Es begann, wie so oft in Rom, mit einem Flüstern. Anfang des Jahres, als man munkelte, das Dikasterium für die Glaubenslehre bereite ein Dokument „über einige mariologische Fragen“ vor, ahnten oder befürchteten viele bereits, wohin die Reise gehen würde. Die Skepsis war groß und die Besorgnis war noch größer. Wann immer in Rom seit dem Pontifikat von Franziskus von „Klarstellungen“ die Rede ist, zittern jene, die noch an Wunder glauben.
Seit dem 4. November liegt sie also vor, die „Lehrmäßige Note“ Mater Populi fidelis, und sie tut das, was römische Dokumente in den vergangenen Jahren immer taten: Sie erklärt, gibt vor zu beruhigen – und verunsichert in Wirklichkeit. Sie will, so der erklärte Anspruch, Mißverständnisse vermeiden, produziert aber neue. Sie betont Christus – zweifellos ein Fortschritt im Vergleich zum bergoglianischen Pontifikat – und erklärt, Maria schützen zu wollen, allerdings um den Preis sie unnötigerweise klein zu machem. Das entspricht grundsätzlich ihrem Selbstverständnis. Der Unterschied liegt jedoch zwischen ihrem sich selbst zurücknehmen und dem Kleinmachen durch die oberste Kirchenleitung. Das Mißverständnis ist offensichtlich. Wer auch immer in der Kirche welches Amt innehat, hätte sich selbst nach dem Vorbild Mariens kleinzumachen, nicht aber die Gottesmutter kleinzureden. Doch das mag man als „unnötige“ Polemik abtun. Darum soll der Blick auf jene gerichtet sein, die seit Jahren an der mariologischen Front stehen und von Papst Franziskus dort hingesetzt wurden. Dabei geht es vor allem um drei Namen, die mit der Päpstlichen Marianischen Akademie verbunden sind. Deren Leiter ist seit 2017 Pater Stefano M. Cecchin, ein Franziskaner, der durch mehrere inhaltlich irritierende Interviews von sich reden machte. So erklärte er „bestimmte Bilder“, die man von Maria habe, für überholt und postulierte, daß Marienerscheinungen, die von Strafen sprechen, grundsätzlich „falsch“ seien. Die beiden anderen Namen sind mit der am 15. April 2023 im Rahmen der Marianischen Akademie errichteten zentralen Beobachtungsstelle für Marienerscheinungen und mystische Phänomene verbunden. Es handelt sich dabei um Pater Gian Matteo Roggio von den Missionaren Unserer lieben Frau von La Salette und Schwester Daniela Del Gaudio von den Franziskanerinnen der Immakulata, einem Orden, der unter argentinischen Pontifikat schwer zu leiden hatte.
Pater Stefano Cecchin OFM – Hüter der offiziellen Mariologie
Der Franziskaner P. Stefano Cecchin, Vorsitzender der Päpstlichen Marianischen Akademie, sprach Ende Oktober in Washington über Mariologie – noch bevor die „Lehrmäßige Note“ des Glaubensdikasteriums das Licht der Welt erblickte. In der anschließenden Fragerunde wurde er nach dem marianischen Titel der Miterlöserin gefragt. Seine Antwort war in der Sprache zurückhalten, in der Ausrichtung aber programmatisch. Er nahm faktisch vorweg, was wenige Tage später mit päpstlicher Billigung vom Glaubensdikasterium in dem neuen Dokument veröffentlicht wurde: Maria ja, aber bei faktischem Verzicht auf den Titel einer Miterlöserin.
P. Gian Matteo Roggio: „Maria ist eine Gerettete, keine Retterin“
Der italienische Mariologe P. Gian Matteo Roggio, Mitglied der Päpstlichen Marianischen Akademie und der neuen zentralen vatikanischen Beobachtungsstelle für Marienerscheinungen und mystische Phänomene, kommentierte das neue Dokument auf der Internetseite Portale Lecce der Erzdiözese Lecce, wobei die Überschrift lautete: „Weder Miterlöserin noch Mittlerin, sondern Mutter des Volkes“. Im September 2024 erklärte er die vatikanische Entscheidung zu Medjugorje, daß es dabei darum gehe, die Frömmigkeit zu retten, „indem man die Fanatiker fernhält“.
Frage: Warum fühlte, Ihrer Meinung nach, das Lehramt die Notwendigkeit, dieses Dokument gerade jetzt zu veröffentlichen?
Pater Roggio: Wenn wir die Einleitung des Dokuments lesen, erklärt Kardinal Fernández, Präfekt des Dikasteriums, daß diese Note „auf zahlreiche Anfragen und Vorschläge reagiert, die in den letzten Jahrzehnten an den Heiligen Stuhl gerichtet wurden – zu Fragen der Marienverehrung und zu manchen marianischen Titeln. Es handelt sich um Themen, die die letzten Päpste beschäftigt haben“. Daher ist es nur folgerichtig, daß das Dikasterium für die Glaubenslehre, in Übereinstimmung mit den Päpsten, eingreift.
Frage: Das Lehramt spricht sogar von einer gewissen „Besorgnis“…
Pater Roggio: Der Präfekt weist auch darauf hin, daß es „manche mariologische Kreise, Veröffentlichungen, neue marianische Andachtsformen und Anfragen nach marianischen Dogmen gibt, die nicht die gleichen Merkmale der Volksfrömmigkeit aufweisen, sondern die letztendlich eine gewisse dogmatische Entwicklung vorschlagen und sich intensiv über soziale Netzwerke äußern, was bei den ganz einfachen Gläubigen häufig Zweifel hervorruft“. Darin liegt die Sorge.
Frage: Die Note ist eindeutig in bezug auf den Titel „Miterlöserin“, der vermieden werden soll, da er die einzigartige Heilsmittlerschaft Christi verdunkern könne.
Pater Roggio: Das Dokument ist hier sehr klar: Maria bereitet die Aufnahme des Heilswerkes vor, sie hilft den Gläubigen durch Fürsprache, Gebet und Beispiel – also durch die Erinnerung an ihr Leben, ihre Entscheidungen, ihre Erfahrungen –, damit sie das Werk Christi im Glauben annehmen. In diesem Sinn unterscheidet sich ihre Rolle nicht von der der Kirche selbst: Auch die Kirche verkündet Christus, den einzigen Erlöser.
Frage: Auch der Titel „Mittlerin aller Gnaden“ wird problematisiert. Christus sei der einzige Mittler. Und doch wird Maria traditionell als „Mittlerin“ verstanden…
Pater Roggio: Wenn ich dasselbe Wort für Christus und Maria verwende, liegt die Versuchung nahe, denselben Sinn anzunehmen. Aber die Bedeutung ist verschieden. Christus ist Mittler, weil er die Ursache des Heils ist – der Erlöser. Maria ist eine Erlöste, keine Erlöserin. Eine Gerettete, die mit ihrem Leben bezeugt: „Ich habe den Retter empfangen.“ Sie wiederholt, was sie in Kana sagte: „Was er euch sagt, das tut.“ Das ist eine völlig andere Funktion. Christus allein rettet – durch seinen Tod und seine Auferstehung.
Frage: Maria ist also die Erste der Geretteten?
Pater Roggio: Ja. Sie ist die Erste, weil ihr Glaube vollkommen war. Durch die Gnade der Unbefleckten Empfängnis war sie frei, im Glauben zu wachsen. Sie könnte niemals von sich sagen, sie sei diejenige, die rettet. Wenn jemand bei einer angeblichen Erscheinung behauptet: „Ich sah die Jungfrau, und sie sagte: ‚Ich bin deine Rettung, glaube an mich, sonst wirst du nicht gerettet‘ – dann wissen wir: Das ist keine echte Erscheinung.“
Frage: Wir nennen sie „voll der Gnade“ und bitten um ihre Fürsprache – aber die Note warnt davor, sie so darzustellen, als habe sie einen eigenen „Gnadenvorrat“.
Pater Roggio: Das Bild aus dem Johannesevangelium ist hilfreich: Maria ist so erfüllt von Gottes Gnade, daß diese Gnade in ihrer Beziehung zu uns wie „lebendiges Wasser“ durch sie fließt. Ihr mütterlicher Affekt ist also nicht bloß sentimental, sondern theologisch – durchdrungen vom Heiligen Geist, den Johannes „lebendiges Wasser“ nennt. Maria ist „voll der Gnade“, weil sie vom Geist erfüllt ist, und in dieser Fülle teilt sie mit uns den Glauben an Christus – die Bedingung, um selbst erfüllt zu werden vom Geist.
Frage: Und wenn wir sie als „unsere Fürsprecherin“ anrufen? Besteht nicht die Gefahr, sie als Schutzschild vor der göttlichen Gerechtigkeit zu sehen?
Pater Roggio: Das wäre eine Verzerrung. Wenn wir meinen, Gott wolle uns nur bestrafen, dann machen wir Maria zu einem Blitzableiter, zu jemandem, der gütiger ist als Gott selbst. Aber Gott übt eine höhere Gerechtigkeit: Er sucht das Geringste in uns, das ihn retten läßt. Maria ist kein Gegenbild zu Gott, sondern ein Abbild seiner überragenden Gerechtigkeit. Sie hilft uns, in dieser göttlichen Gerechtigkeit zu leben.
Frage: Das erinnert an die klassische Ikonographie der Mutter der Barmherzigkeit, die ihren Mantel über alle breitet…
Pater Roggio: Ja – aber nicht, um uns vor Gott zu verstecken! Ihre Aufgabe ist nicht, uns von Gott fernzuhalten, sondern uns zu Ihm zu führen. Ihr Magnificat sagt alles: „Meine Seele preist den Herrn, und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter.“
Frage: Ihr Fazit zur „Lehrmäßigen Note“?
Pater Roggio: Eine willkommene Klärung. Wichtig ist, daß wir sie intelligent umsetzen. Wenn jemand jetzt sagt: „Meine Pfarrei heißt Maria, Mittlerin aller Gnaden, müssen wir sie umbenennen?“ Natürlich nicht! Diese Note darf keine Waffe der kirchlichen „Cancel Culture“ werden. Sie bietet Orientierung, keine Verbote. Und sie will eines: daß wir von Gott ausgehen. Wer Gott im Zentrum hält, findet in Maria diejenige, die mit uns sagt: „Vertraut Gott, entfernt euch nicht von Ihm, folgt dem Evangelium.“ Dort liegt das Heil.
Sr. Daniela del Gaudio: „Maria ist keine Göttin, sondern der Weg zu Christus“
Die Mariologin Sr. Daniela del Gaudio, Direktorin der zentralen vatikanischen Beobachtungsstelle für Marienerscheinungen und mystische Phänomene sowie Beraterin des Glaubensdikasteriums, war direkt an der Ausarbeitung von Mater Populi fidelis beteiligt. Auch sie sprach mit Famiglia Cristiana – mit jener Nüchternheit, die entsteht, wenn man weiß, was im Dokument steht, weil man es selbst geschrieben hat. Auch in diesem Fall äußerte sich Sr. del Gaudio klüger als in der Regel ihr direkter Vorgesetzter Cecchin.
Frage: Was ist der Kern dieser Note – und warum gerade jetzt?
Sr. del Gaudio: Sie will auf zahlreiche Fragen antworten, die in den letzten Jahrzehnten über bestimmte Marientitel aufkamen – besonders über „Miterlöserin“ und „Mittlerin“. Diese Begriffe sind seit Jahrhunderten im Gebrauch, aber die Klarstellung war notwendig.
Frage: Richtet sich die Note eher an einfache Gläubige oder an jene, die lehren und leiten?
Sr. del Gaudio: Vor allem an Experten, die Katechese geben oder Gruppen führen. Eine der größten Sorgen ist, daß die Marienverehrung oft nicht in die Kirche integriert ist – und daß sie mitunter gegen die Kirche verwendet wird. Doch das Dokument spricht auch zu den Gläubigen: Es will helfen, Maria richtig zu verstehen – wer sie war, wie sie mit Christus an unserer Erlösung mitwirkte, welche Rolle sie im Leben der Gnade und der Kirche spielt.
Frage: Wie läßt sich das Thema der „Miterlöserin“ einfach erklären?
Sr. del Gaudio: Das Dokument sagt klar: Maria wirkt einzigartig an der Erlösung mit – aber auf geschöpflicher Ebene. Sie ist Mutter, weil sie den Erlöser in die Welt brachte und Ihm bis ans Kreuz folgte. In ihr sehen wir das vollkommene Zeugnis der erlösenden Macht Christi.
Frage: Welche Fehler begegnen Ihnen häufig in der Marienfrömmigkeit?
Sr. del Gaudio: Die verbreitetste Versuchung ist eine individualistische Spiritualität, die Maria von der Lehre der Kirche trennt und sie fast zur Göttin erhebt. Doch ihre Sendung ist, zu Jesus zu führen – per Mariam ad Iesum. Man kann Maria nicht ohne Christus betrachten, ebenso wenig Christus ohne Maria. Das Dokument erinnert daran, daß Maria die Menschheit repräsentiert – nicht als göttliche Mit-Akteurin, sondern als vollkommen Geheiligte in der Gnade des Sohnes.
Frage: Das Dokument warnt auch vor Fehlentwicklungen in sozialen Netzwerken…
Sr. del Gaudio: Ein echtes Problem. Heute verbreiten sich über Social-Media-Gruppen, die den marianischen Kult vom kirchlichen Lehramt lösen, Maria gegen den Papst oder gegen die Hierarchie ausspielen. So entsteht nicht nur eine falsche Christologie, sondern auch eine Spaltung der Kirche.
Frage: Nimmt die Note der echten Marienverehrung etwas weg?
Sr. del Gaudio: Im Gegenteil. Sie schenkt Orientierung. Sie spricht von Maria als Mutter der Gnade, als Mittlerin im rechten Sinn, als Vorbild der Gläubigen. Das ist nichts Neues – das Zweite Vatikanische Konzil hat es so formuliert. Maria begleitet, schützt, betet – als Mutter der Kirche und jedes einzelnen Christen.
Zwischen Doktrin und Andacht
Mater Populi fidelis ist demnach weniger ein direkter Schlag gegen die Volksfrömmigkeit als vielmehr der Versuch, sie zu lenken. Doch zwischen Lenkung und Zähmung verläuft ein schmaler Grat. Jenseits persönlicher Einschätzungen muß auch der Hintergrund bedacht werden, der zur Entstehung dieses neuen Dokuments führte.
Der Anstoß dazu fällt in das Pontifikat von Papst Franziskus und steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Errichtung der erwähnten zentralen Beobachtungsstelle für Marienerscheinungen. Franziskus hatte sein Pontifikat bekanntlich mit scharfen Seitenhieben gegen Marienerscheinungen begonnen – Maria, so sagte er wiederholt, sei „keine Postbotin“ und „keine Leiterin eines Postamtes“.
Gleichzeitig sah sich das Umfeld von Santa Marta mit einem Phänomen konfrontiert, das sich nicht so leicht beiseiteschieben ließ: Die wachsende Irritation über das argentinische Pontifikat fand zunehmend auch in „Marienerscheinungen“ ihren Ausdruck. Gegen dieses „himmlische“ Echo der Kritik an Bergoglio wollte der Heilige Stuhl offenkundig vorgehen. Dabei wurde vom bergoglianischen Hofstaat auch von „mafiösen Bestrebungen“ gegen Papst Franziskus getönt. Alle genannten Etappen stehen also in einem direkten Zusammenhang mit dem Pontifikat von Franziskus.
Die dafür Zuständigen haben diesen Zusammenhang in ihren Interviews indirekt bestätigt – wenn auch in vorsichtigen Worten.
Text/Übersetzungen: Giuseppe Nardi
Bild: MiL

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