
Die jüngsten Enthüllungen um Pedro Arrupe, von 1965 bis 1981 Generaloberer des Jesuitenordens, könnten das Ende seines Kanonisierungsverfahrens bedeuten. Sie werfen jedenfalls einen langen Schatten auf das Verfahren seiner Seligsprechung – ein Schatten, der wenig Raum für Licht läßt. Der einstige Jesuitengeneral, von progressiven Ordensangehörigen hochverehrt, hat trotz konkreter und glaubhafter Hinweise auf homosexuellen Mißbrauch die Priesterweihe eines Täters genehmigt. Mehr noch: Er widersetzte sich dem Appell des zuständigen Provinzials, der dringend vor der Weihe des Mißbrauchstäters warnte.
Solche Handlungen lassen sich nicht mit moralischer Naivität oder historischen Umständen entschuldigen. Sie offenbaren ein Wegsehen Arrupes – oder schlimmer noch: ein aktives Wegschauen. Der „heroische Tugendgrad“, der als Voraussetzung im Seligsprechungsprozeß verlangt wird, läßt sich unter diesen Umständen schwerlich aufrecht erhalten.
Nach den Enthüllungen ist die Seligsprechung Pedro Arrupes ernsthaft gefährdet. Wird Leo XIV. den Kanonisierungsprozeß stoppen? Alles andere wäre ein fatales Signal, wie einige nun im Vatikan meinen.
Die Fakten
Pedro Arrupe, 1907 im baskischen Bilbao geboren, trat 1927 in Jesuitenorden ein und wurde 1936 zum Priester geweiht. 1965 wurde er zum 28. Generaloberen des Jesuitenordens gewählt, ein Amt, das er bis zu einem Schlaganfall 1981 ausübte. General Arrupe brachte den Jesuitenorden auf progressiven Kurs, einschließlich der Bestrebungen, eine Allianz zwischen Christentum und Sozialismus zu schaffen. Johannes Paul II. nützte die gesundheitlichen Probleme Arrupes, um den im freien Fall befindlichen Jesuitenorden aufzufangen und zumindest teilweise Arrupes Weichenstellungen abzumildern. Dieser Eingriff wurde dem polnischen Papst vom Orden nie verziehen.
Unter Papst Franziskus, dem ersten Jesuiten auf dem Papstthron, nahm Arrupes Seligsprechungsverfahren schnell Fahrt auf. Demonstrativ lobte Franziskus den einstigen Ordensgeneral, der Jorge Mario Bergoglio zum Ordensprovinzial für Argentinien ernannt hatte, und besuchte gleich 2013, kurze Zeit nach seiner Wahl zum Papst, Arrupes Grab in der römischen Mutterkirche des Ordens. Im Mai 2022 wiederholte Franziskus dieses Geste.
Die britische Zeitung The Guardian veröffentlichte Briefe, aus denen zweifelsfrei hervorgeht, daß Arrupe einen sexuellen Mißbrauchstäter zur Priesterweihe zuließ, obwohl er von dessen Mißbrauchstaten wußte. Homosexualität zählt zu den himmelschreienden Sünden. Die Sache ist noch weit schwerwiegender, denn der für den Kandidaten zuständige Ordensprovinzial warnte Arrupe ausdrücklich davor, den jungen Mann aufgrund seiner Mißbrauchstaten zur Priesterweihe zuzulassen. Arrupe erteilte dennoch die Erlaubnis, obwohl der Generalobere des Jesuitenordens über das Verhalten des Geistlichen informiert wurde.
Brief an Arrupe betreffend Dickerson
General Arrupe erhielt Ende der 1970er Jahre Kenntnis von homosexuellen Mißbrauchsfällen durch den Priesteramtskandidaten Donald Barkley Dickerson und genehmigte dennoch dessen Priesterweihe. Diese Information wurde am 24. Juli von der britischen Zeitung The Guardian veröffentlicht. Grundlage ist eine laufende gerichtliche Untersuchung in New Orleans, wo Dickerson beschuldigt wurde, zwei Minderjährige sexuell mißbraucht zu haben. Außerdem gestand er, einer dritten Person sexuelle Anspielungen gemacht zu haben. Nachdem er zum Priester geweiht worden war, soll Dickerson weitere Minderjährige, die er im Rahmen seiner seelsorgerischen Tätigkeit kennenlernte, sexuell mißbraucht haben. Der amerikanische Jesuit verstarb im Jahr 2016. Erst zwei Jahre später wurde sein Name von der Gesellschaft Jesu in eine Liste mutmaßlicher sexueller Mißbrauchstäter aufgenommen.

Brief von Arrupe an Lambert
The Guardian veröffentlichte einen Brief vom 20. Dezember 1977, den P. Thomas Herbert Stahel, damaliger Jesuitenprovinzial in der Region New Orleans, an Pedro Arrupe richtete. Darin berichtete der 2006 verstorbene Stahel, daß Dickerson gerade an Exerzitien teilgenommen habe, bei dem er einem 14jährigen Jungen homosexuelle Anspielungen gemacht habe. Der Junge, Schüler der von Jesuiten geführten Brebeuf Jesuit Preparatory School in Indianapolis, erzählte seinen Eltern davon. Diese wiederum meldeten den Vorfall Stahel. Der Provinzial machte in seinem Schreiben an General Arrupe deutlich, daß er dem Jungen glaubte, da es sich mindestens um den dritten Minderjährigen handelte, der Dickerson wegen solcher Vorfälle beschuldigte. Bereits zuvor war Dickerson durch homosexuelle Kontakte zu zwei Schülern auffällig geworden, die er masturbierte.

Memorandum von Edmundo Rodríguez zu den Missbrauchsvorwürfen gegen Dickerson
Jahrzehnte später wurden bei der Durchsicht der Ordensarchive Dokumente gefunden, aus denen hervorgeht, daß Dickerson, zur Rede gestellt, die Übergriffe eingestanden hatte, die sich während seiner Priesterausbildung ereigneten. Trotzdem wurde er der Jesuitenschule in New Orleans zugewiesen.
Stahel schlug General Arrupe dringend vor, die für Weihnachten geplante Priesterweihe zu verschieben. „Ich glaube nicht, daß wir mit gutem Gewissen behaupten können, Dickerson sei bereit für die Weihe“, schrieb der Provinzial. Zunächst wurde die Weihe tatsächlich aufgeschoben und Dickerson einer psychiatrischen Behandlung zugeführt. Dennoch wurde er drei Jahre später, im Jahr 1980, zum Priester geweiht, ihm der Kontakt zu minderjährigen Jungen ermöglicht. Und es kam zu weiteren Mißbrauchstaten.
Brief von Dickerson an Edmundo Rodríguez mit dem Gesuch um Dispensation von den Gelübden und Austritt aus dem Jesuitenorden
Nach seiner Weihe wurde Dickerson an verschiedene weiterführende Schulen versetzt. Die Vorwürfe wiederholten sich, und schließlich wurde er 1986, als Arrupe nicht mehr Ordengeneral war, aus der Gesellschaft Jesu ausgeschlossen. Danach lebte Dickerson einige Zeit in Nebraska und verstarb im August 2016 im Alter von 80 Jahren – mit mindestens sieben gegen ihn erhobenen Vorwürfen, ein homosexueller Päderast gewesen zu sein.

Im Jahr 2019, nachdem Papst Franziskus der Kanonisierung Vorrang eingeräumt hatte, wurde das Seligsprechungsverfahren für Pedro Arrupe eröffnet und vom ersten Jesuiten auf dem Papstthron als Teil des von ihm betriebenen Kulturkampfes verstanden. Im Herbst des Jahres nannte Franziskus Arrupe gegenüber Jesuiten in Thailand einen „Propheten“:
„Für mich war P. Arrupe ein Prophet.“
Im Spätfrühling 2022 attackierte Franziskus in einem Interview mit zehn Chefredakteuren europäischer Jesuitenzeitschriften die „Traditionalisten“, die er „Indietristen“ nannte, um Arrupe auf den Sockel zu heben:
„Dasselbe geschieht erneut, vor allem durch die Traditionalisten. Deshalb ist es wichtig, diese Gestalten [wie Arrupe], die das Konzil und die Treue zum Papst verteidigt haben, zu retten. Wir müssen zu Arrupe zurückkehren: Er ist ein Licht jenes Augenblicks, das uns alle erleuchtet.“
Im Oktober 2024 erklärte Franziskus bei seiner Begegnung mit Jesuiten in Singapur ganz offen:
„Ich tue mein Bestes, um ihn auf die Altäre zu bringen“
Nun könnte das Seligsprechungsverfahren aber ernsthaft ins Wanken geraten.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: MiL
Siehe zu Pedro Arrupe und dem Seligsprechungsverfahren vor allem: