, daß im Namen der Einhaltung des Naturrechts die Nächstenliebe abgetötet würde. „Dies ist eine völlig falsche Behauptung, die auf der angeblich absurden ‚Konkurrenz‘ zwischen der Nächstenliebe und den moralischen Tugenden bei der Bestimmung des unmittelbaren Ziels einer Handlung beruht“, so Luisella Scrosati. Daraus folge, so Scrosati weiter, daß laut Fernández das Moralgesetz dem Menschen völlig fremd sei, bis zu dem Punkt, da es „in bestimmten Fällen“ geopfert werden müsse, damit der Mensch moralisch gut wird.
„Bei diesem Ansatz werden die vielfältigen Konsequenzen sofort deutlich: Warum sollte die Inanspruchnahme von Verhütungsmitteln nur für ein Paar gut sein, von dem ein Ehepartner nicht praktizierend ist? Wenn der Ehepartner praktiziert, sich aber nicht beherrschen kann und droht, die Ehe zu sprengen, sollte dann nach Fernández‘ Interpretation ‚Primat der Nächstenliebe‘ nicht gelten? Oder warum könnten die Gatten einer kinderlosen Ehe nicht auf künstliche Befruchtungstechniken zurückgreifen, um die eheliche Gemeinschaft zu schützen? Oder noch einmal: Warum sollten zwei Menschen, die im Ehebruch zusammenleben und Kinder zu versorgen haben, nicht die den Eheleuten zustehenden Handlungen fortsetzen, wenn dies unerläßlich wäre, damit den Kindern Vater und Mutter erhalten bleiben? Nach der Logik des neuen Glaubenspräfekten wären sie sogar egoistisch, wenn sie das nicht täten!“
Fernández drückt es so aus:
„Deshalb ist in allen ethischen Fragen auf verschiedene Weise gefordert, daß die konkrete Unterscheidung durch jeden Menschen erforderlich ist, um das hermeneutische Grundprinzip der brüderlichen Selbsttranszendenz zu integrieren“ (S. 151).
Die Hervorhebungen finden sich im Original. „Alle“ ethischen Fragen bedeutet, daß keine ausgenommen sind. Sie können nicht nur, sondern müssen „auf verschiedene Weise“ das eigentliche Gut der Tugend zugunsten des angeblichen Primats der Nächstenliebe untergraben. Dazu Scrosati:
„Die sich daraus ergebende Realität ist die Entstellung der Liebe, die Verstümmelung der moralischen Tugenden und die Pulverisierung der in sich bösen Handlungen. Die katholische Moral ist am Ende.“
Msgr. Fernández ergänzt damit nicht nur die von Msgr. Vincenzo Paglia umgebaute Päpstliche Akademie für das Leben und das von Msgr. Philippe Bordeyne geleitete Päpstliche Theologische Institut Johannes Paul II., sondern stellt an der Spitze der Glaubenskongregation die Krönung einer falschen Weichenstellung dar, die von Papst Franziskus vorgenommen wurde. Die Glaubenskongregation, deren Aufgabe bisher darin bestand, zentrifugale und heterodoxe Kräfte zu bremsen, droht durch die Ernennung von Msgr. Fernández nicht nur ihrer Bremsen beraubt, sondern selbst zum Brandbeschleuniger zu werden.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: MiL
Der eheliche Akt soll ein beiderseitiges Schenken aus Liebe sein. Liebe will für den anderen nur Gutes, kennt Verzicht und Rücksichtnahme. Aber ist es nicht öfter vielmehr so, wie beim kommunistischen Frauentag? Das Jahr über wird den Frauen die Tür vor der Nase zugeschlagen und andere Lieblosigkeiten und dann gibt es am Frauentag eine Rose. Ist es eheliche Liebe, wenn die Frau 30 Jahre ihres Lebens jeden Monat in der Angst leben muss, wieder schwanger zu sein, weil gesundheitliche und finanzielle Gegebenheiten einer unverantwortlichen Triebbefriedigung, die sich als eheliche Liebe tarnt, entgegenstehen? Wer gefährdet denn da den familiären Zusammenhalt? Kann es sein, dass besonders der südamerikanische Mann auf seinen „Rechten“ besteht und nicht lernen will, zeitweise aus ehelicher Liebe enthaltsam zu leben? Jeder muss lernen, enthaltsam zu leben, denn alle Unverheirateten – nicht nur der zölibatäre Priester – müssen enthaltsam leben und in der Ehe eben auch zeitweise die Ehepartner, wenn eine Ehe glücklich werden soll. Das heute übliche Ausleben von lieblosem Sex zerstört jede Ehe, denn es ist gerade keine Liebe.
„Die Aussage von Msgr. Fernández ist das genaue Gegenteil von Humanae vitae, denn sie bejaht im Speziellen, was Humanae vitae generell verneint. Wer weiß, ob es nicht auch dieser Artikel war, der ins Visier der damaligen Glaubenskongregation geriet, die sich entschied, Fernández‘ Beförderung zum Rektor der Katholischen Universität von Buenos Aires nicht zu erlauben?““
Tatsächlich ist der Grund für die Untersuchung ein anderer:
Die von mir damals kritisierte Auffassung, dass jede Diözese Sitz des Nachfolgers Petri werden könne, wird bereits von den Vätern des I. Vatikanums im 2. Kanon der Konstitution „Pastor aeternus“ (Denzinger- Hünermann 3058) direkt als häretischer Widerspruch zum geoffenbarten Glauben qualifiziert. Die Vorstellung, dass „der Papst die volle, höchste und allgemeine Gewalt über die Kirche hat“ (Lumen gentium 22), d.h. die plenitudo potestatis, hat überhaupt nichts mit der unbegrenzten Befehlsgewalt weltlicher Potentaten zu tun, die sich auf eine höhere Macht berufen.
https://www.lifesitenews.com/news/exclusive-cardinal-muller-reacts-to-pope-francis-new-appointment-to-vaticans-doctrine-chief/
Aber vielleicht ist die Untersuchung gegenüber Fernandez der Grund dafür, dass Kardinal Müller abgesetzt worden ist?