
In einem ungewöhnlich offenen und ausführlichen Gespräch mit Journalisten vor der Villa Barberini in Castel Gandolfo äußerte sich Papst Leo XIV. am gestrigen Dienstag zu einer Reihe brisanter Themen: dem US-Friedensplan für Gaza, der nuklearen Rhetorik aus Washington, dem laufenden Strafprozeß gegen Kardinal Becciu – sowie der umstrittenen Ehrung eines progressiven US-Senators durch Kardinal Cupich, den führenden Vertreter der bergoglianisch geprägten Bischöfe in den USA.
Lob für Washington: „Der Plan für Gaza ist realistisch“
Mit Blick auf den von US-Präsident Donald Trump vorgelegten 20-Punkte-Plan für den Gazastreifen sprach Leo XIV. von einem „realistischen Vorschlag“, dem auch Israels Premierminister Benjamin Netanjahu zugestimmt habe. Der Papst begrüßte die vorgesehenen Maßnahmen zur Waffenruhe und zur Freilassung von Geiseln und äußerte die Hoffnung, „daß Hamas innerhalb der gesetzten Frist zustimmen“ werde. Es gebe „sehr interessante Elemente“ in dem Vorschlag.
Der Friedensplan stößt international auf breite Zustimmung – daß ein Papst sich jedoch derart zustimmend zu einem Trump-Vorschlag äußert, wäre unter Franziskus wohl undenkbar gewesen.
Kritik an Washington: Rhetorik „besorgniserregend“
Wohl als Ausgleich zur positiven Bewertung von Trumps Gaza-Plan übte Leo XIV. auch deutliche Kritik: Die militärische Tonlage aus Washington sei „besorgniserregend“. US-Verteidigungsminister Pete Hegseth hatte kürzlich ein Spitzentreffen abgehalten, bei dem auch ein nuklearer Erstschlag nicht ausgeschlossen worden sei.
Trumps Bestreben, das Pentagon in „Kriegsministerium“ umzubenennen, kommentierte der Papst zurückhaltend, aber kritisch: „Hoffen wir, daß das nur eine rhetorische Wendung ist. Der Stil dieser Regierung setzt auf Druck und Stärke. Möge es wirken, aber ohne Krieg. Wir müssen für den Frieden arbeiten.“
Keine Einmischung in den Fall Becciu
Zum laufenden Finanzprozeß im Vatikan erklärte Leo XIV. unmißverständlich: „Der Prozeß soll weitergehen, ich habe nicht die Absicht zu intervenieren. Die Richter und die Verteidiger sollen zu einem Urteil kommen.“ Eine klare Absage an eine päpstliche Einflußnahme.
Zur Debatte um Senator Durbin
Auf Nachfrage von EWTN News bezog Leo XIV. Stellung zur Entscheidung von Kardinal Blaise Cupich, dem einflußreichen Erzbischof von Chicago und Wortführer des bergoglianischen US-Episkopats, den demokratischen US-Senator Richard Durbin zu ehren – trotz dessen langjähriger Unterstützung einer liberalen Abtreibungspolitik.
Zwar gestand der Papst ein, den Fall nicht im Detail zu kennen, betonte jedoch: „Bei der Bewertung eines Politikers muß das Gesamtbild berücksichtigt werden.“ Durbin, selbst katholisch, sei über vier Jahrzehnte im Senat tätig und habe sich insbesondere für Migranten eingesetzt. Zugleich mahnte Leo XIV. eine ganzheitliche Sicht auf die kirchliche Lehre an:
„Wer sagt, er sei gegen Abtreibung, aber für die Todesstrafe, ist nicht wirklich für das Leben.“ Ebenso gelte das für die Zustimmung zu unmenschlichem Umgang mit Migranten.
Ethik dürfe nicht selektiv sein.
„Niemand besitzt die ganze Wahrheit. Aber wir müssen einander mit Respekt begegnen und als Kirche gemeinsam den Weg finden. Die Lehre der Kirche ist in diesen Fragen sehr klar.“
In den Vereinigten Staaten lösten diese Äußerungen heftige Reaktionen aus. Mindestens zehn Bischöfe äußerten sich kritisch zur Auszeichnung Durbins. Kritiker werfen Leo XIV. vor, er habe die eindeutige kirchliche Lehre zur Abtreibung als „intrinsisch böse“ nicht mit der nötigen Klarheit betont – im Gegensatz zu seinen Ausführungen zur Todesstrafe oder Migrationspolitik, wo die kirchliche Position weitaus nuancierter ist.
Noch ein wenig Klima-Agenda
Nach dem Pressegespräch kehrte der Papst gegen 20:30 Uhr in den Vatikan zurück. Schon heute, Mittwoch, reist er erneut nach Castel Gandolfo, um an einer internationalen Tagung zum Thema „Klimagerechtigkeit“ teilzunehmen. Anläßlich des zehnten Jahrestags der Enzyklika Laudato si’ von Papst Franziskus wird Leo XIV. die „Celebration of Hope“ leiten – als ein Zeichen seines „Einsatzes für globale Verantwortung und menschliche Würde“.
Eine kurze Ad-hoc-Analyse
Nicht jede Aussage von Papst Leo XIV. kann bei Gläubigen auf ungeteilte Zustimmung stoßen. In ihrer Gesamtheit spiegeln sie eine konsequente Fortsetzung der Linie des Zweiten Vatikanischen Konzils sowie eine deutliche Kontinuität zum Pontifikat von Franziskus wider – deutlich weniger hingegen zur klassischen Lehre der katholischen Kirche. Mitunter zeigen sich Spannungen zwischen dem, was Leo XIV. sagt, und dem, was über Jahrhunderte kirchlich gelehrt wurde.
Gaza-Konflikt
Seine positive Bewertung eines politischen Detailplans – wie realistisch oder konsensfähig er auch sein mag – ist für einen Papst ungewöhnlich affirmativ. Daß Leo XIV. öffentlich und direkt an Hamas appelliert, immerhin eine Organisation mit terroristischem Hintergrund, mag aus realpolitischer Sicht nachvollziehbar sein, wirkt jedoch aus kirchlicher Perspektive heikel. In früherer Zeit wäre eine solche direkte und konkrete Aussage ohne Nennung moralischer Vorbehalte nicht denkbar gewesen.
Hier setzt Leo XIV. die Linie seines Vorgängers Franziskus fort, der als „Politiker auf dem Papstthron“ in weltpolitischen Fragen kaum Zurückhaltung zeigte. Frühere Päpste hielten sich in geopolitischen Konflikten neutral, betonten jedoch umso klarer die moralischen Prinzipien. Leo XIV. hingegen betont die politische Realisierbarkeit – ein Bruch mit dem bisherigen päpstlichen Selbstverständnis.
Nukleare Rhetorik
Die Kritik an der militärischen Sprache der Trump-Regierung mag als Gegengewicht zur vorangegangenen Zustimmung zum Gaza-Plan gelesen werden – ein diplomatischer Balanceakt. Doch auch hier zeigt sich ein Unterschied: Während vorkonziliare Päpste nukleare Aufrüstung scharf verurteilten, wählt Leo XIV. die weichere Tonlage seines unmittelbaren Vorgängers. Abgesehen davon findet sich in Hegseths-Rede keine solche Passage.
Fall Becciu
In bezug auf den Finanzprozeß um Kardinal Angelo Becciu zeigt sich Leo XIV. staatsmännisch nüchtern: keine Einmischung, keine Einflußnahme – ein klares Signal für Rechtsstaatlichkeit innerhalb des Vatikans. Damit kehrt er zur Linie Benedikts XVI. zurück. Von Franziskus war man anderes gewohnt: Intransparente Interventionen, vor allem zugunsten von Freunden oder Freunden von Freunden. Leo XIV. demonstriert an dieser Stelle einen Stilwechsel.
Fall Durbin / Cupich
Die größte Irritation rief Leos Antwort zur Auszeichnung von Senator Richard Durbin hervor – eines Politikers, der sich seit Jahrzehnten für die Abtreibungs-Agenda einsetzt und damit öffentlich gegen ein zentrales Element katholischer Morallehre handelt.
Kardinal Cupich, dem progressiven Lager zugehörig, wollte Durbin dennoch ehren – eine Entscheidung, die Leo XIV. nicht nur nicht kritisierte, sondern durch seine Relativierung indirekt legitimierte. Seine Aussage, „niemand besitzt die ganze Wahrheit“, mag nach Dialog klingen – sie wirkt jedoch, im moraltheologischen Kontext, als implizite Absage an das Prinzip objektiver moralischer Wahrheit.
Die kirchliche Lehre zur Abtreibung ist eindeutig: Die Tötung eines ungeborenen Kindes ist „in sich böse“ (intrinsece malum), unabhängig von Umständen oder Intentionen. Wer öffentlich für Abtreibung eintritt, soll gemäß can. 915 des Codex des Kirchenrechts keine Sakramente empfangen. Diese Lehre hat Papst Johannes Paul II. in Evangelium vitae unmißverständlich bekräftigt. Leo XIV. hingegen verschiebt den Fokus: Weg vom objektiven moralischen Fehlverhalten – hin zur politischen Gesamthaltung des einzelnen.
Seine Aussage, daß man nicht „wirklich für das Leben“ sei, wenn man die Todesstrafe bejahe oder eine restriktive Migrationspolitik unterstütze, vergleicht moralisch ungleichgewichtige Themen. Abtreibung ist nach katholischer Lehre stets und unter allen Umständen falsch. Todesstrafe und Migrationspolitik hingegen unterliegen der konkreten Anwendung und sind keine absoluten Normen.
Die Gleichsetzung durch Leo XIV. läßt es an moralischer Differenzierung vermissen – zugunsten einer bestimmten politischen Gewichtung. Es ist die Logik der Linken: Wer sich für das Leben der Ungeborenen einsetzt, habe als Bringschuld auch für offene Grenzen und gegen die Todesstrafe zu sein. Leo XIV. übernimmt diese Logik – und macht sich damit zum Sprachrohr eines bestimmten politischen Milieus, nicht einer moralischen Instanz. Abgesehen davon wird von den Gegner der Todesstrafe ignoriert, daß die Tötung eines ungeborenen Kindes nichts anderes als ein Todesurteil mit Hinrichtung ist.
Statt eine Klarstellung vorzunehmen, stellte sich Leo XIV. demonstrativ hinter Kardinal Cupich – denselben Mann, der Franziskus in jeder umstrittenen Personalentscheidung loyal den Rücken stärkte, wofür Franziskus dem progressiven US-Episkopat in mehreren Fragen zur Seite sprang (indem er die Zerschlagung des McCarrick-Netzwerks und die Exkommunikation von US-Präsident Joe Biden verhinderte). Revanchiert sich Leo XIV. – und stellt Kontinuität mit seinem Vorgänger über die nötige Korrektur?
Vor allem exponierte sich Leo XIV. zugunsten der progressiven Agenda in der Kirche völlig unnötig: Senator Durbin erklärte, die für den 3. November geplante Auszeichnung nicht anzunehmen.
Schlußbetrachtung: Der Preis der „Ganzheitlichkeit“
Was läßt sich aus diesem Interview resümieren?
Papst Leo XIV. bewegt sich innerhalb der nachkonziliaren Ausrichtung der Kirche – besonders in der hermeneutischen Spur seines unmittelbaren Vorgängers Franziskus. Seine Gewichtung liegt weniger auf moralischer Klarheit und theologischer Unterscheidung, sondern stärker – um es aus bergoglianischer Sicht zu sagen – auf Kontextualisierung, gesellschaftlicher Komplexität und seelsorglichem Augenmaß. Kategorien wie Schuld, Irrtum oder Häresie treten zurück hinter Diskurs, Dialog und „ganzheitliche Betrachtung“.
Doch welche Kategorien sind das? Leo XIV. als Erbe von Franziskus hervor: ein Papst, der sich mehr um gesellschaftliche Integration, politische Deeskalation und symbolische Gesten bemühte, als um lehramtliche Klarheit. Die Substanz wird dem Klima geopfert, das Lehramt dem Diskurs. Ist die Wahrheit nicht mehr zu verkünden – sondern auszuhandeln?
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Youtube (Screenshot)
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