
In den ersten sechs Monaten des Jahres 2025 verzeichneten die (offiziellen) katholischen Gemeinschaften in China einen auffallenden Anstieg an Berufungen. Nach Angaben des Portals xinde.org fanden zwischen Januar und Juni sechzehn Priesterweihen sowie die ewige Profeß von vier Ordensfrauen statt. Zudem wurde Antonius Ji Weizhong zum Bischof von Lüliang geweiht. Zahlen der leidenden Untergrundkirche liegen nicht vor. Unterdessen indoktriniert das Regime schon Kinder in inszenierten Prozessen, „illegale“ religiöse Bekenntnisse zu meiden, zu denunzieren und zu bekämpfen.
Seit Juni kamen weitere Weihen hinzu – zuletzt am 29. August in der Kathedrale der Unbefleckten Empfängnis zu Nanchang, einem Ort von historischer Bedeutung, da dort einst der Jesuitenmissionar Matteo Ricci wirkte. Der Bischof von Nanchang, Giovanni Battista Li Suguang, zelebrierte die Heilige Messe, an der über sechzig Priester, rund zwanzig Ordensfrauen und mehr als dreihundert Gläubige teilnahmen. Die drei Neupriester – P. Paolo Liu Enbo, P. Pietro Pan Liang und P. Giuseppe Dong Liangshan – stammen aus Schanxi und Hebei. Mit dieser Weihe zählt der Klerus der Diözese nun fünfundfünfzig Priester. Zwei weitere Weihen sind für den 19. September in Peking vorgesehen.
Bischof Antonius Ji Weizhong der neuerrichteten Diözese Lüliang wurde im Rahmen des Geheimabkommens über die Bischofsernennenungen berufen. Das bedeutet konkret, daß ihn das kommunistische Regime, das größten Wert auf Regimetreue legt, im Juli 2024 auswählte und ihn Papst Franziskus im Oktober 2024 bestätigte. Die Bischofsweihe erfolgte am 20. Januar 2025. Hauptkonsekrator bei der Bischofsweihe war der regionale Vorsitzende der Patriotischen Vereinigung, Paul Meng Ningyou, Erzbischof von Taiyuan.
Der Kontrast zur jüngeren Geschichte
Zwischen 1999 und 2008 lag die durchschnittliche Zahl der jährlichen Priesterweihen in China bei etwa siebzig. Seither ging sie deutlich zurück. Der langwierige Ausbildungsprozeß von fünf bis sieben Jahren, verbunden mit erheblichem sozialem und politischem Druck, schreckt viele junge Männer ab.
Die genannten Zahlen betreffen ausschließlich die offizielle Kirche, die unter direkter staatlicher Kontrolle steht. Über die Lage in der Untergrundkirche liegen keine verläßlichen Angaben vor.
Zwei Kirchen – ein Dilemma
Die Entwicklung der Berufungen ist nicht losgelöst von der tiefen Spaltung der Kirche in der Volksrepublik China zu betrachten. Auf der einen Seite steht die „offizielle“ Kirche unter Kontrolle der Patriotischen Katholischen Vereinigung und der Kommunistischen Partei. Auf der anderen Seite besteht die romtreue, jedoch verfolgte Untergrundkirche, deren Treue mit Diskriminierung, Haft und Verfolgung geahndet wird.
Das Geheimabkommen von 2018 zwischen dem Heiligen Stuhl und Peking über die Bischofsernennungen hat – anders als von Rom erhofft – die Kluft nicht überbrückt, sondern vertieft. Kritiker wie Kardinal Joseph Zen warnten bereits im Vorfeld: Das Abkommen, das der Kommunistischen Partei die Auswahl der Bischöfe überträgt, fördert nicht die Einheit, sondern zementiert die politische Einflußnahme. Der Staat regiert nun offiziell und mit päpstlicher Zustimmung bis in das Herz der Kirche hinein.
Dieser Kurs fordert seinen Preis: Viele Untergrundkatholiken fühlen sich von Rom verraten. Ein junger Mann, der seine Berufung verspürt, sieht sich vor die Wahl gestellt, den Weg in die regimehörige „offizielle“ oder die vom Regime verfolgte Untergrundkirche zu gehen – und kaum einer möchte sich einem Regime ausliefern, das mit hoher Wahrscheinlichkeit den Eintritt in die sogenannte „Patriotische Kirche“ erzwingt. Vor dem Abkommen konnte man sich am Maßstab Roms, also der Weltkirche, orientieren. Seither fehlt selbst dieser innere Halt.

Berufungen zwischen Servilität und Treue
Die jüngsten Weihen zeigen eine doppelte Wirklichkeit: Die offizielle Kirche präsentiert ihre Berufungen medienwirksam, während die Untergrundkirche im Schweigen fortbesteht – und mehr denn je im Verborgenen. Dem Geheimabkommen liegt offenbar ein Denkfehler zugrunde: Es verwechselt politische Kontrolle mit Stabilität, und kirchlichen Gehorsam mit Unterwerfung unter die Partei. Ein Denkfehler, der im Vatikan begangen wurde. Kritiker warfen Papst Franziskus zudem vor, aus weltpolitischen Gründen seine persönlichen Sympathien für sozialistische Ideen dem Wohl der chinesischen Katholiken vorgezogen zu haben.
Doch die wahre Lebendigkeit der Kirche in China offenbarte sich seit 1949 nie in Zahlen, sondern in der Treue zu Christus – im Stillen, im Leiden, im Untergrund.
Aufruf zur Unterstützung der verfolgten Kirche
Der Untergrundkirche fehlen Priesterseminare und Ausbilder. Das Geheimabkommen hat ihre Lage weiter verschlechtert. Der Staat versucht, der Kirche ihre prophetische Stimme zu nehmen und sie zu einem zahmen, kontrollierbaren Instrument der Staatsideologie zu machen.
Die Hoffnung liegt nicht im Lob des Regimes, wie man es im Vatikan unter Franziskus zu glauben schien, sondern in jenen, die trotz Verfolgung den Glauben bewahren und still, aber kraftvoll gegen die Anbiederung der „patriotischen“ Kirche Zeugnis geben.
Das kommunistische Regime ist strukturell religionsfeindlich, da die Kommunistische Partei einen Totalitätsanspruch erhebt – und jede religiöse Überzeugung als Konkurrenz versteht, die nicht geduldet wird. Der ideologische Absolutismus wird mit immer raffinierteren Methoden durchgesetzt. Ein jüngstes Beispiel aus Schanghai zeigt, in welchem Klima Berufungen in China heute heranreifen müssen.
Kinder als Werkzeuge der Repression
In der ostchinesischen Küstenmetropole wurden Kinder in ein echtes Gericht gebracht, wo sie an einem inszenierten Prozeß teilnehmen und Mitglieder „illegaler Religionen“ zu hohen Haftstrafen „verurteilen“ sollten.
„In einer beunruhigenden Demonstration staatlich organisierter Indoktrination hat die chinesische Regierung ihre Propagandamaschinerie erneut auf die jüngsten und beeinflußbarsten Mitglieder der Gesellschaft ausgerichtet“, berichtet Bitter Winter, das Internetmagazin für Religionsfreiheit und Menschenrechte.
Im Rahmen einer Sommeraktion im Baoshan-Distrikt von Schanghai wurden Kinder dazu gedrillt, „Kleine Wächter“ der Gemeinschaft zu werden – ausgestattet nicht mit Neugier oder Mitgefühl, sondern mit Parolen und Drehbüchern, die religiöse Gruppen diffamieren, die als Xie Jiao („heterodoxe Lehren“) gebrandmarkt sind. In der Praxis meint dies jedoch „bösartige Kulte“ – so wird es auch den Kindern vermittelt.
Zu den Aktivitäten gehörte das Verteilen antireligiöser Flugblätter. Als „wissenschaftliche Bildung“ getarnt, entpuppte sich die Veranstaltung als ideologische Umerziehung. Kinder mußten religionsfeindliche Parolen auswendig lernen und Theaterstücke aufführen, in denen religiöses Bekenntnis dämonisiert wurde. Ziel war es, das staatliche Narrativ tief in die Seelen einzupflanzen und Meinungsvielfalt als Bedrohung erscheinen zu lassen.
Diese Einheitsmeinung wird mit großem Pathos propagiert: von der „reinen Kraft“ der Kinder ist die Rede, die ihr „harmonisches Mutterland“ verteidigen sollen. Anders als in der deutschen Sprache, sprechen die Chinesen von ihrem Land nicht als Vaterland, sondern als Mutterland. Kindliche Unschuld wird zur Waffe gegen abweichendes Denken. Bitter Winter nennt dies treffend: Ausbeutung.
Der verstörendste Teil ereignete sich jedoch in einem echten Gerichtssaal: Die Kinder wurden in Roben gekleidet und spielten unter Anleitung eines echten Richters einen Prozeß nach – inklusive Urteilsverkündung gegen „Angehörige illegaler Religionen“. Das Projekt, offiziell als Rechtsbildung deklariert, diente in Wahrheit der Verinnerlichung staatlicher Dogmen.
Unmittelbar nach dem Schauprozeß erhielten die Kinder eine „Rechtskundevorlesung“ mit dem Titel: „Verehre die Wissenschaft, meide Xie Jiao“. Reale Fälle wurden als Anschauungsmaterial benutzt, um die „Gefahr“ religiöser Gruppen zu illustrieren. Der Gerichtssaal – eigentlich Symbol der Gerechtigkeit – wurde zur Bühne ideologischer Dressur.
Kinder sollen so zu verlängerten Armen staatlicher Repression werden. Bitter Winter konstatiert: „Dies ist nicht nur ein Angriff auf die Religionsfreiheit – es ist ein Angriff auf die Kindheit selbst.“
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Bitter Winter/AsiaNews (Screenshots)