„Es wäre ein anachronistischer Fehler“ – Papst Franziskus interpretiert den heiligen Pius V.

"Ihn nicht auf eine nostalgische, einbalsamierte Erinnerung reduzieren"


(Rom) Am Sams­tag, dem 17. Sep­tem­ber, emp­fing Papst Fran­zis­kus in der gro­ßen Audi­enz­hal­le „Pao­lo VI“ im Vati­kan Pil­ger aus der ita­lie­ni­schen Diö­ze­se Ales­sand­ria und Jugend­li­che aus der Erz­diö­ze­se Spo­le­to-Nor­cia, die sich auf die Fir­mung vor­be­rei­ten. Aus die­sem Grun­de unter­teil­te Fran­zis­kus sei­ne Anspra­che in zwei Tei­le und wand­te sich im ersten Teil an die Pil­ger aus dem Pie­mont. Die päpst­li­che Anspra­che war aller­dings weni­ger an sie, son­dern als Bot­schaft offen­bar an ein ande­res, weit grö­ße­res Publi­kum gedacht, denn der Anlaß der Pil­ger­rei­se war der 450. Todes­tag von Pius V., jenem hei­li­gen Papst, der untrenn­bar mit dem über­lie­fer­ten Ritus ver­bun­den ist.

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Fran­zis­kus warn­te in der Bewer­tung von Pius V. vor einem „ana­chro­ni­sti­schen Feh­ler“, und davor, den hei­li­gen Papst auf eine „nost­al­gi­sche, ein­bal­sa­mier­te Erin­ne­rung zu redu­zie­ren“. Statt­des­sen gehe es dar­um, „sei­ne Leh­re und sein Zeug­nis zu erfas­sen“, doch damit scheint Fran­zis­kus selbst sei­ne Pro­ble­me zu haben. Geschichts­wid­rig erweckt der regie­ren­de Papst den Ein­druck, die „triden­ti­ni­sche“ Mes­se sei von Pius V. im auto­kra­ti­schen Allein­gang, die Lit­ur­gie­re­form von 1969 aber vom Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil ein­ge­führt wor­den. Das Kon­zil war jedoch bereits 1965 been­det wor­den und hat­te mit­nich­ten den anschlie­ßend von Anni­ba­le Bug­nini geschaf­fe­nen Novus Ordo Mis­sae beschlossen.

Der Domi­ni­ka­ner Anto­nio Miche­le Ghis­lie­ri, der 1504 in Bos­co Maren­go bei Ales­sand­ria gebo­ren wur­de und am 1. Mai 1572 in Rom starb, regier­te die Kir­che für sechs Jah­re. Mit der Bul­le Quo pri­mum setz­te er 1570 das Mis­sa­le Roma­num als soge­nann­te Triden­ti­ni­sche Mes­se „für immer“ ein und unter­sag­te ihre Abschaf­fung oder Ände­rung. Wäh­rend sei­nes Pon­ti­fi­kats fand auch die für die Chri­sten­heit sieg­rei­che Schlacht von Lepan­to statt, die nach Jahr­hun­der­ten die isla­mi­sche Bedro­hung im Mit­tel­meer been­de­te. 1712 wur­de er heiliggesprochen.

Nach­dem Fran­zis­kus jah­re­lang unmiß­ver­ständ­lich sei­ne Ableh­nung und mehr noch sein völ­li­ges Unver­ständ­nis für jene Prie­ster und Gläu­bi­gen geäu­ßert hat­te, die dem über­lie­fer­ten Ritus ver­bun­den sind, setz­te er mit dem Motu pro­prio Tra­di­tio­nis cus­to­des Taten und ging zum Fron­tal­an­griff über. Dem vom hei­li­gen Pius V. „für immer“ fest­ge­schrie­be­nen Mis­sa­le Roma­num setz­te Fran­zis­kus ent­ge­gen, daß die 1969 ein­ge­führ­te Lit­ur­gie­re­form die „ein­zi­ge Aus­drucks­form der Lex oran­di des Römi­schen Ritus“ sei.

Ent­spre­chend ermahn­te Fran­zis­kus sei­ne Zuhö­rer in sei­ner Anspra­che am Sams­tag. Eine Ermah­nung, die offen­sicht­lich nicht an die Pil­ger aus der Diö­ze­se Ales­sand­ria, son­dern an die dem über­lie­fer­ten Ritus ver­bun­de­nen Prie­ster und Gläu­bi­gen gerich­tet war. Dabei ver­sucht Fran­zis­kus sogar einen Husa­ren­ritt, indem er nahe­legt, daß das Leben und Wir­ken von Pius V. „inter­pre­tiert“ wer­den müs­se, was Fran­zis­kus gleich im Sin­ne der nach­kon­zi­lia­ren Lit­ur­gie­re­form tut. 

„Pius V. war ein Reformer der Kirche, der mutige Entscheidungen traf, aber…“

Fran­zis­kus sag­te wört­lich:

„Lie­be Brü­der und Schwe­stern der Diö­ze­se Ales­sand­ria, der 450. Todes­tag des hei­li­gen Pius V., des ein­zi­gen pie­mon­te­si­schen Pap­stes, der in Bos­co Maren­go, auf dem heu­ti­gen Gebiet der Diö­ze­se Ales­sand­ria, gebo­ren wur­de, bie­tet Anlaß zu eini­gen sehr aktu­el­len Über­le­gun­gen.

Papst Pius V., gebo­ren als Anto­nio Ghis­lie­ri, sah sich in den nur sechs Jah­ren sei­nes Pon­ti­fi­kats zahl­rei­chen Her­aus­for­de­run­gen der Pasto­ral und der Regie­rung gegen­über. Er war ein Refor­mer der Kir­che, der muti­ge Ent­schei­dun­gen traf. Seit­dem hat sich der Stil der Kir­chen­lei­tung geän­dert, und es wäre ein ana­chro­ni­sti­scher Feh­ler, bestimm­te Wer­ke des Hei­li­gen Pius V. mit der heu­ti­gen Men­ta­li­tät zu bewer­ten. Eben­so müs­sen wir dar­auf ach­ten, ihn nicht auf eine nost­al­gi­sche, ein­bal­sa­mier­te Erin­ne­rung zu redu­zie­ren, son­dern sei­ne Leh­re und sein Zeug­nis zu erfas­sen. Dar­an kön­nen wir erken­nen, daß der Glau­be das Rück­grat sei­nes gesam­ten Lebens war.

Wie kön­nen wir sei­ne Leh­ren heu­te inter­pre­tie­ren? Erstens laden sie uns dazu ein, nach der Wahr­heit zu suchen. Jesus ist die Wahr­heit, und zwar nicht nur in einem uni­ver­sel­len, son­dern auch in einem gemein­schaft­li­chen und per­sön­li­chen Sinn; und die Her­aus­for­de­rung besteht dar­in, die Suche nach der Wahr­heit heu­te im täg­li­chen Leben der Kir­che und der christ­li­chen Gemein­schaf­ten zu leben. Die­se Suche kann nur durch per­sön­li­che und gemein­schaft­li­che Unter­schei­dung erfol­gen, aus­ge­hend vom Wort Got­tes (vgl. Evan­ge­lii gau­di­um, 30, 50, 175).

Die­se Ver­pflich­tung, die in der Unter­schei­dung umge­setzt wird, läßt eine Gemein­schaft in einer immer inni­ge­ren Kennt­nis Jesu Chri­sti wach­sen; und dann wird er, die Wahr­heit, der Herr, zur Grund­la­ge des Gemein­schafts­le­bens, das mit Ban­den der Lie­be ver­wo­ben ist. Die Lie­be drückt sich in Hand­lun­gen des Tei­lens aus, von der phy­si­schen bis zur gei­sti­gen Dimen­si­on, Hand­lun­gen, die das Geheim­nis sicht­bar machen, das wir in unse­ren ‚Ton­töp­fen‘ tra­gen (vgl. 2 Kor 4,7).

Das Wort Got­tes wird beson­ders in der Eucha­ri­stie­fei­er leben­dig, sowohl am ‚Tisch des Wor­tes‘ als auch am ‚Tisch der Eucha­ri­stie‘, wo wir gewis­ser­ma­ßen das Fleisch Chri­sti berüh­ren. Pius V. hat sich damit befaßt, die Lit­ur­gie der Kir­che zu refor­mie­ren, und nach vier Jahr­hun­der­ten führ­te das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil eine wei­te­re Reform durch, um den Bedürf­nis­sen der heu­ti­gen Welt bes­ser gerecht zu wer­den. In den ver­gan­ge­nen Jah­ren ist viel über die Lit­ur­gie, ins­be­son­de­re ihre äuße­ren For­men, gespro­chen wor­den. Die größ­te Anstren­gung aber muß dar­in gesetzt wer­den, daß die Eucha­ri­stie­fei­er tat­säch­lich zur Quel­le des Gemein­schafts­le­bens wird (vgl. Sacro­sanc­tum Con­ci­li­um, 10).

In der Tat fügt uns die Lit­ur­gie ange­sichts der Kreu­zun­gen auf dem Weg der Gemein­den, wie auch der Kreu­ze unse­res per­sön­li­chen Lebens, in das Prie­ster­tum Chri­sti ein und gibt uns eine neue Moda­li­tät, die der hei­li­ge Pau­lus so zusam­men­faßt: ‚Ich freue mich über die Lei­den, die ich für euch tra­ge, und ergän­ze das, was an mei­nem Fleisch von den Lei­den Chri­sti fehlt, um sei­nes Lei­bes wil­len, der die Kir­che ist‘ (Kol 1,24). Am Ende der Lit­ur­gie, nach­dem sie das eucha­ri­sti­sche Fleisch Chri­sti berührt hat, wird die evan­ge­li­sie­ren­de Gemein­de aus­ge­sandt und ‚stellt sich durch Wer­ke und Gesten in das All­tags­le­ben der ande­ren, ver­kürzt die Distan­zen, ernied­rigt sich nöti­gen­falls bis zur Demü­ti­gung und nimmt das mensch­li­che Leben an, indem sie im Volk mit dem lei­den­den Leib Chri­sti in Berüh­rung kommt‘ (Evan­ge­lii gau­di­um, 24).

Und dann dür­fen wir nicht ver­ges­sen, daß der hei­li­ge Pius V. das Gebet, ins­be­son­de­re den Rosen­kranz, emp­foh­len hat. In der Tat waren ‚die ersten Schrit­te der Kir­che in der Welt vom Gebet vor­ge­ge­ben. Die apo­sto­li­schen Schrif­ten und der gro­ße Bericht der Apo­stel­ge­schich­te geben uns das Bild einer Kir­che wie­der, die auf dem Weg ist, einer tat­kräf­ti­gen Kir­che, die jedoch in den Gebets­ver­samm­lun­gen die Grund­la­ge und den Impuls für das mis­sio­na­ri­sche Wir­ken fin­det’ (Kate­che­se, 25. Novem­ber 2020).

Auf die­se Wei­se, lie­be Freun­de aus Ales­sand­ria, habe ich euch an die vier Koor­di­na­ten erin­nert, die uns auf unse­rem kirch­li­chen Weg lei­ten, wie es in Apo­stel­ge­schich­te 2,42 heißt: ‚Sie hiel­ten an der Leh­re der Apo­stel fest und an der Gemein­schaft, am Bre­chen des Bro­tes und an den Gebe­ten.‘ Der Leh­re der Apo­stel fol­gen, der Leh­re der Kir­che; in der Gemein­schaft leben, nicht im Krieg unter uns; eucha­ri­stisch leben, das Brot bre­chen und beten: Schön, nicht wahr? Es ist machbar.“

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Vati​can​.va (Screen­shots)

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