
Die Stellungnahmen zur römischen Entscheidung über Medjugorje häufen sich und neue Informationen treten hinzu. Was mehr Klarheit schaffen soll, tut es allerdings nicht immer. Am Montag fand in Rom an der Päpstlichen Universität Antonianum des Franziskanerordens eine Tagung über die neuen Normen für das Verfahren zur Beurteilung mutmaßlicher übernatürlicher Phänomene statt. Organisiert wurde die Veranstaltung von der Internationalen Beobachtungsstelle für Erscheinungen und mystische Phänomene der Päpstlichen Internationalen Marianischen Akademie in Zusammenarbeit mit dem Antonianum, der Päpstlichen Theologischen Fakultät St. Bonaventura und der Päpstlichen Theologischen Fakultät Marianum. Hauptredner war Glaubenspräfekt Kardinal Victor Manuel „Tucho“ Fernández. Nicht nur deshalb konzentrierte sich das Hauptaugenmerk auf die wenige Tage zuvor bekanntgegebene Medjugorje-Entscheidung des Glaubensdikasteriums.
Pater Stefano Cecchin OFM, der Vorsitzende der Päpstlichen Marianischen Akademie, betonte, daß die Akademie seit ihrer Gründung 1946 sich „besonders mit dem Thema der Marienerscheinungen beschäftigt, die die Geschichte der Kirche maßgeblich geprägt haben“. Maria, die auch den Nichtchristen erscheine, so der Franziskaner, sei „Trägerin des Dialogs zwischen den Religionen und Inkulturateurin des Evangeliums“. Die Veranstaltung sei ausgerichtet worden, um „Mißverständnisse“ auszuräumen.
Kardinal Fernández nahm in seinen Ausführungen zu einigen Teilen des Dokuments „Die Königin des Friedens“ über Medjugorje Stellung. Dieses Dokument hatte er erst vier Tage zuvor auf einer Pressekonferenz mit dem vatikanischen Urteil über den herzegowinischen Ort präsentiert. Offensichtlich bestand aber kurz darauf schon eine Notwendigkeit zu „Präzisierungen“:
„Das nihil obstat für die öffentliche Anbetung im Heiligtum von Medjugorje bedeutet, daß es etwas Übernatürliches gibt, daß der Heilige Geist dort am Werk ist, wie in der Rosa Mystica von Montichiari, auch wenn die übernatürliche Echtheit der Erscheinungen nicht erklärt wird. Einige der Botschaften der Muttergottes können übernatürlich sein, gemischt mit anderen, die es nicht sind. Wir sagen nicht, daß der Geist ‚durch‘ wirkt, denn das hieße, die Übernatürlichkeit zu bejahen, sondern ‚inmitten‘, und das bedeutet bereits ein besonderes Wirken des Geistes an diesem Ort.“
Warum Medjugorje nicht als „übernatürlich“ anerkannt wurde
Kardinal Fernández, der in der Kirche als theologisches „Leichtgewicht“ und als „tiefster Abstieg“ an der Spitze des einstigen Heiligen Offiziums gilt, war am Montag um „Klärung“ bemüht. Er reagierte auf zahlreiche Anfragen von „Medjugorje-Anhängern“, wie es in der Diktion der vatikanischen Medien heißt, warum der übernatürliche Charakter der Ereignisse in Medjugorje nicht anerkannt wurde. Die Ruini-Kommission habe eine solche Möglichkeit zumindest für einen Teil nicht ausgeschlossen. Allerdings ist der Bericht der Ruini-Kommission bis heute Verschlußsache.
Dazu erklärte Tucho Fernández, daß die Erklärung der Übernatürlichkeit „immer möglich“ sei. Interessanterweise ist diese Möglichkeit in den von Fernández verantworteten neuen Normen nicht enthalten. Warum diese Erklärung zu Medjugorje nicht erfolgte, begründete der Glaubenspräfekt mit dem Hinweis, daß „nach 45 Jahren“ des Phänomens, in denen „den Gläubigen nie eine Klärung der Botschaften angeboten wurde“, es wichtig gewesen sei, ihnen die Sicherheit zu geben, „in der Kirche zu sein“ und ihnen „eine Begleitung und die Erlaubnis zum öffentlichen Gottesdienst zu geben“. Das habe Papst Franziskus für den jetzigen Zeitpunkt für „ausreichend“ befunden.
Der Kardinal bekräftigte die Lehre der Kirche, daß „Gott in unserer Geschichte gegenwärtig und am Werk ist“ und es „möglich ist, daß Gott auf außergewöhnliche Weise gegenwärtig ist“, auch mit Erscheinungen und Wundern. Er bezeichnete den Weg seines Dikasteriums zu den neuen Normen als „sehr mühsam“. In den 45 Jahren, seit das Phänomen Medjugorje existiere, habe die Kirche 3500 Kanonisierungen vorgenommen, die alle jeweils ein Wunder voraussetzen. In derselben Zeit seien aber nur „drei oder vier Erklärungen der Übernatürlichkeit“ erfolgt, und selbst an diesen gebe es dennoch „Zweifel“.
Das Handeln Roms zu Medjugorje sei notwendig geworden, weil es „nicht gut“ sei, „daß die Menschen jahrelang ohne Orientierung weitermachen und sich ohne Genehmigung an die Orte der angeblichen Erscheinungen begeben“. Die „Probleme“, die sich ergeben, hingen, so Tucho Fernández, „oft“ damit zusammen, daß „die angeblichen Seher noch am Leben sind“. Man wisse nicht, wie man ihnen erklären soll, „daß sie damit warten sollen, neue Visionen zu verkünden, bevor die früheren nicht bewertet sind“.
Die Gefahr von Botschaften, die „von Gott gewollt“ seien
Nicht nur als Problem, sondern als „Gefahr“ bezeichnete der Glaubenspräfekt „Botschaften“, die als „von Gott gewollt“ und „durch die Muttergottes vermittelt“ präsentiert werden. Etwas ironisch fragte er: „Wer wird dann noch die Kirchenväter lesen, die nicht gesagt haben, daß sie Visionen hatten?“
Tucho Fernández pochte darauf, daß es „nicht zum unfehlbaren Lehramt des Papstes“ gehöre, die Übernatürlichkeit bestimmter Phänomene zu erklären, und die Gläubigen „nicht verpflichtet sind, daran zu glauben. Deshalb halten wir sie auch nicht für unverzichtbar.“ Schließlich gebe es weltweit viele und bedeutende Marienheiligtümer, für die es „nie eine Übernatürlichkeitserklärung gegeben hat“. Als konkretes Beispiel nannte der Kardinal das argentinische Heiligtum Lujàn bei Buenos Aires.
Tucho Fernández sprach deshalb im Zusammenhang mit Medjugorje auch nicht von „Anerkennung“, sondern stets vom „Nihil obstat“, jener Formel, die den neuen Normen entnommen ist. Dieses Nihil obstat bedeute, so der Kardinal, „drei Dinge“ für den Ort in der Herzegowina:
- „Seelenfrieden für die Gläubigen, die wissen, daß die Kirche mich jetzt begleitet.“
- „Die Genehmigung für öffentliche Gottesdienste, nicht nur für Pilgerfahrten, was bedeutet, daß jetzt überall auf der Welt eine Kirche oder eine Kapelle mit dieser Anrufung errichtet werden kann.“
- „Nützliche Klarstellungen für die Gläubigen, damit diejenigen, die die Botschaften lesen, begleitet werden und es Aspekte gibt, um sie richtig zu interpretieren.“
In Medjugorje, so Fernández, seien die „geistlichen Früchte wichtig“. In Chandavila in der Extremadura hingegen, „wo die Seherin den Kuß und die Umarmung der Jungfrau spürte“, habe ihn die Verehrung der Schmerzensmutter beeindruckt. – Kardinal Fernández hat ein ganzes Buch über „das Küssen“ geschrieben. Chandavila hatte Ende August vom Glaubensdikasterium das Nihil obstat erhalten. – Da es sich um keine Anerkennung der Übernatürlichkeit handelt, muß im Konjunktiv geschrieben werden: In dem spanischen Ort soll die Gottesmutter Maria 1945 zwei jungen Mädchen, der zehnjährigen Marcelina Barroso Exposito und der siebzehnjährigen Afra Brigido Blanco, unabhängig voneinander erschienen sein. Ab 1947 wurde dort mit der Errichtung eines Heiligtums begonnen, das 2014 vom zuständigen Erzbischof von Mérida-Badajoz zum Diözesanheiligtum erhoben wurde.
Am Antonianum präzisierte der Glaubenspräfekt anhand der sechs Beurteilungsstufen, warum Medjugorje das Nihil obstat gewährt wurde und keine der anderen Stufen. Die Stufe Prae oculis habeatur sei deshalb nicht zur Anwendung gekommen, weil in den Botschaften von Medjugorje bereits „Klarstellungen“ enthalten seien. Als Beispiel zitierte er aus einer Botschaft: „Warum sucht ihr nach außergewöhnlichen Dingen, im Evangelium steht alles“.
„Mafiöser“ Mißbrauch Mariens gegen Papst Franziskus
Die Forschung des vergangenen halben Jahrhunderts habe ein Hauptproblem herauskristallisiert: den „Mangel an wahrer Kenntnis der katholischen Lehre über die Mutter des Herrn“, dabei sei sie der „Schlüssel für das genaue Verständnis des Geheimnisses Christi und der Kirche“. Das Zweite Vatikanische Konzil lehre, daß Maria „das Vorbild der Kirche ist“.
Die „Unkenntnis“ führe „heute“ zu einem Bruch zwischen dem Denken der Kirche und einem „gewissen populären Marianismus“ bestimmter „Gruppen und Vereinigungen“, die „vor allem in Amerika“ Maria „benutzen, um Botschaften und Verwendungszwecke zu verbreiten, die nicht mit der Botschaft des Evangeliums übereinstimmen und fast immer auf angeblichen Privatoffenbarungen beruhen“.
Pater Cecchin kritisierte besonders scharf die „zunehmende Verbreitung von Phänomenen, Visionen, Prophezeiungen, die die Gestalt Mariens benutzen, um den Papst, die Kirche, die kirchlichen Autoritäten, das Lehramt, die Institutionen mit apokalyptischen Botschaften anzugreifen, nicht um Hoffnung auf den Triumph des Unbefleckten Herzens Mariens zu wecken, sondern um Angst zu schüren“. Dieses Phänomen bezeichnete er als „mafiös“, da es darauf abziele, „die Kirche zu spalten“. Man solle sich vor denen hüten, die Maria „für ihre Zwecke zu mißbrauchen versuchen“.
Das Stichwort „mafiös“ verwundert, denn P. Cecchin meinte ja nicht die von Erzbischof Hoser, dem ersten Päpstlichen Delgaten für Medjugorje, einmal angedeutete Anwesenheit des italienischen organisierten Verbrechens in der Herzegowina, sondern Gruppen von Gläubigen. Die Wortwahl läßt sich wohl nur damit erklären, daß P. Cecchin sich besonders „bergoglianisch“ geben wollte, da Papst Franziskus die Mafia zur Sünde erklärte (eine der neuen Sünden in der ansonsten scheinbar sündenlosen Welt des derzeitigen Pontifikats). Cecchin trat als Verteidiger von Franziskus gegen aufmüpfige Gläubigengruppen auf und wollte ihre Papstkritik offenbar besonders scharf tadeln.
Schwester Daniela Del Gaudio, die Leiterin der Internationalen Beobachtungsstelle, erklärte, weshalb sich Rom auf „die Früchte“ konzentriert. Dies „erlaubt uns, uns mehr auf die pastorale Wirkung zu konzentrieren, die die Marienerscheinungen in einem bestimmten Gebiet, in einer Ortskirche und in der Weltkirche und folglich in der ganzen Welt haben“.
Durch die modernen Massenmedien erfolge eine rasche, weltweite Verbreitung von „Botschaften“ und erreiche „auch die Nicht-Gläubigen“. Die Kirche müsse daher bestrebt sein, „die Marienverehrung weise zu leiten und sogar zu lenken“. Die Dynamik der Marienerscheinungen „zeigt, wie es der Jungfrau Maria gelingt, das Evangelium in allen Teilen der Welt zu inkulturieren. Dies begünstigt nach dem Wunsch von Papst Franziskus einen marianischen Stil der Evangelisierung, der durch den Glauben, die Zärtlichkeit und die Barmherzigkeit Mariens ein Modell für die Kirche im Aufbruch“ sei.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: VaticanNews (Screenshot)
Die Gefahr besteht also darin, daß die Seher noch am Leben sind und die Botschaften an den verschiedenen Erscheinungsorten von der Gottesmutter kommen. Und es werden Hoffnungen auf den Triumpf des unbefleckten Herzens Mariens über die jetztige Kirche geweckt.
Schönes Eigentor.