„Die Frömmigkeit retten, indem man die Fanatiker fernhält“

Päpstlicher Mariologe erklärt Roms Medjugorje-Entscheidung


Der Mariologe P. Gian Matteo Roggio, päpstlicher Beauftragter zur Untersuchung außergewöhnlicher Phänomene, erklärt die römische Entscheidung zu Medjugorje
Der Mariologe P. Gian Matteo Roggio, päpstlicher Beauftragter zur Untersuchung außergewöhnlicher Phänomene, erklärt die römische Entscheidung zu Medjugorje

Die posi­ti­ve Ent­schei­dung des Hei­li­gen Stuhl zu Med­jug­or­je über­rasch­te Beob­ach­ter eini­ger­ma­ßen, da Papst Fran­zis­kus sei­ne per­sön­li­che Distanz seit 2013 mehr­fach und sehr deut­lich zum Aus­druck gebracht hat­te (über Erschei­nun­gen und Seher: „Maria ist kei­ne Ober­post­be­am­tin, die uns täg­lich Bot­schaf­ten schickt“, „Maria ist kei­ne Post­bo­tin für irgend­wel­che Pri­vat­bot­schaf­ten“; über Gläu­bi­ge, die dar­an glau­ben: „Mich nervt, wenn sie mit den Bot­schaf­ten kom­men“ usw.). Katho​lisch​.de, das Nach­rich­ten­por­tal der Deut­schen Bischofs­kon­fe­renz, schrieb im Juni 2015 zu den Erschei­nun­gen in Med­jug­or­je: „Von der Kir­che sind sie bis­her nicht aner­kannt. Und wenn es nach Fran­zis­kus geht, wird sich das künf­tig auch nicht ändern.“ Nun kam es doch anders. Oder doch nicht? Ein Mario­lo­ge im Dienst des Pap­stes lie­fer­te nun eine Inter­pre­ta­ti­on der Med­jug­or­je-Ent­schei­dung, die etwas Ein­blick in das römi­sche Den­ken erlaubt.

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In der Tat ist die Sache mit der Aner­ken­nung, die nicht aner­kennt, etwas ver­wir­rend, allein schon sprach­lich: Med­jug­or­je wur­de nun von Rom aner­kannt, aber doch nicht aner­kannt. Wie bringt man das aber kor­rekt zum Aus­druck? Dem her­ze­go­wi­ni­schen Ort wur­de die höchst­mög­li­che Aner­ken­nung laut den seit Mai gel­ten­den neu­en Nor­men zur Beur­tei­lung soge­nann­ter über­na­tür­li­cher Phä­no­me­ne gewährt. Zugleich wur­den aber weder die Erschei­nun­gen noch irgend­wel­che Bot­schaf­ten anerkannt.

Was ist also mit den Bot­schaf­ten, die das römi­sche Aner­ken­nungs­do­ku­ment sogar direkt zitiert? Laut Kar­di­nal­prä­fekt Tucho Fernán­dez am Don­ners­tag bedeu­te das kei­ne Aner­ken­nung eines über­na­tür­li­chen Ursprungs. Die Bot­schaf­ten wer­den von Rom nur als „erbau­li­che Tex­te“ gese­hen und als sol­che gewertet.

Da kann schon eini­ge Ver­wir­rung aufkommen.

Chia­ra Ami­ran­te, die von Papst Fran­zis­kus sehr geschätz­te und in ver­schie­de­ne vati­ka­ni­sche Gre­mi­en beru­fe­ne Grün­de­rin einer Gemein­schaft für Jugend­li­che in Pro­blem­si­tua­tio­nen, die aber auch mit Med­jug­or­je sehr ver­bun­den ist, erzähl­te seit 2018, daß Fran­zis­kus einen Sin­nes­wan­del zu dem kroa­ti­schen Berg­dorf in der Her­ze­go­wi­na durch­ge­macht habe. Woher die­ser rühr­te, erklär­te sie aller­dings nicht oder nicht glaubhaft.

Glaub­wür­dig ist hin­ge­gen ihre Dar­stel­lung, daß Fran­zis­kus sich ihr gegen­über als „Ret­ter von Med­jug­or­je“ prä­sen­tier­te. Tat­säch­lich war die Stim­mung in der Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on ins­ge­samt, erst recht jedoch nach dem Bericht der Rui­ni-Kom­mis­si­on, ein­deu­tig negativ.

Viel­leicht gefiel sich Fran­zis­kus tat­säch­lich in der „Ret­ter­po­se“ und dar­in, gegen die Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on, damals noch von Kar­di­nal Mül­ler, dann von des­sen Stell­ver­tre­ter gelei­tet, zu han­deln. Die neu­en Nor­men und die seit­her in schnel­ler Fol­ge durch­ge­wun­ke­nen Ent­schei­dun­gen zu außer­ge­wöhn­li­chen Phä­no­me­nen kamen erst mit dem Wech­sel an der Spit­ze der Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on, heu­te Glau­bens­dik­aste­ri­um genannt, indem Fran­zis­kus sei­nen Inti­mus Tucho Fernán­dez an die­se zen­tra­le Posi­ti­on setz­te. Und über die Per­sön­lich­keit von Papst Fran­zis­kus wur­de schon viel gerätselt.

Bezüg­lich der nun­meh­ri­gen Ent­schei­dung zu Med­jug­or­je liegt jetzt aller­dings eine inter­es­san­te Inter­pre­ta­ti­on vor. Sie stammt nicht von irgend­ei­nem Mario­lo­gen, son­dern einem Mit­glied der im April 2023 errich­te­ten Inter­na­tio­na­len Beob­ach­tungs­stel­le für Mari­en­er­schei­nun­gen und mysti­sche Phä­no­me­ne, die bei der Inter­na­tio­na­len Maria­ni­schen Päpst­li­chen Aka­de­mie ange­sie­delt ist. Bei die­ser von Papst Fran­zis­kus geschaf­fe­nen „Spe­zi­al­ein­heit“ herrscht eine beson­de­re Men­ta­li­tät (auch hier und hier) in bezug auf Mari­en­er­schei­nun­gen und ande­re außer­ge­wöhn­li­che Phänomene.

Pater Gian Matteo Rog­gio, Mis­sio­nar Unse­rer Lie­ben Frau von La Salet­te, nahm gestern als bis­her ein­zi­ger der päpst­li­chen Fach­grup­pe in der links­li­be­ra­len La Repubbli­ca, der von Papst Fran­zis­kus bevor­zugt gele­se­nen Tages­zei­tung, zur Med­jug­or­je-Ent­schei­dung Stel­lung. Sei­ne Dar­le­gung kann dabei hel­fen, die römi­sche Ent­schei­dung zu Med­jug­or­je zu ent­zif­fern – und auch zu ande­ren Phä­no­me­nen, dar­un­ter Amsterdam.

In dem Inter­view bezeich­net der Mario­lo­ge die Ent­schei­dung als ein „Zei­chen der Kir­che“, mit der sie signa­li­sie­re, die „Fröm­mig­keit des Vol­kes“ wert­zu­schät­zen, aber „Fana­ti­ker“ fern­hal­ten zu wol­len. Das scheint, folgt man Pater Rog­gio, ein Haupt­maß­stab des römi­schen Han­delns gegen­über beson­de­ren Phä­no­me­nen zu sein. Hier der voll­stän­di­ge Wort­laut des Interviews:

La Repubbli­ca: Ist es nicht para­dox, den Kult um die Erschei­nun­gen einer Madon­na zu bil­li­gen, von der man nicht weiß, ob sie wirk­lich erschie­nen ist?

Pater Gian Matteo Rog­gio: Im Lau­fe der Jahr­hun­der­te hat die Kir­che immer die Fröm­mig­keit des Vol­kes bevor­zugt. In den Augen der kirch­li­chen Auto­ri­tät ist die Bedeu­tung wich­ti­ger als der Tat­be­stand, was das Dik­aste­ri­um für die Glau­bens­leh­re als posi­ti­ve Früch­te defi­niert. Die Fröm­mig­keit ent­hält die grund­le­gen­den Ele­men­te einer christ­li­chen Lebens­wei­se, und dar­an ist die Kir­che interessiert.

La Repubbli­ca: Schon in der Ver­gan­gen­heit gab es Skep­sis gegen­über vie­len Erschei­nun­gen. Pius XI. soll aus­ge­ru­fen haben: „Sie sagen, daß ich Sein Stell­ver­tre­ter auf Erden bin, wenn Sie mir etwas mit­tei­len wol­len, kön­nen Sie es mir sagen.“

Pater Gian Matteo Rog­gio: Ja, aber die­ser Satz ist typisch für die Men­ta­li­tät der dama­li­gen Zeit. Vor dem Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil hat­ten Erschei­nun­gen oder mysti­sche Erfah­run­gen nicht den­sel­ben Stel­len­wert. Und ver­ges­sen wir nicht, daß Pius XI. in den zwan­zi­ger und drei­ßi­ger Jah­ren regier­te, der Papst gera­de den Kir­chen­staat ver­lo­ren hat­te, es gab den Faschis­mus in Ita­li­en, den Natio­nal­so­zia­lis­mus in Deutsch­land, den sowje­ti­schen Bol­sche­wis­mus und die Kir­che fühl­te sich bela­gert. Es war not­wen­dig, sich auf die­se Pro­ble­me zu kon­zen­trie­ren und die Rei­hen um den Papst zu schlie­ßen, der Rest zähl­te wenig.

La Repubbli­ca: Zurück zu heu­te: Wer sind die Med­jug­or­je-Fana­ti­ker, von denen Kar­di­nal Fernán­dez sprach?

Pater Gian Matteo Rog­gio: Die­je­ni­gen, die glau­ben, daß die Welt geret­tet wird, wenn man alles tut, was in Med­jug­or­je gesagt wird, weil sonst die Welt in eine Kata­stro­phe gerät. Die­se Art von Fana­tis­mus kann sei­nen Gegen­stand ändern, aber sei­ne Dyna­mik ist immer die­sel­be. In Tre­vigna­no, wo es angeb­li­che Erschei­nun­gen der Jung­frau gab, die vom Hei­li­gen Stuhl demen­tiert wur­den, gab es die glei­che Dyna­mik. Die­se Art der Argu­men­ta­ti­on läßt kei­ne Frei­heit und ver­än­dert die Quel­len des Glau­bens völ­lig. Med­jug­or­je mag ein Mit­tel sein, um zum Her­zen des Glau­bens zu gelan­gen, aber das Herz des Glau­bens ist nicht Med­jug­or­je, son­dern Jesus Chri­stus, der gestor­ben und auf­er­stan­den ist.

La Repubbli­ca: Es gibt auch Gläu­bi­ge, die eini­ge Erschei­nun­gen, zum Bei­spiel die soge­nann­te Frau von Amster­dam, nut­zen, um die Päp­ste und das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil anzugreifen.

Pater Gian Matteo Rog­gio: Ja, sehr oft bringt die­se Art von Fana­tis­mus jene Grup­pen zusam­men, die wir als Nost­al­gi­ker bezeich­nen könn­ten, Men­schen, die es sehr schwie­rig fin­den, in der Gegen­wart zu leben, und die den­ken, daß die Ver­gan­gen­heit ein gol­de­nes Zeit­al­ter ist. Sie sind der Mei­nung, daß die Kri­se, in der sich die Kir­che heu­te befin­det, die Schuld des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils ist, aber ande­rer­seits befin­den wir uns inmit­ten eines all­ge­mei­nen anthro­po­lo­gi­schen Wan­dels, und der christ­li­che Glau­be kann nicht mehr so wei­ter­ge­ge­ben wer­den, wie es frü­her der Fall war. Es ist ein Wan­del, der die Kir­che auf­for­dert, wie Papst Fran­zis­kus sagt, nach ande­ren Wegen zu suchen, um den Glau­ben auch der heu­ti­gen Welt zu verkünden.

Text/​Übersetzung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Facebook/​TV2000/​MiL (Screen­shots)

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