von Roberto de Mattei*
Worin besteht der christliche Frieden? Der moralische Imperativ der Kirche ist der Friede, der ein Gebot göttlichen Rechts ist. Frieden ist jedoch nicht die bloße Abwesenheit von Krieg, sondern gründet sich auf der von Gott geschaffenen Ordnung, und nur der Staat, der diese Ordnung fördert oder zumindest respektiert, kann sich politischer und sozialer Ruhe erfreuen.
Um Frieden zu erreichen, genügt es nicht, an eine rein menschliche Idee der Brüderlichkeit zwischen den Menschen zu appellieren. Oft wird dadurch sogar das Gegenteil erreicht. Das 20. Jahrhundert, das blutigste Jahrhundert der Geschichte, wurde unter dem Banner der Mythen des Friedens und der universalen Brüderlichkeit eröffnet, aber schon Benedikt XV. warnte, als der Erste Weltkrieg aufflammte:
„Niemals ist vielleicht mehr von menschlicher Brüderlichkeit gesprochen worden als heute (…) Die Wahrheit ist jedoch, daß die menschliche Brüderlichkeit niemals mehr verkannt worden ist als in der heutigen Zeit“ (Enzyklika Ad Beatissimi, 1. November 1914).
Es reicht auch nicht aus, die Verwirklichung des Friedens menschlichen Instrumenten anzuvertrauen, um ihn zu erreichen. Pius XI. warnte in seiner Enzyklika Caritate Christi compulsi vom 3. Mai 1932, daß
„weder Friedensverträge noch die feierlichsten Pakte, weder internationale Treffen oder Konferenzen, noch die edelsten und uneigennützigsten Bemühungen irgendeines Staatsmannes etwas nützen, wenn nicht zuvor die heiligen Rechte des natürlichen und göttlichen Rechts anerkannt werden“.
Wenn alle Menschen Brüder sind, fragt sich der heilige Jakobus, warum gibt es dann Kriege und Streit? Auf diese Frage antwortet der Apostel selbst, daß
„Kriege und Streitigkeiten aus den Begierden kommen, die die Glieder der Menschen bewegen“ (Jak 4,1).
Alle Unordnung, sowohl die individuelle als auch die kollektive, entspringt den ungeordneten Leidenschaften, zu denen alle Sündentriebe gehören, die im Menschen als Folge der Erbsünde und der vom Evangelium angeprangerten dreifachen Konkupiszenz existieren: die des Fleisches, die der Augen und der Hochmut des Lebens (vgl. 1 Joh 2,16). Diese tiefsitzenden Tendenzen sind die Wurzel von Kriegen, Revolutionen und jeder sozialen Katastrophe. Das Lehramt der Kirche lehrt, daß die tiefen und wahren Ursachen des Krieges nicht politischer oder wirtschaftlicher, sondern geistiger und moralischer Natur sind und auf die Verletzung der natürlichen und christlichen Ordnung zurückgehen: mit einem Wort, auf die Abkehr vom Gesetz Gottes im individuellen, nationalen und internationalen Leben.
Pius XII. lehrt in seiner Enzyklika Summi Pontificatus vom 20. Oktober 1939, daß
„die tiefe und letzte Wurzel der Übel, die wir in der modernen Gesellschaft beklagen, die Verleugnung und Ablehnung einer Norm universeller Moral ist, sowohl im individuellen Leben als auch im sozialen Leben und in den internationalen Beziehungen; mit anderen Worten, die in unserer Zeit so weit verbreitete Mißachtung und das Vergessen des Naturrechts selbst, das seine Grundlage in Gott, dem allmächtigen Schöpfer und Vater aller Menschen, dem höchsten und absoluten Gesetzgeber, dem allwissenden und gerechten Richter der menschlichen Handlungen, findet“.
Der Friede, so bekräftigt Johannes Paul II., hat seine Grundlage in der „rationalen und moralischen Ordnung“ der Gesellschaft, die auf Gott gegründet ist (Botschaft zum Weltfriedenstag, 1. Januar 1982).
Der Relativismus, der sich gegen das natürliche und göttliche Gesetz richtet, ist die Ursache aller sozialen Spannungen und Aufstände. Nach der heute vorherrschenden relativistischen Auffassung gibt es in der Tat keine universelle moralische Norm, sondern das einzige Gesetz ist die Selbstbestimmung der Individuen und Staaten. Sobald die natürliche Ordnung gestört ist, wird das Gesetz des Rechts durch das Gesetz der Macht ersetzt, oder besser gesagt, durch das Gesetz der Gewalt, denn es ist gerade die Einhaltung oder Übertretung des Rechts, die den Unterschied zwischen Macht und Gewalt ausmacht.
Die Anwendung der Macht kann legitim sein, wenn das Gesetz sie vorschreibt. Nicht jeder Krieg ist an sich ungerecht, erklärt der Theologe Francisco Suarez (1548–1617), der „Doctor Eximius“ („herausragende Lehrer“), der diesem Thema die Disputatio XIII seiner Abhandlung De Charitate widmet. Suarez schreibt, daß der Krieg
„nicht an sich böse ist, noch den Christen verboten ist, ist eine Glaubenswahrheit, die in der Heiligen Schrift enthalten ist, denn im Alten Testament werden Kriege, die von sehr heiligen Männern geführt wurden, gepriesen: ‚O Abraham! Gesegnet seist du von Gott, dem Höchsten, der Himmel und Erde geschaffen hat, und gesegnet sei Gott, der Höchste, zu dessen Schutz die Feinde in deine Hand gefallen sind’ (Gen 14,19–20). Ähnliches ist von Mose, Josua, Simson, Gideon, David, den Makkabäern und anderen zu lesen, denen Gott mehrfach befohlen hat, gegen die Feinde der Juden Krieg zu führen; und der heilige Paulus sagt, daß diese Heiligen zugunsten des Glaubens Reiche erobert haben. Dies wird auch durch andere Zeugnisse der heiligen Väter bestätigt, die Gratian zitiert, ebenso wie der heilige Ambrosius in verschiedenen Kapiteln seines Buches über die Pflichten.“
Ein Verteidigungskrieg, so unterscheidet der Theologe, ist ein Krieg, der eine ungerechte Aggression abwehrt, während diese ausgeübt wird. Ein Offensiv- oder Aggressionskrieg wird hingegen geführt, um ein begangenes Unrecht wiedergutzumachen. Das Unterscheidungskriterium betrifft nicht die Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit des Krieges, sondern die Initiative der Machtanwendung: Im ersten Fall geht die Initiative von demjenigen aus, der das Unrecht begeht, und derjenige, der den Krieg führt, ist gezwungen, sich zu verteidigen; im zweiten Fall geht die Initiative von demjenigen aus, der das Unrecht bereits erlitten hat und, nachdem er alle Mittel eingesetzt hat, um es wiedergutzumachen, auf die Kraft zurückgreift. Ein aggressiver Krieg ist also nicht unbedingt per se schlecht, „sondern kann ehrlich und notwendig sein“. Voraussetzung ist, daß er nur dann angewandt wird, wenn kein anderes Mittel zur Verfügung steht und das Unrecht, das beseitigt werden soll, so schwerwiegend ist, daß der Rückgriff auf ein so folgenschweres Mittel erforderlich ist.
Die Kirche hat stets die Legitimität des Krieges gelehrt, der aus einem gerechten Grund geführt wird. Ihre traditionelle Doktrin läßt sich folgendermaßen zusammenfassen: Der Krieg an sich, als Anwendung von Gewalt, ist weder an sich gut noch an sich schlecht: Er wird gut oder schlecht, gerecht oder ungerecht, je nach den Zielen, die er zu erreichen sucht. Der Krieg ist ungesetzlich für diejenigen, die ihn ohne gerechten Grund und in unangemessener Weise führen, aber er ist rechtmäßig, ja in bestimmten Fällen sogar richtig für diejenigen, die ihn mit gerechtem Grund und in der richtigen Weise führen. Insbesondere ist ein Verteidigungskrieg gegen einen ungerechtfertigten Angreifer immer rechtmäßig, da Völker wie Individuen das natürliche Recht auf Selbstverteidigung haben.
Heute, angesichts der dramatischen Realität eines kriegerischen Konfliktes, der Europa mit Blut befleckt, ist als grundlegende Frage zu klären, ob es geistige und moralische Güter gibt, die so wertvoll sind, daß sie es verdienen, verteidigt zu werden, selbst um den Preis, daß man die Schrecken der modernen Kriegsführung erleidet. Vor die Wahl gestellt zwischen legitimen Gütern unterschiedlicher Qualität, wie dem materiellen Wohlstand des Volkes oder seinem moralischen Erbe, wird der Regierende immer die höheren Güter den niedrigeren vorziehen müssen, selbst um den Preis, letztere in einem Krieg zu opfern. Für christliche Seelen sind Krieg und Tod nicht unbedingt das größere Übel. Der Krieg ist, wie Romano Amerio feststellte, nur für diejenigen das größte Übel, die eine irreligiöse Auffassung vertreten, die das höchste Gut im Leben und nicht im transzendenten Zweck des Lebens sieht (Iota unum, Mailand-Neapel 1985, S. 379). Für jene, die im Gegenteil den Vorrang des geistigen Lebens vor dem materiellen Leben bejahen, wird das Verhältnis zwischen den durch den Krieg verursachten Übeln und dem Gut, das er schützen soll, immer zugunsten des Guten ausfallen, solange das behauptete und verletzte Recht wichtig ist. Der Christ muß die Existenz des Bösen dulden, aber er begehrt es nicht, und er tut es auch nicht aus schwerwiegenden Gründen, um das Gute zu erreichen. Im Kriegsfall bleibt das Ziel das Gut des Friedens; die Mittel, die er wählt, um dieses Ziel zu erreichen, auch wenn sie mit Waffengewalt erfolgen müssen, müssen immer gut und gerecht sein. Nur in diesem Fall kann ein Krieg als gerecht bezeichnet werden und darauf abzielen, durch Gerechtigkeit den Frieden wiederherzustellen: opus iustitiae pax („Der Friede ist das Werk“, Jes 32,17).
*Roberto de Mattei, Historiker, Vater von fünf Kindern, Professor für Neuere Geschichte und Geschichte des Christentums an der Europäischen Universität Rom, Vorsitzender der Stiftung Lepanto, Autor zahlreicher Bücher, zuletzt in deutscher Übersetzung: Verteidigung der Tradition: Die unüberwindbare Wahrheit Christi, mit einem Vorwort von Martin Mosebach, Altötting 2017 und Das Zweite Vatikanische Konzil. Eine bislang ungeschriebene Geschichte, 2. erw. Ausgabe, Bobingen 2011.
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Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana
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