Die Kirche ändert mit der neuen Enzyklika „nicht ihre Position, sondern das Paradigma“

Alberto Melloni, Leiter der Schule von Bologna, über die Enzyklika Omnes fratres von Papst Franziskus


Auf die Erklärung von Abu Dhabi (2019) folgt am 3. Oktober die Enzyklika Omnes fratres (Wir sind alle Brüder).
Auf die Erklärung von Abu Dhabi (2019) folgt am 3. Oktober die Enzyklika Omnes fratres (Wir sind alle Brüder).

(Rom) Heu­te kam in Ita­li­en die erste Aus­ga­be einer neu­en Tages­zei­tung an die Kios­ke. Sie heißt Doma­ni (Mor­gen). Laut Leit­ar­ti­kel schei­nen Redak­ti­on und Her­aus­ge­ber den Namen weder tages­zeit­lich als „Der Mor­gen” zu ver­ste­hen, noch adver­bi­al bezo­gen auf den näch­sten Tag. Es wird der Anspruch erho­ben, eine gan­ze Dimen­si­on grö­ßer zu den­ken, näm­lich an „Das Mor­gen”, sprich, die Zukunft. Her­aus­ge­ber und Chef­re­dak­teur ste­hen stramm im Lager des glo­ba­li­sti­schen Estab­lish­ments. Was das kirch­lich bedeu­tet, wird gleich in der ersten Aus­ga­be klar­ge­stellt mit einem lan­gen Gast­bei­trag von Alber­to Mel­lo­ni, dem Direk­tor der pro­gres­si­ven Schu­le von Bolo­gna, über die ange­kün­dig­te drit­te Enzy­kli­ka Omnes fra­tres (Alle Brü­der) von Papst Franziskus.

Die neue Tageszeitung

Anzei­ge

Der Her­aus­ge­ber und Geld­ge­ber der neu­en Tages­zei­tung ist der inzwi­schen 85jährige Unter­neh­mer Car­lo De Bene­det­ti. Über sei­nen jüdi­schen Vater ent­stammt er einer bekann­ten Ban­kiers­fa­mi­lie, über sei­ne katho­li­sche Mut­ter einer ursprüng­lich fran­zö­si­schen Offi­ziers­fa­mi­lie. Ihr Groß­on­kel war der berüch­tig­te Oberst­leut­nant Pie­tro Fumel, genannt „der Schläch­ter”, der wegen sei­ner Grau­sam­keit bei der Nie­der­schla­gung von Auf­stän­den 1861–1863 in Süd­ita­li­en sogar Gegen­stand einer Par­la­ments­de­bat­te im bri­ti­schen Unter­haus war. Die Auf­stän­de rich­te­ten sich gegen die pie­mon­te­si­sche Herr­schaft im geein­ten Ita­li­en und wur­den auch durch die kir­chen­feind­li­che Poli­tik des neu­en Staa­tes genährt. Car­lo De Bene­det­ti, lan­ge Jah­re der unter­neh­me­ri­sche, aber auch poli­ti­sche Gegen­spie­ler von Sil­vio Ber­lus­co­ni, wur­de wie sei­ne Mut­ter katho­lisch getauft. Er selbst beton­te im Juni 2016 gegen­über Il Foglio aber, daß der jüdi­sche Name der Fami­lie „Ben Baruch” lau­te, und er „abso­lut Jude” sei. Kon­kret dürf­te damit gemeint, daß in der groß­bür­ger­li­chen Fami­lie De Bene­det­tis, der 1973 in Turin in die Frei­mau­re­rei auf­ge­nom­men wur­de, der katho­li­sche Glau­ben kei­ne Rol­le spiel­te, wenn über­haupt Reli­gi­on, dann der Hin­weis auf die jüdi­sche Abstam­mung. Sie wird wie sei­ne angeb­lich völ­lig mar­gi­na­le Logen­mit­glied­schaft wie eine Visi­ten­kar­te her­um­ge­reicht. Man weist sich aus, gibt sich zu erken­nen, unter­streicht teils gene­ra­tio­nen­al­te Ver­bin­dungs­li­ni­en, kurz­um, man gehört dazu, zu einem bestimm­ten eli­tä­ren und ziem­lich ein­fluß­rei­chen Kreis.

Car­lo De Bene­det­ti, seit 2009 auch Bür­ger der Schweiz mit offi­zi­el­lem Wohn­sitz in Sankt Moritz, saß im Vor­stand des Auto­kon­zerns FIAT, war Haupt­ak­tio­när und Vor­stands­vor­sit­zen­der des Büro­ma­schi­nen- und Com­pu­ter-Her­stel­lers Oli­vet­ti, Eigen­tü­mer des Nah­rungs­mit­tel- und Süß­wa­ren­kon­zerns Bui­to­ni-Peru­gi­na. Unter­neh­men bzw. Unter­neh­mens­an­tei­le zu kau­fen und mit Gewinn wie­der zu ver­kau­fen, war sein „Hand­werk”. Er gehör­te als Ver­tre­ter des Groß­ka­pi­tals von Geburt an zu dem, was heu­te Estab­lish­ment genannt wird. 

Erste Aus­ga­be der Tages­zei­tung Doma­ni

Wäh­rend sein Bru­der für die Lin­ke Sena­tor wur­de, inter­es­sier­te sich Car­lo De Bene­det­ti mehr für Medi­en und wur­de erster Her­aus­ge­ber und Haupt­ak­tio­när der füh­ren­den links­li­be­ra­len Tages­zei­tung La Repubbli­ca von Euge­nio Scal­fa­ri, der ein­zi­gen Tages­zei­tung, die Papst Fran­zis­kus laut eige­nen Anga­ben täg­lich liest, und des Wochen­ma­ga­zins L’Espresso. Seit den 80er Jah­ren, als er das Gespräch mit der damals noch exi­stie­ren­den Kom­mu­ni­sti­schen Par­tei Ita­li­ens such­te, spielt De Bene­det­ti, wie der inzwi­schen ver­stor­be­ne Jour­na­list Giam­pao­lo Pan­sa es for­mu­lier­te, eine „sehr wich­ti­ge Rol­le” in der ita­lie­ni­schen Linken. 

Sei­ne Medi­en­an­tei­le ver­wal­ten heu­te sei­ne Söh­ne. Unzu­frie­den mit der poli­ti­schen Ent­wick­lung und der Art, wie die Blatt­li­nie ver­tre­ten wird, woll­te er sie zurück­kau­fen, was sei­ne Kin­der jedoch ablehn­ten. So grün­de­te er nun sei­ne eige­ne Tages­zei­tung. Zum Chef­re­dak­teur mach­te De Bene­det­ti, selbst Bil­der­ber­ger, den erst 36-jäh­ri­gen Bil­der­ber­ger Ste­fa­no Fel­tri. Die­ser schrieb heu­te im ersten Leit­ar­ti­kel, daß das neue Blatt, die „libe­ra­le Demo­kra­tie ver­tei­di­gen” wol­le, wes­halb „unse­re Prio­ri­tät die Ungleich­heit” sein wer­de, deren wich­tig­ste „die Umwelt” betref­fe. Ein kla­res Bekenntnis.

Mellonis Prä-Hermeneutik der Enzyklika Omnes fratres

Teil die­ses Bekennt­nis­ses ist auch der Arti­kel über die neue Enzy­kli­ka von Papst Fran­zis­kus aus der Feder von Alber­to Mel­lo­ni. Für den Histo­ri­ker, einen füh­ren­den Expo­nen­ten des Links­ka­tho­li­zis­mus, ist die Enzy­kli­ka „aus dem Dia­log mit dem Islam” und wegen „Covid-19” ent­stan­den. Papst Fran­zis­kus wird sie am 3. Okto­ber, dem Vor­abend des Gedenk­tags des hei­li­gen Franz von Assi­si, im Blitz­licht­ge­wit­ter der Pres­se­fo­to­gra­fen in des­sen Geburts­stadt Assi­si unterzeichnen.

Mel­lo­ni legt zunächst Wert auf die Fest­stel­lung, daß es in Wirk­lich­keit erst die zwei­te Enzy­kli­ka des regie­ren­den Kir­chen­ober­haup­tes ist, denn sei­ne for­mal erste, Lumen fidei, ent­stamm­te noch der Feder von Bene­dikt XVI. Die­ser war, wegen sei­nes histo­risch bei­spiel­lo­sen Amts­ver­zichts, nicht mehr dazu gekom­men, sie zu ver­öf­fent­li­chen. Ein Umstand, der andeu­ten müß­te, daß sie Bene­dikt XVI. ent­we­der nicht so wich­tig war oder sein Amts­ver­zicht doch über­ra­schen­der kam, als manch­mal behaup­tet. Fran­zis­kus habe, so Mel­lo­ni, „aus Respekt” für sei­nen Vor­gän­ger des­sen Vor­la­ge über­nom­men und sich als Papst zu eigen gemacht. Rich­tig ist, daß erst eine Enzy­kli­ka, näm­lich Lau­da­to si’ von 2015, das Den­ken von Fran­zis­kus wider­spie­gelt. Wie bei die­ser holt er sich auch die namen­ge­ben­den ersten Wor­te sei­ner zwei­ten Enzy­kli­ka als Anlei­he beim hei­li­gen Franz von Assi­si, kon­kret aus einem Text aus dem Jahr 1221, der im Hei­li­gen Kon­vent in Assi­si auf­be­wahrt wird.

Mel­lo­ni unter­streicht die Bedeu­tung und Rol­le von Enzy­kli­ken in den ver­gan­ge­nen 200 Jah­ren und sagt, ganz in sei­nem Metier, daß sie eine „Wen­de” anzei­gen kön­nen wie Rer­um Novarum (1891) von Leo XIII. oder eine „neue Pha­se der Repres­si­on” wie Pas­cen­di (1907) von Pius X. 

Gegen die­sen hei­li­gen Papst, das histo­ri­sche Lieb­lings­feind­bild der Pro­gres­si­ven, folgt gleich noch ein zwei­ter Pfeil mit dem Hin­weis, daß eines „sei­ner Opfer” am kom­men­den 4. Okto­ber, einen Tag nach der Unter­zeich­nung der neu­en Enzy­kli­ka, selig­ge­spro­chen wird. Mel­lo­ni ver­teilt Zen­su­ren, um sei­ner Leser­schaft ver­ständ­lich zu machen, wer sei­ner Mei­nung nach hei­lig ist – und mehr noch, wer nicht. Die Rede ist vom Diö­ze­san­prie­ster Olin­to Marel­la (1882–1969), der 1909 a divi­nis sus­pen­diert wur­de, weil er einen exkom­mu­ni­zier­ten Prie­ster, Don Romo­lo Mur­ri (1870–1944), mit dem er sym­pa­thi­sier­te, beher­bergt und sich mit ihm in der Öffent­lich­keit gezeigt hat­te. Mur­ri war ein Theo­re­ti­ker des Histo­ri­schen Mate­ria­lis­mus und des Christ­li­chen Sozia­lis­mus, zwei Strö­mun­gen, die in Pas­cen­di ver­ur­teilt wor­den waren. Die Sus­pen­die­rung hat­te der Bischof von Chiog­gia nach gel­ten­dem Kir­chen­recht aus­ge­spro­chen und war von Pius X. bestä­tigt wor­den. Don Mur­ri, der den Anschul­di­gun­gen nicht wider­spre­chen konn­te, akzep­tier­te die Sank­tio­nen. 1925 wur­den sie wie­der auf­ge­ho­ben und Don Mur­ri, ein Stu­di­en­freund des spä­te­ren Pap­stes Johan­nes XXIII., im Erz­bis­tum Bolo­gna inkardiniert.

Mel­lo­nis Bann­strahl trifft auch die Enzy­kli­ka Huma­ni gene­ris (1950) von Pius XII., dem er „dok­tri­nä­ren Tota­li­ta­ris­mus” vorwirft.

Die zwei­te Enzy­kli­ka von Fran­zis­kus könn­te, so der Autor, aber auch einen „Bruch” anzei­gen, wie es mit Hum­a­nae vitae (1968) von Paul VI. der Fall war. Die Enzy­kli­ken von Johan­nes Paul II. und Bene­dikt XVI. wer­den von Mel­lo­ni kaum gestreift. Die Abnei­gung gegen das pol­ni­sche und das deut­sche Pon­ti­fi­kat sitzt zu tief.

Der Bau­platz in Abu Dha­bi: Nahe der dor­ti­gen Außen­stel­le des Lou­vre wird das Abra­ha­mic Fami­ly Hou­se entstehen

Anleihe beim heiligen Franz von Assisi

Auf die Knüp­pe­lei­en fol­gen die Schmei­chel­ein­hei­ten: Fran­zis­kus beschei­nigt der Autor, zwar bis­her kei­ne „pro­gram­ma­ti­sche” und über­haupt nur eine Enzy­kli­ka, dafür aber mit Evan­ge­lii gau­di­um ein „außer­ge­wöhn­li­ches” Apo­sto­li­sches Schrei­ben vor­ge­legt zu haben.

Mel­lo­ni ent­hüllt, daß die neue Enzy­kli­ka Omnes fra­tes an Umfang Lau­da­to si’ deut­lich über­tref­fen wer­de. Bereits bekannt ist, daß sie auf „die Brü­der­lich­keit und die sozia­le Freund­schaft” fokus­siert sein wird.

Dann ist schon wie­der der Knüp­pel zur Hand: Sie wer­de aber, so Mel­lo­ni, gegen­über dem Islam „nicht die wei­ße Fah­ne schwen­ken”, also nicht jene Kapi­tu­la­ti­on und „Unter­wer­fung” (Michel Hou­el­le­becq) voll­zie­hen, „die reak­tio­nä­re Inter­net­sei­ten” behaup­ten, die „wegen der Ver­haf­tung von Ste­ve Ban­non, dem Pro­phe­ten einer fun­da­men­ta­li­sti­schen, anti­päpst­li­chen Rich­tung des Katho­li­zis­mus, ver­waist sind”. 

Mel­lo­ni geht es dabei weni­ger um Ste­ve Ban­non, des­sen Ver­ant­wor­tung Gerich­te klä­ren wer­den, wobei nicht uner­wähnt blei­ben soll, daß die bis­her im Staat New York erho­be­nen Anschul­di­gun­gen ziem­lich kon­stru­iert wir­ken und mehr Teil der demo­kra­ti­schen Wahl­kampf­stra­te­gie gegen die Wie­der­wahl von US-Prä­si­dent Donald Trump zu sein schei­nen. Dafür, daß es nicht aus­ge­schlos­sen ist, daß sich nach den Wah­len die Vor­wür­fe in Luft auf­lö­sen, lehnt sich Mel­lo­ni bei sei­nen Sei­ten­hie­ben ziem­lich weit aus dem Fen­ster. Doch einen Ideo­lo­gen küm­mert das nicht wirk­lich. Wenn er Ban­non sagt, meint er ohne­hin ganz ande­re Per­so­nen und zwar inner­halb der katho­li­schen Kir­che, denen sei­ne Ableh­nung gilt. Einer davon ist der US-Ame­ri­ka­ner Ray­mond Kar­di­nal Bur­ke, den Fran­zis­kus 2014 aus dem Vati­kan ent­fern­te und 2017 jeder eigen­stän­di­gen Auf­ga­be ent­klei­de­te. Es besteht Einig­keit dar­in, zwi­schen San­ta Mar­ta und der Schu­le von Bolo­gna, wer als Bedro­hung gilt.

Der rote Histo­ri­ker begei­stert sich dar­an, daß die neue Enzy­kli­ka „die Ein­heit der Mensch­heits­fa­mi­lie ver­tei­digt”. Das sei ein Grund­satz, den die Gläu­bi­gen nicht abbröckeln las­sen dür­fen. Damit stellt sich die Fra­ge, wer oder was plötz­lich die­se „Ein­heit” bedroht. Oder meint Mel­lo­ni, viel­leicht auch der Papst, eine ande­re „Ein­heit“ als die katho­li­sche Kir­che? Mel­lo­ni bleibt erstaun­lich vage:

„Der meta­phy­si­sche Zynis­mus, für den die Übel der glo­ba­len Welt zu offen­kun­dig sind, um ernst genom­men zu wer­den, und der getarn­te Ras­sis­mus jener, die das Elend der hal­ben Welt für fatal halten.”

Und kehrt zu Fran­zis­kus zurück, den zwei Ereig­nis­se ver­an­laßt hät­ten, die neue Enzy­kli­ka zu schrei­ben (oder schrei­ben zu las­sen, was zwin­gend ange­merkt sei, nach­dem Mel­lo­ni die Anspie­lung gegen­über Johan­nes Paul II. gemacht hat). 

4. Febru­ar 2019: Groß­i­mam al-Tay­yeb und Papst Fran­zis­kus unter­zeich­nen die gemein­sa­me Erklärung

Was den Papst bewegt

Das erste Ereig­nis war die gemein­sa­me Unter­zeich­nung der Erklä­rung über die Brü­der­lich­keit aller Men­schen am 4. Febru­ar 2019 mit dem isla­mi­schen Groß­i­mam von al-Azhar in Abu Dha­bi. Letz­te­rem wür­den „alle” eini­ge Aus­sa­gen wäh­rend der Inti­fa­da nach­se­hen, so Mel­lo­ni, und über­haupt habe er ohne­hin „nicht für alle Mus­li­me die Reprä­sen­ta­ti­vi­tät, die ihm die Katho­li­ken zuschreiben”. 

Rober­to de Mat­tei, der den hei­li­gen Lui­gi Orio­ne von 1913 zitier­te, sieht mit der Erklä­rung „das schreck­lich­ste Schis­ma“ am Hori­zont auf­stei­gen, „das die Welt je gese­hen hat“. Der öster­rei­chi­sche Phi­lo­soph Joseph Sei­fert spricht von der „Häre­sie aller Häre­si­en“.

Mel­lo­ni sieht das ganz anders. Doch auch er gibt sich mit „Abu Dha­bi“ nicht rund­um zufrie­den. Die Erklä­rung „kränk­le” noch ein wenig, etwa wenn sie die Kri­se der Welt „der Abwen­dung von reli­giö­sen Wer­ten” zuschreibt, die eine Fol­ge „mate­ria­li­sti­scher Phi­lo­so­phien” sei. Oder wenn sie als Ziel nennt, Kin­dern eine „soli­de Moral” zu ver­mit­teln, und „fun­da­men­ta­li­sti­sche Gewalt” als „Abir­rung” und „poli­ti­schen Miß­brauch” der Reli­gi­on bezeich­net. Doch der Anfang der Erklä­rung sei eine „ful­mi­nan­te Pro­phe­tie”, wo „im Namen des ein­zi­gen Got­tes” gere­det wer­de, aber nicht „uner­träg­lich abstrakt”, son­dern „im Namen der Gleich­heit und Frei­heit eines jeden Glie­des der Mensch­heits­fa­mi­lie, der Völ­ker, die Opfer des Krie­ges sind, und der Angel­punk­te der Gerech­tig­keit der Elen­den und der Gefol­ter­ten, der Geflüch­te­ten und der Getöteten.“ 

Aus die­ser Ein­lei­tung der Enzy­kli­ka einen grif­fi­gen Gedan­ken zu machen, sei der Anfang und die Her­aus­for­de­rung von Omnes fra­tres. Mel­lo­ni will damit sagen, daß die Idee von einer ver­ein­heit­lich­ten, uni­for­men Mensch­heit, die weder durch Glau­bens­be­kennt­nis­se, ras­si­sche, eth­ni­sche, kul­tu­rel­le, öko­no­mi­sche oder sexu­el­le Unter­schie­de und das Geschlecht gestört wird, die Zukunft sei, aber welt­an­schau­lich (pro­pa­gan­di­stisch) unter­mau­ert wer­den müs­se. Die mora­li­sche Auto­ri­tät des Pap­stes sei dafür (und natür­lich nur dafür) ein­zu­set­zen, die­se Idee zu unterstützen.

Das zwei­te Ereig­nis, das Fran­zis­kus zur neu­en Enzy­kli­ka gedrängt habe, sei das Auf­tre­ten des Coro­na­vi­rus, von dem Mel­lo­ni pflicht­be­wußt als „Pan­de­mie” spricht. Fran­zis­kus habe ange­sichts der Coro­na-Bedro­hung Mit­te Mai die Idee einer „beten­den Ein­heit” auf­ge­wor­fen. Der Autor zitiert, was der Papst zugleich jenen ent­ge­gen­hielt, die ihm des­halb vor­wer­fen könn­ten, einem „reli­giö­sen Rela­ti­vis­mus” das Wort zu reden:

„Wie­so kann man das nicht tun, zum Vater aller Men­schen beten? (…) Wir sind alle ver­eint als Men­schen, als Brü­der und Schwe­stern. Wir beten zu Gott, wie es der eige­nen Kul­tur, der eige­nen Tra­di­ti­on, dem eige­nen Glau­ben ent­spricht, aber als Brü­der und Schwe­stern, die zu Gott beten.”

Mel­lo­nis Hin­weis bezieht sich auf die mor­gend­li­che Pre­digt in San­ta Mar­ta vom 14. Mai, die damals noch wegen des Coro­na­vi­rus von ver­schie­de­nen Medi­en über­tra­gen wurde.

Das erste Video vom Papst, Janu­ar 2016: Vom Syn­kre­tis­mus zum Indifferentismus?

„Reaktionäre“ Mobilmachung

Die Sache sei „hei­kel gewe­sen”, da sie einen zen­tra­len Punkt der katho­li­schen Dok­trin betrifft. Doch Mel­lo­ni weiß den päpst­li­chen Gedan­ken zu inter­pre­tie­ren: Die Kir­che ände­re nicht ihre Posi­tio­nen, „son­dern das Paradigma”.

Der bevor­ste­hen­de Schritt, der durch die Enzy­kli­ka ange­zeigt wird, ist also nicht nur groß, son­dern stößt in den Kern der Glau­bens­leh­re vor. Grund genug, daß auch Mel­lo­ni vor­baut und schon ein­mal Argu­men­ta­ti­ons­hil­fen gegen Kri­ti­ker bereitstellt:

„Es gibt ein gan­zes Lehr­amt, das der reak­tio­nä­re Inte­gris­mus gegen die Enzy­kli­ka von Fran­zis­kus in Bewe­gung set­zen wird.“

Man wer­de ihm Pius X. ent­ge­gen­hal­ten, der davor warn­te, daß Begrif­fe wie ‚Frei­heit‘, ‚Gerech­tig­keit‘, ‚Brü­der­lich­keit‘, ‚Lie­be‘ und ‚Gleich­heit‘ als „chi­mä­ren­haf­te Kon­struk­ti­on“ gebraucht wer­den kön­nen, um mit einer „falsch ver­stan­de­nen Men­schen­wür­de” eine „ver­füh­re­ri­sche Ver­wir­rung” zu stif­ten. Man wer­de Fran­zis­kus auch Pius XI. ent­ge­gen­hal­ten, der sich 1928 „lustig” gemacht habe über den Dia­log „mit den Ungläu­bi­gen”, selbst mit jenen, die „von Chri­stus abge­fal­len sind oder hart­näckig die Gött­lich­keit sei­ner Per­son und sei­nes Auf­trags leug­nen”. Mel­lo­ni nennt auch Bene­dikt XVI. in die­ser Rei­he, der 2003 als Glau­bens­prä­fekt Joseph Kar­di­nal Ratz­in­ger in sei­nem Buch „Glau­be – Wahr­heit – Tole­ranz: Das Chri­sten­tum und die Welt­re­li­gio­nen” schrieb, daß ganz klar sein müs­se, daß es nicht „die Reli­gio­nen” gebe und kei­ne „gemein­sa­me Vor­stel­lung” von Gott und kei­nen gemein­sa­men Glau­ben an Ihn. Die Unter­schie­de, so Kar­di­nal Ratz­in­ger, betref­fen nicht nur das äuße­re Erschei­nungs­bild und ver­än­der­ba­re Äußer­lich­kei­ten, son­dern die Letztentscheidungen.

Mel­lo­ni, der den Text der Enzy­kli­ka bereits kennt, läßt die­se Ein­wän­de nicht gel­ten, obwohl sie noch gar nicht vor­ge­bracht wur­den. Jene, die nicht im enge­ren oder wei­te­ren Sinn zum Hof­staat von San­ta Mar­ta und des­sen Zuträ­gern gehö­ren, wis­sen noch gar nicht, was Fran­zis­kus am 3. Okto­ber unter­zeich­nen wird. Prä­ven­tiv greift Mel­lo­ni zum pro­gres­si­ven Tot­schlag­ar­gu­ment, dem­zu­fol­ge sich jede Debat­te a prio­ri zu erüb­ri­gen habe:

„Doch dazwi­schen fand das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil statt, die Erklä­rung Nost­ra aet­a­te und die Ent­deckung des Juden­tums als Sakra­ment jedes Anders­seins, das die Kir­che lehrt, daß in allem, was jeder Assi­mi­la­ti­on trotzt, eine Wur­zel eines ande­ren Ver­ste­hens ent­hal­ten ist.“

Dazu zitiert er Johan­nes XXIII., der jenen, die ihm vor­war­fen, zuviel geän­dert zu haben, gekon­tert habe: 

„Es ist nicht das Evan­ge­li­um, das sich ändert, son­dern wir sind es, die begin­nen, es bes­ser zu verstehen”.

In Fran­zis­kus und sei­ner Linie will Mel­lo­ni eine „zuneh­men­de” Rezep­ti­on des Zwei­ten Vati­can­ums erken­nen, das er in zen­tra­len Punk­ten zur „Voll­endung” führe.

Mel­lo­nis Text zeigt an, wo sich die neue Tages­zei­tung Doma­ni zu Kir­che und Reli­gi­on posi­tio­niert, und bie­tet zugleich eine Vor­ah­nung des­sen, was mit der zwei­ten Enzy­kli­ka von Fran­zis­kus auf die Kir­che zukom­men dürf­te. Das erste Video vom Papst vom Janu­ar 2016 war kein Aus­rut­scher, son­dern ein geplan­ter Schritt (von seit­her meh­re­ren) in eine bestimm­te Rich­tung. Was der Lei­ter der Schu­le von Bolo­gna die „zuneh­men­de” Rezep­ti­on nennt, klingt wie ein anschwel­len­der Bocks­ge­sang. Der katho­li­sche Pri­vat­do­zent Klaus Oben­au­er schrieb damals: 

„Der Papst muss sich ent­schei­den: Nathan der Wei­se oder Christus.“ 

Auf das The­ma der ange­kün­dig­ten Enzy­kli­ka bezo­gen, heißt das: Der Papst muß sich ent­schei­den: frei­mau­re­ri­sche Fra­ter­ni­té oder christ­li­che Brüderlichkeit.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Domani/​MiL (Screen­shot)

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2 Kommentare

  1. „Wie­so kann man das nicht tun, zum Vater aller Men­schen beten? (…) Wir sind alle ver­eint als Men­schen, als Brü­der und Schwe­stern. Wir beten zu Gott, wie es der eige­nen Kul­tur, der eige­nen Tra­di­ti­on, dem eige­nen Glau­ben ent­spricht, aber als Brü­der und Schwe­stern, die zu Gott beten.”
    Sehr schön hört sich das an. Aber es bleibt dabei „An Jesus Chri­stus wer­den sich die Gei­ster scheiden“.
    Die­ser Gott am Kreuz ist wirk­lich ein gro­ßes Ärger­nis, denn er macht die Sün­der auf allen nur erdenk­li­chen Fron­ten seit über 2000 Jah­ren stän­dig ner­vös und reizt sie zum Widerspruch.
    „Es ist nicht das Evan­ge­li­um, das sich ändert, son­dern wir sind es, die begin­nen, es bes­ser zu verstehen”.
    Wir sind es? Ich wer­de zu mei­nem Gott beten das euer bes­se­res Ver­ste­hen mei­ne See­le nicht errei­chen tut. Wenn ich eines Tages vor mei­nem Gott ste­he wer­de ich ihm sagen „Sie nicht auf mei­ne Sün­den, son­dern das ich nicht zu den bes­se­ren Ver­ste­hern gehört habe.“
    Das ist eine unglaub­li­che Chan­ce die ich mir nicht ent­ge­hen las­sen werde.
    Per Mari­am ad Christum.

  2. Das hat nichts mehr mit katho­li­schen Kir­che zu tun. Das ist die frei­mau­re­ri­sche Reli­gi­on, Neue Welt Reli­gi­on, Gott der Juden ist nicht unser Gott, Gott des Islams ist auch nicht unser Gott. Kei­ner aus ande­ren Reli­gi­on glaubt an die Drei­fal­tig­keit. Das ist das A und O, nur durch Chri­stus kommt man zum wah­ren Glau­ben. Nur Jesus ist der Weg, die Wahr­heit und das Leben.

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