Wer heute über synodale Reformmodelle spricht, tut gut daran, die reales Entwicklungen zu betrachten, um nicht Wunschbildern hinterherzulaufen. Ein besonders aufschlußreicher Spiegel ist das anglikanische Weltgefüge, das schon seit Jahrzehnten eine ausgeprägte synodale Struktur kennt. Die nüchternen Zahlen, die aus Großbritannien vorliegen, sollten jedem katholischen Beobachter zu denken geben: Schismen im Inneren und der kontinuierliche Abgang anglikanischer Geistlicher hin zur katholischen Kirche hat längst einen Umfang erreicht, den nicht einmal die dortigen Bischöfe erahnten. Und bemerkenswert: Der Trend verstärkte sich immer dann, wenn synodale Beschlüsse immer tiefer in Lehre oder sakramentale Ordnung eingriffen – insbesondere bei der Einführung der Frauenordination.
Synodale Verfassung der Church of England
Einblick in die anglikanische Schieflage bietet ein Artikel der britischen Tageszeitung The Times vom gestrigen 20. November. Zum besseren Verständnis: Die synodale Verfassung der Church of England wurde mit der Synodical Government Measure von 1969 eingeführt, die 1970 in Kraft trat. Die 1536 von König Heinrich VIII. willkürlich von Rom abgespaltene Kirche von England war nach dem katholischen Vorbild noch hierarchisch und klerikal verfaßt.
Mit dem Enabling Act von 1919 wurde eine Church Assembly eingeführt und damit eine dreigliedrige Kirchenverfassung bestehend aus drei Kammern oder Kurien geschaffen, die der Bischöfe, der Kleriker und der Laien. Erstmals erhielten die Laien ein Mitspracherecht, was einen Bruch mit der hierarchisch erfolgten Stiftung durch Jesus Christus bedeutete. Allerdings hatte diese Kirchenversammlung nur beratenden Charakter. Das Terrain war damit jedoch bereitet. 1969 mußte den drei Kurien nur mehr eine reale und gleichberechtigte Entscheidungsvollmacht zugesprochen werden und die „perfekte“ synodale Kirche nach westlich-demokratischem Verständnis war geschaffen. Aus der Church Assembly wurde die General Synod.
Vergleich zur synodalen Entwicklungen in der katholischen Kirche
Man beachte sowohl die zeitliche Abfolge des Umbaus als auch die Begrifflichkeiten: Church Assembly, General Synod… Diese Begriffe kommen inzwischen auch Katholiken bekannt vor. Papst Franziskus baute die im Gefolge des Zweiten Vatikanischen Konzils errichtete und regelmäßig tagende Bischofssynode mit der Apostolische Konstitution Episcopalis Communio vom 15. September 2018 in eine erweiterte Synode um. Formal besteht die Bischofssynode zwar fort, doch nahmen mit der Synodalitätssynode erstmals Laien, auch Frauen, mit Stimmrecht daran teil.
Entsprechend wurde vom Heiligen Stuhl in Veröffentlichung der Begriff „Bischofssynode“ stillschweigend durch den Begriff „Synode“ ersetzt.
Ankündigung einer ominösen „Kirchenversammlung“
Am vergangenen 15. März, kurz vor dem Tod von Franziskus, schrieb Kardinal Mario Grech überraschend einen Brief an alle Bischöfe, in dem er die Absicht des argentinischen Papstes mitteilte, als Abschluß des „synodalen Prozesses“ und der Synodalitätssynode im Jahr 2028 eine „Kirchenversammlung“ einberufen zu wollen, um das das durch den synodalen Prozeß erreichte „zu konsolidieren“. Abgesehen davon, daß kaum nachvollziehbar ist, was „konsolidiert“ werden sollte, fehlt dieser „Kirchenversammlung“ jede Rechtsgrundlage. Vor allem aber gibt es keinerlei schriftliche oder mündliche Äußerung von Franziskus, die diese Ankündigung bestätigen würde.
Kardinal Grech begründete sein Schreiben mit dem Hinweis, daß Papst Franziskus am 11. März, also vier Tage davor, entsprechende Anweisungen erteilt hätte. Wörtlich heißt es in dem Brief des Generalsekretariats der Synode: „Am 11. März dieses Jahres hat der Heilige Vater endgültig die Einführung eines Weges der Begleitung und Bewertung der Umsetzungsphase durch das Generalsekretariat der Synode festgelegt. […] Das Ergebnis wird schließlich im Oktober 2028 zu
einer Kirchlichen Versammlung im Vatikan führen.“
Für den 11. März ist allerdings kein Besuch bei Papst Franziskus in der Gemelli-Klinik vermeldet worden. Um 19:30 Uhr jenes Abends berichtete Vatican News, das Nachrichtenportal des Heiligen Stuhl, über den Tagesverlauf ausdrücklich: „Er hat keinen Besuch empfangen“.
Die Parallelen
Davon einmal abgesehen finden sich also die gleichen Begriffe wieder, die in der anglikanischen Church of England schon seit Jahrzehnten in Verwendung sind. Ein genauer Blick nach England liegt also nahe.
Die Synodalisierung der Church of England führte zu grundsätzlichen Veränderungen in ihrer Verfassung. Einer der einschneidendsten Konfliktpunkte wurde die Frauenordination. Zunächst wurde der Zugang zum Diakonat gefordert; kaum war diese gewährt, auch zum Priestertum und kaum auch diese erreicht, die zum Episkopat. Mahnende Stimmen hatten diese Entwicklung vorhergesehen, doch es wurde solange abgestimmt, bis alle drei Kurien den Neuerungen zustimmten. Die Kurie der Laien leistete dabei jeweils den längsten Widerstand. In der Kirche, die hierarchisch verfaßt ist, kommen, wie die Geschichte lehrt, alle Probleme immer von oben, was ganz und gar nicht metaphysisch gemeint ist, sondern sich auf die kirchliche Hierarchie bezieht.
Die Abwanderung von anglikanischen Geistlichen
Eine empirisch faßbare Konsequenz der synodalen Entwicklung ist eine starke Abwanderung von anglikanischen Geistlichen in den vergangenen drei Jahrzehnten zur katholischen Kirche. Die Zahl der ordained ministers, die die Church of England verlassen haben, um katholisch zu werden, geht in die Hunderte: Mehrere Hunderte priests und deacons und über ein Dutzend Bischöfe haben sich der katholischen Kirche zugewandt, so die Times. Der „signifikante Anstieg“, so die Autoren, gehe maßgeblich auf jene synodalen Entscheidungen zurück, welche die Kirche von England seit den frühen 1980er Jahre geprägt haben. 1985 fand in den Kurien der Generalsynode die erste Abstimmung über die Einführung des Frauendiakonats statt.
Frauenordination und progressive Eskalation
1987 wurden die ersten Frauen zu Diakonen geweiht, 1994 zu Priestern und 2015 schließlich zu Bischöfen. Hat sich dadurch die Kirche verbessert? Geht es den Frauen besser? Ist der feministische Furor befriedigt? Keineswegs. Um die ewige Unruhe und den unaufhörlichen Neuerungsdrang zu stillen – ein Phänomen, das man auch von der weltlichen Linken kennt – und da die anglikanische Kirche aufgrund der Trennung von Rom kein Papsttum mehr besitzt, das man emanzipatorisch erobern könnte, wurde das Amt des Erzbischofs von Canterbury einer Frau übertragen, die zu Jahresbeginn 2026 eingeführt wird. Der Erzbischof von Canterbury behält zugleich den Ehrenrang des ersten Bischofs in der anglikanischen Hierarchie. Er ist Primas von England, nominell geistliches Oberhaupt der Church of England und führt den Ehrenvorsitz der Anglikanischen Weltgemeinschaft (Anglican Communion).
Die unmittelbare Folge dieser Entscheidung – getrieben allein vom progressiven Drang und der offenbar unstillbaren Gier nach Schlagzeilen – ist ein Schisma. Rund 80 Prozent der Anglikanischen Weltgemeinschaft erklärten ihre Abkehr von der Kirche von England. Objektiv betrachtet ist dies Ausdruck einer tiefgreifenden, zersetzenden Wirkung.
Zwischen der stufenweisen Zulassung von Frauen zu Weiheämtern (wobei anzumerken ist, daß die katholische Kirche keine anglikanischen Weihen anerkennt) erfolgten weitere zeitgeistige Beschlüsse: die Zulassung von Homosexuellen zum Priestertum und Episkopat, die faktische Tilgung von Sünde, und Teufel, die Einführung einer zweiten Taufe für Transsexuelle und dergleichen mehr. Und tatsächlich befindet sich die Kirche von England in der offenen Auflösung. Den Zusammenhalt bildet heute mehr ihre Einbindung in die alten höfischen und behördlichen Protokolle. Daraus ergibt sich immer mehr eine leere äußere Hülle.
Die Rückkehr nach Rom
Forscher stellten fest, so die Times, daß nahezu ein Drittel aller seit 1992 in England und Wales geweihten katholischen Priester zuvor anglikanische Geistliche waren – eine Zahl, die selbst für katholische Bischöfe des Landes „überraschend hoch“ ausfiel. Seit der historischen Synodalentscheidung von 1992, Frauen zum Presbyterat zuzulassen, haben rund 700 Kleriker und Ordensangehörige der Church of England den Schritt in die volle Gemeinschaft mit Rom vollzogen. Unter ihnen befinden sich 16 anglikanische Bischöfe. Sie alle wurden, wenn sie dem Klerikerstand der katholischen Kirche angehören wollten, nach einer Ausbildung neu geweiht.
Zu den bekanntesten Konvertiten zählen Msgr. Michael Nazir-Ali, ehemals Bischof von Rochester, sowie der frühere Bischof von Chester, Peter Forster, und Jonathan Goodall, bis 2021 anglikanischer Bischof von Ebbsfleet. Die Erhebung wurde von der St.-Barnabas-Gesellschaft in Auftrag gegeben, die konvertierten anglikanischen Klerikern beisteht. Sie Studie wurde unter der Leitung des Religionssoziologen Stephen Bullivant erstellt. Sie zeigt, daß etwa 35 Prozent der katholischen Weihen in England und Wales ehemalige Anglikaner betreffen.
Kardinal Vincent Nichols, Erzbischof von Westminster und katholischer Primas von England und Wales, begrüßte die neue Transparenz, warnte jedoch, aus welchem Grund auch immer, vor einer oberflächlichen Rede von „Konversion“. Für kirchliche Hierarchen westlicher Prägung scheint das Wort „Konversion“ fast zum Tabuwort geworden zu sein. Papst Franziskus tat das Seine dazu, missionarisches Wirken zu diskreditieren. Man denke an seine Insistenz, mit der er „Proselytismus“ tadelte. Viele der Betroffenen, so Kardinal Nichols, würden ihre anglikanische Herkunft nicht „verwerfen“, sondern im katholischen Glauben dessen Erfüllung sehen – ähnlich wie der heilige Paulus sein jüdisches Erbe nicht abgelegt, sondern durch die Taufe vollendet habe.
Historisch sticht in der genannten Abwanderungsbewegung besonders das Jahr 1994 hervor, der Zeitpunkt der ersten Weihen von Frauen in der Kirche von England – mit einem sprunghaften Anstieg der Koversionen zur katholischen Kirche. Weitere Wellen folgten nach 2009 und vor allem nach 2010, als Papst Benedikt XVI. nach Großbritannien reiste und eigene Personalordinariate für die Anglikaner errichtete, die in die Einheit mit Rom zurückkehren.
„Die Zahlen“, resümiert Bullivant, „sind deutlich höher, als die meisten Menschen – einschließlich der von uns befragten katholischen Bischöfe – vermutet hätten.“
Welche Erkenntnis für die katholische Kirche?
Wie der protestantische Raum nimmt auch die Church of England viele progressive Entwicklungen vorweg, was der katholischen Kirche die bemerkenswerte Chance bietet, Fehlentwicklungen zu verhindern. Dieser Erkenntnisfähigkeit scheint im vergangenen halben Jahrhundert jedoch in nicht unerheblichen Teilen verlorengegangen zu sein.
Der Befund aus der jüngsten Studie, der nicht nur in England, sondern auch anderswo zum Nachdenken anregen dürfte, lautet jedenfalls: Wo synodale Prozesse in die Substanz des Glaubens eingreifen, ist die Folge ein beständiger Aderlaß.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Wikicommons

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