
Von Caminante Wanderer*
Der Auftrag der Kirche besteht darin, das zu erfüllen, was der heilige Paulus an Timotheus schrieb: „Gott will, daß alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen“ (1 Tim 2,4). Und diesem Ziel ist alles andere untergeordnet. Die Kirche ist nicht in erster Linie eine Frage von Ritualen, Formen oder theologischen Schulen. All das, was sicherlich grundlegend ist, ist jedoch diesem Ziel untergeordnet. Und deshalb hat sich die Kirche im Laufe der Geschichte den verschiedenen Kulturen und historischen Gegebenheiten angepaßt. Sehen Sie sich nur die Unterschiede – nicht nur die liturgischen – zwischen den verschiedenen Ost- und Westkirchen an.
Wenn ich von „Anpassung an die Welt“ spreche, meine ich sicher nicht die Änderung oder Aktualisierung ihrer Glaubensdogmen, ihrer moralischen Grundsätze oder ihres Gottesdienstes. Ich meine ihre äußere Struktur; wie sie sich der Welt präsentiert. Bruno Moreno hat zum Beispiel letzte Woche einen interessanten Artikel in Infocatólica veröffentlicht, in dem er auf eine Veränderung hinweist, die sich in der äußeren Struktur der Kirche vollzieht, und zwar aufgrund der Art und Weise, wie sich die Welt verändert hat: Pfarreien als territoriale Begrenzungen machen keinen Sinn mehr. Irgendwann wird die Kirche über eine andere Form der Jurisdiktion über ihre Gläubigen nachdenken müssen, die meiner Meinung nach eher der persönlichen Pfarrei als der territorialen Pfarrei ähnelt. Dies wird viele Veränderungen in der Art und Weise mit sich bringen, wie Seelsorge, Gemeindeaktivitäten und Gottesdienste organisiert werden.
Wenn wir uns auf den Westen konzentrieren, hat die Kirche im Laufe der Geschichte ihre Formen und Funktionen immer wieder angepaßt. Nach der Völkerwanderung beispielsweise wurden die Bischöfe nicht nur zu Hirten ihrer Herde, sondern auch zu Herrschern, Verwaltern und Garanten der sozialen Ordnung in den dezimierten Städten – oder dem, was von ihnen übrig geblieben war. Und auch mit Karl dem Großen und dann mit Gregor VII. kam der Wandel. Das Konzil von Trient, ein Jahrtausend später, prägte erneut die Kirche, die sich an eine Welt anpassen mußte, die sich verändert hatte, und zwar in ähnlicher Weise, wie wir sie in den letzten Jahrzehnten erleben. Achtzehn Jahre lang, mit Unterbrechungen, trafen sich Bischöfe und Theologen aus ganz Europa in Trient und Bologna und brachten das Konzil auf den Weg. Seine Umsetzung dauerte Jahrzehnte, aber schließlich formte es eine Kirche, die in vielerlei Hinsicht anders aussah als die vorherige und die geeignet war, „alle Menschen zum Heil und zur Erkenntnis der Wahrheit“ in einer Welt zu führen, die sich verändert hatte.
Unsere Welt hat sich verändert und ist nicht mehr dieselbe wie vor einem Jahrhundert. Und der Wandel, den sie erfahren hat, war mindestens so dramatisch wie der Wandel im 15. und 16. Jahrhundert. Der Zweite Weltkrieg – und sein Ausgang – markierten die Unumkehrbarkeit dieser Mutation, und das anschließende Auftauchen des Internets und all dessen, was es mit sich brachte, vervollständigte – bis jetzt – das neue Gesicht. Das ist die Realität; ob traurig oder freudig, spielt keine Rolle: Es ist die Realität, und es hat keinen Sinn, einer vergangenen Welt nachzutrauern und nostalgisch zu sein. Und in diesem Sinn hatte Papst Franziskus recht, als er gegen die „Restaurationisten“ wetterte. Es lohnt sich übrigens klarzustellen, daß die „Wiederherstellung der christlichen Kultur“ nicht die Wiederherstellung jener Welt bedeutet, sondern die Wiederherstellung der christlichen Kultur in unserer Welt. Jeder Versuch eines integralen Restaurationismus ist dazu verdammt, Gemeinschaften im Stil der Amischen oder Mennoniten hervorzubringen. Das funktioniert nicht.
Die Kirche hat diesen Wandel erkannt, und zwar sehr früh. Und sie hat versucht, ein neues Trient zu schaffen, ein neues Konzil, das die Kirche an die neue Realität der Welt anpassen sollte. Und es war das unglückselige Zweite Vatikanische Konzil, das in nur vier Jahren eine endlose Anzahl von nicht-dogmatischen Dokumenten verabschiedete und damit dachte, die Arbeit sei getan. Das Zweite Vatikanische Konzil wurde von einer Gruppe von Strategen manipuliert (eine Tatsache, die von Historikern wie Roberto de Mattei hinreichend bewiesen wurde), genauso wie das Konzil von Trient und die meisten ökumenischen Konzilien manipuliert wurden (man denke an das Konzil von Ephesus oder das erste Konzil von Konstantinopel). Das war nichts Neues und auch kein besonders schwerwiegendes Problem: Es war vorhersehbar. Außerdem waren die einschläfernden Konzilsdokumente der 60er Jahre selbst nichts anderes als sarasa ad usum temporis [Geschwafel für den Gebrauch der Zeit], aber an sich so katholisch wie jedes andere Dokument zuvor. Nicht umsonst wurden sie alle, ausgenommen Dignitatis humanae über die Religionsfreiheit, von Msgr. Marcel Lefebvre oder Kardinal Ernesto Ruffini unterzeichnet, die sicher nicht dem Verdacht der modernistischen Häresie ausgesetzt sind.
Doch fast noch wichtiger als das Konzil selbst war, wie schon bei früheren Gelegenheiten, die Umsetzung des Konzils. Der berühmte „Geist des Konzils“, der sich in der Geschichte der Kirche immer nach diesen ökumenischen Treffen und im Falle des Zweiten Vatikanischen Konzils entfaltet hat, war gleichbedeutend mit „alles gilt“, „alles ist erlaubt“. Und auch heute noch wird jedes lehrmäßige oder liturgische Ereignis im Namen des Zweiten Vatikanischen Konzils gerechtfertigt, und wenn man sie bittet, anzugeben, in welchem Dokument dieser oder jener Unsinn steht, argumentieren sie, daß er dort nicht vorkommen muß, weil er implizit im „Geist des Konzils“ enthalten ist. Und die Bischöfe und Päpste haben nie versucht, diese Abweichung zu korrigieren, mit Ausnahme von Benedikt XVI., obwohl es schon spät war.
Im Fall von Trient war die Situation nicht viel einfacher. Wenn wir nach Spanien blicken, so gab es dort viele, die in den Diözesen dem Protestantentum zuneigten. Man muß nur Band 4 der Historia de los heterodoxos españoles (Geschichte der spanischen Heterodoxen) durchblättern, um festzustellen, daß es viel mehr waren, als man denken könnte. Und auch sie beriefen sich auf einen diffusen „Geist des Konzils“, um Reformen vorzuschlagen. Aber die tridentinischen Päpste waren geschickter, katholischer und heiliger als die des Zweiten Vaticanums. Nur acht Monate nach dem Ende des Konzils von Trient setzte Pius IV. die Sacra Congregatio Cardinalium Concilii Tridentini interpretum oder Konzilskongregation ein, deren Aufgabe es war, dafür zu sorgen, daß die Reformen und Konzilsdekrete, die die katholische Lehre und die Reformen definierten, in der gesamten katholischen Kirche korrekt angewendet wurden. Zu ihren Aufgaben gehörten: die Auslegung der tridentinischen Kanones und Dekrete; die Beilegung theologischer, liturgischer oder disziplinarischer Streitigkeiten, die sich aus der Anwendung der Reformen ergaben; die Aufsicht über die Disziplin des Klerus, die Verwaltung der Sakramente und den Religionsunterricht; die Sicherstellung der Einheitlichkeit der Liturgie, wie z. B. die Verwendung des römischen Meßbuchs und des römischen Breviers. Dieses römische Dikasterium wurde just 1968 von Paul VI. abgeschafft, der es durchaus durch ein anderes mit ähnlichen Aufgaben hätte ersetzen können, das sich auf das gerade abgeschlossene Zweite Vatikanische Konzil bezieht. Aber das hätte bedeutet, den „Konzilsgeist“, d. h. das „vale todo“, „anything goes“, „alles gilt“, zu unterdrücken.
Meiner Meinung nach ist das Zweite Vaticanum an sich kein Problem; das Problem war seine irreführende Anwendung, die von späteren Päpsten, einschließlich Johannes Paul II. Es ist müßig, über den Fall des Dilettanten Paul VI. zu diskutieren, der ein beklagenswertes Pontifikat absolvierte, das nur noch von dem von Franziskus übertroffen wird. Der polnische Papst, obwohl er ein gläubiger Mann und wahrscheinlich ein Heiliger war, ließ die Dinge aus verschiedenen Gründen, die hier nicht näher erläutert werden sollen, schleifen. Schlimmer noch, aus einem beginnenden Hang zur politischen Korrektheit – was argentinische Libertäre als „republikanisches Geschwätz“ bezeichnen würden – machte er lausige Bischofsernennungen (ich fürchte, derselbe Fehler könnte auch Leo XIV. betreffen), nicht weil er mit den Kandidaten einverstanden war, sondern um nicht zu kränken und es allen recht zu machen. Und so breitete sich das „vale todo“ aus, und jetzt haben wir zum Beispiel die undenkbare Situation, daß die katholische Kirche den Tag des Homo-Stolzes mit Messen und anderen Liturgien feiert, und das nicht nur in Deutschland, sondern auch in Argentinien, wie der Skandal vor ein paar Tagen in Cordoba, dem Land des dummen Kardinals Angel Rossi SJ, gezeigt hat.
Um auf das zentrale Thema dieses Artikels zurückzukommen: Die Welt hat sich verändert, und die Kirche muß sich diesem Wandel anpassen, wie sie es im Laufe der Geschichte immer getan hat, damit „alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen“. Der Versuch des Zweiten Vatikanischen Konzils ist gescheitert, denn bei der Anpassung wurde die Kirche von der Welt verschluckt, und ein großer Teil ihrer Bischöfe und Priester entledigte sich wie die casquivanas1 eines Dorfkabaretts fröhlich der Kleider, die eine jahrtausendealte Tradition angehäuft hatten, in dem Glauben, daß solche Unanständigkeiten die libidinösen Besucher des unanständigen Spektakels dem Glauben näher bringen würden. Sie waren und sind sich nicht darüber im klaren, daß sie nur ein Objekt des Spottes und der Verhöhnung waren und niemanden bekehrt haben. Im Gegenteil, sie sind selbst zu Papirusas2 und Manfloros3 zum Vergnügen der Menschen in der Welt geworden.
*Caminante Wanderer, argentinischer Philosoph und Blogger
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Caminante Wanderer
1 Casquivanas: spanischer Ausdruck für liederliche Frauen.
2 Papirusas: spanischer Ausdruck für oberflächliche, modebewußte, wenig ernsthafte und etwas naive Frauen.
3 Monfloros: spanischer Ausdruck für feige, schwache Männer, also Memmen, Weicheier.
In der bewußten Nachfolge Christi ist der Mensch ein Fremder in dieser Welt. Sich das klarzumachen ist nicht einfach, und die Umsetzung desselben ist ein wahrer Kreuzweg. Als Getaufter und Gefirmter ist der Mensch ein Kind Gottes geworden, eine neue Schöpfung. Das kann man in Demut so annehmen.
Ich weiß nicht, ob sich die wahre Kirche allem Anschein zum Trotz durch die Jahrhunderte jemals der Welt angepaßt hat zumal da die Kirche der Heiligen im Himmel immer auch ein wesentlicher Teil des Leibes Christi sind. Es gab sicherlich Änderungen in der „Verpackung“ je nach Mode, Zeitgeschmack, Machtverhältrnissen und technischen und materiellen Errungenschaften und es gab immer Änderungen im Kirche-Staat-Verhältnis, aber das Primäre, das Wort Gottes, die Gesetze und Gebote, die Dogmen wurden trotzdem unverändert bewahrt und weitergegeben trotz aller Irrungen und Wirrungen bei denen, die sich der Welt anpaßten.
Ich würde hier mit allem Respekt der zentralen These des Autors, Herrn Wanderer, nicht zustimmen. Das Wort Gottes ist immer gleich und unveränderlich und immer gab und gibt es Heilige, die ihrem jeweiligen Jahrhundert ein, ihr christliches Gesicht gegeben haben und das trägt neue Früchte bis heute und weiter in die Zukunft hinein wie ein guter Obstbaum immer neue Früchte trägt. Der katholische Glaube ist immer aktuell und Hefe und Sauerteig für die Welt. Aber es ist schwer, sich vorzustellen wie die Kirche Sauerteig sein kann, wenn sie all die Wandlungen und Modeerscheinungen der Welt mitmachen würde wobei es Änderungen in der Verkündigung und lokalen „Äußerlichkeiten“ gab und geben wird.
Gerade weil sich die Kirche im Kern letztlich nie den Veränderungen in Gesellschaft, Herrschaften und Staat, denen gegebenenfalls so oder so Rechnung zu tragen ist, (völlig) angepaßt hat, existiert sie bis heute- und diesbezüglich gab es bekanntlich auch jeweils große Auseinandersetzungen über die Jahrhunderte hindurch. Denn wenn man beim althergebrachten Glauben bleibt, wirkt der Hl. Geist auf seine Weise und lenkt alles zum Guten.
Aja, das zweite vatikanische Konzil war also genau wie alle anderen Konzile, die echte Reformen brachten, nur leider durch und durch destruktiv und brachte keine Reform. Die Mär, das Woytyla es allen Recht machen wollte, widerlegen Sie in Ihrem Text schon selber, oder was ist mit Marcel Levebre und seinen tapferen Anhängern? Ich ergänze: Oder mit den Militia immaculata, die der ach so große Marienfreund schnell mal erheblich einschränkte und begrenzte?
Und nein, das zweite vatiknaische Konzil widerspricht nicht nur in einem Dokument der katholischen Lehre, sondern in mindestens einem weiteren: https://www.katholisch.de/artikel/11209-wir-glauben-alle-an-den-gleichen-gott
Und den Katholiken, die Juden unter größten Opfern gerettet hatten, wollte er es auch nicht recht machen, er verriet sie mit stalinistischer Selbstkritik: https://www.katholisch.de/artikel/24813-als-der-papst-die-schuld-aus-2000-jahren-kirchengeschichte-eingestand
»Der Auftrag der Kirche besteht darin, das zu erfüllen, was der heilige Paulus an Timotheus schrieb: „Gott will, daß alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen“ (1 Tim 2,4).« .… DAS ist die eigentliche Herausforderung, der die meisten sich nicht stellen wollen und deshalb alles mögliche (nebensächliche) lautstark in den Fokus rücken, diskutieren, kritisieren und problematisieren etc.!
Gustave Le Bon (1841 – 1931), franz. Arzt und Soziologe, Begründer der Massenpsychologie brachte es auf den Punkt: „Nie haben die Massen nach Wahrheit gedürstet. Von den Tatsachen, die ihnen mißfallen, wenden sie sich ab und ziehen es vor, den Irrtum zu vergöttern, wenn er sie zu verführen vermag. Wer sie zu täuschen versteht, wird leicht ihr Herr, wer sie aufzuklären sucht, stets ihr Opfer.“
Und auch die Heilige Schrift weiß ja von diesem Sachverhalt zu berichten! (vgl. 2 Tim 4 | https://www.bibleserver.com/EU/2.Timotheus4 sowie 1.Tim 1,3–7 | https://www.bibleserver.com/EU/1.Timotheus1,3–7
Leider haben wir (Heutigen), die wir Christus als unseren Herrn und Gott bekennen, den Ernst der Lage bei weitem (noch) nicht erkannt! Es ist wirklich ein geistlicher Kampf, der gegen den Vater der Lüge und alle, die auf ihn hören (und somit gehören), zu führen ist!
Solange wir uns nicht entschieden aufraffen, die eigenen Dämonen zu identifizieren und in Schach zu halten, und wahrhaft demütig werden, solange werden wir der Wahrheit nicht zum Sieg verhelfen können. Nach dem Zeugnis der alten Väter, vermag nur die Demut, den guten Kampf zu führen und zu obsiegen! …
Wo sind die Trainer (die christlichen Lehrmeister und Ritter), die uns Heutigen beibringen, wie wir wahrhaft demütig werden können, damit wir diesen Kampf mit Hoffnung auf Erfolg aufnehmen können; und die uns Hinweise geben, wie wir das in der heutigen Zeit, unter den heutigen Umständen und Verhältnissen in Angriff nehmen könnten? .…
Vgl. hierzu z.B. das Lied von Angelus Silesius: „Mir nach spricht Christus unser Held …“ (GL 641), sowie „Sonne der Gerechtigkeit“ (GL 481) und auch das Lied „Lasst uns loben, freudig loben“ (GL 489).