„Ein eindrucksvolles Bild der Schizophrenie“ sieht das traditionsverbundene französische Medium Paix Liturgique in der Kirche am Werk: Während der „Amazonas-Ritus“ Ende 2024 als „experimentell“ eingeführt werden soll, „werden der jahrhundertealte tridentinische Ritus und seine Gläubigen weiterhin verfolgt“.
„Hört, hört, meine lieben Freunde: Der ehrwürdige Ritus der römischen Kirche ist untersagt, aber dafür wird noch vor Jahresende der in Arbeit befindliche Amazonas-Ritus eingeführt!“, so Paix Liturgique. Die Einführung des Amazonas-Ritus wird mit Ende 2024 „experimentell“ für drei Jahre eingeführt. 2028, so das französische Medium, werde er dann „zweifellos mit einigen Änderungen und ‚Anreicherungen‘ endgültig genehmigt“ werden.
Die Ankündigung machte P. Agenor Brighenti, ein Theologe des Lateinamerikanischen Bischofsrats (CELAM), der bereits aktiv in die Vorbereitung und Durchführung der Amazonassynode involviert war. Brighenti tritt für die Frauenordination und die Abschaffung des priesterlichen Zölibats ein.
„Es ist wichtig zu wissen, daß die Erstellung dieses Urwaldritus seit 2020 eine enorme Arbeit erfordert hat. Nicht weniger als 13 Kommissionen haben sich intensiv um seine Zusammenstellung bemüht. Aber wir wissen noch nichts Genaues: Er wird eine Überraschung sein“, so Paix Liturgique nicht ohne Ironie.
Das Medium spekuliert, daß der Amazonas-Ritus sich an den Maya-Ritus anlehnen könnte, einen anderen Ritus, der derzeit am grünen Tisch konstruiert wird. Beiden Riten könnte eine besondere „Beziehung“ zur „Mutter Erde“ oder „Gaia“ zu eigen sein:
„Viel Weihrauch während der gesamten Eucharistie“, für den „Räuchermänner“ und „Räucherfrauen“ sorgen werden. Ebenso Gebete, die von sogenannten „Hauptlaien“, wiederum Männer oder Frauen, gesprochen werden, die neben dem Priester die Funktion von „Quasi-Konzelebranten“ erhalten sollen. Hinzu kommen „rituelle Tänze“, die „Verwendung von Maya-Muscheln“, die einst zur Kommunikation mit den Toten dienten, das „Anzünden von Maya-Kerzen“, die den Kontakt zu lebenden und verstorbenen Personen und „zu unserer Mutter Erde“ herstellen sollen. Nicht fehlen dürfen „Maya-Altar“, „Maya-Opfergaben“ und noch mehr Kerzen, die „auf die vier Himmelsrichtungen zeigen, die bei den Maya mehr oder weniger göttlich sind“.
Der Amazonas-Ritus könnte auch vom Zairischen Ritus inspiriert sein. Haben Sie noch den Überblick? Begründen ließe sich das sicher mit dem schwarzafrikanischen Bevölkerungsanteil Brasiliens.
Der Zairische Ritus gilt offiziell als „kongolesische Anpassung“ des römischen Ritus. Er wurde von Kardinal Joseph Malula gefördert, der 1959 von Johannes XXIII. zum Bischof ernannt wurde und 1962–1989 Erzbischof von Kinshasa war (das bis 1966 Leopoldville hieß). Als solcher nahm Malula am Zweiten Vatikanischen Konzil teil und wirkte an dem Zustandekommen von Sacrosanctum Concilium, der Liturgiekonstitution des Konzils, mit. Experimentell eingeführt wurde der Zairische Ritus 1973 durch Papst Paul VI. Offiziell approbiert wurde er erst unter Johannes Paul II. im Jahr 1988. Ein völlig neues Element in diesem Ritus ist die Anrufung der Vorfahren.
Zum Zairischen Ritus gehören rhythmische Gesten und Bewegungen, Prozessionstänze, die Eröffnung der Meßfeier mit einer Litanei, in der die Ahnen Seite an Seite mit den Heiligen angerufen werden, eine Bußvorbereitung vor dem Offertorium und auch Palaver… Papst Franziskus zelebrierte 2019 mit der kongolesischen Gemeinschaft in Rom im Zairischen Ritus und schrieb selbst das Vorwort zum Buch der Ordensfrau Rita Mbogshu Kongo: „Papst Franziskus und das ‚Missale Romanum für die Diözesen von Zaire‘. Ein vielversprechender Ritus für andere Kulturen“ (Vatikanverlag, 2020). Es heißt, Franziskus sehe im Zairischen Ritus auch einen „vielversprechenden Weg für die Entwicklung eines Amazonas-Ritus“, so Paix Liturgique.
Im Kontext des konstruierten Amazonas-Ritus steht die „seltsame Zeremonie“, so das französische Medium, die am 4. Oktober 2019 am Beginn der Amazonassynode in Anwesenheit von Franziskus in den Vatikanischen Gärten stattfand. Im Mittelpunkt der „seltsamen Zeremonie“ standen mehrere Pachamama-Figuren, wodurch die „Mutter Erde“ „spiritualisiert“ wurde. Sie bringe die Urwaldvölker hervor und ernähre sie und bestrafe sie auch mit Erdbeben, wenn sie ihr zu viele Ressourcen entziehen. Jedenfalls so oder ähnlich lautet das nicht minder konstruierte Narrativ, das man damals den für Sozialromantik sehr offenen Europäern präsentierte. Rituell wurde in den Vatikanischen Gärten der Hunger und der Durst von „Mutter Erde“ gestillt, indem ihr Opfergaben dargebracht wurden. Die Kirche mit dem „amazonischen Gesicht“, wie sie in den „Grundlegenden Bezugspunkten eines amazonischen Ritus“ dargelegt sind, die 2023 vom römischen Gottesdienstdikasterium präsentiert wurden, inkludiert nicht nur die woke Cancel Culture, die im linksradikalen Milieu der USA entstanden ist. Praktischerweise finden sich darin auch alle Forderungen und Ziele der kirchlichen 68er-Europäer: die Zulassung von Diakoninnen, die Abschaffung des priesterlichen Zölibats, die Einführung von Priestern mit Familie, wobei unklar ist, ob und inwiefern auch die Ehefrau dieser Priester Anteil an seinem Priestertum hat. Jedenfalls soll Frauen als „Predigerinnen“, aber auch zur Sakramentenspendung zum Einsatz kommen. Die geforderte „Indigenisierung“ des Christentums umfaßt auch den Schamanismus und andere spiritistische Elemente. Ironisch bemerkt Paix Liturgique dazu:
„Interessant, wirklich interessant. Die religiöse Vielfalt im Amazonasgebiet, eine Art neues Pfingsten in seiner Biofrische, würde so andere Wege zur Erlösung (Heil/Gesundheit) für die Menschen entdecken lassen. All dies ist natürlich eine rein folkloristische Rekonstruktion: Alle Amazonasvölker wurden von portugiesischen und spanischen Missionaren evangelisiert, aber ihr Glaube hat sich vor allem seit dem 20. Jahrhundert immer wieder mit sehr unterschiedlichen Elementen vermischt, darunter auch afroamerikanische Religiosität und importierte Schamanismen, die auf den traditionellen Gebrauch von halluzinogenen Substanzen aufgepfropft wurden. Unsere sehr seriösen Liturgiker haben es geschafft, aus dieser Suppe eine ‚amazonische Religiosität‘ zu komponieren, die von der Konzilsliturgie vereinnahmt werden kann.“
Auf diese Weise könnten die betroffenen kirchlichen Gemeinschaften endlich „ihren Glauben gemäß ihrer Kultur und ihren Bräuchen in diesem riesigen Gebiet, das Amazonien ist, zum Ausdruck bringen“, so der eingangs zitierte CELAM-Vertreter.
„Nun gut. Und wir haben nicht das Recht, unseren Glauben gemäß unserer Kultur auszudrücken? Der Papst betonte doch: ‚Das Christentum hat kein einheitliches kulturelles Modell und muß das Gesicht der vielen Kulturen und Völker mitbringen, in denen es aufgenommen und verwurzelt ist.“
Für Europa und den überlieferten Ritus scheint das allerdings nicht zu gelten, jedenfalls nicht laut Franziskus und seinen Adlaten.
Paix Liturgique bemerkt sarkastisch, daß in Paris, seit von Franziskus 2021 das traditionsfeindliche Motu proprio Traditionis custodes erlassen wurde, die Gläubigen für die Wiederzulassung des überlieferten Ritus, der ihnen genommen wurde, an verschiedenen Orten beten, aber von der kirchlichen Obrigkeit ignoriert werden:
„Wir, die ‚Amazonier‘ von Paris, beten weiterhin nach unseren Riten und Bräuchen den Rosenkranz vor den Büros der Erzdiözese, 10 rue du Cloître-Notre-Dame, montags bis freitags von 13.00 bis 13.30 Uhr, in Saint-Georges de La Villette, 114 av. Simon Bolivar, XIX., mittwochs um 17.00 Uhr, vor Notre-Dame du Travail, 59 rue Vercingétorix, XIV., sonntags um 18.15 Uhr.“
Paix Liturgique fügt noch eine Episode von einer der jüngsten Mahnwachen an:
„Ein Koreaner spricht uns an und fragt uns: Sind Sie Gläubige, die die traditionelle Liturgie befürworten? Absolut und wir beten dafür, daß die in Paris abgeschafften Zelebrationen wiedereingeführt werden. Frage an ihn: Aber sind Sie selbst katholisch? Nein, ich bin protestantisch, aber ich kenne eine Gruppe meiner Studenten in Seoul, die so denkt wie Sie.“
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Que no te la cuenten/CEAMA (Screenshots)