Von Roberto de Mattei*
Das Szenario Ende 2020 zeigt sich deutlich verschieden von dem Szenario, mit dem 2019 endete. Vor einem Jahr wurde der unaufhaltsame Niedergang des Pontifikats von Papst Franziskus durch das Ergebnis der gescheiterten Amazonassynode bestätigt, die keine der progressiven Erwartungen zu erfüllen vermochte, von der Abschaffung des priesterlichen Zölibats bis zum Frauenpriestertum. Auf internationaler Politik schien Donald Trumps Wiederwahl im folgenden Jahr so sicher zu sein, daß auch kein Wahlbetrug sie gefährden konnte.
Der Widerstand gegen die revolutionären Kräfte, die die Welt beherrschen, zeigte sich auf vielfältige Weise: von den großen Kundgebungen für das Lebensrecht der Ungeborenen über die antikommunistischen Demonstrationen in Hongkong bis zu jenen der katholischen Acies Ordinata. Die Gruppen, die am meisten mit der Tradition verbunden sind, befanden sich im Angriff, weil sie sich in der Absicht grundsätzlich einig waren. Ein Jahr später hat sich das Szenario geändert.
Der besorgniserregendste Aspekt des Panoramas, das wir vor uns haben, ist weder die Covid-Pandemie noch der „Great Reset“, über den soviel gesprochen wird, noch die unerwartete Niederlage von Präsident Trump, sondern die Uneinigkeit, die sich unter den Verteidigern der Kirche und der natürlichen, christlichen Ordnung zeigt. Die Punkte, an denen sich diese Uneinigkeit manifestiert, sind nicht theoretischer, sondern praktischer Natur und eine direkte Folge des Coronavirus. Die lebhaften Diskussionen über das Bestehen einer Gesundheitsverschwörung oder über die Legitimität von Impfungen wirken sich auf das tägliche Leben aus und wecken daher bei Katholiken Gefühle von Emotion, Wut und Niedergeschlagenheit. Wir fühlen uns dunkel bedroht und eine Atmosphäre tauber Rebellion gegen alles und jeden breitet sich aus.
Die Welt, in Unruhe und aufgeregt, schreibt, was geschieht, den Regierungen oder geheimen Mächten zu, ohne bis zu dem letztlich wirklichen Grund vorzustoßen, den Sünden der Menschen. Göttliche Strafen werden nicht als solche anerkannt, und wo Aufregung und fieberhafte Aktivität herrschen, kehrt die Göttliche Gnade nicht ein. Gnade erfordert Ruhe, Besinnung, Ordnung, deren Vorbild die Heilige Familie war. Daher gibt es in dieser Adventszeit nichts Besseres, als unseren Blick auf den heiligen Josef zu richten, der in der Kälte und Dunkelheit auf schwierigem Weg die ihm anvertraute Heilige Familie mit Klugheit und Mut nach Betlehem brachte. Der heilige Lukas sagt, daß in jenen Tagen ein Edikt des Kaisers Augustus herauskam, „ut describeretur universus orbis“, das heißt, daß die ganze Welt durch eine Volkszählung aufgeschrieben werden sollte, weshalb „alle Leute zu dem Ort gingen, von dem ihre Familie herkam“ (Lk 2,3), und da Joseph „aus dem Haus und der Familie Davids“ stammte, ging er nach Judäa in die Stadt Davids, die Bethlehem heißt (Lk 2,4). Die von Augustus angeordnete Volkszählung gründete auf dem Stolz eines Kaisers, der den Anspruch der Weltherrschaft erhob. Viele Juden liebäugelten mit den Illusionen einer sterilen und wirkungslosen Rebellion. Sie schauten, wie Pater Frederick William Faber erinnert, zwar in alle Richtungen, aber nicht auf die Grotte in Bethlehem. Und als der Messias geboren wurde, wurde er für sie zum „Stein des Anstoßes“ (Bethlehem, Manz, Regensburg 1861).
Die allerseligste Jungfrau Maria und der heilige Josef rebellierten nicht, sondern – wie der ehrwürdige Luis de la Puente bemerkt – sie bekannten sich als Vasallen des Augustus und wollten ihm die Abgaben entrichten, um mit diesem Beispiel den Stolz und die Gier der Welt zu verwirren (Des ehrwürdigen Ludwig de Ponte Betrachtungen über die vorzüglichsten Geheimnisse unseres Glaubens, dt. Übersetz. von Max Schmid, Manz 1931, Bd. II). Tatsächlich möchte Gott, daß wir denen gehorchen, die uns regieren, auch wenn sie uns mit einer schlechten Absicht befehlen, vorausgesetzt, daß das, was von uns verlangt wird, an sich nicht illegal ist und dem göttlichen Gesetz nicht widerspricht.
Das Wort Autorität, in verschiedenen Sprachen, leitet sich vom lateinischen augere, vermehren, steigern, vergrößern, ab. Der heilige Joseph, der als Filius accrescens bezeichnet wird (Genesis 49, 22), jener, der vermehrt, verkörpert das Prinzip der Autorität, verstanden vor allem als Dienst für das Wachstum unseres Nächsten. Er war der Nährvater des Gottmenschen und der keuscheste Gatte der Gottesmutter, aber er übte Autorität über Jesus und Maria aus und sie gehorchten ihm. Niemand war wie er den göttlichen Anweisungen gehorsam und so machte er sich auf den Weg nach Bethlehem. Am 8. Dezember 1870 erklärte der selige Pius IX. mit dem Dekret Quemadmodum Deus den heiligen Josef zum Patron der katholischen Kirche. Dieses Dekret gab der Wahrheit, daß der heilige Josef die Kirche beschützt, eine kanonische Form, da er während seines Lebens die Heilige Familie mit seiner Autorität beschützte. Zur Feier des 150. Jahrestages des Dekrets von Pius IX. hat Papst Franziskus vom 8. Dezember 2020 bis zum 8. Dezember 2021 ein Jahr des Heiligen Josef ausgerufen. Bei dieser Gelegenheit hat die Apostolische Pönitentiarie, der Oberste Gerichtshof der Kirche, den Gläubigen das außergewöhnliche Geschenk besonderer Ablässe gewährt. Mit einem Dekret von Kardinal Mauro Piacenza, dem Großpönitentiar der Kirche, das dem Willen von Papst Franziskus entspricht, „gewährt die Apostolische Pönitentiarie den Gläubigen, die mit einer von jeder Sünde losgelösten Seele am Jahr des heiligen Josef teilnehmen, einen vollkommenen Ablaß unter den üblichen Bedingungen (sakramentale Beichte, eucharistische Gemeinschaft und Gebet in den Absichten des Heiligen Vaters)“.
Die Modalitäten, die zur Erlangung des Ablasses vorgesehen sind, sind zahlreich. Dazu gehören das Rosenkranzgebet in der Familie, das Beten der Josefs-Litanei oder jedes rechtmäßig genehmigte Gebet zu Ehren des heiligen Josef, besonders an dessen Festtagen vom 19. März und 1. Mai und am Fest der Heiligen Familie sowie am 19. eines jeden Monats und an jedem Mittwoch, einem Tag, der der Erinnerung an den heiligen Josef gewidmet ist. Nur wenige haben die Bedeutung dieses Dekrets der Apostolischen Pönitentiarie begriffen. Wir wissen, daß der Ablaß der Nachlaß der zeitlichen Sündenstrafe vor Gott ist, von Sünden also, deren Schuld in der Beichte bereits vergeben wurden. Die Gläubigen erlangen ihn durch das Eingreifen der Kirche, die die Macht hat, den Schatz der Erleichterungen Christi und der Heiligen zu verteilen. Die Kirche ist keine unsichtbare Realität, sondern eine rechtlich perfekte Gesellschaft, die mit allen Mitteln ausgestattet ist, um im Hinblick auf die Erfüllung ihrer Mission zu handeln. Man kann Papst Franziskus scharf kritisieren, aber solange er als legitimer Stellvertreter Christi gilt, gelten die von ihm erlassenen Rechtsakte, es sei denn, sie widersprechen der Tradition der Kirche. Das ist bei den Ablässen nicht der Fall, die er als Papst aufgrund der Schlüsselgewalt, die Petrus und seinen Nachfolgern übertragen wurde, gewährt:
„Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs geben; was du auf Erden binden wirst, das wird auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, das wird auch im Himmel gelöst sein“ (Mt 16,19).
Wer die Gültigkeit dieser Ablässe bestreitet, akzeptiert zumindest de facto die These, daß Papst Franziskus ein falscher oder unrechtmäßiger Papst ist, Haupt einer anderen „Kirche“ als der katholischen. Wer ihn zwar als Papst anerkennt, aber den Umfang seiner Rechtshandlung ignoriert oder minimiert, trägt die Verantwortung dafür, wenn es nicht gelingt, die Gnade und den Ruhm vieler Seelen zu vermehren und andere Seelen aus dem Fegefeuer zu befreien. Jeder Gläubige kann Ablässe für sich selbst gewinnen, sowohl Teil- als auch vollkommene Ablässe, oder sie den Verstorbenen im Fegefeuer zukommen lassen. Es ist nicht leicht, einen vollkommenen Ablaß zu gewinnen, da eine Seelenhaltung notwendig ist, die jegliche Neigung auch zur läßlichen Sünde ausschließt. Dennoch ist jeder Ablaß, auch der Teilablaß, ein großes Geschenk der Kirche, gerade weil er die Sündenstrafen ganz oder teilweise aufhebt. Wir können die Absichten von Papst Franziskus nicht beurteilen, aber wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß er mit seinem Dekret den treuen Katholiken, die in der Zeit der Erschütterung, in der wir leben, die besondere Hilfe der Gnade brauchen, eine wertvolle Hilfe anbietet. Nach der heiligen Jungfrau Maria hatte kein menschliches Geschöpf einen solchen Glauben wie der heilige Josef und niemand war darin logischer und nachdenklicher als er. In dem ihm gewidmeten Jahr bitten wir den heiligen Josef, uns den Glaubenssinn und die Vernunft zu gewähren, die notwendig sind, damit wir uns, ohne uns zu verlaufen, an der göttlichen Grotte von Bethlehem orientieren.
*Roberto de Mattei, Historiker, Vater von fünf Kindern, Professor für Neuere Geschichte und Geschichte des Christentums an der Europäischen Universität Rom, Vorsitzender der Stiftung Lepanto, Autor zahlreicher Bücher, zuletzt in deutscher Übersetzung: Verteidigung der Tradition: Die unüberwindbare Wahrheit Christi, mit einem Vorwort von Martin Mosebach, Altötting 2017 und Das Zweite Vatikanische Konzil. Eine bislang ungeschriebene Geschichte, 2. erw. Ausgabe, Bobingen2011.
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Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana
Die Apostolische Pönitentiarie ist nicht das Höchstgericht der Kirche. Das ist die Apostolische Signatur.
Ich freue mich, dass Prof. de Mattei und ich das Josephsjahr übereinstimmend positiv einschätzen und gemeinsam begrüßen:
https://www.kathnews.de/besondere-ablaesse-waehrend-des-josephsjahres.
So sehr ich Roberto de Mattei auch hochschätze – hinsichtlich seiner, mit Verlaub, meiner Ansicht nach etwas unpräzise gehaltenen Ausführungen zu Franziskus sei mir ein kleiner Widerspruch gestattet. Sedisvakantismus führt im übrigen in die Sackgasse; Papst Bergoglio ist der legitime Papst, und zwar ganz genau so lange, bis man das exakte Gegenteil dessen belegen könnte. Das ist das eine.
Ich bin zudem kein besserer Mensch als andere; in Papst Bergoglios Herz hineinzublicken vermag ich nicht, noch stünde es mir zu, noch bin ich sein Richter. All dies zu führen steht einzig Unserem Herrgott Jesus Christus zu. Beurteilen und verurteilen darf ich hingegen sehr wohl all die vielen faulen und schlechten Früchte, die er bis dato getragen hat, seit er A.D. 2013 den Fischerthron bestiegen und gleich als erstes den Gläubigen den Segen „urbi et orbi“ verweigert und sie mit einem schnöden „Buona serra!“ abgespeist hatte.
Der Umstand, daß der Papst den Glaubenstreuen jetzt quasi ein paar Brotbrösel zukommen läßt, dient viel eher dazu, mein Mißtrauen zu verstärken: Offenbar weiß Bergoglio ja doch ganz genau, was er tut – auch und vor allem eben dann, wenn er der Kirche ansonsten permanent Schaden zufügt.
Auch ohne katholische Dogmatik und Fundamental-Theologie studiert zu haben, müssen all die sogenannten „kleinen Leute“, wie selbst jene „beati páuperes spíritu“ aus der Bergpredigt, ja gleichfalls bis zu gewissen Grenzen die Chance haben, aus Bergoglios Lehren einen Sinn zu ziehen. Mag er jetzt also einmal etwas Richtiges getan haben; in Summe sind und bleiben seine Früchte faul und schlecht. Und: Auch einem Bösewicht könnte ich ja nicht allein deswegen widersprechen, weil er ein Bösewicht ist, wenn er mir ausnahmsweise eine Wahrheit bekundet, wie etwa „1 plus 1 ergibt 2!“
Insofern erbitte ich Nachsicht: Es ist mir unmöglich, in Papst Bergoglios Pontifikat Vertrauen zu setzen; ich kann ihm auch nicht gehorsam sein – ihm, der sich doktrinell unablässig ungehorsam gegen alles zeigt, was die Kirche über die Zeiten hinweg gelehrt hat.
Des Papstes Agieren widerspricht vielmehr seiner spezifisch bergoglianischen Logik. Der Volksmund kennt verschiedene Aphorismen, die dazu dienen mögen, dies trefflich zu skizzieren, wie etwa: „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht!“, oder: „Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer.“ Oder als Lateiner, in Analogie zu einem Skorpion: „In cauda venenum – Im Schwanz steckt das Gift.“, sowie: „Cui bono? Cur? – Wem dient es und warum?“
In Cristo per Mariam. +
Carlosmiguel
Rebellion hin oder her, aber falls Christen grundsätzlich nicht handeln würden, hätte es nie eine Schlacht von Lepanto gegeben. Auch damals hätte man einfach warten können, bis die Moslems wieder verschwinden.
Oder wie war das mit der Schlacht vor Wien? Auch da hätte man einfach warten können.