(Rom) Der Heilige Stuhl strebt, angeführt von Papst Franziskus und Kardinalstaatssekretär Parolin, ein Abkommen mit der kommunistischen Volksrepublik China an. Bedenken, wie jene von Kardinal Joseph Zen, der grauen Eminenz der chinesischen Untergrundkirche, werden vom Tisch gewischt. Unterdessen breitet Vatican Insider, das Nachrichtenportal des päpstlichen Haus- und Hofvatikanisten Andrea Tornielli Desinformation und idyllische Szenarien aus, mit denen die „Gründe“ und „Vorteile“ eines Abkommens schmackhaft gemacht werden sollen.
Christenverfolgung nimmt zu, doch der Vatikan spielt herunter
Die Realität sieht anders aus. Seit Xi Jinping Staats- und Parteichef ist, findet eine Reideologisierung statt. Dabei ist es einerlei, ob es sich um eine Stärkung des Kommunismus oder „nur“ um Maßnahmen zur Stärkung der totalen, staatlichen Kontrolle handelt. Tatsache ist, daß Parteimitgliedern der diktatorisch herrschenden Kommunistischen Partei Chinas die Zugehörigkeit zum Christentum verboten wurde. Tatsache ist, daß angehende Journalisten eine Marxismus-Prüfung bestehen müssen, mit der auch die atheistische Gesinnung überprüft wird. Tatsache ist, daß gegen religiöse Aktivitäten allgemein die Daumenschraube angezogen wurde. Minderjährigen ist seit dem Frühjahr jegliche religiöse Aktivität untersagt. Ebenso verboten ist christlichen Gemeinschaften jedwedes Angebot für Jugendliche, auch wenn es keinen religiösen Zusammenhang gibt. Minderjährigen ist in der Provinz Henan selbst der Besuch von Kirchen und Gottesdiensten untersagt worden. Christlichen Gemeinschaften droht, sollten sie eine solche Teilnahme nicht verhindern, der Entzug der staatlichen Lizenz, die auch für Religionsaktivitäten vorgeschrieben ist. Seither steht die Sorge im Raum, daß dieser radikale Angriff des Staates gegen die Christen auf andere Provinzen ausgeweitet wird.
Diesem Regime will Papst Franziskus die chinesische Kirche ausliefern. Das ist der Vorwurf von Kardinal Zen und anderer Kritiker. Seit den 50er Jahren gibt es zwei „Kirchen“ im kommunistischen Großreich. Zur Kontrolle der Kirche wurde von den Kommunisten die sogenannte Chinesische Katholische Patriotische Vereinigung ins Leben gerufen. Dabei handelt es sich um eine regimehörige Gruppierung von Priestern und Bischöfen, die sich von Rom abspaltete. Die wirkliche katholische Kirche, schwer verfolgt, ging in den Untergrund. Dort befindet sie sich auch heute noch.
Das Abkommen, so Kardinal Zen, habe zur Folge, daß Rom zwar die beiden Teile vereint und das Schisma überwindet, aber zugleich die treue Untergrundkirche dem Regime ausliefere.
Dafür spricht die radikal antichristliche Politik, die seit 2013 in den am stärksten christianisierten Provinzen Chinas stattfindet. Dort werden ganze Kirchen abgerissen, vor allem aber öffentlich sichtbare christliche Symbole beseitigt.
Papstnahes Medium rechtfertigt Christenverfolgung in China
Vatican Insider interpretiert die kommunistische Repression ganz anders. Das Pekinger Regime wolle damit „vor allem“ die Ausbreitung von protestantischen „Hauskirchen“ und von „apokalyptischen Sekten“ eindämmen. Um den Zirkelschlag zu schließen, erwähnte der Autor, Gianni Valente, daß diese einzudämmenden, protestantischen Gruppen von der „religiösen Rechten“ der USA unterstützt und finanziert würden.
Der Feind sitzt in Wirklichkeit also in den USA und ist offensichtlich ein gemeinsamer Feind der Kommunistischen Partei Chinas und des Vatikans unter Papst Franziskus.
Dieser hatte sich am Beginn seines Pontifikats um evangelikale Gruppen bemüht. Das Techtelmechtel scheiterte schließlich an der Wirklichkeit, konkret an den Präsidentschaftswahlen in den USA. Franziskus wollte den linkesten unter allen Präsidentschaftskandidaten, den jüdischen Senator Bernie Sanders im Weißen Haus sehen. Der scheiterte bei der Nominierung an Hillary Clinton. Gewählt wurde schließlich aber nicht die Abtreibungsideologin Clinton, sondern der dem Papst unliebsamste unter allen Kandidaten, Donald Trump, der aber von der „religiösen Rechten“, also den evangelikalen Freikirchen unterstützt wurde. Seither herrscht Trennung von Tisch und Bett zwischen Evangelikalen und Papst Franziskus. Die römische Jesuitenzeitschrift La Civiltà Cattolica, im Gegensatz zu Vatican Insider ein offiziöses Sprachrohr des Papstes, geleitet von dessen Vertrautem, P. Antonio Spadaro, erklärte wenige Monate nach der Amtseinführung von US-Präsident Trump der „religiösen Rechten“ in den USA den Krieg, der protestantischen wie der katholischen.
Laut Vatican Insider sei die katholische Kirche in Henan zwar Opfer der kommunistischen Verfolgung, aber nicht das Ziel derselben. Ihre Verfolgung sei gewissermaßen ein „Kollateralschaden“, einer an sich berechtigten staatlichen Repression.
Na dann, scheint man in Rom zu denken, stehe einer engeren Zusammenarbeit mit den Unterdrückern auch weiterhin nichts im Wege.
In China selbst sieht man die Dinge anders. Stimme verleiht der unterdrückten Kirche Kardinal Joseph Zen. Kardinal Zen ist Salesianer. Er ist fast fünf Jahre älter als Papst Franziskus, vor allem aber aus einem anderen Holz geschnitzt. Eine äußere Bedrohung der Kirche, wie jene, mit der Kardinal Zen aufwuchs, erlebte Papst Franziskus nie. Auch die unverhohlene Sympathie für den Kommunismus, die Franziskus an den Tag legt, erklären sich Beobachter nur, weil Bergoglio nie eine kommunistische Herrschaft aus der Nähe erleben mußte. Ganz anders Kardinal Zen, der Ende der 40er Jahre wegen der kommunistischen Machtübernahme aus seiner Heimat Schanghai nach Hong Kong flüchten mußte.
Der Freund des Papstes und der „Kollateralschaden“ für Katholiken
Das Urteil Valentes läßt jenes häßliche Gesicht des Linkskatholizismus aufblitzen, das zuerst mit der Ausbreitung der Sowjetherrschaft auf katholische Gebiete Ostmitteleuropas in Erscheinung getreten ist. Im Zuge der marxistischen Befreiungstheologie breitete es sich dann auch in der Dritten Welt aus. Seit den 60er Jahren traten im Westen Anhänger und Vertreter einer „Volksfront“ von Sozialismus und Christentum auf. Sie unterstützten jede kommunistische Guerillabewegung, die in Lateinamerika, Afrika oder Asien ihre sektiererischen Ansichten mit Waffengewalt durchsetzen wollte, und dabei sprichwörtlich über Leichen ging. Den überzeugten Linkskatholiken war das egal.
Den Mechanismus erklärte der Schweizer Kapuziner und Befreiungstheologe Walbert Bühlmann Mitte der 80er Jahre. Die Christenverfolgung durch sozialistische Regime, damals konkret in Angola und Mosambik, sei keine Verfolgung der Christen oder der Kirche, denn der „wahre Christ“ stehe auf der Seite der Revolutionäre, sei also links. Die „Anderen“ seien hingegen „Reaktionäre“, und somit keine echten Christen. Was Bühlmann nicht dazusagte, aber implizit meinte und ungerührt guthieß: Es sei richtig, „reaktionäre“ Christen zu verfolgen, weil sie Gegner der sozialistischen Revolution seien, eben Konterrevolutionäre.
Nicht anders argumentiert Gianni Valente in seinem Artikel vom 18. Mai (mit letzter Änderung vom 21. Mai). Der Unterschied: Was Bühlmann Mitte der 80er Jahre vertrat, widersprach der Haltung des Vatikans, der die marxistische Befreiungstheologie kurz zuvor verurteilt hatte. Was Valente 2018 schreibt, trägt zwar kein offizielles vatikanisches Siegel, wurde aber in einem dem Papst sehr nahestehenden Medium veröffentlicht.
Vor allem aber steht Valente dem Papst sehr nahe. Sandro Magister schreibt über das Verhältnis:
„Zu Gianni Valente ist anzumerken, daß er ein Freund von Jorge Mario Bergoglio ist, und das schon lange vor dessen Wahl zum Papst; ein so enger Freund, daß ihn Bergoglio noch am Abend seiner Wahl, am 13. März 2013, zu Hause in Rom anrief, um ihn zu grüßen. Am Telefon antwortete Valentes Frau, Stefania Falasca, Journalistin des Avvenire, der Tageszeitung der Italienischen Bischofskonferenz.“
Das will etwas bedeuten.
Ein von Papst Franziskus inoffiziell genutztes Sprachrohr rechtfertigt die kommunistische Verfolgung von protestantischen Christen in der Volksrepublik China und akzeptiert die „kollaterale“ Verfolgung der Katholiken. Kommunisten vor Christen?
Der politische Berater von Papst Franziskus, Kurienbischof Marcelo Sanchez Sorondo, schmeichelte mehrfach der kommunistischen Regierung und bezeichnete Rotchina als „Modell“ für die Welt, weil dort die kirchliche Soziallehre verwirklicht sei.
Franziskus selbst tat es in einem Interview im Frühjahr 2016 nicht anders, als er die Frage der Menschenrechte und der Christenverfolgung in einem Interview mit einer staatlichen, chinesischen Zeitung ausklammerte.
Introvignes Reaktion
Der Vatikanist Sandro Magister verweist auf eine scharfe Reaktion, die am 22. Mai vom bekannten Religionssoziologen Massimo Introvigne veröffentlicht wurde.
Um seriöse Informationen über die Entwicklung in der Volksrepublik China zu bieten und der Desinformation entgegenzutreten, startete Introvigne Anfang Mai eine eigene, englischsprachige Internetseite zum Thema, die er „Bitter Winter“ nannte. Der Name ist eine Anspielung auf die Realität in Rotchina, aber auch auf die jüngsten Ereignisse, die im vergangenen Winter eine Verschärfung der Religionspolitik einläuteten und könnte auch mit „Harter Winter“ übersetzt werden.
Introvigne wirft Valente vor, sich zu den Verhältnissen in Henan auf „zu wenige, zu alte und zu fehlerhafte“ Quellen zu stützen.
Die Hauptkritik richtet sich jedoch gegen die Grundthese Valentes, die antichristliche Repression der chinesischen Behörden zu rechtfertigen und dazu eine Verschwörungstheorie in die Welt zu setzen, die bereits vor Jahrzehnten von Linkskreisen für Lateinamerika bemüht wurde, aber schon damals nicht den Tatsachen entsprach. Je näher sie der marxistischen Befreiungstheologie standen, desto überzeugter behaupteten Kreise in den 70er und 80er Jahren, daß die Ausbreitung von evangelikalen und pfingstlerischen Gruppen in Lateinamerika Teil einer staatlich gelenkten Strategie des US-Imperialismus sei.
Man weiß inzwischen, daß auch Papst Franziskus zumindest teilweise von kommunistischen Verschwörungstheorien und Desinformation geprägt ist und diese Irrtümer, obwohl die Fakten inzwischen offen zugänglich auf dem Tisch liegen, nicht korrigiert hat (z.B. ist Franziskus noch immer überzeugt, Julius und Ethel Rosenberg seien – wie von den Kommunisten damals mit Eifer behauptet – keine Sowjetspione gewesen, sondern in den USA unschuldige Opfer einer hysterischen Kommunistenhatz geworden, weil ihn die Kommunistin Esther Ballestrino Careaga seinerzeit dahingehend „aufgeklärt“ habe. Erst dadurch habe er die „Zusammenhänge“ verstanden, wie überhaupt erst diese Frau ihm beigebracht habe, „die politische Wirklichkeit zu denken“. Die Fakten zum Spionagefall sehen anders aus, obwohl die linke Mythenbildung andauert).
Taiwans Bischöfe „antipäpstlich“?
Valente zeigte sich ungerührt. Noch am selben Tag, an dem Introvigne seine Kritik veröffentlichte, berichtete Valente auf Vatican Insider vom Ad-limina-Besuch der taiwanesischen Bischöfe, also der Oberhirten von Nationalchina, des einzigen noch nicht unter kommunistischer Herrschaft stehenden Teils von China.
Valente attackierte die Bischöfe, weil sie sich gegenüber Papst Franziskus mit Nachdruck gegen ein Abkommen mit Rotchina ausgesprochen hatten. Während das von Papst und Staatssekretariat angestrebte Abkommen von Valente als unpolitisch dargestellt wird, warf er den Bischöfen Taiwans vor, „Politik zu betreiben“. Damit nicht genug: Die Bischöfe Nationalchinas würden „nur Politik“ machen und seien zudem „gegen den Papst“.
Wie das?
Valente führte zur Stützung seiner Anklage eine Aussage des Erzbischofs von Taipei an, der zu einem möglichen Abkommen zwischen Rom und Peking gesagt hatte:
„Wenn die Gläubigen erfahren, daß der Papst die diplomatischen Beziehungen mit uns abbrechen will, wird ihre Wertschätzung für ihn sinken, denn sie sagen: Wie kann man einen Papst haben, der uns im Stich lassen will?“
Dabei ist zu wissen, daß Peking eine strikte Politik verfolgt: Wer diplomatische Beziehungen mit Rotchina haben will, muß die diplomatischen Beziehung zu Nationalchina abbrechen. Sollte es zu einem Abkommen zwischen dem Vatikan und Peking kommen, müßte der Heilige Stuhl nicht nur die Kirche Chinas dem Regime ausliefern, sondern auch die Beziehungen zu Taiwan abbrechen.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Bitter Winter/AsiaNews (Screenshots)
Dem aufrechten und mutigen, möglicherweise schon resignierenden Kardinal Joseph Zen wird sicher das Herz bluten, auch wenn es sich hier um eine Kirche der sog. Chinesische Patriotischen Katholischen Vereinigung handelt. Das spielt für die Mächtigen im Roten Reich keinerlei Rolle. Und es dürfte den Heiligen Stuhl unter Papst Franziskus und insbesondere unter der Stabsführung von Kardinalstaatssekretär Parolin kaum davon abhalten, weiterhin mit der Volksrepublik China ein – völlig wertloses – Abkommen anzustreben.