Erzbischof Viganò und der Anarcho-Vakantismus

Papst Franziskus und die sedisvakantistische Versuchung (Teil 2)


Erzbischof Carlo Maria Viganò, der ehemalige Apostolische Nuntius in den USA, der Papst Franziskus 2018 mit dem McCarrick-Skandal in Verbindung brachte und den Rücktritt des argentinischen Pontifex forderte.
Erzbischof Carlo Maria Viganò, der ehemalige Apostolische Nuntius in den USA, der Papst Franziskus 2018 mit dem McCarrick-Skandal in Verbindung brachte und den Rücktritt des argentinischen Pontifex forderte.

Teil 1: Die Bischö­fe Strick­land, Schnei­der und Viganò. Eini­ge Fixpunkte

Anzei­ge

Von Rober­to de Mattei*

Erz­bi­schof Car­lo Maria Viganò hat Papst Fran­zis­kus oft als „Unter­mie­ter von San­ta Mar­ta“ bezeich­net und damit ange­deu­tet, daß er ihn nicht als Stell­ver­tre­ter Chri­sti aner­kennt, dem gegen­über Respekt gebo­ten ist. Doch erst in den letz­ten Mona­ten des Jah­res 2023 hat er sei­nen Stand­punkt hin­rei­chend deut­lich gemacht. 

Ins­be­son­de­re in einer Video-Ein­spie­lung bei der Catho­lic Iden­ti­ty Con­fe­rence am 1. Okto­ber 2023, die von den Ver­an­stal­tern nicht aus­ge­strahlt, aber vom Erz­bi­schof ver­öf­fent­licht wur­de, sprach Msgr. Viganò von einem „Man­gel an Zustim­mung“, der die Herr­schaft von Papst Fran­zis­kus ungül­tig machen wür­de. Der Man­gel an Zustim­mung bestehe dar­in, daß der Papst sei­ne Wahl nach außen hin ange­nom­men habe ohne die Absicht, das Wohl der Kir­che zu för­dern. Dies zei­ge sich „in Berg­o­gli­os Ver­hal­ten, das osten­ta­tiv anti­ka­tho­lisch und hete­ro­gen in bezug auf das Wesen des Papst­tums ist. Es gibt kei­ne sei­ner Hand­lun­gen, die nicht in kras­sem Wider­spruch zur Pra­xis und zum Lehr­amt der Kir­che steht“. Wer nicht die Absicht hat, das Wohl der Kir­che zu för­dern, kann kein wah­rer Papst sein, auch wenn er mate­ri­ell den päpst­li­chen Thron inne­hat. Jor­ge Mario Berg­o­glio hat sei­ne Absich­ten nie erklärt, aber „wel­cher Ver­schwö­rer, der bös­wil­lig ein Amt anstrebt, wäre so unbe­dacht, denen, die ihn wäh­len müs­sen, zu erklä­ren, daß er Papst wer­den will, um die Befeh­le der Fein­de Got­tes und der Kir­che aus­zu­füh­ren? (…) Die mens rea [Unrechts­be­wußt­sein] liegt in der Anwen­dung von Täu­schung, Ver­stel­lung, Lüge, Dele­gi­ti­mie­rung von lästi­gen Geg­nern und der Besei­ti­gung von gefähr­li­chen Geg­nern“.

Erz­bi­schof Viganò distan­ziert sich jedoch von jenen, die glau­ben, daß der Papst­stuhl auf­grund der Ungül­tig­keit des Rück­tritts von Bene­dikt XVI. oder der Ungül­tig­keit der Wahl von Papst Fran­zis­kus der­zeit vakant ist. Für ihn ist der Stuhl von einem Usur­pa­tor besetzt, der nicht Papst ist, weil er offen­sicht­lich die Absicht hat, der Kir­che Böses zu tun.

In einer spä­te­ren Erklä­rung am 9. Novem­ber sag­te Mon­si­gno­re Viganò: „Ini­micus Eccle­siæ, sag­te ich in mei­ner Rede über den Man­gel an Zustim­mung. Ein Feind, der mit Kon­se­quenz und Vor­satz das genaue Gegen­teil von dem tut, was man vom Stell­ver­tre­ter Chri­sti und Nach­fol­ger des Apo­stel­für­sten erwar­tet“. Aber „wenn der­je­ni­ge, der sei­ne Auto­ri­tät als ‚Papst‘ aus­übt, dies gegen die Auto­ri­tät Chri­sti tut, wie kann er dann als sein Vikar ange­se­hen wer­den?

Zusam­men­fas­send läßt sich sagen: Mon­si­gno­re Viganò räumt ein, daß Fran­zis­kus mate­ri­ell den Thron Petri inne­hat, und bestrei­tet des­halb, daß er ein Sedis­va­kan­tist ist, ist aber gleich­zei­tig davon über­zeugt, daß Fran­zis­kus for­mell kein Papst ist, weil ihm die Absicht fehlt, das Wohl der Kir­che zu tun, das die Form, das Wesen des Papst­tums ausmacht.

Die­se The­se ist weder neu noch ori­gi­nell, denn sie wur­de unter dem Namen Cas­si­cia­cum-The­se mit Bezug auf Paul VI. (1897–1978) und sei­ne Nach­fol­ger von Pater Gué­rard des Lau­riers (1898–1988) aus­ge­ar­bei­tet, einem Domi­ni­ka­ner­theo­lo­gen, der 1969 an der Abfas­sung der von den Kar­di­nä­len Bac­ci und Otta­via­ni unter­zeich­ne­ten Kur­zen kri­ti­schen Unter­su­chung des Novus Ordo Mis­sae mit­ge­wirkt hat­te. Sei­ne Posi­ti­on wur­de in der ersten Aus­ga­be vom Mai 1979 und in den fol­gen­den Aus­ga­ben der Cahiers de Cas­si­cia­cum dar­ge­legt, die von der Asso­cia­ti­on St. Her­mé­né­gil­de in Niz­za her­aus­ge­ge­ben werden.

Pater Gué­rard des Lau­riers bestritt nicht, daß Paul VI. mate­ri­ell Papst war, er bestritt, daß er es for­mell war, das heißt, daß er das Recht hat­te, die Kir­che zu regie­ren, weil sei­ne Auto­ri­tät „nicht den übli­chen Zweck hat­te, das gött­li­che Wohl zu ver­wirk­li­chen“ (Cahiers de Cas­si­cia­cum, cit., S. 76). Die Lehr­amts- und Regie­rungs­hand­lun­gen von Kar­di­nal Mon­ti­ni und sei­nen Nach­fol­gern wur­den daher zumin­dest seit der Ver­kün­dung der Kon­zils­er­klä­rung über die Reli­gi­ons­frei­heit Dignita­tis Hum­a­nae vom 7. Dezem­ber 1965, die als im Wider­spruch zum vor­he­ri­gen Lehr­amt ange­se­hen wur­de, jeder Gül­tig­keit beraubt. 1981 wur­de Gué­rard des Lau­riers ohne päpst­li­ches Man­dat vom viet­na­me­si­schen Erz­bi­schof Pierre Mar­tin Ngo Dinh Thuc (1897–1984) zum Bischof geweiht. Er wur­de 1983 exkom­mu­ni­ziert und weih­te vor sei­nem Tod drei wei­te­re Bischö­fe. In Ita­li­en wur­de die Cas­si­cia­cum-The­se 1985 von einer Grup­pe ange­nom­men, die die Prie­ster­bru­der­schaft St. Pius X. ver­las­sen und das Insti­tut Mater Boni Con­si­lii gegrün­det hat­te. Im Blog von Aldo Maria Val­li, in einem Bei­trag vom 21. Okto­ber, erklär­te der Obe­re die­ses Insti­tuts, Pater Fran­ces­co Ricos­sa, der auch nach vier­zig Jah­ren sei­ne Posi­tio­nen nicht auf­ge­ge­ben hat: „Es ist bemer­kens­wert und lobens­wert, daß Mon­si­gno­re Viganò – obwohl er die The­se von Pater Gué­rard des Lau­riers nicht zitiert und viel­leicht nicht ein­mal dar­über nach­ge­dacht hat – in etwa zu dem­sel­ben Schluß gekom­men ist, das heißt, daß das Hin­der­nis, das Berg­o­glio dar­an hin­dert, der wah­re Papst zu sein, nicht so sehr eine ungül­ti­ge Wahl ist (wie die Sedis­va­kan­ti­sten und auch die Befür­wor­ter der Ungül­tig­keit des Ver­zichts von Bene­dikt XVI. mei­nen), son­dern der Man­gel an Zustim­mung bei der Annah­me der Wahl, wie die Befür­wor­ter der Cas­si­cia­cum-The­se in Anleh­nung an Pater Gué­rard immer gedacht haben“.

Seit 1979 wur­de die Cas­si­cia­cum-The­se von dem fran­zö­si­schen Schrift­stel­ler Jean Madiran (1920–2013) wirk­sam wider­legt. In sei­nem Arti­kel „La thè­se de Cas­si­cia­cum“ in der Zeit­schrift Itin­é­rai­res vom April 1980 (Nr. 242, S. 78–95) stell­te Madiran fest, daß die The­se von Gué­rard des Lau­riers von der Beob­ach­tung der Gesten Pauls VI. aus­ging, um durch induk­ti­ve Schluß­fol­ge­run­gen dar­auf zu schlie­ßen, daß es ihm all­ge­mein an der Absicht fehl­te, das Wohl der Kir­che zu errei­chen. Aber es fehl­ten die Fak­ten, die bewie­sen, daß Paul VI. nicht nur vie­le Male vom Wohl der Kir­che abge­wi­chen war, son­dern daß es ihm gewohn­heits­mä­ßig an der Absicht fehl­te, die­ses Wohl zu för­dern. „Die frei behaup­te­te Schluß­fol­ge­rung ist kei­ne Schluß­fol­ge­rung; der angeb­li­che Beweis ist nicht beweis­kräf­tig; die angeb­li­che The­se ist nur eine Hypo­the­se“ (Madiran: La thè­se de Cas­si­cia­cum, cit., S. 84).

Heu­te behaup­tet Mon­si­gno­re Viganò mit der glei­chen induk­ti­ven Argu­men­ta­ti­on, daß Papst Fran­zis­kus von dem Wil­len bewegt wird, der Kir­che Böses und nicht Gutes zu tun. Eine histo­ri­sche Gesamt­be­ur­tei­lung kann natür­lich zu dem Schluß kom­men, daß das Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus bis­her kata­stro­phal war, aber das Feh­len sei­ner „gewohn­heits­mä­ßi­gen Absicht“, das Gute der Kir­che zu wol­len, kann nicht nur behaup­tet, son­dern muß bewie­sen wer­den. Mora­li­sten unter­schei­den zwi­schen dem äuße­ren oder objek­ti­ven Zweck von Hand­lun­gen (finis ope­ris) und der sub­jek­ti­ven Absicht (finis ope­ran­tis), die sich von dem objek­ti­ven Zweck unter­schei­den kann: Man kann zum Bei­spiel Almo­sen mit einem ande­ren Zweck geben als dem, den Bedürf­ti­gen zu hel­fen. Nun kann man vie­le Wor­te oder Taten von Papst Fran­zis­kus iso­lie­ren und zei­gen, daß sie objek­tiv nicht auf das Wohl der See­len aus­ge­rich­tet sind. Aber da es ande­re Hand­lun­gen sei­nes Pon­ti­fi­kats gibt, die die­se Merk­ma­le nicht auf­wei­sen (z. B. die Aus­ru­fung des Jah­res des Hei­li­gen Josef am 8. Dezem­ber 2020), müß­te man zei­gen, daß die sub­jek­ti­ve Absicht von Papst Fran­zis­kus auch bei die­sen Hand­lun­gen dar­in bestand, der Kir­che zu scha­den. Aber wie kann Mon­si­gno­re Viganò bewei­sen, daß das Ziel, zu dem das Sub­jekt Fran­zis­kus mit sei­ner Absicht inner­lich ten­diert, gewohn­heits­mä­ßig dar­in besteht, „mit Kon­se­quenz und Vor­satz das genaue Gegen­teil von dem zu tun, was man vom Stell­ver­tre­ter Chri­sti und Nach­fol­ger des Apo­stel­für­sten erwar­tet“? Der Feh­ler besteht dar­in, wie es oft geschieht, einer Hypo­the­se den Wert einer The­se zuzu­schrei­ben. Aber eine gedank­li­che Ver­wechs­lung kann auf der Sach­ebe­ne ein Faß ohne Boden werden.

Es geht nicht nur um die Auf­lö­sung der Sicht­bar­keit der Kir­che. Es scheint, daß Mon­si­gno­re Viganò im Unter­grund ein Netz­werk des Wider­stands gegen den „Ini­micus Eccle­siae“ auf­baut, indem er im gehei­men eine Viel­zahl von Prie­stern und viel­leicht auch eini­ge Bischö­fe weiht, die Teil die­ses schwer faß­ba­ren Nebels von Cle­ri­ci vagan­tes („umher­zie­hen­den“ Kle­ri­kern) wer­den, der lei­der stän­dig zunimmt, und zwar ohne daß sie einen Beweis für ihre Wei­he vor­le­gen kön­nen, zumin­dest bis sie aus der Ver­bor­gen­heit her­vor­tre­ten. In die­ser Hin­sicht ist das „Netz­werk“ von Mon­si­gno­re Viganò eine Struk­tur, die eher als „anar­cho-vakan­ti­stisch“ denn als sedis­va­kan­ti­stisch bezeich­net wer­den kann. Ein reli­giö­ser Anar­cho-Vakan­tis­mus, der par­al­lel zu der von Viganò selbst beschwo­re­nen „Anti­glo­ba­li­sten-Alli­anz“ ver­läuft, um den tie­fen Staat und die tie­fe Kir­che zu bekämp­fen. Eini­ge von denen, die sei­nem Ruf zu den Waf­fen gefolgt sind, fan­gen an, ihre Augen zu öff­nen, aber der Scha­den ist lei­der schon ange­rich­tet, und wir müs­sen beten, daß die wei­se und barm­her­zi­ge Hand der gött­li­chen Vor­se­hung ihn wie­der­gut­ma­chen wird.

(Ende)

*Rober­to de Mat­tei, Histo­ri­ker, Vater von fünf Kin­dern, Pro­fes­sor für Neue­re Geschich­te und Geschich­te des Chri­sten­tums an der Euro­päi­schen Uni­ver­si­tät Rom, Vor­sit­zen­der der Stif­tung Lepan­to, Autor zahl­rei­cher Bücher, zuletzt in deut­scher Über­set­zung: Ver­tei­di­gung der Tra­di­ti­on: Die unüber­wind­ba­re Wahr­heit Chri­sti, mit einem Vor­wort von Mar­tin Mose­bach, Alt­öt­ting 2017, und Das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil. Eine bis­lang unge­schrie­be­ne Geschich­te, 2. erw. Aus­ga­be, Bobin­gen 2011.

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Über­set­zung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Cor­ri­spon­den­za Romana

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