Ist Krieg immer ungerecht?

Wie der Frieden erreicht werden kann


Pius XII. (1939–1958): "Die tiefe und letzte Wurzel der Übel, die wir in der modernen Gesellschaft beklagen, ist die Verleugnung und Ablehnung einer Norm universeller Moral."
Pius XII. (1939–1958): "Die tiefe und letzte Wurzel der Übel, die wir in der modernen Gesellschaft beklagen, ist die Verleugnung und Ablehnung einer Norm universeller Moral."

von Rober­to de Mattei*

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Wor­in besteht der christ­li­che Frie­den? Der mora­li­sche Impe­ra­tiv der Kir­che ist der Frie­de, der ein Gebot gött­li­chen Rechts ist. Frie­den ist jedoch nicht die blo­ße Abwe­sen­heit von Krieg, son­dern grün­det sich auf der von Gott geschaf­fe­nen Ord­nung, und nur der Staat, der die­se Ord­nung för­dert oder zumin­dest respek­tiert, kann sich poli­ti­scher und sozia­ler Ruhe erfreuen.

Um Frie­den zu errei­chen, genügt es nicht, an eine rein mensch­li­che Idee der Brü­der­lich­keit zwi­schen den Men­schen zu appel­lie­ren. Oft wird dadurch sogar das Gegen­teil erreicht. Das 20. Jahr­hun­dert, das blu­tig­ste Jahr­hun­dert der Geschich­te, wur­de unter dem Ban­ner der Mythen des Frie­dens und der uni­ver­sa­len Brü­der­lich­keit eröff­net, aber schon Bene­dikt XV. warn­te, als der Erste Welt­krieg aufflammte:

„Nie­mals ist viel­leicht mehr von mensch­li­cher Brü­der­lich­keit gespro­chen wor­den als heu­te (…) Die Wahr­heit ist jedoch, daß die mensch­li­che Brü­der­lich­keit nie­mals mehr ver­kannt wor­den ist als in der heu­ti­gen Zeit“ (Enzy­kli­ka Ad Bea­tis­si­mi, 1. Novem­ber 1914).

Es reicht auch nicht aus, die Ver­wirk­li­chung des Frie­dens mensch­li­chen Instru­men­ten anzu­ver­trau­en, um ihn zu errei­chen. Pius XI. warn­te in sei­ner Enzy­kli­ka Cari­ta­te Chri­sti com­pul­si vom 3. Mai 1932, daß

„weder Frie­dens­ver­trä­ge noch die fei­er­lich­sten Pak­te, weder inter­na­tio­na­le Tref­fen oder Kon­fe­ren­zen, noch die edel­sten und unei­gen­nüt­zig­sten Bemü­hun­gen irgend­ei­nes Staats­man­nes etwas nüt­zen, wenn nicht zuvor die hei­li­gen Rech­te des natür­li­chen und gött­li­chen Rechts aner­kannt werden“.

Wenn alle Men­schen Brü­der sind, fragt sich der hei­li­ge Jako­bus, war­um gibt es dann Krie­ge und Streit? Auf die­se Fra­ge ant­wor­tet der Apo­stel selbst, daß

„Krie­ge und Strei­tig­kei­ten aus den Begier­den kom­men, die die Glie­der der Men­schen bewe­gen“ (Jak 4,1).

Alle Unord­nung, sowohl die indi­vi­du­el­le als auch die kol­lek­ti­ve, ent­springt den unge­ord­ne­ten Lei­den­schaf­ten, zu denen alle Sün­den­trie­be gehö­ren, die im Men­schen als Fol­ge der Erb­sün­de und der vom Evan­ge­li­um ange­pran­ger­ten drei­fa­chen Kon­ku­pis­zenz exi­stie­ren: die des Flei­sches, die der Augen und der Hoch­mut des Lebens (vgl. 1 Joh 2,16). Die­se tief­sit­zen­den Ten­den­zen sind die Wur­zel von Krie­gen, Revo­lu­tio­nen und jeder sozia­len Kata­stro­phe. Das Lehr­amt der Kir­che lehrt, daß die tie­fen und wah­ren Ursa­chen des Krie­ges nicht poli­ti­scher oder wirt­schaft­li­cher, son­dern gei­sti­ger und mora­li­scher Natur sind und auf die Ver­let­zung der natür­li­chen und christ­li­chen Ord­nung zurück­ge­hen: mit einem Wort, auf die Abkehr vom Gesetz Got­tes im indi­vi­du­el­len, natio­na­len und inter­na­tio­na­len Leben.

Pius XII. lehrt in sei­ner Enzy­kli­ka Sum­mi Pon­ti­fi­ca­tus vom 20. Okto­ber 1939, daß

„die tie­fe und letz­te Wur­zel der Übel, die wir in der moder­nen Gesell­schaft bekla­gen, die Ver­leug­nung und Ableh­nung einer Norm uni­ver­sel­ler Moral ist, sowohl im indi­vi­du­el­len Leben als auch im sozia­len Leben und in den inter­na­tio­na­len Bezie­hun­gen; mit ande­ren Wor­ten, die in unse­rer Zeit so weit ver­brei­te­te Miß­ach­tung und das Ver­ges­sen des Natur­rechts selbst, das sei­ne Grund­la­ge in Gott, dem all­mäch­ti­gen Schöp­fer und Vater aller Men­schen, dem höch­sten und abso­lu­ten Gesetz­ge­ber, dem all­wis­sen­den und gerech­ten Rich­ter der mensch­li­chen Hand­lun­gen, findet“.

Der Frie­de, so bekräf­tigt Johan­nes Paul II., hat sei­ne Grund­la­ge in der „ratio­na­len und mora­li­schen Ord­nung“ der Gesell­schaft, die auf Gott gegrün­det ist (Bot­schaft zum Welt­frie­dens­tag, 1. Janu­ar 1982).

Der Rela­ti­vis­mus, der sich gegen das natür­li­che und gött­li­che Gesetz rich­tet, ist die Ursa­che aller sozia­len Span­nun­gen und Auf­stän­de. Nach der heu­te vor­herr­schen­den rela­ti­vi­sti­schen Auf­fas­sung gibt es in der Tat kei­ne uni­ver­sel­le mora­li­sche Norm, son­dern das ein­zi­ge Gesetz ist die Selbst­be­stim­mung der Indi­vi­du­en und Staa­ten. Sobald die natür­li­che Ord­nung gestört ist, wird das Gesetz des Rechts durch das Gesetz der Macht ersetzt, oder bes­ser gesagt, durch das Gesetz der Gewalt, denn es ist gera­de die Ein­hal­tung oder Über­tre­tung des Rechts, die den Unter­schied zwi­schen Macht und Gewalt ausmacht.

Die Anwen­dung der Macht kann legi­tim sein, wenn das Gesetz sie vor­schreibt. Nicht jeder Krieg ist an sich unge­recht, erklärt der Theo­lo­ge Fran­cis­co Sua­rez (1548–1617), der „Doc­tor Exi­mi­us“ („her­aus­ra­gen­de Leh­rer“), der die­sem The­ma die Dis­pu­ta­tio XIII sei­ner Abhand­lung De Cha­ri­ta­te wid­met. Sua­rez schreibt, daß der Krieg

„nicht an sich böse ist, noch den Chri­sten ver­bo­ten ist, ist eine Glau­bens­wahr­heit, die in der Hei­li­gen Schrift ent­hal­ten ist, denn im Alten Testa­ment wer­den Krie­ge, die von sehr hei­li­gen Män­nern geführt wur­den, geprie­sen: ‚O Abra­ham! Geseg­net seist du von Gott, dem Höch­sten, der Him­mel und Erde geschaf­fen hat, und geseg­net sei Gott, der Höch­ste, zu des­sen Schutz die Fein­de in dei­ne Hand gefal­len sind’ (Gen 14,19–20). Ähn­li­ches ist von Mose, Josua, Sim­son, Gideon, David, den Mak­ka­bä­ern und ande­ren zu lesen, denen Gott mehr­fach befoh­len hat, gegen die Fein­de der Juden Krieg zu füh­ren; und der hei­li­ge Pau­lus sagt, daß die­se Hei­li­gen zugun­sten des Glau­bens Rei­che erobert haben. Dies wird auch durch ande­re Zeug­nis­se der hei­li­gen Väter bestä­tigt, die Gra­ti­an zitiert, eben­so wie der hei­li­ge Ambro­si­us in ver­schie­de­nen Kapi­teln sei­nes Buches über die Pflichten.“

Ein Ver­tei­di­gungs­krieg, so unter­schei­det der Theo­lo­ge, ist ein Krieg, der eine unge­rech­te Aggres­si­on abwehrt, wäh­rend die­se aus­ge­übt wird. Ein Offen­siv- oder Aggres­si­ons­krieg wird hin­ge­gen geführt, um ein began­ge­nes Unrecht wie­der­gut­zu­ma­chen. Das Unter­schei­dungs­kri­te­ri­um betrifft nicht die Gerech­tig­keit oder Unge­rech­tig­keit des Krie­ges, son­dern die Initia­ti­ve der Macht­an­wen­dung: Im ersten Fall geht die Initia­ti­ve von dem­je­ni­gen aus, der das Unrecht begeht, und der­je­ni­ge, der den Krieg führt, ist gezwun­gen, sich zu ver­tei­di­gen; im zwei­ten Fall geht die Initia­ti­ve von dem­je­ni­gen aus, der das Unrecht bereits erlit­ten hat und, nach­dem er alle Mit­tel ein­ge­setzt hat, um es wie­der­gut­zu­ma­chen, auf die Kraft zurück­greift. Ein aggres­si­ver Krieg ist also nicht unbe­dingt per se schlecht, „son­dern kann ehr­lich und not­wen­dig sein“. Vor­aus­set­zung ist, daß er nur dann ange­wandt wird, wenn kein ande­res Mit­tel zur Ver­fü­gung steht und das Unrecht, das besei­tigt wer­den soll, so schwer­wie­gend ist, daß der Rück­griff auf ein so fol­gen­schwe­res Mit­tel erfor­der­lich ist.

Die Kir­che hat stets die Legi­ti­mi­tät des Krie­ges gelehrt, der aus einem gerech­ten Grund geführt wird. Ihre tra­di­tio­nel­le Dok­trin läßt sich fol­gen­der­ma­ßen zusam­men­fas­sen: Der Krieg an sich, als Anwen­dung von Gewalt, ist weder an sich gut noch an sich schlecht: Er wird gut oder schlecht, gerecht oder unge­recht, je nach den Zie­len, die er zu errei­chen sucht. Der Krieg ist unge­setz­lich für die­je­ni­gen, die ihn ohne gerech­ten Grund und in unan­ge­mes­se­ner Wei­se füh­ren, aber er ist recht­mä­ßig, ja in bestimm­ten Fäl­len sogar rich­tig für die­je­ni­gen, die ihn mit gerech­tem Grund und in der rich­ti­gen Wei­se füh­ren. Ins­be­son­de­re ist ein Ver­tei­di­gungs­krieg gegen einen unge­recht­fer­tig­ten Angrei­fer immer recht­mä­ßig, da Völ­ker wie Indi­vi­du­en das natür­li­che Recht auf Selbst­ver­tei­di­gung haben.

Heu­te, ange­sichts der dra­ma­ti­schen Rea­li­tät eines krie­ge­ri­schen Kon­flik­tes, der Euro­pa mit Blut befleckt, ist als grund­le­gen­de Fra­ge zu klä­ren, ob es gei­sti­ge und mora­li­sche Güter gibt, die so wert­voll sind, daß sie es ver­die­nen, ver­tei­digt zu wer­den, selbst um den Preis, daß man die Schrecken der moder­nen Kriegs­füh­rung erlei­det. Vor die Wahl gestellt zwi­schen legi­ti­men Gütern unter­schied­li­cher Qua­li­tät, wie dem mate­ri­el­len Wohl­stand des Vol­kes oder sei­nem mora­li­schen Erbe, wird der Regie­ren­de immer die höhe­ren Güter den nied­ri­ge­ren vor­zie­hen müs­sen, selbst um den Preis, letz­te­re in einem Krieg zu opfern. Für christ­li­che See­len sind Krieg und Tod nicht unbe­dingt das grö­ße­re Übel. Der Krieg ist, wie Roma­no Ame­rio fest­stell­te, nur für die­je­ni­gen das größ­te Übel, die eine irreli­giö­se Auf­fas­sung ver­tre­ten, die das höch­ste Gut im Leben und nicht im tran­szen­den­ten Zweck des Lebens sieht (Iota unum, Mai­land-Nea­pel 1985, S. 379). Für jene, die im Gegen­teil den Vor­rang des gei­sti­gen Lebens vor dem mate­ri­el­len Leben beja­hen, wird das Ver­hält­nis zwi­schen den durch den Krieg ver­ur­sach­ten Übeln und dem Gut, das er schüt­zen soll, immer zugun­sten des Guten aus­fal­len, solan­ge das behaup­te­te und ver­letz­te Recht wich­tig ist. Der Christ muß die Exi­stenz des Bösen dul­den, aber er begehrt es nicht, und er tut es auch nicht aus schwer­wie­gen­den Grün­den, um das Gute zu errei­chen. Im Kriegs­fall bleibt das Ziel das Gut des Frie­dens; die Mit­tel, die er wählt, um die­ses Ziel zu errei­chen, auch wenn sie mit Waf­fen­ge­walt erfol­gen müs­sen, müs­sen immer gut und gerecht sein. Nur in die­sem Fall kann ein Krieg als gerecht bezeich­net wer­den und dar­auf abzie­len, durch Gerech­tig­keit den Frie­den wie­der­her­zu­stel­len: opus ius­ti­tiae pax („Der Frie­de ist das Werk“, Jes 32,17).

*Rober­to de Mat­tei, Histo­ri­ker, Vater von fünf Kin­dern, Pro­fes­sor für Neue­re Geschich­te und Geschich­te des Chri­sten­tums an der Euro­päi­schen Uni­ver­si­tät Rom, Vor­sit­zen­der der Stif­tung Lepan­to, Autor zahl­rei­cher Bücher, zuletzt in deut­scher Über­set­zung: Ver­tei­di­gung der Tra­di­ti­on: Die unüber­wind­ba­re Wahr­heit Chri­sti, mit einem Vor­wort von Mar­tin Mose­bach, Alt­öt­ting 2017 und Das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil. Eine bis­lang unge­schrie­be­ne Geschich­te, 2. erw. Aus­ga­be, Bobin­gen 2011.

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Über­set­zung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Cor­ri­spon­den­za Romana

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1 Kommentar

  1. Unge­recht sind die Kräf­te, die in ihrem Wahn alle Regio­neen unter­wer­fen und aus­beu­ten wollen.
    Die Zei­ten­wen­de ereig­ne­te sich 1991, als die noch Sowjet­uni­on den War­schau­er Pakt auf­lö­ste, aber die NATO zu einem Kriegs­bünd­nis wur­de. Es dürf­te der Wahr­heit ent­spre­chen, daß das von Anfang an das Ziel der US war.
    Es ist wahr, das die US seit ihrer Grün­dung stän­dig Krieg führen.
    Ein Krieg beginnt nicht mit dem ersten Schuß. Der WK II begann nicht um 5 Uhr 45, son­dern mit der Kriegs­er­klä­rung Eng­lands und Frank­reichs am Tag danach.
    Und in der Ukrai­ne mit dem Mai­dan­putsch 2014. Seit­dem beschießt die Ukr den Donbass.

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