Der „andere“ Kulturkampf von Jesuiten und Vatikan

Seligsprechungsverfahren für Pedro Arrupe


P. Pascual Cebollada SJ, der Postulator im Seligsprechungsverfahren für Ordensgeneral Pedro Arrupe (Bild).
P. Pascual Cebollada SJ, der Postulator im Seligsprechungsverfahren für Ordensgeneral Pedro Arrupe (Bild).

(Rom) Am Diens­tag, den 5. Febru­ar wur­de das Selig­spre­chungs­ver­fah­ren für Pedro Arru­pe auf diö­ze­saner Ebe­ne eröff­net. Der Jesu­it Arru­pe gilt als der umstrit­ten­ste aller „Schwar­zen Päpste“. 

Anzei­ge

Die Jesui­ten, vom hei­li­gen Igna­ti­us von Loyo­la gegrün­det, legen neben den drei tra­di­tio­nel­len Ordens­ge­lüb­den, den soge­nann­te evan­ge­li­schen Räten, noch ein spe­zi­el­les vier­tes Gelüb­de ab: die Treue zum Papst. Als die Gene­ral­ku­rie des Ordens im ver­gan­ge­nen Novem­ber den Kalen­der für das ange­streb­te Selig­spre­chungs­ver­fah­ren für ihren frü­he­ren Ordens­ge­ne­ral bekannt­gab, wur­den Zwei­fel laut, wie man einen Mann zu den Altä­ren erho­ben wer­den soll kön­nen, der sich nicht nur einem, son­dern gleich zwei Päp­sten widersetzte.

Der Paradigmenwechsel im Jesuitenorden

Pedro Arru­pe war von 1965 bis 1983 28. Gene­ral des Jesui­ten­or­dens. Die Gene­ral­obe­ren der Gesell­schaft Jesu, so der offi­zi­el­le Ordens­na­me, wer­den auch als „Schwar­ze Päp­ste“ bezeich­net, im Gegen­satz zur wei­ßen Klei­dung des Papstes. 

Verfahrenseröffnung im Lateran
Ver­fah­rens­er­öff­nung im Lateran

Der 5. Febru­ar war Arru­pes 28. Todes­tag. Wäh­rend sei­ner Amts­zeit erleb­te der größ­te Orden der katho­li­schen Kir­che einen bei­spiel­lo­sen Nie­der­gang, nicht durch äuße­re Fein­de, son­dern durch inne­re Auf­lö­sungs­er­schei­nun­gen (sie­he dazu von Wolf­ram Schrems „Der Jesu­it auf dem Papst­thron – Von zwei Kata­stro­phen in einer Per­son“). Arru­pe war wie der hei­li­ge Igna­ti­us ein Bas­ke. Bald ging daher wegen Arru­pes Amts­füh­rung das Wort um: „Ein Bas­ke hat den Orden gegrün­det, ein Bas­ke sperrt ihn zu“. Arru­pe war vom Sieg des Sozia­lis­mus über­zeugt und führ­te den Orden Anfang der 70er Jah­re auf den Kurs jener unsäg­li­che Alli­anz von Chri­sten­tum und Sozia­lis­mus, er seit vie­len Jahr­zehn­ten eine immer neue Ver­su­chung für ganz Tei­le der Kir­che dar­stel­len. Nach der lan­gen Amts­zeit von Johan­nes Paul II. schien die­se Ver­su­chung unter Bene­dikt XVI. end­gül­tig gebannt. Unter Fran­zis­kus kehr­te die Tot­ge­glaub­te aber schnell zu neu­em Leben zurück.

Als Karol Woj­ty­la als Johan­nes Paul II. den Papst­thron bestie­gen hat­te, ent­mach­te­te er Arru­pe 1981, um des­sen Ein­fluß­nah­me zu been­den. Der Orden war zu die­ser Zeit bereits schwer beschä­digt. In Tei­len des Ordens wur­de seit der Inter­ven­ti­on von Johan­nes Paul II. an einer Arru­pe-Legen­de gestrickt. Das zeigt sich an jun­gen Jesui­ten, die Arru­pe nie per­sön­lich ken­nen­ge­lernt haben, aber eine unge­wöhn­li­che und mehr noch unan­ge­mes­se­ne Ver­eh­rung für den ehe­ma­li­gen Ordens­ge­ne­ral zei­gen. Die Ent­mach­tung ihres Gene­rals wur­de dem pol­ni­schen Papst von Tei­len des Ordens nie verziehen.

Da Arru­pe als Ordens­ge­ne­ral sei­nen Sitz in Rom hat­te und auch dort gestor­ben ist, wird das diö­ze­sa­ne Ver­fah­ren von der Diö­ze­se Rom durch­ge­führt. Die offi­zi­el­le Zere­mo­nie der Ver­fah­rens­er­öff­nung fand am Diens­tag im Late­r­an­pa­last statt und wur­de durch Kar­di­nal­vi­kar Ange­lo De Dona­tis, dem Pro­mo­tor Ius­ti­tiae, Msgr. Giu­sep­pe D’Alonzo, dem Notar Mar­cel­lo Tar­ra­ma­ni, Nota­ri­ats­as­si­stent Fran­ces­co Alle­g­ri­ni und dem Postu­la­tor des Selig­spre­chungs­ver­fah­rens für Arru­pe, P. Pascual Cebollada SJ voll­zo­gen. Der Zere­mo­nie fehl­te nicht ein iro­ni­sche Note, da auch Msgr. Sla­wo­mir Oder als bischöf­li­cher Dele­gat anwe­send war, der Postu­la­tor im Selig­spre­chungs­ver­fah­ren von Johan­nes Paul II. war.

Die „Heiligsprechung“ des Zweiten Vatikanum

In sei­ner Anspra­che beton­te Kar­di­nal­vi­kar De Dona­tis „den Ruf der Hei­lig­keit, die das Leben und das Werk von Pater Arru­pe präg­ten“. Er nann­te ihn einen „wirk­li­chen Mann der Kir­che, einer Kir­che, die 1965 das Öku­me­ni­sche Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil been­de­te, und es dar­um ging, es in die Pra­xis umzusetzen“.

Die Wor­te des Kar­di­nal­vi­kars las­sen erneut jene „Hei­lig­spre­chung“ des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils auf­blit­zen, die bereits durch die Hei­lig­spre­chung der Kon­zil­s­päp­ste erkenn­bar wur­de, beson­ders der wun­der­lo­sen Hei­lig­spre­chung von Johan­nes XXIII.

Kar­di­nal De Dona­tis sag­te zudem:

„In jener oft unru­hi­gen Zeit zeig­te er in jedem Augen­blick sei­ne tie­fe Zuge­hö­rig­keit zur Kir­che und sei­nen lei­den­schaft­li­chen, demü­ti­gen und festen Wunsch, dem Hei­li­gen Stuhl und dem Hei­li­gen Vater zu gehor­chen (Paul VI., Johan­nes Paul I., Johan­nes Paul II.). Er ver­such­te, die besten Wer­te der Tra­di­ti­on mit dem Not­wen­di­gen zu ver­bin­den, um das Chri­sten­tum an die neu­en Zei­ten anzu­pas­sen, und woll­te die Gesell­schaft Jesu immer mit Begei­ste­rung nach den Richt­li­ni­en des II. Vati­ka­nums füh­ren. Des­halb sprach Pater Kol­ven­bach von ihm als ‚Pro­phe­ten der Konzilserneuerung‘.“

Und wei­ter:

„Vie­le Jesui­ten – im Novi­zi­at – und Nicht-Jesui­ten näh­ren sich gei­stig an sei­nen Schrif­ten. Zahl­rei­che Doku­men­te für die Postu­la­ti­on, die aus der gan­zen Welt erbe­ten wur­den und ein­ge­gan­gen sind, bezeu­gen die­sen Ruf. Sei­ne Gestalt wird immer noch bewun­dert und ver­ehrt, und vie­le ver­trau­en auf sei­ne Für­spra­che. Ein Bei­spiel für sein Andenken, sein Erbe und das Fort­dau­ern sei­nes Rufes der Hei­lig­keit ist die Anzahl von Hun­der­ten von Gemein­schaf­ten, Häu­sern, apo­sto­li­schen Wer­ken und Pro­gram­men auf der gan­zen Welt, die sei­nen Namen tra­gen. Sie geben Zeug­nis von der Aner­ken­nung der bemer­kens­wer­ten Tugen­den die­ses außer­ge­wöhn­li­chen Christen.“ 

Arrupes Allianz

Papst Fran­zis­kus ist in fast 500 Jah­ren der erste Jesu­it auf dem Papst­thron. Lan­ge Zeit galt eine sol­che Mög­lich­keit wegen des spe­zi­el­len Gehor­sams­ge­lüb­des gera­de­zu als undenk­bar. Um so erstaun­li­cher ist es, daß seit den 80er Jah­ren – zunächst mit Car­lo Maria Kar­di­nal Mar­ti­ni, dann mit Jor­ge Mario Berg­o­glio – immer ein Jesu­it als Kan­di­dat für das Petrus­amt bereitstand.

Die Eröff­nung des Selig­spre­chungs­ver­fah­rens für den Jesui­ten Pedro Arru­pe wäre ohne den Jesui­ten auf dem Papst­thron nicht denk­bar. Unter sei­nen Vor­gän­gern war gera­de­zu unvor­stell­bar, was am Diens­tag gesche­hen ist. 

Kardinal Di Donatis mit General Sosa
Kar­di­nal Di Dona­tis mit Gene­ral Sosa

Seit Okto­ber 2016 wird der Jesui­ten­or­den vom 31. Gene­ral­obe­ren geführt, dem Vene­zo­la­ner Arturo Sosa Abas­cal, einer der Män­ner, die die Alli­anz von Sozia­lis­mus und Chri­sten­tum beson­ders ernst­ge­nom­men haben. Von den 29 ver­stor­be­nen „Schwar­zen Päp­sten“ wur­den bis­her nur zwei zu den Altä­ren erho­ben: der Ordens­grün­der und erste Gene­ral­obe­re, der hei­li­ge Igna­ti­us von Loyo­la, und der drit­te Ordens­ge­ne­ral Franz Bor­gia. Für zwei wei­te­re Gene­ral­obe­re wur­de das Selig­spre­chungs­ver­fah­ren zwar ein­ge­lei­tet – eines vor fast 300 Jah­ren, das ande­re vor bald 100 Jah­ren –, aber nie abge­schlos­sen. Der Orden macht der­zeit kei­ne Anstal­ten, sie wie­der­auf­neh­men zu wollen.

Arru­pe, so die Absicht, wäre der ein­zi­ge kano­ni­sier­te Ordens­ge­ne­ral neben dem hei­li­gen Igna­ti­us. Die her­aus­ra­gen­de, histo­ri­sche Bedeu­tung, die mit ihm ver­bun­den wäre, ver­gleich­bar nur der Ordens­grün­dung, wäre die Umset­zung des Kon­zils und sei­ne Alli­anz von Chri­sten­tum und Sozialismus. 

Versuch einer Revanche

Mit der Selig­spre­chung sucht der Orden auch die Revan­che für die Ent­mach­tung Arru­pes durch Johan­nes Paul II. Er will, wenn auch ver­spä­tet, als Sie­ger aus die­sem inner­kirch­li­chen Rin­gen hervorgehen. 

Dem „lan­gen Pon­ti­fi­kat“ des pol­ni­schen Pap­stes, zu dem häu­fig auch jenes von Bene­dikt XVI. gerech­net wird, geben Arru­pe-Anhän­ger die Schuld, daß die Moder­ni­sie­rung der Kir­che durch „Aus­söh­nung“ mit der Moder­ne auf „hal­bem Weg“ stecken­ge­blie­ben sei. Der „Ante-Papa“, wie sich Kar­di­nal Mar­ti­ni selbst nann­te und gewollt mit der Wort­ähn­lich­keit zu Anti-Papa (Gegen­papst) koket­tier­te, tadel­te noch in sei­nem erst post­hum ver­öf­fent­lich­ten letz­ten Inter­view, daß die Kir­che „200 Jah­re“ der Ent­wick­lung hin­ter­her­hin­ke, weil sie sich 1789 gegen die fran­zö­si­sche Revo­lu­ti­on stell­te, anstatt mit ihr zu gehen. 

Das Selig­spre­chungs­ver­fah­ren für Pedro Arru­pe ist nicht ein Ver­fah­ren von vie­len, die in der Kir­che durch­ge­führt wer­den. Es ist hoch­ex­plo­siv auf­ge­la­den, weil es Teil eines grund­le­gen­den Kul­tur­kamp­fes ist. 

Das wird an klei­nen und sub­ti­len Signa­len sicht­bar, die vom Vati­kan, nicht von den Jesui­ten aus­ge­sandt wer­den. Die neue Nach­rich­ten­platt­form Vati­can News berich­te­te die Ver­fah­rens­er­öff­nung unter ande­rem mit einem Zitat von Erz­bi­schof Oscar Rome­ro von San Sal­va­dor, den Papst Fran­zis­kus im Okto­ber 2018 hei­lig­sprach. Wegen der poli­ti­schen Impli­ka­tio­nen in sei­nem Mord­fall zeig­ten die bei­den Vor­gän­ger­päp­ste Beden­ken, die Fran­zis­kus mit einem Feder­strich bei­sei­te­schob und Rome­ros Tod als Mar­ty­ri­um aner­kann­te. Bei Vati­can News hieß es am Dienstag:

„Der hei­li­ge Rome­ro über P. Arru­pe: ‚Ein hei­li­ger Mann, der die Zeit versteht‘.“

Dabei gab gera­de Fran­zis­kus, Papst und Jesu­it, in der Ver­gan­gen­heit zu ver­ste­hen, katho­li­sche Kul­tur­kämp­fer nicht zu mögen. Die­ser Wider­spruch kann nicht wirk­lich erstau­nen. Er ist Teil des Ganzen.

Arru­pe war Ordens­ge­ne­ral, als Jor­ge Mario Berg­o­glio zum Prie­ster geweiht wur­de und die ewi­gen Gelüb­de ableg­te. Arru­pe war es, der den jun­gen Berg­o­glio för­der­te und des­sen erste Kar­rie­re ein­lei­te­te. Arru­pe war es, der den erst 36 Jah­re alten Berg­o­glio 1976 zum Pro­vin­zi­al der argen­ti­ni­schen Ordens­pro­vinz machte. 

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Vati­can News (Screen­shots)

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