
Von Prof. Roberto de Mattei*
Am 27. Oktober, während des Abschlußgottesdienstes der Synode, wird das Gerüst, das den Baldachin im Petersdom neun Monate lang verdeckt hat, entfernt, und Berninis Meisterwerk wird erneut den Triumph des Papsttums in den Augen der Gläubigen verdeutlichen.
Der Petersdom ist Ausdruck der Kirche, die auf dem Grab des Petrus errichtet wurde. Diese Kirche, der mystische Leib Christi, ist eine monarchische Gesellschaft, die ununterbrochen von den legitimen Nachfolgern des Apostelfürsten regiert wird. Der uneingeschränkte und unmittelbare Primat des Papstes bildet das Prinzip der Einheit des Glaubens, die nur in der katholischen Kirche besteht. Die Grundlage der päpstlichen Souveränität besteht nicht in dem Charisma der Unfehlbarkeit, das Christus allein Petrus als dem Haupt der Kirche verliehen hat, abgesehen von dem mit Petrus vereinigten Apostolischen Kollegium, sondern in dem Jurisdiktionsprimat, den der Papst über die Kirche in ihrer Gesamtheit besitzt. Dieser Primat schließt mit der Macht des Lehramtes die volle Befugnis ein, die Kirche in ihrer Gesamtheit zu leiten, zu führen und zu regieren, wie es das Erste Vatikanische Konzil definiert hat (Denz‑H, 3065ff).
Im Laufe der Geschichte hat die katholische Kirche viele Schismen und Häresien erlebt, aber der Haß ihrer Feinde richtete sich besonders heftig gegen das Papsttum, gerade weil es die sichtbare Spitze der Kirche darstellt – ihr Gravitationszentrum, der Katechon –, die dazu bestimmt ist, den Pforten der Hölle zu widerstehen und sie zu überwinden. In den vergangenen Jahrzehnten ist jedoch das, was Paul VI. in einer berühmten Rede „den Rauch Satans“ (Predigt vom 29. Juni 1972) nannte, auf geheimnisvolle Weise in den Tempel Gottes eingedrungen und hat eine tiefe Verwirrung ausgelöst. Die Synode über die Synodalität im Jahr 2024 ist eine der jüngsten Manifestationen dieses dunklen Nebels, der unter maßgeblichen Mitgliedern der kirchlichen Hierarchie Alarm ausgelöst hat. Der Kardinal-Erzbischof von Sydney, Anthony Colin Fisher, hat beispielsweise erklärt, daß die Synode „den katholischen Glauben oder die katholische Kirche nicht neu erfinden kann“, weil diese „einen enormen Schatz darstellen, den wir Generation für Generation vor uns erhalten haben, bis hin zu unserem Herrn Jesus Christus und seinen Aposteln, und wir sind hier, um ihn treu an die nachfolgenden Generationen weiterzugeben“.
Die „Neuerfindung“ des Glaubens oder der katholischen Kirche beschränkt sich nicht auf die Forderungen nach der Diakonenweihe von Frauen oder der Ehe von Priestern, die die erklärten Ziele des katholischen Progressismus sind. Das ultimative Ziel, das eher in Taten als in Worten zum Ausdruck kommt, ist die Entstrukturierung des Papsttums, indem die hierarchische Verfassung der Kirche durch eine „synodale Dimension“ ersetzt wird, die sie demokratisiert und aufbricht. Dies ist das Ergebnis eines revolutionären Prozesses, der aus der Ferne kommt und darauf abzielt, wie Professor Plinio Corrêa de Oliveira bereits 1977 voraussagte, „die edle und knöcherne Starrheit der kirchlichen Struktur, wie unser Herr Jesus Christus sie eingesetzt und zwanzig Jahrhunderte des religiösen Lebens sie großartig modelliert haben“, in ein substanzloses Ektoplasma zu verwandeln (Revolution und Gegenrevolution, TFP-Deutschland, Frankfurt am Main 1996).
An diesem Prozeß der Verflüssigung der päpstlichen Autorität beteiligen sich leider auch einige von jenen, die die Tradition der Kirche gegen die Irrtümer und lehrmäßigen Abweichungen unserer Zeit verteidigen. Das sind diejenigen, die die Verantwortung für die gegenwärtige Krise in der Kirche allein oder hauptsächlich Papst Franziskus zuschreiben und ihn für illegitim erklären, indem sie ihn als Gegenpapst und Usurpator bezeichnen, der willkürlich den Stuhl Petri besetzt. Für sie wird, wie zu Recht festgestellt wurde, die Figur des Papstes für das Leben und die Existenz der Kirche de facto überflüssig und die Ablehnung von Papst Franziskus wird de facto zur Leugnung der päpstlichen Autorität.1
Wie falsch diese Positionen sind, zeigen auch die erbitterten Kontroversen unter jenen, die Papst Franziskus vorwerfen, ein falscher Papst zu sein. Die Dynamik des Strudels der Selbstgeißelung ist unvermeidlich, wenn das einheitliche Prinzip der Kirche verlorengeht, wie Jacques Bénigne Bossuet in seiner berühmten Histoire des variations des Églises protestantes (Geschichte der Variationen der protestantischen Kirchen, 1688) gezeigt hat.
Erzbischof Carlo Maria Viganò, der bekannteste Vertreter dieser „Anarcho-Vakantisten“, argumentiert für die Ungültigkeit der Wahl von Jorge Maria Bergoglio wegen offensichtlicher Häresie und dem „Mangel an Zustimmung“. Der Journalist Andrea Cionci und der laisierte Priester Alessandro Minutella weisen die doktrinäre Kritik von Msgr. Viganò an den Konzilspäpsten zurück und erklären Papst Franziskus aufgrund der kanonischen Nichtigkeit der Abdankung von Benedikt XVI., der ihr Bezugspunkt bleibt, zum Gegenpapst. Der Karmeliterpater Giorgio Maria Farè vertrat kürzlich die gleiche Linie. Aber als Pater Farè, unterstützt von Cionci, ankündigte, daß er gegen die absehbare Exkommunikation, die ihn treffen werde, eine kanonische Berufung einlegen würde, wurde er von Minutella beschuldigt, widersprüchlich zu sein, weil er, wenn er sich an das vatikanische Tribunal wendet, die Jurisdiktion der bergoglianischen ‚Neokirche‘ anerkennen würde. Für Minutella hat sich Viganò, der vom Dikasterium für die Glaubenslehre vorgeladen wurde, konsequent geweigert, vor der „bergoglianischen Sekte“ zu erscheinen. Doch angesichts der verbalen Härte der jüngsten Äußerungen des Ex-Nuntius in den USA distanzieren sich nun sogar Priester und Laien von ihm, die ihn immer unterstützt haben. Die Verwirrung ist überwältigend, und niemand ist in der Lage, eine Alternative zu dem Gegenpapst Franziskus anzubieten, der illegal den Apostolischen Stuhl besetzt halte.
In der Kirchengeschichte gibt es zahlreiche Gegenpäpste, vom heiligen Hippolyt (217–235) bis zu Felix V. (1439–1449), ganz zu schweigen von einigen unbedeutenden zeitgenössischen Anwärtern. In dem von Philippe Levillain herausgegebenen Dictionnaire historique de la papauté (Historisches Wörterbuch des Papsttums, Fayard, Paris 1994) werden etwa vierzig Gegenpäpste aufgezählt. Ein kürzlich erschienener Aufsatz von Mario Prignano2 gibt einen Überblick über die Gegenpäpste, ohne ihre Zahl genau zu bestimmen, hebt aber die Bedeutung dieser Konflikte für das Verständnis der Kirchengeschichte hervor.
Die Existenz dieser Gegenpäpste beweist nämlich, daß die Kirche nicht ohne Papst sein kann. Die sogenannte „Sedisvakanz“ ist eine im Kirchenrecht vorgesehene Übergangsphase zwischen dem Tod eines römischen Papstes und der Wahl seines Nachfolgers, in der die Struktur der Kirche unverändert bleibt. Theoretisch ist es möglich, daß ein Papst sein Pontifikat aufgrund von Häresie verliert, obwohl dies in der Geschichte noch nie vorgekommen ist, aber die Kirche kann sicherlich nicht ohne einen Papst leben.
Diejenigen, die heute aufgrund der Häresien von Papst Franziskus, der Unrechtmäßigkeit seiner Wahl oder der Nichtigkeit der Abdankung von Benedikt XVI. die Existenz der Sedisvakanz behaupten, können eine unbestreitbare Tatsache nicht ignorieren: die Anerkennung der Weltkirche als theologisches Kriterium, das die Legitimität des Papstes gewährleistet. Andernfalls wird die Kirche ihres Charakters als sichtbarer Gesellschaft beraubt und darüber hinaus ihrer Fähigkeit, in der Zukunft auf ultimative Weise einzugreifen, um die aktuelle Krise zu lösen. Nur eine höchste und feierliche Stimme kann dem laufenden Prozeß der Selbstzerstörung ein Ende setzen: die des Papstes. Christus geht in der Tat über das bewegte Wasser der Geschichte mit Petrus und seinen Nachfolgern, an die er weiterhin die Worte richtet, die über dem Baldachin auf der Innenseite der Kuppel des Petersdoms geschrieben stehen: „Tu es Petrus et super hanc petram aedificabo Ecclesiam meam, et portae inferi non praevalebunt adversum eam.“ „Du bist Petrus und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen und die Pforten der Hölle werden sie nicht überwinden.“
*Roberto de Mattei, Historiker, Vater von fünf Kindern, Professor für Neuere Geschichte und Geschichte des Christentums an der Europäischen Universität Rom, Vorsitzender der Stiftung Lepanto, Autor zahlreicher Bücher, zuletzt in deutscher Übersetzung: Verteidigung der Tradition: Die unüberwindbare Wahrheit Christi, mit einem Vorwort von Martin Mosebach, Altötting 2017, und Das Zweite Vatikanische Konzil. Eine bislang ungeschriebene Geschichte, 2. erw. Ausgabe, Bobingen 2011.
Bücher von Prof. Roberto de Mattei in deutscher Übersetzung und die Bücher von Martin Mosebach können Sie bei unserer Partnerbuchhandlung beziehen.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: MiL
1 Parole chiare sulla Chiesa (Klare Worte über die Kirche), herausgegeben von Don Daniele Di Sorco, Edizioni Radio Spada, 2023, S. 87–90.
2 Antipapi. Una storia della Chiesa (Gegenpäpste. Eine Kirchengeschichte), Laterza, Rom 2024.