Ukraine-Konflikt: Hat Papst Franziskus seinen Kurs geändert?

Sieben-Punkte-Friedensplan, Donbaß und polnische Ambitionen


Papst Franziskus empfing Anfang November Großerzbischof Swjatoslaw Schewtschuk in Audienz, mit einigen Konsequenzen.
Papst Franziskus empfing Anfang November Großerzbischof Swjatoslaw Schewtschuk in Audienz, mit einigen Konsequenzen.

Streif­lich­ter von Andre­as Becker

Anzei­ge

„Uner­müd­lich bie­tet sich Papst Fran­zis­kus wei­ter­hin als Frie­dens­ver­mitt­ler an“, schreibt der Vati­ka­nist San­dro Magi­ster. Hat Fran­zis­kus aber im Ukrai­ne­kon­flikt sei­ne Glaub­wür­dig­keit als neu­tra­ler Ver­mitt­ler ver­spielt? Wenn ja, wem gelingt es dann, in die­sem Krieg die not­wen­di­gen Frie­dens­in­itia­ti­ven zu set­zen, um Mos­kau und Kiew, oder wie man­che sagen, bes­ser Mos­kau und Washing­ton an einen Ver­hand­lungs­tisch zu bringen?

Fran­zis­kus hielt sich, zur Miß­stim­mung west­li­cher Staats­kanz­lei­en und Mei­nungs­ma­cher von vor­ei­li­gen Ver­ur­tei­lun­gen fern, um für alle Kon­flikt­par­tei­en ein mög­li­cher Ansprech­part­ner zu sein. Hin­ter den Kulis­sen bemüht sich die vati­ka­ni­sche Diplo­ma­tie mit gro­ßem Ein­satz, Dia­log­mög­lich­kei­ten aus­zu­lo­ten. Inof­fi­zi­ell steht das Ange­bot von Fran­zis­kus im Raum, im Vati­kan als neu­tra­lem Boden Frie­dens­ver­hand­lun­gen zu füh­ren. Der Papst ist die rang­höch­ste west­li­che Auto­ri­tät, die eine ein­sei­ti­ge Schuld­zu­wei­sung an Ruß­land ablehn­te und der NATO, sprich Washing­ton, eine Mit­schuld am Aus­bruch des Krie­ges zuschrieb. Im Mai hat­te er in einem Inter­view gesagt, die NATO habe zu laut vor Ruß­lands Türen gebellt und Mos­kau pro­vo­ziert. Er hat­te eben­so ange­pran­gert, daß der Krieg ein Pro­dukt des Waf­fen­han­dels sei, um Waf­fen ver­kau­fen und neue Waf­fen testen zu kön­nen. Er beharr­te dar­auf, nicht von einem rus­sisch-ukrai­ni­schen Krieg zu spre­chen, son­dern von einem neu­en Welt­krieg. Auch das ein Hin­weis, daß die Inter­es­sen­la­ge bei wei­tem über das hin­aus­geht, was es auf den ersten Blick scheint. Fran­zis­kus ging soweit, in Fra­ge zu stel­len, daß es über­haupt einen „gerech­ten Krieg“ geben kön­ne. (Sie­he dazu Rober­to de Mat­tei: Ist Krieg immer unge­recht?)

In den ver­gan­ge­nen zehn Tagen könn­te sich jedoch eini­ges ver­än­dert haben, folgt man eini­gen Kom­men­ta­to­ren. Hat sich auch Fran­zis­kus aus dem „Ren­nen“ um den Frie­den genom­men wie zuvor schon rei­hen­wei­se euro­päi­sche Poli­ti­ker? Hilft die bedin­gungs­lo­se Front­bil­dung auf dem Weg zum Frie­den, oder ver­hin­dert sie die­ser vielmehr?

Aus Mos­kau waren zuletzt erstaun­lich har­te Wor­te in Rich­tung San­ta Mar­ta zu hören. Anlaß waren Äuße­run­gen von Fran­zis­kus gegen­über der US-ame­ri­ka­ni­schen Jesui­ten­zeit­schrift Ame­ri­ca. (Sie­he dazu Hacker­an­griff gegen den Vati­kan – wer steckt dahin­ter?) Die Spre­che­rin des rus­si­schen Außen­mi­ni­ste­ri­ums, Maria Sacha­rowa, empör­te sich:

„Das ist nicht ein­mal eine anti­rus­si­sche Hal­tung, son­dern eine uner­hör­te Ver­dre­hung der Wahrheit.“

Der rus­si­sche Bot­schaf­ter beim Hei­li­gen Stuhl, Alex­an­der Awde­jew, mit dem es bis­her von vati­ka­ni­scher Sei­te engen und freund­li­chen Umgang gab, reagier­te „empört“ und sprach von „Unter­stel­lun­gen“.

Ruß­lands Außen­mi­ni­ster Ser­gei Law­row hielt sich zunächst zurück, mel­de­te sich dann aber auch zu Wort, um die Aus­sa­gen von Fran­zis­kus gar als „unchrist­lich“ zu brandmarken:

„Der Vati­kan hat gesagt, daß sich so etwas nicht wie­der­ho­len wird und daß es sich wahr­schein­lich um ein Miß­ver­ständ­nis han­delt, aber das trägt nicht dazu bei, die Auto­ri­tät des Kir­chen­staa­tes zu stärken.“

Die Ver­tre­ter des vati­ka­ni­schen Staats­se­kre­ta­ri­ats hat­ten den Brand zu löschen ver­sucht und sich auf höch­ster Ebe­ne um Beru­hi­gung bemüht.

Die Klugheit und ein Fauxpas

Was aber hat­te Fran­zis­kus gesagt, das in Ruß­land sol­che Empö­rung aus­lö­ste? Fran­zis­kus hat­te im Inter­view mit Ame­ri­ca auf den west­li­chen Druck ver­wie­sen, Ruß­lands Prä­si­den­ten Wla­di­mir Putin und die rus­si­sche Regie­rung zu ver­ur­tei­len, und erklärt, war­um es nicht klug sei, jene, die man an den Ver­hand­lungs­tisch brin­gen will, stän­dig zu verurteilen.

Dabei unter­lief dem Papst aber ein diplo­ma­ti­scher Faux­pas, falls es nicht Absicht war: Um die von ihm ange­mahn­te Klug­heit wal­ten zu las­sen, aber den­noch west­li­chen Erwar­tun­gen ent­ge­gen­zu­kom­men, sprach Fran­zis­kus Ver­ur­tei­lun­gen aus, aller­dings der drit­ten Rei­he und das unkon­kret ver­all­ge­mei­nernd. Er erklär­te, „vie­le Infor­ma­tio­nen über die Grau­sam­keit“ der rus­si­schen Trup­pen in der Ukrai­ne zu haben. Dem nicht genug, leg­te der Papst noch nach:

„Die Grau­sam­sten sind im all­ge­mei­nen viel­leicht jene, die aus Ruß­land kom­men, aber nicht aus der rus­si­schen Tra­di­ti­on, wie die Tsche­tsche­nen, die Bur­ja­ten und so weiter“.

In sei­nem Ver­such, nie­mand nament­lich zu nen­nen und zah­len­mä­ßig auf Spat­zen zu schie­ßen – die Tsche­tsche­nen machen ein Pro­zent, die Bur­ja­ten nur 0,3 Pro­zent der Bevöl­ke­rung Ruß­lands aus –, bekam sei­ne Kri­tik einen ras­si­sti­schen Zun­gen­schlag. Dar­auf muß­te die rus­si­sche Füh­rung reagie­ren, um den inne­ren Zusam­men­halt der vie­len Völ­ker, Volks­grup­pen, Ras­sen und Reli­gio­nen nicht zu gefähr­den. Die Tsche­tsche­nen im Nord­kau­ka­sus sind Mus­li­me, die Bur­ja­ten in Sibi­ri­en sind bud­dhi­sti­sche Mongolen.

Im Süd­osten (rosa) die rus­sisch besetz­ten und annek­tier­ten Gebie­te; im Westen (rot umran­det) das mehr­heit­lich katho­li­sche Gebiet, (rot strich­liert) die Gebie­te mit starken/​nennenswerten katho­li­schen Minderheiten.

Kom­mu­ni­ka­ti­ons­feh­ler sind alles ande­re als aus­ge­schlos­sen. Fran­zis­kus spricht häu­fig spon­tan und gibt zahl­rei­che Inter­views. Vor allem aber ver­sucht er auf sei­ne jewei­li­gen Gesprächs­part­ner ein­zu­ge­hen, und das waren US-Ame­ri­ka­ner. Das macht die Grat­wan­de­rung schwierig. 

Als kurz nach der Ver­öf­fent­li­chung des Ame­ri­ca-Inter­views ein Hacker­an­griff auf die offi­zi­el­le Inter­net­sei­te des Hei­li­gen Stuhls statt­fand, wur­de im Westen sofort mit dem Fin­ger auf „die Rus­sen“ gezeigt. Doch Zurück­hal­tung ist die Mut­ter der Klug­heit. Fran­zis­kus sag­te in dem Inter­view zahl­rei­che ande­re Din­ge, die im Westen wenig Freu­de aus­ge­löst haben.

Schewtschuks Besuch in Rom

Die Fra­ge ist seit­her, ob es sich um ein Miß­ver­ständ­nis han­del­te oder ob Fran­zis­kus nach bald zehn Kriegs­mo­na­ten eine Kurs­än­de­rung voll­zo­gen hat. Dage­gen spricht eini­ges. Fran­zis­kus ist für sein Behar­ren auf einen ein­mal ein­ge­nom­me­nen Stand­punkt bekannt. Bekannt sind auch die Grund­zü­ge sei­ner geo­po­li­ti­schen Vor­stel­lun­gen. Noch weni­ger glaub­wür­dig ist, daß er einen Krieg bis zum „Sieg der Ukrai­ne“, sprich, der Nie­der­la­ge Ruß­lands wünscht.

Es ist daher ein Blick auf das not­wen­dig, was in den Tagen vor dem Inter­view gesche­hen ist. Das Ame­ri­ca-Inter­view fand am 22. Novem­ber statt und wur­de am 28. Novem­ber ver­öf­fent­licht. Am 7. Novem­ber hat­te Fran­zis­kus Groß­erz­bi­schof Swja­to­slaw Schewtschuk von Kiew-Halytsch der ukrai­ni­schen grie­chisch-katho­li­schen Kir­che in Audi­enz empfangen.

Es hieß zuletzt oft, Fran­zis­kus und Schewtschuk, die sich noch aus Bue­nos Aires ken­nen, hät­ten ein enges, freund­schaft­li­ches Ver­hält­nis. Das stimmt aber nur bedingt. Als es 2016 auf Kuba zum histo­ri­schen Tref­fen zwi­schen dem Papst und dem rus­sisch-ortho­do­xen Patri­ar­chen von Mos­kau kam, waren aus der mit Rom unier­ten grie­chisch-katho­li­schen Kir­che der Ukrai­ne laut­star­ke Töne einer ern­sten Ver­stim­mung zu hören. Fran­zis­kus sah sich gedrängt, beson­de­re Gesten zu set­zen, um die Unstim­mig­kei­ten eini­ger­ma­ßen auszuräumen.

Es ist viel­mehr ein gewis­ses ukrai­ni­sches Miß­trau­en, das seit­her die Stim­mung prägt. Schewtschuk bemüh­te sich in der Audi­enz inten­siv, Papst Fran­zis­kus für die ukrai­ni­sche Sache zu gewin­nen, womit nicht die huma­ni­tä­ren Aspek­te gemeint sind, son­dern jene ein­sei­ti­ge poli­ti­sche Unter­stüt­zung, die Fran­zis­kus bis­her nicht in der Wei­se gewährt hat­te, wie sie die Ach­se Kiew-Brüs­sel-Washing­ton wünscht. Wie es heißt, zog Schewtschuk dabei zahl­rei­che Regi­ster und erreich­te, daß sich Fran­zis­kus mit einem Brief direkt an das ukrai­ni­sche Volk wand­te. Die­ser Brief, sehr bewe­gend ver­faßt, wur­de am 24. Novem­ber ver­öf­fent­licht und geht nicht nur auf eine Anre­gung des ukrai­ni­schen Groß­erz­bi­schofs zurück, son­dern erin­nert in Spra­che und Stil so deut­lich an des­sen eige­ne Stel­lung­nah­men, daß die Autoren­schaft im wesent­li­chen Schewtschuk zuzu­schrei­ben ist.

Fran­zis­kus kam den Wün­schen, die durch den unier­ten Kir­chen­obe­ren im Namen der Ukrai­ner an ihn her­an­ge­tra­gen wur­den, in hohem Maße ent­ge­gen. Auf Schewtschuk geht auch zurück, daß Fran­zis­kus in die­sem Brief des Hei­li­gen Vaters an das ukrai­ni­sche Volk, son­dern schon bei der Gene­ral­au­di­enz am 23. Novem­ber, beim Ange­lus am 27. Novem­ber und am 28. Novem­ber im Ame­ri­ca-Inter­view den Holo­do­mor, in dem 1932/​33 Mil­lio­nen von Ukrai­nern ver­hun­ger­ten, als „schreck­li­chen Völ­ker­mord“ bezeich­ne­te. Der Papst sprach von einer „Aus­rot­tung durch Ver­hun­gern“, die von Sta­lin, dem kom­mu­ni­sti­schen Dik­ta­tor, durch eine „künst­lich her­bei­ge­führ­te“ Hun­gers­not erzielt wurde.

Das ent­spricht der Diplo­ma­tie von Fran­zis­kus: Er spricht von einem histo­ri­schen Ereig­nis, um dem ukrai­ni­schen Volk bei­zu­ste­hen, ohne im heu­ti­gen Ereig­nis direkt Par­tei zu ergrei­fen. Dabei ging Fran­zis­kus soweit, von einem „histo­ri­schen Prä­ze­denz­fall“ zu sprechen.

Im Gefol­ge von Schewtschuks Besuch und dem päpst­li­chen Brief erhöh­ten sich die media­len Bemü­hun­gen, Fran­zis­kus für das anti­rus­si­sche Boot zu rekla­mie­ren. Die Kurs­än­de­rung wird aller­dings von inter­es­sier­ter Sei­te mehr her­bei­ge­schrie­ben. Die Wort­wahl von Fran­zis­kus gegen­über der US-ame­ri­ka­ni­schen Zeit­schrift bezeich­ne­te eine Quel­le im vati­ka­ni­schen Staats­se­kre­ta­ri­at als „unvor­sich­tig“. Nach dem Geschmack des Staats­se­kre­ta­ri­ats habe Fran­zis­kus Schewtschuk etwas zu stark die Hand füh­ren las­sen. Von einer Kurs­än­de­rung sei jedoch kei­ne Rede.

Nicht Schewtschuk hat die Linie des Vati­kans gefähr­det, son­dern die Spon­ta­nei­tät von Papst Franziskus.

Nein zu Waffenlieferungen und Sieben-Punkte-Friedensplan

Die Frie­dens­be­we­gung in Ita­li­en, stark von links­ka­tho­li­schen Krei­sen geprägt, die Fran­zis­kus vor Augen hat, lehnt Waf­fen­lie­fe­run­gen an die Ukrai­ne kate­go­risch ab. Doch die­se will auch die neue ita­lie­ni­sche Mini­ster­prä­si­den­tin Gior­gia Melo­ni fort­set­zen und signa­li­sier­te damit, sich außen­po­li­tisch Washing­ton zu fügen. Sie hol­te sich Ende Novem­ber vom Par­la­ment ein Man­dat, die Abtre­tung von Waf­fen und Rüstungs­gü­tern an die Ukrai­ne das gan­ze Jahr 2023 fort­set­zen zu kön­nen. Fran­zis­kus hat bis­her mit kei­nem Wort Waf­fen­lie­fe­run­gen gut­ge­hei­ßen oder auch nur Ver­ständ­nis dafür gezeigt.

Soweit wie Andrea Ric­car­di, der Grün­der der Gemein­schaft von Sant’Egidio, ging der Papst aller­dings nie. Ric­car­di hat­te im Früh­jahr gefor­dert, Kiew zur „offe­nen Stadt“ zu erklä­ren, um ein Blut­ver­gie­ßen und Zer­stö­run­gen zu ver­hin­dern, was eine kampf­lo­se Beset­zung der ukrai­ni­schen Haupt­stadt durch die rus­si­schen Trup­pen bedeu­tet hät­te. Bei der gro­ßen Frie­dens­kund­ge­bung am 5. Novem­ber in Rom, bei der Ric­car­di die Schluß­re­de hielt, waren wenig ver­wun­der­lich kei­ne ukrai­ni­schen Fah­nen zu sehen.

Fran­zis­kus steht der Posi­ti­on des Avve­ni­re näher, der Tages­zei­tung der Ita­lie­ni­schen Bischofs­kon­fe­renz, die täg­lich für den Frie­den in der Ukrai­ne schreibt, aber eben­so deut­lich gegen Waf­fen­lie­fe­run­gen, die als Aus­druck eines Stell­ver­tre­ter­krie­ges gese­hen wer­den. Chef­re­dak­teur Mar­co Tar­qui­nio sagt es nicht offen, läßt aber deut­lich genug durch­blicken, daß in die­sem Krieg die von den NATO-Staa­ten auf­ge­rü­ste­te ukrai­ni­sche Armee eine Hilfs­trup­pe der Regie­rung Biden sei, um Ruß­land zu schwächen.

Auch aus die­sem Blick­win­kel wird das ukrai­ni­sche Volk als Opfer gese­hen, aller­dings weni­ger der rus­si­schen Aggres­si­on als der geo­po­li­ti­schen Ego­is­men Washingtons.

Der Vati­kan stell­te sich aller­dings bis­her nicht offi­zi­ell hin­ter den Sie­ben-Punk­te-Frie­dens­plan, den die bei­den pro­mi­nen­ten katho­li­schen Intel­lek­tu­el­len Ste­fa­no Zama­gni und Mau­ro Magat­ti aus­ge­ar­bei­tet und in der Okto­ber­aus­ga­be der Zeit­schrift Para­do­xa vor­ge­legt haben. Zama­gni ist Prä­si­dent der Päpst­li­chen Aka­de­mie für Sozi­al­wis­sen­schaf­ten, unter Fran­zis­kus ein wich­ti­ges Zen­trum der poli­ti­schen Initia­ti­ven des Pap­stes; Magat­ti ist Pro­fes­sor für Sozio­lo­gie an der Katho­li­schen Uni­ver­si­tät Mai­land und Sekre­tär der Sozi­al­wo­chen der ita­lie­ni­schen Katho­li­ken, einer 1907 erst­mals auf Anre­gung des Wirt­schafts­wis­sen­schaft­lers Giu­sep­pe Tonio­lo durch­ge­führ­ten Stu­di­en­ta­gung, die seit­her alle zwei Jah­re statt­fin­det, um eine „Sen­si­bi­li­sie­rung für die wah­re christ­lich-sozia­le Bot­schaft“ zu errei­chen. Anstoß dafür war eine an Ita­li­ens Bischö­fe gerich­te­te Sozi­al­enzy­kli­ka von Papst Pius X. von 1905.

Der Sie­ben-Punk­te-Frie­dens­plan, wie in Zama­gni Ende Sep­tem­ber im Avve­ni­re vor­stell­te, sieht vor:

  1. Neu­tra­li­tät der Ukrai­ne, die auf den NATO-Bei­tritt ver­zich­tet, aber das unein­ge­schränk­te Recht behält, ein Mit­glied der EU zu wer­den. Eine UNO-Reso­lu­ti­on soll Mecha­nis­men zur Über­wa­chung ein­füh­ren, sodaß die Ein­hal­tung des Frie­dens­ab­kom­mens garan­tiert wird.
  2. Der Ukrai­ne wird die vol­le Sou­ve­rä­ni­tät, Unab­hän­gig­keit und ter­ri­to­ria­le Inte­gri­tät garan­tiert. Eine ent­spre­chen­de Garan­tie­er­klä­rung soll durch die fünf stän­di­gen Mit­glie­der des Welt­si­cher­heits­rats (USA, Ruß­land, Volks­re­pu­blik Chi­na, Groß­bri­tan­ni­en und Frank­reich) sowie der EU und der Tür­kei erfolgen.
  3. Ruß­land behält de fac­to noch für eine bestimm­te Anzahl von Jah­ren die Kon­trol­le über die Krim, wäh­rend der die bei­den Sei­ten auf diplo­ma­ti­scher Ebe­ne auch de iure eine dau­er­haf­te Lösung suchen. Die ört­li­che Bevöl­ke­rung erhält frei­en Ver­kehr von Per­so­nen und Kapi­tal sowohl zu Ruß­land als auch zur Ukraine.
  4. Die Regio­nen Lug­ansk und Donezk blei­ben fester Bestand­teil der Ukrai­ne, erhal­ten jedoch wirt­schaft­li­che, poli­ti­sche und kul­tu­rel­le Selbstverwaltung.
  5. Ruß­land und Ukrai­ne erhal­ten siche­ren Zugang zu den Schwarz­meer­hä­fen, um ihre nor­ma­len Han­dels­ak­ti­vi­tä­ten abwickeln zu können.
  6. Schritt­wei­se Auf­he­bung der west­li­chen Sank­tio­nen gegen Ruß­land par­al­lel zum Rück­zug der rus­si­schen Trup­pen und Waf­fen aus der Ukraine.
  7. Schaf­fung eines mul­ti­la­te­ra­len Fonds für den Wie­der­auf­bau und die Ent­wick­lung der zer­stör­ten Gebie­te in der Ukrai­ne, ein­schließ­lich Lug­ansk, Donezk und Krim, an dem sich Ruß­land auf der Grund­la­ge eines fest­ge­leg­ten Schlüs­sels betei­ligt. (Kon­kret wird dabei auf die Erfah­run­gen mit dem Mar­shall­plan verwiesen.)

Der Plan folgt im Kern der west­li­chen Nach­kriegs­ord­nung für Euro­pa, die eine Anglie­de­rung von Ter­ri­to­ri­en an einen ande­ren Staat kate­go­risch aus­schließt (wes­halb Koso­vo und Mol­da­wi­en und das Unge­tüm Bos­ni­en-Her­ze­go­wi­na exi­stie­ren). Akzep­ta­bel ist für Brüs­sel und Washing­ton hin­ge­gen, daß sich Glied­staa­ten los­lö­sen und sou­ve­rä­ne Eigen­staat­lich­keit erlan­gen – aller­dings nur dann, wenn es den poli­ti­schen Inter­es­sen Brüs­sels und Washing­tons ent­spricht (sie­he die Tei­lung der Tsche­cho­slo­wa­kei, die Auf­lö­sung Jugo­sla­wi­ens und zuletzt die Los­tren­nung Mon­te­ne­gros von Ser­bi­en). Wo es nicht den Plä­nen Brüs­sels und Washing­tons ent­spricht, wird die ter­ri­to­ria­le Inte­gri­tät beschwo­ren (sie­he die ver­hin­der­te Los­tren­nung von Kata­lo­ni­en, des Bas­ken­lan­des, von Süd­ti­rol, Schott­land, Kor­si­ka). Die von rus­si­scher Sei­te, oder ihr zunei­gen­den Medi­en, behaup­te­te Absicht Polens, die bis 1939 pol­ni­sche West­ukrai­ne zu annek­tie­ren, geht an der Rea­li­tät völ­lig vor­bei. Lem­berg war zwar ein­mal eine mehr­heit­lich pol­ni­sche Stadt, doch die Bevöl­ke­rung der West­ukrai­ne war immer groß­teils ukrai­nisch. Im Rah­men der west­li­chen Dok­trin wäre besten­falls eine eigen­stän­di­ge Repu­blik Krim, mög­li­cher­wei­se auch die Eigen­staat­lich­keit ein­zel­ner Obla­ste denk­bar. Aller­dings nur in der Theo­rie. Denn prak­tisch gibt es der­zeit nicht die gering­ste Bereit­schaft, die Ukrai­ne zugun­sten ruß­land­freund­li­cher neu­er Staa­ten zu verkleinern. 

Die Aus­sich­ten des Sie­ben-Punk­te-Frie­dens­plans, der dem Rech­nung trägt, sind den­noch völ­lig unsi­cher. Er läßt jedoch erken­nen, in wel­che Rich­tung die vati­ka­ni­sche Diplo­ma­tie der­zeit arbeitet.

Bild: VaticanMedia/​Wikicommons (Screen­shots)

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3 Kommentare

  1. Waren die Gebie­te mit katho­li­scher Min­der­heit ursprüng­lich pol­nisch und haben dort die Mas­sa­ker der ukr. Natio­na­li­sten gewü­tet? Polen ist an der Rück­ge­win­nung interessiert.
    Der Beginn des 2. Welt­krie­ges ähnelt frap­pie­rend den Vor­gän­gen, die zum Ukrai­ne­krieg geführt haben.

  2. Die rus­sisch bewohn­ten Gebie­te kön­nen wegen der erfolg­ten Über­grif­fe gegen rus­si­sche Bür­ger nicht Teil der Ukrai­ne blei­ben. Es han­delt sich hier ja nicht um mit­li­tä­ri­sche Aktio­nen, son­dern einen Krieg inner­halb der Zivil­be­völ­ke­rung. Da wird nie Ruhe einkehren.
    Ich den­ke hier liegt die Agen­da von Fran­zis­kus zu Grun­de. Er pro­pa­giert Frie­den durch einen offe­ne­ren Umgang mit­ein­an­der. Frei­mau­re­ri­sche Idea­le sind das. Wür­de er Frie­den durch Chri­stus in den Her­zen pre­di­gen, dann könn­te ein Frie­dens­plan anders aussehen.

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