Niemand weiß, wann es stattfinden wird, aber alle wissen, daß mit jedem Tag das nächste Konklave näherrückt. Seit kurzem gibt es eine brandneue Internetseite namens The College of Cardinals Report, die von einer Gruppe von Journalisten um den Vatikanisten Edward Pentin, Rom-Korrespondent des National Catholic Register und von EWTN, betrieben wird. Sie will dazu beitragen, Klarheit zu schaffen, was die Papstwähler denken, von denen die meisten völlig unbekannt sind.
Auch Papst Franziskus weiß, daß seine Amtszeit nur eine gewisse Dauer haben würde, und war sich dessen immer bewußt, weshalb er bisher zehn Konsistorien einberief, um mehr als 150 neue Kardinäle zu kreieren.
Von den aktuell 139 wahlberechtigten Kardinälen wurden 110 (das sind 79 Prozent) von Papst Franziskus ernannt. Hinzu kommt, daß die verbleibenden 29 Kardinäle, die noch von Benedikt XVI. und Johannes Paul II. ernannt wurden, bereits dem Konklave 2013 angehörten, als die Mehrheit der Papstwähler Jorge Mario Bergoglio zum Papst erwählten.
Die neue Internetseite enthält die Biographien und zahlreiche (nicht immer ganz fehlerfreie) Details aller lebenden Kardinäle, wobei das besondere Augenmerk auf den Papstwählern liegt.
Neu und besonders interessant ist, daß jede Biografie von einer umfangreichen Analyse der Positionen des jeweiligen Kardinals zu den wichtigsten kontroversen und problematischen Fragen begleitet wird. Dazu werden ausführliche Zitate aus den Äußerungen der Kardinäle zu den betreffenden Fragen angeführt.
Aus offensichtlichen Gründen ist die Analyse bei jenen Kardinälen, die angeblich „papabile“ sind und ein geeignetes, sprich wählbares Alter haben, besonders ausführlich.
Ein Blick auf diese neue Seite zeigt, daß das Sacrum Collegium von Konsistorium zu Konsistorium, Schritt für Schritt, fast unbemerkt, einen immer progressiveren Charakter angenommen hat. Die genannten Zahlen verdeutlichen das Ausmaß dieses Ernennungsprozesses, der – menschlich betrachtet – irreversibel scheint.
Die aufmerksameren Gläubigen kennen die Positionen der Kardinäle Burke, Sarah, Müller und anderer. Sie wissen aber auch um die ganz anderen Positionen von Höllerich, McElroy, Alves Aguiar, Chow und anderen. Über die Mehrheit der Kardinäle im Konklave weiß man aber wenig. Der Großteil der künftigen Papstwähler bleibt unscheinbar, geradezu unsichtbar.
Die neue Seite schafft hier mehr Klarheit. Liest man sich die kommentierten Biographien samt den Analysen durch, so wird schnell klar, daß man sich keinen Illusionen hingeben sollte. Von den Kardinälen dieser imaginären unbekannten Mehrheit, die sich in einem diskreten „tertium genus“ zu befinden scheinen, wie der spanische Kolumnist Francisco Fernández de la Cigoña es nennt, erfährt man, daß sie in Wirklichkeit – meist sogar, ohne sich eine Gelegenheit entgehen zu lassen – unter Beweis stellen, überzeugte Bergoglianer zu sein. Ohne mit der Wimper zu zucken, vertreten sie die intrigantesten progressiven Positionen zu Themen wie Synodalität, Kollegialität, Homosexualität, Klimawandel, Frauenordination, Kommunionspendung für wiederverheiratete Geschiedene und andere irreguläre Situationen usw. Francisco Fernández de la Cigoña schreibt dazu:
„So wie die Dinge stehen und die Welt über das Konklave spricht, als ob es sehr nahe wäre, kann die konservative Katholizität froh sein, wenn sie einen Parolin, einen Ouellet oder gar einen Tagle bekommt, und die Träume von einem Ranjith, Erdö, Eijk oder einem der eingangs Genannten als Papst aufgeben. Unter den gegenwärtigen Umständen scheint es, daß S[eine] H[eiligkeit] in seinem Bemühen, ‚post mortem‘ zu pontifizieren und eine Umkehr zu verhindern, erfolgreich war.“
Text: Giuseppe Nardi
Bild: The College of Cardinals Report (Screenshot)