Wenn Santa Marta auf einen Kardinal nachtritt

Rom, der Gehorsam und die Rechtsstaatlichkeit


Juan Luis Kardinal Cipriani Thorne war bis 2019 Erzbischof von Lima und Primas von Peru. Vor allem war er einer der führenden Kirchenmänner Lateinamerikas, der sich der marxistischen Befreiungstheologie entgegenstellte und dabei oft allein auf weiter Flur stand. Doch nun wird noch auf ihn nachgetreten.
Juan Luis Kardinal Cipriani Thorne war bis 2019 Erzbischof von Lima und Primas von Peru. Vor allem war er einer der führenden Kirchenmänner Lateinamerikas, der sich der marxistischen Befreiungstheologie entgegenstellte und dabei oft allein auf weiter Flur stand. Doch nun wird noch auf ihn nachgetreten.

Die der­zeit statt­fin­den­de Ver­nich­tung von Kar­di­nal Juan Luis Cipria­ni Thor­ne dis­kre­di­tiert in den Augen der Öffent­lich­keit einen der bedeu­tend­sten Kir­chen­män­ner Latein­ame­ri­kas unse­rer Zeit, mehr noch aber ver­deut­licht sie, wel­che Kräf­te der­zeit im Vati­kan den Ton ange­ben und wie sie den Ton angeben.

Kar­di­nal Cipria­ni Thor­ne war bis 2019 Erz­bi­schof von Lima und Pri­mas von Peru. Mutig erhob er sei­ne Stim­me und wur­de so zu einer zen­tra­len Figur der katho­li­schen Kir­che in Latein­ame­ri­ka. Unter sei­ner Füh­rung pro­te­stier­ten Mil­lio­nen von Men­schen gegen Abtrei­bung und Gen­der-Ideo­lo­gie und für das Lebens­recht unge­bo­re­ner Kin­der, für Ehe und Fami­lie. Das stör­te die pro­gres­si­ven Kräf­te in der Kir­che und die poli­ti­sche Lin­ke außer­halb der Kir­che. Der Kar­di­nal war zudem auch äußer­lich eine noble Gestalt von außer­ge­wöhn­li­cher Bil­dung und Cha­rak­ter­stär­ke. Und noch ein „Makel“ laste­te auf ihm: Er gehört dem Opus Dei an. Eine Gemein­schaft, beson­ders stark in der spa­nisch­spra­chi­gen Welt, die Fran­zis­kus gar nicht mag.

Cipria­ni Thor­ne schreck­te nicht davor zurück, auch Kar­di­nal Mül­ler sanft zu tadeln, des­sen „nai­ven“ Blick auf Gustavo Gut­ier­rez und die Befrei­ungs­theo­lo­gie der perua­ni­sche Kar­di­nal nicht ver­ste­hen konnte. 

Cipria­ni Thor­ne führ­te uner­schrocken einen lan­gen Kampf gegen die Päpst­li­che Katho­li­sche Uni­ver­si­tät von Lima, an der Irr­leh­ren ver­brei­tet wur­den. Da es kei­ne Ein­sicht gab, gelang es dem Kar­di­nal, aber nur unter gro­ßen Mühen, denn die Wider­stän­de waren enorm, unter Papst Bene­dikt XVI. es zu errei­chen, daß der Uni­ver­si­tät die Bezeich­nun­gen „päpst­lich“ und „katho­lisch“ ent­zo­gen wur­den. Doch kaum regier­te Fran­zis­kus in Rom, erlaub­te die­ser der Rebel­len­uni­ver­si­tät und sei­nen Freun­den dort, sich wie­der „päpst­lich“ und „katho­lisch“ zu nennen.

Das Bei­spiel sagt viel aus über die Feind­schaf­ten, die sich Kar­di­nal Cipria­ni Thor­ne zuzog. Auf­grund sei­ner star­ken Posi­ti­on und sei­ner Beliebt­heit war­te­te man bis zu sei­nem 75. Geburts­tag, um ihn abzu­ser­vie­ren.

Grund­sätz­lich demon­tier­te Papst Fran­zis­kus das Opus Dei, wo er konn­te. Die­ses unter­warf sich und mach­te sich mög­lichst unsicht­bar für San­ta Mar­ta, um die­ses Pon­ti­fi­kat zu über­ste­hen. Der Rei­he nach eme­ri­tier­te Fran­zis­kus die Bischö­fe, die dem Werk Got­tes ange­hö­ren, dar­un­ter Roge­l­io Ricar­do Livi­e­res Pla­no, den Bischof von Ciu­dad del Este in Para­gu­ay. Auch Kar­di­nal Cipria­ni Thor­ne, der ein Fels in der lin­ken Bran­dung Latein­ame­ri­kas war, wur­de von Fran­zis­kus sofort eme­ri­tiert, als er sein 75. Lebens­jahr voll­endet hat­te. Der Nach­fol­ger, den Fran­zis­kus ernann­te, kommt aus einer ganz ande­ren Rich­tung und ver­tritt auch eine ganz ande­re Rich­tung. Des­halb wur­de der Wech­sel an der Spit­ze der perua­ni­schen Kir­che auch als „bru­tal“ bezeichnet.

Fran­zis­kus weiß genau, wen er för­dern und wen er schwä­chen will.

Doch im Fall Cipria­ni Thor­ne herrsch­te offen­bar die Sor­ge, daß der wort­ge­wal­ti­ge Kir­chen­fürst auch nach sei­ner Eme­ri­tie­rung ein zu gro­ßes Gewicht in der Kir­che Perus spie­len könn­te. Zu groß war sein Anhang unter dem gläu­bi­gen Volk.

So wur­den dem Kar­di­nal, wie erst jetzt bekannt wur­de, sofort nach der Eme­ri­tie­rung von Rom Sank­tio­nen auf­er­legt und er gezwun­gen, das Land zu ver­las­sen. Vor allem wur­de ihm eine Schwei­ge­pflicht auf­er­legt, die er nun gebro­chen hat. Ein spa­ni­sches Medi­um berich­te­te – der Grund dafür und war­um jetzt, sind noch unklar –, daß auf Kar­di­nal Cipria­ni Thor­ne stren­ge Sank­tio­nen lasten, die 2019 gegen ihn ver­hängt wur­den, weil er Anfang der 80er Jah­re einen „Miß­brauch“ began­gen habe. In sei­ner nun erfolg­ten Stel­lung­nah­me weist der Kar­di­nal jeg­li­che Form des Miß­brauchs aus­drück­lich zurück, ins­be­son­de­re des sexu­el­len, denn der wird heu­te im Zusam­men­hang mit der Kir­che und dem Stich­wort „Miß­brauch“ an erster Stel­le in Ver­bin­dung gebracht. Er habe sich nie eines sol­chen Miß­brauchs schul­dig gemacht, nicht Anfang der 80er Jah­re „und auch nicht vor­her oder nachher“.

Dazu schreibt der spa­ni­sche Kolum­nist Spe­co­la:

„Und dann ist da noch die heik­le Fra­ge von Kar­di­nal Cipria­ni, der den Feh­ler gemacht hat, sich in Lima aus­zu­zeich­nen und in den Medi­en prä­sent zu sein.

Wir wis­sen nicht, war­um er damals unter­schrie­ben hat, was er unter­schrie­ben hat, obwohl er wuß­te, daß er damit zur Unsicht­bar­keit ver­ur­teilt war. Nun ist ein Arti­kel in Spa­ni­en erschie­nen, wo er lebt, in denen Anschul­di­gun­gen erho­ben wer­den. Sofort folg­te ein Brief des Kar­di­nals, der sich bis­her den vati­ka­ni­schen Sank­tio­nen gefügt hat­te, nun aber ver­tei­digt. Dar­auf folgt ein über­ra­schen­des Kom­mu­ni­qué des Vati­kans, das per E‑Mail an die Medi­en ver­schickt wur­de, und das an einem Sonn­tag. Dar­in steht:

‚Ich kann bestä­ti­gen, daß auf­grund der Anschul­di­gun­gen gegen ihn und nach der Annah­me sei­nes Rück­tritts als Erz­bi­schof von Lima eine Straf­ver­fü­gung gegen den Kar­di­nal ver­hängt wur­de, die eini­ge Dis­zi­pli­nar­maß­nah­men in bezug auf sei­ne öffent­li­che Tätig­keit, sei­nen Wohn­sitz und die Ver­wen­dung von Insi­gni­en vor­sieht, die von Sei­ner Emi­nenz unter­zeich­net und akzep­tiert wur­den. Obwohl gele­gent­lich auf­grund des Alters und der fami­liä­ren Situa­ti­on des Kar­di­nals die Erlaub­nis erteilt wur­de, Anfra­gen zu erfül­len, scheint die­se Vor­schrift der­zeit noch in Kraft zu sein.‘

Im Kon­text des Kir­chen­rechts ist eine Straf­ver­fü­gung ein ein­zel­nes oder all­ge­mei­nes Dekret, das von der zustän­di­gen Exe­ku­ti­ve erlas­sen wird, um die Erfül­lung zuvor fest­ge­leg­ter Gebo­te und Ver­bo­te mit einer bestimm­ten kano­ni­schen Stra­fe auf­zu­er­le­gen oder zu fordern.

Der Fall Cipria­ni ist in Wirk­lich­keit nur ein wei­te­rer Fall, der uns zeigt, wie die Din­ge im Vati­kan funk­tio­nie­ren. Er selbst erklär­te nun:

‚Im August 2018 wur­de ich dar­über infor­miert, daß eine Denun­zia­ti­on ein­ge­gan­gen war, die mir nicht zuge­stellt wur­de. Anschlie­ßend, ohne ange­hört wor­den zu sein, ohne mehr zu wis­sen und ohne daß ein Ver­fah­ren eröff­net wur­de, teil­te mir der Apo­sto­li­sche Nun­ti­us am 18. Dezem­ber 2019 münd­lich mit, daß die Kon­gre­ga­ti­on für die Glau­bens­leh­re eine Rei­he von Sank­tio­nen ver­hängt hat, die mein prie­ster­li­ches Amt ein­schrän­ken und mich auf­for­dern, einen festen Wohn­sitz außer­halb Perus zu nehmen.‘

Die der­zei­ti­ge Pra­xis der delic­ta gra­vio­ra berück­sich­tigt – wie alle durch den Druck der Medi­en geschaf­fe­nen Regeln – nicht die Rech­te des Ange­klag­ten und die wesent­li­chen Garan­tien des Rechts­staa­tes: Zugang zu den Ver­fah­rens­ak­ten, Kreuz­ver­hö­re, die Mög­lich­keit, sich zu ver­tei­di­gen, usw…

Schlim­mer als in vie­len ande­ren Syste­men wer­den heu­te vom Vati­kan Sank­tio­nen als ‚Vor­sichts­maß­nah­men‘ ver­hängt, noch bevor der Pro­zeß statt­ge­fun­den hat, also gegen die­je­ni­gen, für die die Unschulds­ver­mu­tung gilt.

Wir haben einen lan­gen Weg zurück­ge­legt, und das Hei­li­ge Offi­zi­um von 1549 respek­tiert heu­te die grund­le­gen­den Men­schen­rech­te viel mehr als das, was sie sind. Es ist nicht das erste Mal, daß Prie­ster, Bischö­fe und Kar­di­nä­le, selbst wenn sie schon älter sind, besei­tigt wer­den, wodurch ihre Ehre beschä­digt und sie öffent­lich an den Pran­ger gestellt wer­den. Ent­schul­di­gun­gen sind nutz­los, wenn sich her­aus­stellt, daß die Anschul­di­gun­gen falsch waren, daß es sich um Rache- und Macht­spie­le han­delt usw…

Fac­tum infec­tum fie­ri nequit.“

Die Fra­ge bleibt im Raum, war­um ein Kar­di­nal, soeben eme­ri­tiert, die vati­ka­ni­schen Sank­tio­nen akzep­tiert. Das scheint für die heu­ti­ge Zeit unver­ständ­lich, doch gilt in der Kir­che die Gehor­sams­pflicht. Auch sie kann miß­braucht wer­den. Eine Ahnung, wie das funk­tio­niert, bie­tet der Fall von Kar­di­nal Cipria­ni Thor­ne, indem die ele­men­tar­sten rechts­staat­li­chen Grund­sät­ze miß­ach­tet werden.

Dem perua­ni­schen Kar­di­nal des Opus Dei erging es damit nicht anders als sei­nem Mit­bru­der im Bischofs­amt und Mit­bru­der im Opus Dei, Msgr. Roge­l­io Livi­e­res. Ihm gewähr­te Fran­zis­kus nicht ein­mal die Schon­frist bis zur Errei­chung der Alters­gren­ze. Der gro­ße Makel von Msgr. Livi­e­res, der zusätz­lich schwer wog, war die simp­le Tat­sa­che, daß er Argen­ti­ni­er war wie Fran­zis­kus selbst. Unverzeihlich.

Msgr. Livi­e­res wur­de nach Rom gelockt, wo man ihn vor ver­schlos­se­nen Türen war­ten ließ, wäh­rend man in Para­gu­ay die Tür­schlös­ser zur bischöf­li­chen Resi­denz aus­tau­schen ließ und den dor­ti­gen Medi­en die Ent­las­sung des Bischofs bekannt­gab. Die­ser muß­te sei­ne Ent­las­sung aus den Medi­en erfah­ren. Von Papst Fran­zis­kus wur­de er auch dann nicht emp­fan­gen. Anschul­di­gun­gen wur­den ihm nicht vor­ge­legt. Man woll­te ihn ein­fach los­wer­den – und hat­te die Macht, dies umzusetzen.

Nicht anders geschah es gegen Kar­di­nal Cipria­ni Thor­ne, wenn auch etwas ele­gan­ter, weil des­sen Posi­ti­on natio­nal wie inter­na­tio­nal viel bedeu­ten­der war als jene sei­nes Mit­bru­ders in Para­gu­ay. Doch die Gehor­sams­pflicht schafft in der Kir­che sogar man­ches „Wun­der“.

Text/​Übersetzung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Vida Nue­va digi­tal (Screen­shot)

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