Von Roberto de Mattei*
Am 11. November 2023 gab der Heilige Stuhl bekannt, daß Papst Franziskus Monsignore Joseph E. Strickland von der Leitung der Diözese Tyler in den Vereinigten Staaten abberufen und Bischof Joe Vásquez von Austin zum Apostolischen Administrator der freigewordenen Diözese ernannt hat. Der Hauptgrund für die Abberufung wäre die fehlende Gemeinschaft mit den anderen Bischöfen der Vereinigten Staaten. Wenn also die Haltung von Msgr. Strickland dem Heiligen Stuhl „spaltend“ erschien, dann deshalb, weil der Bischof von Tyler das große Verdienst hat, zu der tiefen Krise in der Kirche nicht geschwiegen zu haben. Er war kein „stummer Hund, der nicht bellen kann“, wie jene untreuen Hirten, von denen die Heilige Schrift spricht (Jesaja 56,11).
Wenige Tage vor seiner Absetzung hatte Bischof Strickland eine Aufforderung erhalten, von sich aus zurückzutreten, wie es heute üblich ist. Der amerikanische Bischof, der die Gründe für seine Absetzung für ungerecht hielt, lehnte den Rücktritt ab. Das war sein gutes Recht, und er hat es zu Recht ausgeübt. Auf die gleiche Weise verhielt sich der ehrwürdige József Mindszenty (1892–1975), der 1973 seines Amtes als Primas von Ungarn enthoben wurde, weil er sich geweigert hatte, die Ostpolitik von Paul VI. zu unterstützen.
Strickland erkannte jedoch die Autorität von Papst Franziskus an und weigerte sich, dem Rat jener amerikanischen Konservativen und/oder Traditionalisten zu folgen, die ihn drängten, sich der Entscheidung des Papstes zu widersetzen. Diese schlechten Ratgeber zeigen, daß sie den Glaubensartikel des Ersten Vatikanischen Konzils ignorieren, wonach „der Primat des Papstes, des einzigen legitimen Nachfolgers des heiligen Petrus, in der vollen Befugnis besteht, die ganze Kirche zu hüten, zu regieren und zu leiten, das heißt in der obersten, ordentlichen, unmittelbaren, universalen Jurisdiktion, unabhängig von jeder Autorität, auch der zivilen Autorität (…) sowohl in Fragen des Glaubens und der Moral als auch in denen der kirchlichen Disziplin und Ordnung“ (Denz‑H, Nr. 3059–3063).
Im Canon 331 des geltenden Codex des kanonischen Rechts heißt es in Übereinstimmung mit dem Glaubensdogma des Ersten Vatikanischen Konzils, daß der Papst „kraft seines Amtes in der Kirche über höchste, volle, unmittelbare und universale ordentliche Gewalt, die er immer frei ausüben kann“, verfügt. Und in § 3 heißt es: „Gegen ein Urteil oder ein Dekret des Papstes gibt es weder Berufung noch Beschwerde“.
Die Macht des Papstes ist natürlich durch das göttliche und natürliche Recht begrenzt. Würde der Papst eine Verpflichtung auferlegen, die gegen dieses Gesetz verstößt, wäre Widerstand erforderlich, denn es gilt der Grundsatz, daß man Gott mehr gehorchen muß als den Menschen (Apg 5,29). Wenn aber der Papst Entscheidungen trifft, die die Disziplin und die Leitung der Kirche betreffen, ohne direkt gegen das göttliche und natürliche Recht zu verstoßen, dann ist nicht Widerstand, sondern Gehorsam gefordert, auch wenn die Anordnung ungerecht ist oder ungerecht erscheinen mag.
Wenn dem Papst nicht das Recht abgesprochen werden kann, jeden Prälaten zu entlassen, aus welchen Gründen auch immer er es für richtig hält, so kann niemand den Gläubigen, ob Priester oder Laien, das Recht nehmen, das sie als vernünftige Wesen haben, noch bevor sie getauft sind, die Gründe für diese Entlassungen zu hinterfragen, auch öffentlich. Erzbischof Strickland faßte seinen Standpunkt in Übereinstimmung mit der katholischen Theologie und dem Kirchenrecht in einer glücklichen Formel zusammen:
„Der Papst hat die Autorität, mich abzusetzen, aber ich bleibe als Bischof ein Nachfolger der Apostel“.
Mit diesen Worten zeigt Bischof Strickland, daß er die traditionelle Unterscheidung zwischen der potestas iurisdictionis, also der Befugnis, die Kirche zu leiten, und der potestas ordinis, also der Befugnis, die Mittel der göttlichen Gnade zu verteilen, gut kennt. „Papst Franziskus“, so sagte Msgr. Strickland sinngemäß, „kann mich meines Amtes entheben, aber er kann mir nicht meinen sakramentalen Status als Bischof nehmen.“ Das bedeutet, daß er sich als Nachfolger der Apostel nicht zurückziehen und weiterhin die Wahrheit des Evangeliums verkünden wird.
Msgr. Athanasius Schneider, Weihbischof von Astana, war eine der maßgeblichen kirchlichen Persönlichkeiten, die sich zum Fall Strickland äußerten. Wir zitieren den zentralen Teil seiner Erklärung:
„Jeder versteht, sogar die erklärten Feinde dieses Bekennerbischofs, daß die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen letztlich fadenscheinig und unverhältnismäßig sind und als gute Gelegenheit genutzt wurden, eine unbequeme prophetische Stimme innerhalb der Kirche zum Schweigen zu bringen. (…) Möge das Opfer, das unser Herr von Bischof Strickland verlangt hat, reiche geistliche Früchte für Zeit und Ewigkeit tragen“.
Die Linie von Bischof Schneider unterscheidet sich nicht von der von Bischof Strickland: Anerkennung der päpstlichen Autorität, Anprangerung von Ungerechtigkeit, Rückgriff auf das Gebet. Am 20. September 2023 hatte Msgr. Schneider selbst in Abgrenzung zu einem gewissen, immer verbreiteteren Sedisvakantismus erklärt:
„Es gibt keine Autorität, die einen gewählten und allgemein akzeptierten Papst für ungültig erklären oder halten kann. Die ständige Praxis der Kirche macht deutlich, daß selbst im Falle einer ungültigen Wahl diese durch die allgemeine Akzeptanz des neu Gewählten durch die überwältigende Mehrheit der Kardinäle und Bischöfe vollendet wird. Selbst im Falle eines häretischen Papstes verliert dieser nicht automatisch sein Amt, noch gibt es in der Kirche ein Gremium, das ihn wegen Häresie für abgesetzt erklären kann“.
Msgr. Schneider folgt der Lehre des heiligen Alphons von Liguori, von Kardinal Billot und den Theologen der Römischen Schule, wonach derjenige, der von der ganzen Kirche als Papst akzeptiert wird, der wahre Papst ist, denn wenn man sich an einen falschen Papst hält, hält sich die ganze Kirche an eine falsche Glaubensregel.
Diese Lehre wird von Erzbischof Carlo Maria Viganò nicht geteilt, der kürzlich Erzbischof Schneider in diesem Punkt kritisiert hat. Aufmerksame Beobachter hatten bereits 2020 beobachtet, daß der ehemalige Nuntius in den USA in immer radikalere Positionen abrutschte. In einem am 1. Oktober veröffentlichten Vortrag machte Monsignore Viganò seine Position deutlich, indem er seine Überzeugung zum Ausdruck brachte, daß Papst Franziskus das Pontifikat aufgrund eines „Mangels der Zustimmung“ bei der Annahme der Wahl verloren habe. Der Zustimmungsmangel bestehe darin, die Wahl zwar äußerlich angenommen zu haben, aber ohne die Absicht, der Stellvertreter Christi zu sein und das Wohl der Kirche zu fördern. Er sollte daher nicht als legitimer Papst anerkannt werden. Msgr. Viganò wiederholte seine These in einem Twitter-Post vom 17. November, in dem er erklärte:
daß „eine ununterbrochene und konsequente Reihe von Handlungen, die dem Zweck, für den das Papsttum existiert, eklatant widersprechen, nicht die menschliche Fehlbarkeit des Papstes bei Regierungsentscheidungen beweist (bei denen er nicht unfehlbar vom Heiligen Geist unterstützt wird und daher irren kann), sondern seine Entschlossenheit, die päpstliche Autorität und die daraus abgeleitete Macht für subversive Zwecke zu nutzen: Dies macht die Autorität selbst ungültig, nicht nur in ihren einzelnen Akten, sondern in ihrer Gesamtheit, denn es offenbart Bergoglios mens rea und seine Unvereinbarkeit mit dem Amt, das er innehat. (…) Es ist genau dieser verheerende revolutionäre Prozeß mit seinem fatalen Ausgang in Bergoglio, den Konservative wie Msgr. Schneider nicht wahrhaben wollen, auch weil er alle Päpste, die ihn in seinen Voraussetzungen gefördert und bestimmt haben, in die Verantwortung für die gegenwärtige Situation einbeziehen würde. Das bedeutet nicht, daß ich die Ansichten der Sedisvakantisten teile.“
Erzbischof Viganò glaubt, daß Jorge Mario Bergoglio nicht Papst ist, aber er betrachtet sich nicht als „Sedisvakantist“? Seine Position ist nicht so kraß wie die von Alessandro Minutella oder so phantasievoll wie die von Andrea Cionci, aber sie ist weder neu noch originell. Das Thema verdient es, um der Kirche in dieser Stunde der Verwirrung willen vertieft zu werden.
(Fortsetzung folgt.)
*Roberto de Mattei, Historiker, Vater von fünf Kindern, Professor für Neuere Geschichte und Geschichte des Christentums an der Europäischen Universität Rom, Vorsitzender der Stiftung Lepanto, Autor zahlreicher Bücher, zuletzt in deutscher Übersetzung: Verteidigung der Tradition: Die unüberwindbare Wahrheit Christi, mit einem Vorwort von Martin Mosebach, Altötting 2017, und Das Zweite Vatikanische Konzil. Eine bislang ungeschriebene Geschichte, 2. erw. Ausgabe, Bobingen 2011.
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Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana