Selenskyj kommt nach Rom und es drängt ihn in den Vatikan

NATO ante portas


Giorgia Meloni mit Wolodymyr Selenskyj in Brüssel
Giorgia Meloni mit Wolodymyr Selenskyj in Brüssel

(Rom) Seit Mitt­woch geht das Gerücht um, Wolo­dym­yr Selen­skyj könn­te am mor­gi­gen Sams­tag oder Sonn­tag Papst Fran­zis­kus im Vati­kan besu­chen. Ver­schie­de­ne Medi­en haben dies unter Beru­fung auf anony­me Quel­len berich­tet. Eini­ge berich­ten mit einem Fra­ge­zei­chen, ande­re in der Mög­lich­keits­form, wie­der ande­re als Fakt.

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Nur ein pro-ukrai­ni­scher Ver­suchs­bal­lon, um die Reak­tio­nen zu testen? Hilf­reich ist zunächst zu sehen, wer wie berich­tet, und dabei fällt auf, daß Medi­en, die der ita­lie­ni­schen Rechts­re­gie­rung nahe­ste­hen, den Besuch als Tat­sa­che berich­ten. In der Tat steht der Besuch im Vati­kan in direk­tem Zusam­men­hang mit einem Besuch Selen­sky­js bei Ita­li­ens erster Mini­ster­prä­si­den­tin Gior­gia Meloni. 

Bestä­tigt wur­de das heu­te durch einen „Blitz­be­such“ von Melo­ni im Vati­kan. Er dau­er­te nur 15 Minu­ten. Fran­zis­kus ver­mei­det Zusam­men­künf­te mit Rechts­po­li­ti­kern, doch heu­te mach­te er eine bei­spiel­lo­se Aus­nah­me. Es han­del­te sich näm­lich nicht um einen Staats­be­such, son­dern eine Pri­vat­au­di­enz. Es besteht kein Zwei­fel, daß es dabei um den mor­gi­gen Selen­skyj-Besuch ging und die ita­lie­ni­sche Mini­ster­prä­si­den­tin per­sön­lich auf das Kir­chen­ober­haupt ein­wirk­te, den ukrai­ni­schen Staats­gast zu emp­fan­gen. Zudem dien­te die ganz kurz­fri­stig ein­ge­scho­be­ne Begeg­nung, das Kir­chen­ober­haupt über den ita­lie­ni­schen Stand­punkt in der Ukrai­ne­kri­se zu informieren.

Der ukrai­ni­sche Staats­prä­si­dent war bereits in Hel­sin­ki, Den Haag und Ber­lin. Nun wird er auch nach Rom rei­sen. Sein letz­ter Besuch in der Ewi­gen Stadt fand im Febru­ar 2020 statt, als im Palaz­zo Chi­gi, dem Amts­sitz des ita­lie­ni­schen Mini­ster­prä­si­den­ten, noch die Links­re­gie­rung von Giu­sep­pe Con­te amtierte.

Gior­gia Melo­ni, Ita­li­ens poli­ti­scher Shoo­ting Star, ist kaum mehr als ein hal­bes Jahr im Amt. Sie traf Selen­skyj im ver­gan­ge­nen Febru­ar in Brüs­sel und umarm­te ihn demon­stra­tiv auf ita­lie­ni­sche Art samt Küßchen.

Im Schat­ten des ersten Tref­fens mit ihr in Rom ist nun auch eine Begeg­nung mit Papst Fran­zis­kus im Vati­kan geplant. Fran­zis­kus war in den ver­gan­ge­nen Mona­ten viel­fach zu einem Besuch in Kiew gedrängt wor­den, wozu er sich durch­aus bereit erklär­te, aller­dings unter der Bedin­gung, zuvor Mos­kau besucht zu haben. Ein Besuch im Kreml oder beim Mos­kau­er Patri­ar­chat kam bis­her aber nicht zustan­de, was mit den Ansprü­chen der rus­sisch-ortho­do­xen Kir­che zur histo­ri­schen ter­ri­to­ria­len Juris­dik­ti­on zu tun hat. Die bis­her ein­zi­ge Begeg­nung zwi­schen ihrem Ober­haupt und einem Papst fand vor weni­gen Jah­ren auf Kuba statt. Ein zwei­tes, bereits für 2022 geplan­tes und orga­ni­sier­tes Tref­fen im Liba­non, alter­na­tiv in Jeru­sa­lem, kam unter dem Ein­druck des herr­schen­den rus­sisch-ukrai­ni­schen Krie­ges nicht zustan­de.

Da Fran­zis­kus nicht nach Kiew reist, beab­sich­tigt Selen­skyj zu ihm zu kom­men, was es dem Vati­kan schwer macht – da von der ita­lie­ni­schen Regie­rung unter­stützt – eine Begeg­nung abzu­leh­nen, obwohl kein rus­si­sches Äqui­va­lent gege­ben ist. Auf eine sol­che Aus­ge­gli­chen­heit hat­te Fran­zis­kus in den ver­gan­ge­nen 16 Mona­ten gepocht, um im all­ge­mei­nen Kriegs­ge­schrei als glaub­wür­di­ger Ver­mitt­ler von Frie­dens­ge­sprä­chen auf­tre­ten zu kön­nen. Bis­her hat­te sich der Hei­li­ge Stuhl Ver­ein­nah­mungs­ver­su­chen, vor allem von west­li­cher Sei­te, erfolg­reich ent­zo­gen. Selen­sky­js „Blitz­be­such“, wie es in Rom heißt, erschwert dies – wohl nicht unbe­ab­sich­tigt. Im Vati­kan weiß man, was das bedeu­tet: NATO ante portas.

Im Mai 2022 war Papst Fran­zis­kus weit aus dem west­li­chen Chor aus­ge­schert und hat­te eine offen­sicht­li­che Wahr­heit aus­ge­spro­chen, indem er sich wei­ger­te, Ruß­land die Allein­schuld am Beginn der Kampf­hand­lun­gen im Febru­ar jenes Jah­res zuzu­wei­sen. Viel­mehr sag­te er, die NATO habe eben zu laut vor der rus­si­schen Haus­tür gebellt.

Vor allem könn­te die von Fran­zis­kus ange­kün­dig­te Frie­dens­in­itia­ti­ve tor­pe­diert wer­den, die er auf dem Rück­flug aus Ungarn andeu­te­te, wo er aber kei­ne Details nannte.

Die Umfra­gen der Mei­nungs­for­schungs­in­sti­tu­te zei­gen unter­des­sen, sechs Mona­te nach der Ange­lo­bung der ersten Rechts­re­gie­rung in der ita­lie­ni­schen Nach­kriegs­ge­schich­te, kei­ne Ver­än­de­run­gen in den Wäh­ler­prä­fe­ren­zen, weder in die eine noch in die ande­re Rich­tung. Das Rechts­bünd­nis liegt bei sta­bi­len 45 Pro­zent, das Links­bünd­nis bei schwa­chen 26 Pro­zent, die links­po­pu­li­sti­sche Fünf­ster­ne­be­we­gung bei 15 Pro­zent und das Bünd­nis der lin­ken Mit­te bei 7 Pro­zent. Das ent­spricht exakt dem Bild der Par­la­ments­wah­len vom ver­gan­ge­nen September.

Den­noch rumort es in einem dyna­mi­schen und beson­ders akti­ven Teil der Gesell­schaft, der Melo­nis Auf­stieg an den Urnen ermög­lich­te. Es macht sich Ent­täu­schung breit. Melo­ni wird vor­ge­wor­fen die ver­spro­che­ne Auf­ar­bei­tung der Coro­na-Poli­tik durch einen Unter­su­chungs­aus­schuß zu ver­schlep­pen und das Kapi­tel durch kos­me­ti­sche Ein­grif­fe in Wirk­lich­keit zu den Akten legen zu wol­len. Wäh­rend fast täg­lich gro­be Ver­feh­lun­gen der dama­li­gen Ent­schei­dungs­trä­ger, beson­ders der AIFA, des ita­lie­ni­schen Robert-Koch-Insti­tuts, bekannt wer­den, wer­den im Unter­su­chungs­aus­schuß nur jene „Exper­ten“ ange­hört, die in den ver­gan­ge­nen Jah­ren an pro­mi­nen­ter Stel­le die Coro­na-Poli­tik unter­stützt hat­ten. Eine Aus­ein­an­der­set­zung mit ande­ren Exper­ten­mei­nun­gen, die wäh­rend der Coro­na-Zeit aktiv ver­hin­dert wur­de, soll offen­bar auch wei­ter­hin nicht erfol­gen. Eine Exkul­pie­rung ist damit vorprogrammiert.

Vor allem stößt eini­gen ihr demon­stra­ti­ver trans­at­lan­ti­scher Schul­ter­schluß auf. Ein Bei­spiel: Die Mehr­heit der ita­lie­ni­schen Bevöl­ke­rung lehnt Waf­fen­lie­fe­run­gen an die Ukrai­ne ab und will schon gar nicht in den Kon­flikt hin­ein­ge­zo­gen wer­den, den­noch lie­fert die Regie­rung auf Druck von Washing­ton und Brüs­sel Waf­fen an die Ukrai­ne. Bis kurz vor den Wah­len waren von Melo­ni kri­ti­sche Töne gegen­über der EU und dem glo­ba­li­sti­schen Estab­lish­ment zu hören. Davon ist wenig übrig­ge­blie­ben. Weni­ge Wochen vor dem Urnen­gang war sie über­ra­schend Mit­glied des Aspen Insti­tu­tes, einer ein­fluß­rei­chen trans­at­lan­ti­schen Denk­fa­brik, gewor­den. Man könn­te die­ses auch eine von meh­re­ren trans­at­lan­ti­schen Kader­schmie­den und Dis­zi­pli­nie­rungs­ma­schi­nen nen­nen. Die Nach­richt sorg­te für Ver­wun­de­rung, hat­te aber auf den Wahl­aus­gang kei­nen Ein­fluß mehr.

Die Mit­tel­meer­rou­te für die ille­ga­le Ein­wan­de­rung, ein Haupt­the­ma ihres Wahl­kamp­fes, wur­de von ihr nicht geschlos­sen. Viel­mehr möch­te sie unter Ver­weis auf die demo­gra­phi­sche Kri­se in ihrem Land eine hal­be Mil­li­on Ein­wan­de­rer anwer­ben. Eine nen­nens­wer­te Ände­rung der Fami­li­en­po­li­tik zur Über­win­dung der Gebur­ten­flau­te wur­de indes nicht ein­ge­läu­tet. Es ster­ben fast dop­pelt so vie­le Men­schen, wie neu gebo­ren werden. 

Schließ­lich möch­te Melo­ni nicht nur im Ukrai­ne-Kon­flikt im Sin­ne Washing­tons han­deln, son­dern auch gegen­über der Volks­re­pu­blik Chi­na. Die EU-kri­ti­sche Regie­rung aus Fünf­ster­ne­be­we­gung und Lega, die 2018/​2019 für ein Jahr im Amt war, hat­te Inter­es­se an einer Betei­li­gung an dem chi­ne­si­schen Sei­den­stra­ßen-Pro­jekt gezeigt. Nach deut­li­chen War­nun­gen aus Washing­ton und folg­lich auch aus Brüs­sel wur­de die­se damals sen­sa­tio­nel­le Regie­rungs­kon­stel­la­ti­on, nach nur einem Jahr im Amt, in die Luft gesprengt. Die Lega von Matteo Sal­vi­ni warf der Fünf­ster­ne­be­we­gung vor, sie habe sich von Brüs­sel ein­kau­fen las­sen. In der Tat waren 2019 die Stim­men der Fünf­ster­ne­be­we­gung im EU-Par­la­ment aus­schlag­ge­bend für die Wahl von Ursu­la von der Ley­en zur EU-Kom­mis­si­ons­prä­si­den­tin. Glei­ches geschah dann 2021 aller­dings auch mit der Lega, die in die Regie­rung von Mario Draghi ein­trat und sich der­zeit an ihre Poli­tik 2018/​2019 nicht mehr erin­nern will. Die Unter­ord­nung unter das trans­at­lan­ti­sche Macht­kar­tell, sprich, die Akzep­tanz einer beding­ten Sou­ve­rä­ni­tät, voll­zog sich bei Melo­ni offen­bar noch schnel­ler. Dabei hat­te sie ihren Wahl­kampf gera­de auf der Beto­nung von Iden­ti­tät und Sou­ve­rä­ni­tät aufgebaut.

Das ver­wun­dert aber nicht wirk­lich, da Ita­li­en zusam­men mit Deutsch­land zu den Besieg­ten des Zwei­ten Welt­krie­ges gehört. In den bei­den Nach­fol­ge­staa­ten, der Repu­blik Ita­li­en und der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land, befin­den sich seit­her kon­zen­triert die US-Mili­tär­stütz­punk­te in Euro­pa. (Die Kom­man­do­zen­tra­le der USA für die Ope­ra­tio­nen in der Ukrai­ne befin­det sich bei Stutt­gart. Die Luft­auf­klä­rung über dem Schwar­zen Meer und Rumä­ni­en erfolgt vom ita­lie­ni­schen Sigo­nella aus.) Ent­spre­chend lenk­te und kon­trol­lier­te Washing­ton zu jedem Zeit­punkt die Außen­po­li­tik die­ser bei­den Län­der. Soweit also nichts Neu­es. Was sich in den ver­gan­ge­nen 78 Jah­ren aber geän­dert hat, ist das poli­ti­sche Per­so­nal in Ita­li­en (und auch Deutsch­land). Die poli­ti­sche Nach­kriegs­ge­nera­ti­on, meist in der Zwi­schen­kriegs­zeit sozia­li­siert, wuß­te um die fremd­be­stimm­te Situa­ti­on und ihren ein­ge­schränk­ten Hand­lungs­spiel­raum. Die Mehr­heit der Ita­lie­ner zog, vor die Wahl gestellt, die West­bin­dung einer Zukunft als Sowjet­re­pu­blik vor, wenn anfangs auch eher knapp. Die­ses still­schwei­gen­de Wis­sen ist in den jün­ge­ren Gene­ra­tio­nen ver­blaßt, die nie einen ande­ren Sta­tus kann­ten. Par­al­lel inten­si­vier­te sich durch Lob­by­ing die Ein­mi­schung auch in innen­po­li­ti­schen Fra­gen, vor allem sol­chen öko­no­mi­scher Art, etwa dem mit der Geo­po­li­tik ver­bun­de­nen Ener­gie­sek­tor, aber auch in ande­re Wei­chen­stel­lun­gen, bei denen es um das „gro­ße Geschäft“ geht. Die heu­ti­ge Poli­ti­ker­ge­nera­ti­on scheint sich aktiv mit die­sem Sta­tus zu iden­ti­fi­zie­ren, ein Außen­ge­biet Washing­tons zu sein. Wobei zu unter­schei­den ist zwi­schen den Inter­es­sen der USA und jenen von US-Olig­ar­chen, die aller­dings gro­ßen Ein­fluß auf die US-Regie­rung aus­üben, wes­halb die bei­den Inter­es­sen­strän­ge sich wie­der­holt ver­men­gen, ins­be­son­de­re derzeit.

Offi­zi­el­le Bestä­ti­gun­gen des Selen­skyj-Besuchs ste­hen noch aus. Die Sache scheint jedoch fix. Hin­ter den Kulis­sen wird aber noch hef­tig gefeilscht, mehr noch im Vati­kan als in Roms Altstadt.

Text: Andre­as Becker/​Giuseppe Nar­di
Bild: MiL

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