Der neue Glaubenspräfekt im Widerspruch zu Humanae Vitae

Die Entsorgung der Enzyklika Humanae vitae, die progressiven Kirchenkreisen seit 1968 ein Dorn im Auge ist.


Erzbischof Victor Manuel Fernández gilt nicht als theologisches Schwergewicht. Vielmehr verweisen Kritiker, daß sich in den Schriften des neuen Glaubenspräfekten "das Schlimmste" finde.
Erzbischof Victor Manuel Fernández gilt nicht als theologisches Schwergewicht. Vielmehr verweisen Kritiker, daß sich in den Schriften des neuen Glaubenspräfekten "das Schlimmste" finde.

2006 ver­öf­fent­lich­te Msgr. Vic­tor Manu­el Fernán­dez, der neu­ernann­te Prä­fekt der römi­schen Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on und bis­he­ri­ge Erz­bi­schof von La Pla­ta, eine Kri­tik an Msgr. Livio Melina, dem er vor­warf, daß des­sen Posi­ti­on zur Emp­fäng­nis­ver­hü­tung zu „unfle­xi­bel und lieb­los“ sei. Doch die­se Posi­ti­on ist die des kirch­li­chen Lehramtes.

Anzei­ge

Der neue Prä­fekt des Dik­aste­ri­ums für die Glau­bens­leh­re, wie die bis­he­ri­ge Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on seit einem Jahr heißt, beschwert sich seit Tagen, daß er zur Ziel­schei­be faden­schei­ni­ger Anschul­di­gun­gen wer­de, die sich gegen sei­ne Per­son rich­ten. Dage­gen ver­tei­digt er sich unter ande­rem mit dem Rück­griff auf eine ras­si­sti­sche Argu­men­ta­ti­on, indem er die Angrif­fe auf sei­ne Her­kunft zurück­führt: Weil er Latein­ame­ri­ka­ner sei, wer­de er nun von jenen attackiert, die mei­nen, eine Erb­pacht auf bestimm­te Posten und Ämter zu haben. Doch nie­mand hat bis­her den Umstand kri­ti­siert, daß Msgr. Fernán­dez Argen­ti­ni­er oder Latein­ame­ri­ka­ner ist. Der Vor­wurf hat schon auf den ersten Blick etwas Skur­ri­les an sich, schließ­lich ist seit 2013 selbst der Papst ein Latein­ame­ri­ka­ner und Argen­ti­ni­er. Die Kri­tik an Msgr. Fernán­dez, dem eng­sten Ver­trau­ten und Ghost­wri­ter von Papst Fran­zis­kus, hat ganz ande­re Grün­de, Grün­de, die nicht an der Ober­flä­che hän­gen­blei­ben, son­dern inhalt­li­cher Natur sind.

Sei­ne Kri­ti­ker, so der neu­ernann­te Glau­bens­prä­fekt, wür­den sich an sei­nem Buch über das Küs­sen fest­bei­ßen, doch habe er zahl­rei­che Arti­kel und Bücher von hohem theo­lo­gi­schem Niveau geschrie­ben.
Genau das aber ist der sprin­gen­de Punkt und sorgt für Skep­sis, denn in sei­nen Publi­ka­tio­nen fin­det sich „das Schlimm­ste“, so Lui­sel­la Scro­sa­ti. Die Phi­lo­so­phin, die sich bei der Inter­net-Tages­zei­tung La Nuo­va Bus­so­la Quo­ti­dia­na um Fra­gen der Glau­bens­leh­re küm­mert und bei Radio Maria Ita­li­en die Sen­dung „In der Schu­le des hei­li­gen Bene­dikt“ gestal­tet, erin­nert an fol­gen­de Pas­sa­ge einer Ver­öf­fent­li­chung von Msgr. Fernández:

„Es gibt auch den Fall der sexu­el­len Ent­halt­sam­keit, der der christ­li­chen Hier­ar­chie der Wer­te wider­spricht, die von der Näch­sten­lie­be gekrönt wird. Wir kön­nen zum Bei­spiel nicht die Augen vor den Schwie­rig­kei­ten ver­schlie­ßen, denen sich eine Frau gegen­über­sieht, wenn sie die Sta­bi­li­tät der Fami­lie dadurch gefähr­det sieht, daß sie ihren nicht prak­ti­zie­ren­den Ehe­mann einer Ent­halt­sam­keit unter­wirft. In die­sem Fall wür­de die star­re Ver­wei­ge­rung jeg­li­cher Kon­dom­be­nut­zung dazu füh­ren, daß die Beach­tung einer äuße­ren Regel Vor­rang vor der ern­sten Ver­pflich­tung hat, für die lie­be­vol­le Gemein­schaft und die Sta­bi­li­tät der Ehe zu sor­gen, die die Näch­sten­lie­be am unmit­tel­bar­sten fordert.“

Die Pas­sa­ge ist einem Auf­satz von Msgr. Fernán­dez ent­nom­men, damals Vize­rek­tor der Päpst­li­chen Katho­li­schen Uni­ver­si­tät von Argen­ti­ni­en, den er für die Revi­sta Teo­lo­gía, die Vier­tel­jah­res­schrift der Theo­lo­gi­schen Fakul­tät der Uni­ver­si­tät [La dimen­sión tri­ni­ta­ria de la moral, II. Pro­fun­di­zación del aspec­to éti­co a la luz de „Deus cari­tas est (Die tri­ni­ta­ri­sche Dimen­si­on der Moral, II. Die Ver­tie­fung des ethi­schen Aspekts im Lich­te von „Deus cari­tas est“), Tomo XLIII, Nr. 89, April 2006, 133–163), geschrie­ben hat­te. Der Arti­kel ist eine Kri­tik an dem Buch „La ple­ni­tud del obrar cri­stia­no. Diná­mica del­la acción y per­spec­ti­va teoló­gi­ca de la moral“ (2001) der Theo­lo­gen Livio Melina, José Norie­ga und Juan José Pèrez Soba. Alle drei waren Pro­fes­so­ren der Moral- oder Pasto­ral­theo­lo­gie am Päpst­li­chen Insti­tut Johan­nes Paul II. für Stu­di­en über Ehe und Fami­lie, ein Insti­tut, das von Papst Fran­zis­kus ab 2016 radi­kal umge­baut wur­de. Der Moral­theo­lo­ge Melina war bis 2016 der Rek­tor des Instituts.

Die Autoren, so der Vor­wurf von Fernán­dez, hät­ten den Pri­mat der Näch­sten­lie­be nicht berück­sich­tigt und „die Näch­sten­lie­be skla­visch den mora­li­schen Tugen­den und dem Natur­recht unter­ge­ord­net“ (La dimen­sión tri­ni­ta­ria, 145). Auf die­se Wei­se wür­de die brü­der­li­che Lie­be nicht mehr das grund­le­gen­de her­me­neu­ti­sche Prin­zip der Moral sein und das mora­li­sche Leben des Chri­sten wür­de sei­nen „evan­ge­li­schen Duft“ ver­lie­ren, so Fernán­dez. Kern der Kri­tik von Fernán­dez ist, daß die Näch­sten­lie­be in der Sicht­wei­se von Melina und sei­ner Mit­au­toren kei­nen eige­nen Gegen­stand hät­te, weil das Gute nur durch die mora­li­schen Tugen­den und das Natur­recht bestimmt wird. Scro­sa­ti schreibt dazu:

„Wenn wir uns auf den ersten Absatz mit der Offen­heit für die Emp­fäng­nis­ver­hü­tung ‚in bestimm­ten Fäl­len‘ kon­zen­trie­ren, wird deut­lich, daß der ehe­ma­li­ge Rek­tor de fac­to die gesam­te katho­li­sche Moral­leh­re demon­tiert. Allein aus die­ser Aus­sa­ge wird schon hin­rei­chend deut­lich, daß die Enzy­kli­ka Pauls VI. aus dem Jahr 1968 (eben­so wie Veri­ta­tis Sple­ndor) direkt in den Reiß­wolf wan­dern kann. Denn Hum­a­nae Vitae ver­ur­teilt die Emp­fäng­nis­ver­hü­tung nicht ut in plu­ri­bus, son­dern abso­lut, indem es ‚jede Hand­lung aus­schließt, die (…) als Ziel oder Mit­tel vor­schlägt, die Fort­pflan­zung zu ver­hin­dern‘ (HV, 14).
Paul VI. hat­te aus­drück­lich gelehrt, daß der Grund, war­um der Rück­griff auf die Emp­fäng­nis­ver­hü­tung in kei­ner Wei­se gerecht­fer­tigt wer­den kann, in der Tat­sa­che liegt, daß sie von Natur aus böse ist, d. h. in kei­nem Fall dem Guten die­nen kann: ‚Es ist nicht recht­mä­ßig, auch nicht aus sehr schwer­wie­gen­den Grün­den, Böses zu tun, damit Gutes dar­aus ent­steht, d. h. etwas zum Gegen­stand eines posi­ti­ven Wil­lens­ak­tes zu machen, was von Natur aus unge­ord­net und daher der mensch­li­chen Per­son unwür­dig ist, auch wenn es in der Absicht geschieht, die indi­vi­du­el­len, fami­liä­ren oder sozia­len Güter zu schüt­zen oder zu för­dern‘.
Die Aus­sa­ge von Msgr. Fernán­dez ist das genaue Gegen­teil von Hum­a­nae vitae, denn sie bejaht im spe­zi­el­len, was Hum­a­nae vitae gene­rell ver­neint. Wer weiß, ob es nicht auch die­ser Arti­kel war, der ins Visier der dama­li­gen Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on geriet, die sich ent­schied, Fernán­dez‘ Beför­de­rung zum Rek­tor der Katho­li­schen Uni­ver­si­tät von Bue­nos Aires nicht zu erlauben?“

Zu sei­ner in offe­nem Wider­spruch zur Leh­re der Kir­che ste­hen­den Schluß­fol­ge­rung gelang­te Fernán­dez wie folgt:

  1. das Gute einer mora­li­schen Tugend kann „mit Bezug auf die brü­der­li­che Lie­be rich­tig inter­pre­tiert wer­den, aber nie­mals von ihr abse­hen“ (S. 143);
  2. in der Hier­ar­chie der Tugen­den hat die Näch­sten­lie­be den Vor­rang in der prak­ti­schen Ordnung;
  3. in eini­gen schwie­ri­gen Situa­tio­nen kann ein „ech­tes Kon­kur­renz­ver­hält­nis zwi­schen der brü­der­li­chen Lie­be und den sitt­li­chen Tugen­den“ auf­tre­ten (S. 147);
  4. in die­sen Situa­tio­nen muß der prak­ti­sche Inhalt der Näch­sten­lie­be Vor­rang haben.

Scro­sa­ti ver­weist auf den „Irr­tum die­ser Argu­men­ta­ti­on“, der grund­le­gen­der Art ist. Fernán­dez schreibt nicht nur, daß die Ver­wen­dung des Kon­doms erlaubt sei, son­dern in kon­kre­ten Situa­tio­nen sogar den Vor­rang der Näch­sten­lie­be am besten zum Aus­druck brin­ge, näm­lich „die Ver­pflich­tung, für die lie­ben­de Gemein­schaft und die ehe­li­che Sta­bi­li­tät zu sor­gen, die die Lie­be am unmit­tel­bar­sten ver­langt“, son­dern daß es sogar ethisch falsch wäre, die Ver­hü­tung zu ver­wei­gern. Ent­spre­chend schreibt er:

„Man darf nicht ver­ges­sen, daß eine objek­tiv rich­ti­ge Ent­schei­dung im Rah­men einer bestimm­ten Pha­se der per­sön­li­chen Geschich­te einen ech­ten ego­zen­tri­schen Rück­schlag auf dem Weg des per­sön­li­chen Wachs­tums nach sich zie­hen kann.“

Der „ego­zen­tri­sche Rück­schlag“ bestün­de laut Msgr. Fernán­dez dar­in, daß im Namen der Ein­hal­tung des Natur­rechts die Näch­sten­lie­be abge­tö­tet wür­de. „Dies ist eine völ­lig fal­sche Behaup­tung, die auf der angeb­lich absur­den ‚Kon­kur­renz‘ zwi­schen der Näch­sten­lie­be und den mora­li­schen Tugen­den bei der Bestim­mung des unmit­tel­ba­ren Ziels einer Hand­lung beruht“, so Lui­sel­la Scro­sa­ti. Dar­aus fol­ge, so Scro­sa­ti wei­ter, daß laut Fernán­dez das Moral­ge­setz dem Men­schen völ­lig fremd sei, bis zu dem Punkt, da es „in bestimm­ten Fäl­len“ geop­fert wer­den müs­se, damit der Mensch mora­lisch gut wird.

„Bei die­sem Ansatz wer­den die viel­fäl­ti­gen Kon­se­quen­zen sofort deut­lich: War­um soll­te die Inan­spruch­nah­me von Ver­hü­tungs­mit­teln nur für ein Paar gut sein, von dem ein Ehe­part­ner nicht prak­ti­zie­rend ist? Wenn der Ehe­part­ner prak­ti­ziert, sich aber nicht beherr­schen kann und droht, die Ehe zu spren­gen, soll­te dann nach Fernán­dez‘ Inter­pre­ta­ti­on ‚Pri­mat der Näch­sten­lie­be‘ nicht gel­ten? Oder war­um könn­ten die Gat­ten einer kin­der­lo­sen Ehe nicht auf künst­li­che Befruch­tungs­tech­ni­ken zurück­grei­fen, um die ehe­li­che Gemein­schaft zu schüt­zen? Oder noch ein­mal: War­um soll­ten zwei Men­schen, die im Ehe­bruch zusam­men­le­ben und Kin­der zu ver­sor­gen haben, nicht die den Ehe­leu­ten zuste­hen­den Hand­lun­gen fort­set­zen, wenn dies uner­läß­lich wäre, damit den Kin­dern Vater und Mut­ter erhal­ten blei­ben? Nach der Logik des neu­en Glau­bens­prä­fek­ten wären sie sogar ego­istisch, wenn sie das nicht täten!“

Fernán­dez drückt es so aus: 

„Des­halb ist in allen ethi­schen Fra­gen auf ver­schie­de­ne Wei­se gefor­dert, daß die kon­kre­te Unter­schei­dung durch jeden Men­schen erfor­der­lich ist, um das her­me­neu­ti­sche Grund­prin­zip der brü­der­li­chen Selbst­tran­szen­denz zu inte­grie­ren“ (S. 151). 

Die Her­vor­he­bun­gen fin­den sich im Ori­gi­nal. „Alle“ ethi­schen Fra­gen bedeu­tet, daß kei­ne aus­ge­nom­men sind. Sie kön­nen nicht nur, son­dern müs­sen „auf ver­schie­de­ne Wei­se“ das eigent­li­che Gut der Tugend zugun­sten des angeb­li­chen Pri­mats der Näch­sten­lie­be unter­gra­ben. Dazu Scrosati:

„Die sich dar­aus erge­ben­de Rea­li­tät ist die Ent­stel­lung der Lie­be, die Ver­stüm­me­lung der mora­li­schen Tugen­den und die Pul­ve­ri­sie­rung der in sich bösen Hand­lun­gen. Die katho­li­sche Moral ist am Ende.“

Msgr. Fernán­dez ergänzt damit nicht nur die von Msgr. Vin­cen­zo Paglia umge­bau­te Päpst­li­che Aka­de­mie für das Leben und das von Msgr. Phil­ip­pe Bor­dey­ne gelei­te­te Päpst­li­che Theo­lo­gi­sche Insti­tut Johan­nes Paul II., son­dern stellt an der Spit­ze der Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on die Krö­nung einer fal­schen Wei­chen­stel­lung dar, die von Papst Fran­zis­kus vor­ge­nom­men wur­de. Die Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on, deren Auf­ga­be bis­her dar­in bestand, zen­tri­fu­ga­le und hete­ro­do­xe Kräf­te zu brem­sen, droht durch die Ernen­nung von Msgr. Fernán­dez nicht nur ihrer Brem­sen beraubt, son­dern selbst zum Brand­be­schleu­ni­ger zu werden.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: MiL

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