Von Roberto de Mattei*
Wanda Poltawska, eine der führenden Persönlichkeiten der Lebensrechtsbewegung des 20. Jahrhunderts und enge Mitarbeiterin von Johannes Paul II., ist am 25. Oktober 2023 im Alter von 102 Jahren in Krakau verstorben.
Wanda Poltawska wurde am 2. November 1921 in Lublin geboren. Nach dem deutschen Einmarsch in Polen wurde sie wegen ihres Einsatzes im Widerstand von der Gestapo verhaftet und im Lubliner Schloß inhaftiert. Nach Verhören und Folterungen wurde sie am 21. November 1941 in das KZ Ravensbrück deportiert, wo sie chirurgischen Experimenten unterzogen wurde, die von Karl Gebhardt, Himmlers Leibarzt, durchgeführt wurden, der später als Kriegsverbrecher zum Tode verurteilt wurde. Wie durch ein Wunder überlebte sie und beteiligte sich nach der Befreiung an der Arbeit der Untersuchungskommission zu den NS-Verbrechen in Polen. Der Albtraum jener Tage lebt in ihrem Buch „Und ich fürchte meine Träume. Meine Tage im Lager Ravensbrück“, das in mehreren Sprachen erschienen ist, wieder auf.
In der Nachkriegszeit war sie eine enge Mitarbeiterin von Karol Wojtyla und arbeitete in der Ehe- und Familienberatung, wobei sie sich besonders mit den Auswirkungen der Abtreibung auf die weibliche Psyche und den Auswirkungen der Verhütungsmethoden auf die Ehe und das Zusammenleben in der Familie befaßte. Von 1955 bis 1997 lehrte sie Pastoralmedizin an der Päpstlichen Theologischen Akademie in Krakau (heute Päpstliche Universität Johannes Paul II.). 1967 gründete sie an dieser Universität das Institut für Familientheologie, das sie 33 Jahre lang leitete und in dem junge Ehepaare, Verlobte und Priester ausgebildet wurden.
Am 16. Oktober 1978 wurde Karol Wojtyla zum Papst gewählt und nahm den Namen Johannes Paul II. an. Nach einigen Monaten traf ich Wanda Poltawska, die mir erzählte, daß sie auf wundersame Weise von Darmkrebs geheilt worden war durch die Gebete von Pater Pio, an den Monsignore Karol Wojtyla, Weihbischof von Krakau, 1962 geschrieben hatte, weil er wußte, daß sich seine gute Freundin in einem verzweifelten Zustand befand, damit „Gott ihr und ihrer Familie auf die Fürsprache der Heiligen Jungfrau seine Barmherzigkeit erweisen möge“.
Mit Wanda Poltawski und ihrem Ehemann, dem Philosophen Andrzej Poltawski (1923–2020), einem Professor, mit dem sie vier Töchter hatte, verband mich über viele Jahre eine enge Freundschaft, die mir die Möglichkeit gab, Johannes Paul II. und den jungen persönlichen Sekretär des Papstes, Stanislaus Dziwisz, kennenzulernen.
Dank Wanda Poltawska lernte ich Msgr. Edouard Gagnon kennen, der 1983 zum Vorsitzenden des Päpstlichen Rates für die Familie ernannt und am 25. Mai 1985 zum Kardinal erhoben wurde. Als wir 1987 zusammen mit Marchese Luigi Coda Nunziante die Vereinigung Famiglia Domani gründeten, fanden wir in ihm einen Freund und Unterstützer. Wanda Poltawska teilte mit Kardinal Gagnon den Glauben an die Existenz einer Freimaurer-Mafia im Vatikan, die Thema des Buches von Pater Charles T. Murr „Murder In The 33rd Degree“ („Mord im 33. Grad“) ist, das demnächst in Italien vom Verlag Fede e Cultura veröffentlicht wird. Wanda Poltawska ist es auch zu verdanken, daß die Franziskaner der Immakulata, die inzwischen vom Heiligen Stuhl über die ganze Welt verstreut wurden, durch ihr persönliches Eingreifen bei Papst Johannes Paul II. gegründet wurden.
Wanda Poltawska war eine Frau von tiefem Glauben, großer Kultur und intensivem Einsatz für die Sache des Lebens. In ihren letzten Jahren wurde ihre Person von den liberalen Medien und der Abtreibungsbewegung heftig angegriffen, insbesondere nach der Entscheidung des polnischen Verfassungsgerichts, die eugenische Abtreibung zu verbieten. Leider ist es jetzt, nach dem Regierungswechsel in Polen, sehr wahrscheinlich, daß die Abtreibungen wieder aufgenommen werden. Die christliche Polnische Volkspartei (PSL), die sich der Gender-Propaganda und der vollständigen Liberalisierung der Abtreibung bis zur 12. Schwangerschaftswoche widersetzt, scheint bereit zu sein, die Abtreibung nach Vergewaltigung und bei Mißbildung des Fötus zu akeptieren. Der Kampf geht also weiter, in Polen und auf der ganzen Welt, und die Figur von Wanda Poltawska, die bis zum Schluß für den Schutz des Lebens von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod gekämpft hat, ist ein Beispiel, das nicht vergessen werden sollte.
*Roberto de Mattei, Historiker, Vater von fünf Kindern, Professor für Neuere Geschichte und Geschichte des Christentums an der Europäischen Universität Rom, Vorsitzender der Stiftung Lepanto, Autor zahlreicher Bücher, zuletzt in deutscher Übersetzung: Verteidigung der Tradition: Die unüberwindbare Wahrheit Christi, mit einem Vorwort von Martin Mosebach, Altötting 2017, und Das Zweite Vatikanische Konzil. Eine bislang ungeschriebene Geschichte, 2. erw. Ausgabe, Bobingen 2011.
Bücher von Prof. Roberto de Mattei in deutscher Übersetzung und die Bücher von Martin Mosebach können Sie bei unserer Partnerbuchhandlung beziehen.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana