Das synodale Babel

Stefano Fontana über die "Synodalität", und was sie eigentlich bedeutet


Stefano Fontana sprach am 5. Oktober in Rom über "Das synodale Babel"
Stefano Fontana sprach am 5. Oktober in Rom über "Das synodale Babel"

Von Ste­fa­no Fon­ta­na*, Vor­trag im Teat­ro Ghio­ne, Rom, 3. Okto­ber 2023

Anzei­ge

In die­sem Vor­trag wer­de ich ver­su­chen, die wich­tig­sten Denk­ka­te­go­rien zu unter­su­chen, die den neu­en Begriff der Syn­oda­li­tät kenn­zeich­nen. Dabei wer­de ich mich auf drei Quel­len stüt­zen: 1) die offi­zi­el­len Doku­men­te zur bevor­ste­hen­den Syn­ode über die Syn­oda­li­tät, ein­schließ­lich der Rede von Papst Fran­zis­kus bei der 50-Jahr­fei­er der Errich­tung der Bischofs­syn­ode am 17. Oktzober 2015; 2) die syn­oda­le Pra­xis in die­sem Pon­ti­fi­kat, ins­be­son­de­re die Syn­ode über die Fami­lie von 2014/​2015; 3) die wich­tig­ste theo­lo­gi­sche Lite­ra­tur, die die neue Syn­oda­li­tät unter­stützt.1

Es wur­de geschrie­ben: „Die Syn­ode ändert sich, die Syn­oda­li­tät bleibt“ 2, daher muß man sich also auf das Kon­zept der Syn­oda­li­tät kon­zen­trie­ren, da die­se Syn­ode und die näch­sten Syn­oden davon abhän­gen wer­den. Von ihm wird die Sta­bi­li­sie­rung der syn­oda­len Pra­xis als dau­er­haf­ter, fort­lau­fen­der Pro­zeß abhän­gen. Es ist daher wich­tig zu über­le­gen, wel­che Denk­ka­te­go­rien die­sen Begriff spei­sen. Ich wer­de mich ins­be­son­de­re mit drei The­men befas­sen: die neue Syn­oda­li­tät als „Zeit“, die neue Syn­oda­li­tät als „Pra­xis“ und die neue Syn­oda­li­tät als „Ver­fah­ren“.

Die neue Synodalität als „Zeit“

Die neue Syn­oda­li­tät wird weit­hin als „Pro­zeß“ defi­niert. Als die Inter­na­tio­na­le Theo­lo­gen­kom­mis­si­on sie zu defi­nie­ren ver­such­te3, ver­wen­de­te sie Aus­drücke, die genau auf einen Pro­zeß hin­wei­sen: „Lebens­stil“, „Lebens- und Arbeits­wei­se“, „Pro­zes­se und Struk­tu­ren“, „Ereig­nis­se“. Das­sel­be tun die Theo­lo­gen: „gemein­sam gehen“, „als Ver­samm­lung zusam­men­kom­men“, „ein­an­der zuhö­ren“, „Dia­log“, „gemein­schaft­li­che Unter­schei­dung“, „Kon­sens­bil­dung“, „Ent­schei­dungs­fin­dung“ 4.

Der Syn­oda­li­tät als Pro­zeß wird auch die Auf­ga­be zuge­wie­sen, den Begriff der Syn­oda­li­tät selbst zu klä­ren5. Syn­oda­li­tät wäre dem­nach ein Pro­zeß, der in der Kir­che ein fort­schrei­ten­des Bewußt­sein dafür schafft, was Syn­oda­li­tät ist. Phi­lo­so­phisch gese­hen müß­te man sagen, daß es sich um einen histo­risch-dia­lek­ti­schen Pro­zeß han­delt, der typisch hege­lia­nisch ist: Syn­oda­li­tät wird nicht als etwas ver­stan­den, das eine Geschich­te hat, son­dern als etwas, das in der Geschich­te gemacht wird. Es ist die Geschich­te der Syn­oda­li­tät, oder viel­mehr die Syn­oda­li­tät als Geschich­te, die uns sagen wird, was Syn­oda­li­tät ist. Was sie ist, wer­den die Ereig­nis­se zei­gen. Vie­le suchen in der Hei­li­gen Schrift, in der Kir­chen­ge­schich­te und in der Geschich­te ande­rer christ­li­cher Kon­fes­sio­nen nach Hin­wei­sen, die „Prä­ze­denz­fäl­le“ für eine neue Syn­oda­li­tät dar­stel­len könn­ten6, aber das sind nur Hin­wei­se, oft zwei­deu­tig und unpas­send, kei­ne Defi­ni­tio­nen. Eine Leh­re zur Syn­oda­li­tät gibt es nicht. Um genau­er zu sein, ist die Syn­ode zur Syn­oda­li­tät nicht ein­mal auf­ge­for­dert, die­se Leh­re zu defi­nie­ren, son­dern einen Pro­zeß zu leben, in des­sen Ver­lauf sich die Syn­oda­li­tät als etwas erwei­sen wird, das „auf dem Weg auf­ge­baut wird, aber von der Basis aus­geht“ 7. Hier liegt der sub­ver­si­ve Cha­rak­ter der neu­en Syn­oda­li­tät, die „form­los“ 8 ist oder, wie geschrie­ben wur­de, eine Büch­se der Pandora.

Die­se Beob­ach­tun­gen zei­gen uns, daß eine erste Kate­go­rie des Den­kens in der Visi­on der neu­en Syn­oda­li­tät die der Zeit ist: die Geschicht­lich­keit. Es fehlt ein meta­phy­si­scher Zugang zu die­sem The­ma. Man sagt, die Syn­oda­li­tät sei ein Gehen, ein In-Bewe­gung-Set­zen, ein Über­schrei­ten der Zeit, eine vita­le Imma­nenz… und die Ereig­nis­se die­ses Gehens sind zugleich sowohl mate­ri­ell als auch ein Aspekt des kirch­li­chen Bewußt­seins, da, moder­ni­stisch gese­hen, die Neu­heit der Ereig­nis­se ein Gan­zes mit der Neu­heit der Errun­gen­schaf­ten des kirch­li­chen Bewußt­seins sind9, da die Kir­che nicht weiß, was sie ist. Der Sinn des gemein­sa­men Gehens ist nicht von Anfang an gege­ben und wird auch nicht durch das zu errei­chen­de Ziel bestimmt, son­dern ent­steht in der Zeit und aus der Zeit. Was Syn­oda­li­tät ist, wird man dem­nach nie end­gül­tig wis­sen, denn sie ist kon­sti­tu­tiv für einen leben­di­gen Pro­zeß. Gar­ri­gou-Lagran­ge sag­te in den 1940er Jah­ren, daß für die Nou­vel­le Théo­lo­gie eine Theo­lo­gie, die nicht mehr aktu­ell ist, als fal­sche Theo­lo­gie zu betrach­ten ist. Das­sel­be gilt für die neue Syn­oda­li­tät: Die wah­re Syn­oda­li­tät wird jene sein, die von Mal zu Mal aktu­ell ist.

Synodalität als „Praxis“

Die Ereig­nis­se eines Pro­zes­ses in der Zeit sind Pra­xis. Eini­ge Schlüs­sel­wör­ter der neu­en Syn­oda­li­tät, wie Zuhö­ren, Inte­grie­ren, Tei­len, bezeich­nen kei­ne Inhal­te, son­dern Hal­tun­gen, Hand­lun­gen, d. h. Pra­xis. In die­ser Pra­xis ver­bin­den sich die Hand­lun­gen der zusam­men­ge­ru­fe­nen Ein­zel­per­so­nen und die Hand­lun­gen der zusam­men­ge­ru­fe­nen Gesamt­heit zu einer dia­lek­ti­schen Syn­the­se, das Par­ti­ku­la­re und das Uni­ver­sa­le fal­len im Glo­ba­len zusam­men: Hun­dert Per­so­nen, mut­maß­lich Katho­li­ken, wer­den die neue Syn­oda­li­tät bil­den. Con-veni­re und con-corda­re sind an sich sinn­stif­ten­de Prak­ti­ken. In die­ser Rei­he von Kon­zep­ten, die um den Begriff der Syn­oda­li­tät krei­sen, sind die Ein­flüs­se des Exi­sten­tia­lis­mus, des Mar­xis­mus, des Hege­lia­nis­mus und ganz all­ge­mein des pra­xis­be­zo­ge­nen Histo­ris­mus, ins­be­son­de­re einer von der Meta­phy­sik getrenn­ten Her­me­neu­tik, offen­sicht­lich. Das ist umso offen­sicht­li­cher (und besorg­nis­er­re­gen­der), wenn man bedenkt, daß in die­ser Syn­the­se von Mei­nun­gen, die im Lau­fe der Zeit koagu­liert sind, selbst­si­cher die Stim­me des Hei­li­gen Gei­stes erkannt wird, genau so wie das im Hegel­schen System geschieht. Msgr. Mario Grech, Sekre­tär der Syn­ode, schrieb, das Ziel der Syn­ode sei es, „alle Getauf­ten so weit wie mög­lich ein­zu­be­zie­hen, um auf ihre Stim­me zu hören und in ihr und durch sie die Stim­me des Hei­li­gen Gei­stes zu erken­nen“ 10. Da wir von der Pra­xis spre­chen, kön­nen wir nicht umhin, den gro­ßen Wider­spruch zwi­schen zwei Ansprü­chen fest­zu­stel­len: daß sich in der Pra­xis die Stim­me des Hei­li­gen Gei­stes mani­fe­stie­re, aber die­se Pra­xis instru­men­tell in die Hän­de einer „klei­nen orga­ni­sie­ren­den Grup­pe“ 11 mit homo­ge­nen und vor­ab fest­ge­leg­ten Vor­stel­lun­gen gelegt wurde.

Daß die neue Syn­oda­li­tät Pra­xis ist, geht auch aus zwei ande­ren Über­le­gun­gen her­vor. Die erste betrifft die enge Bezie­hung zwi­schen Metho­de und Inhalt im syn­oda­len Pro­zeß. Wie ich bereits erwähnt habe, wur­de beschlos­sen, sich auf den Weg zu machen, obwohl auf begriff­li­cher und lehr­mä­ßi­ger Ebe­ne nicht klar ist, was Syn­oda­li­tät ist und wohin sie füh­ren soll. Hier fal­len also Metho­de und Inhalt zusam­men. Sich zu tref­fen, mit­ein­an­der zu reden, gemein­sam in einer Art eli­tä­rem Brain­stor­ming zu ent­schei­den, ist bereits Syn­oda­li­tät in Akti­on. Die Metho­de ist nicht nur anwend­bar, sie ist kon­sti­tu­tiv für die Syn­oda­li­tät. Der Inhalt ist der Metho­de imma­nent. Das erklärt auch, war­um es für die Teil­nah­me am syn­oda­len Pro­zeß kei­ne Gren­zen geben darf: Jeder muß sich betei­li­gen kön­nen, auch die Athe­isten oder die Fein­de Chri­sti. Wenn Metho­de und Inhalt zusam­men­fal­len, trägt der Akt der Teil­nah­me bereits sei­ne inhalt­li­che Bedeu­tung in sich. Die Syn­oda­li­tät wird nicht mehr von den Bischö­fen oder ande­ren Kate­go­rien inner­halb der Kir­che aus­ge­hen, die von der kirch­li­chen Auto­ri­tät von Mal zu Mal fest­ge­legt wer­den, son­dern von jenen, die teil­neh­men, was bereits nach einer syn­oda­len Metho­de und daher nach einem syn­oda­len Inhalt geschieht. Die neue Syn­oda­li­tät wird nicht ein­mal mehr von den Chri­sten aus­ge­hen, geschwei­ge denn von den Katho­li­ken. Das wäre eine Aus­gren­zung, die noch immer behaup­ten möch­te, daß der Inhalt der Metho­de Gren­zen setzt, aber der phi­lo­so­phi­sche und theo­lo­gi­sche Moder­nis­mus meint, schon vor lan­ger Zeit und end­gül­tig fest­ge­stellt zu haben, daß das Gegen­teil wahr ist, näm­lich daß die Metho­de dem Inhalt vor­aus­geht. Für die phi­lo­so­phi­sche und theo­lo­gi­sche Moder­ne ist es die Metho­de – die Pra­xis –, die den Inhalt begrenzt, und nicht andersherum.

Betrach­ten wir nun die zwei­te Über­le­gung zur neu­en Syn­oda­li­tät als Pra­xis. Wenn wir uns den Ver­lauf der jüng­sten Syn­oden und vor allem der Syn­ode über die Fami­lie anse­hen, müs­sen wir fest­stel­len, daß ihre Aus­wir­kun­gen vor allem die Pra­xis betref­fen. Streng genom­men hat Amo­ris lae­ti­tia nichts fest­ge­legt: Sie hat ange­deu­tet, sie hat nicht aus­ge­schlos­sen, aber sie hat nicht fest­ge­legt. Die Ver­än­de­rung der Leh­re durch die neue Syn­oda­li­tät ist nicht der Leh­re über­las­sen, son­dern der Pra­xis. Es ist die Pra­xis, die ent­schei­det, was getan wird. Die Bischö­fe der Regi­on Bue­nos Aires haben getan, und das war es, was wirk­lich gezählt hat, in dem Sin­ne, daß sie fest­ge­legt haben, was zu tun ist. Was getan wird, deckt sich mit dem, was getan wer­den muß, denn histo­ri­stisch (und prak­tisch) sind Sein und Sol­len das­sel­be. Wie könn­te man in all dem nicht den Ein­fluß der klas­sisch­sten Strö­mun­gen des phi­lo­so­phi­schen und theo­lo­gi­schen Moder­nis­mus erken­nen, den der neue Begriff der Syn­oda­li­tät mit gro­ßer Treue umsetzt? In der Tat kommt die neue Syn­oda­li­tät „von sehr weit her“ 12.

Die neue Synodalität als „Verfahren“

Die Kate­go­rien „Zeit“ und „Pra­xis“ bet­ten die neue Syn­oda­li­tät in die Geschich­te ein. Damit wird es zwin­gend, bestimm­te For­men der welt­li­chen Pra­xis aus der Geschich­te und der Gegen­wart zu über­neh­men. Wenn es um Zeit und Pra­xis geht, kann die Kir­che nicht ver­ges­sen, daß sie in einer bestimm­ten Zeit lebt und daß sie von die­ser Zeit For­men der Pra­xis ler­nen muß, die auch für sie selbst als nütz­lich ange­se­hen wer­den13. Eini­ge die­ser Pra­xis­for­men zur Ent­schei­dungs­fin­dung bezie­hen sich auf die demo­kra­ti­sche Metho­de, genau­er gesagt auf die ver­fah­rens­ori­en­tier­te libe­ra­le Demo­kra­tie. In der Lite­ra­tur über die neue Syn­oda­li­tät wird nach­drück­lich dar­auf hin­ge­wie­sen, daß die Ver­fah­rens­wei­se der Syn­oda­li­tät nicht mit der einer par­la­men­ta­ri­schen Ver­samm­lung gleich­ge­setzt wer­den kann14. Man­che wei­sen jedoch dar­auf hin, daß man „zumin­dest eini­ge Ana­lo­gien zu den Vor­gän­gen in der Zivil­ge­sell­schaft“ 15 in Betracht zie­hen müs­se; „sich vor­zu­stel­len, daß die Über­prü­fung des con­sen­sus fide­li­um nicht die Tür zu For­men der Demo­kra­ti­sie­rung der Kir­che öff­net, bedeu­tet, in eine Form der Spi­ri­tua­li­sie­rung des kirch­li­chen Lebens zu ver­fal­len und daher jede Reform zu ver­hin­dern, die die Mit­ver­ant­wor­tung för­dert“ 16. Wenn Ent­schei­dun­gen getrof­fen wer­den sol­len, „kann nicht auf Ver­fah­ren ver­zich­tet wer­den, die der Erfah­rung demo­kra­ti­scher Gesell­schaf­ten ent­lehnt sind“ 17. Wenn dann noch Ent­schei­dun­gen in die Hän­de des Pap­stes gelegt wür­den und er zu ent­schei­den hät­te, wäre der Refor­mis­mus der neu­en Syn­oda­li­tät kom­pro­mit­tiert, weil ein repa­rie­ren­der Deckel auf das gelegt wür­de, was Zeit und Pra­xis im kirch­li­chen Gewis­sen ent­ste­hen haben las­sen18. Eine bedeu­ten­de Öff­nung in die­sem Sin­ne wur­de bereits bei der Syn­ode über die Fami­lie vor­ge­nom­men: Das Schluß­do­ku­ment ent­hielt auch Posi­tio­nen, die von einer Mehr­heit der Syn­oda­len abge­lehnt wur­den, und in Amo­ris lae­ti­tia erklär­te Fran­zis­kus, er wol­le nichts ande­res sagen als das, was die Schluß­fol­ge­run­gen der Syn­ode sagen19. Es ist auch gesagt wor­den, daß, so wie die Kir­che in der Ver­gan­gen­heit intern poli­tisch das mon­ar­chi­sche Sche­ma über­nom­men hat, nichts sie dar­an hin­dern wür­de, jetzt das demo­kra­ti­sche Sche­ma zu über­neh­men20, wobei nicht berück­sich­tigt wird, daß die Über­nah­me des mon­ar­chi­schen Sche­mas kei­ne blo­ße Anlei­he bei den Insti­tu­tio­nen der Zeit war, son­dern sich auf den theo­lo­gi­schen Begriff des „König­tums“ berief.

Es besteht also kein Zwei­fel dar­an, daß For­men welt­li­cher demo­kra­ti­scher Pra­xis in die syn­oda­len Ver­fah­ren ein­flie­ßen wer­den. Sie wer­den zwangs­läu­fig ein­flie­ßen auf­grund der Abhän­gig­keit des syn­oda­len Ver­fah­rens von der heu­te herr­schen­den Pra­xis. Auch in die­ser Hin­sicht ist es von beson­de­rem Inter­es­se, fest­zu­stel­len, daß die Form der Demo­kra­tie, die in Betracht gezo­gen wird für die Ent­schei­dungs­ver­fah­ren der neu­en Syn­oda­li­tät, auch um ihre gegen­sei­ti­ge Unver­zicht­bar­keit her­vor­zu­he­ben, ein­zig und allein die moder­ne pro­ze­du­ra­le libe­ra­le Demo­kra­tie ist. Der Ver­gleich wird nicht mit der Demo­kra­tie nach Leo XIII. ange­stellt, son­dern mit der Demo­kra­tie von Locke und Rous­se­au. Wenn für die Mög­lich­keit und Not­wen­dig­keit demo­kra­ti­scher Ver­fah­ren plä­diert wird, dann ist damit aus­nahms­los die Ver­fah­rens­de­mo­kra­tie gemeint, die von der kirch­li­chen Sozi­al­leh­re immer ver­ur­teilt wur­de. Die­se und kei­ne ande­ren demo­kra­ti­schen For­men wer­den auf Dau­er in die Ver­fah­ren zur Bil­dung einer öffent­li­chen kirch­li­chen Mei­nung ein­ge­hen, die mit der Stim­me des Hei­li­gen Gei­stes gleich­ge­setzt wird.

Abschließende Bemerkungen

Die neue Syn­oda­li­tät ist, wenn man sie in ihren eige­nen Kate­go­rien von Zeit, Pra­xis und Ver­fah­ren betrach­tet, der abschlie­ßen­de Moment einer lan­gen Rei­se, die die gesam­te Moder­ne umspannt hat. Die Moder­ne war ein emi­nent phi­lo­so­phi­sches Phä­no­men. Die Idee, die Kir­che nicht von außen, son­dern von innen zu ver­än­dern, hat­te auch die­sen Sinn: phi­lo­so­phi­sche Kate­go­rien in die Theo­lo­gie ein­zu­füh­ren, die sie revo­lu­tio­nie­ren soll­ten, damit die katho­li­sche Theo­lo­gie selbst defor­miert wird. Es besteht kein Zwei­fel dar­an, daß dies weit­ge­hend gesche­hen ist und daß der Begriff der neu­en Syn­oda­li­tät ein kohä­ren­ter Höhe­punkt die­ses Ver­suchs ist. Die exi­sten­tia­li­sti­sche und histo­ri­sie­ren­de Her­me­neu­tik, getrennt von der Meta­phy­sik, wird ihr Mei­ster sein: Der Glau­bens­in­halt wird das sein, was die Inter­pre­ta­ti­on im Lau­fe der Zeit sedi­men­tiert hat, eine Abfol­ge von gemein­sam geteil­ten und sedi­men­tier­ten Inter­pre­ta­tio­nen, die Frucht einer öffent­li­chen kirch­li­chen Mei­nung, die in der syn­oda­len Debat­te gebo­ren wur­de, aber letzt­lich immer nur Inter­pre­ta­tio­nen sind.

*Ste­fa­no Fon­ta­na, Direk­tor des Inter­na­tio­nal Obser­va­to­ry Car­di­nal Van Thu­an for the Social Doc­tri­ne of the Church; zu sei­nen jüng­sten Publi­ka­tio­nen gehö­ren „La nuo­va Chie­sa di Karl Rah­ner“ („Die neue Kir­che von Karl Rah­ner. Der Theo­lo­ge, der die Kapi­tu­la­ti­on vor der Welt lehr­te“, Fede & Cul­tu­ra, Vero­na 2017), gemein­sam mit Erz­bi­schof Pao­lo Cre­pal­di von Tri­est „Le chia­vi del­la que­stio­ne socia­le“ („Die Schlüs­sel der sozia­len Fra­ge. Gemein­wohl und Sub­si­dia­ri­tät: Die Geschich­te eines Miß­ver­ständ­nis­ses“, Fede & Cul­tu­ra, Vero­na 2019), „La filoso­fia cri­stia­na“ („Die christ­li­che Phi­lo­so­phie. Eine Gesamt­schau auf die Berei­che des Den­kens“, Fede & cul­tu­ra, Vero­na 2021).

Die Tagung „Das syn­oda­le Babel“ im Teat­ro Ghio­ne in Rom am 3. Okto­ber wur­de von der katho­li­schen Inter­net­zei­tung La Nuo­va Bus­so­la Quo­ti­dia­na (NBQ) organisiert.

Bild: NBQ


1 Für voll­stän­di­ge Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen über die neue Syn­oda­li­tät, sie­he: J. Loredo/​José Anto­nio Ure­ta: Pro­ces­so sino­da­le: un vaso di Pan­do­ra. 100 doman­de e 100 ris­po­ste (Syn­oda­ler Pro­zeß. Eine Vase der Pan­do­ra. 100 Fra­gen und 100 Ant­wor­ten), Vor­wort von Kar­di­nal Ray­mond Bur­ke, Asso­cia­zio­ne Tra­di­zio­ne Fami­glia Pro­prie­tà, Rom 2023

2 G. Canob­bio: Sul­la sino­da­li­tà (Über die Syn­oda­li­tät), in: Teo­lo­gia, 41 (2016), 2, S. 270

3 Inter­na­tio­na­le Theo­lo­gi­sche Kom­mis­si­on: Die Syn­oda­li­tät in Leben und Sen­dung der Kir­che, 2. März 2018

4 R. Repo­le: Sino­da­li­tà. Il con­tri­bu­to del­la teo­lo­gia (Syn­oda­li­tät. Der Bei­trag der Theo­lo­gie), in: Teo­lo­gia, 46 (2021), S. 519

5 Der Vor­stel­lung, daß das Kon­zept der Syn­oda­li­tät noch nicht defi­niert ist und erst noch ver­tieft wer­den muß, ist ziem­lich all­ge­mein ver­brei­tet. Das wird sowohl von theo­lo­gi­schen Posi­tio­nen aus gesagt, die wir als „zurück­hal­tend“ bezeich­nen könn­ten (vgl. M. de Salis: La sino­da­li­tà del­la Chie­sa. Sen­si e con­tor­ni di una espres­sio­ne (Die Syn­oda­li­tät der Kir­che. Sinn und Umfeld eines Aus­drucks), in: Anna­les Theo­lo­gi­ci, 36 (2022), 2, S. 283–316), die all­zu pro­gres­si­ve Ten­den­zen ein­däm­men wol­len, als auch von Posi­tio­nen, die letz­te­ren eher nahe­ste­hen und den lau­fen­den Pro­zeß beschleu­ni­gen wollen.

6 Vgl. G. Canob­bio: Sul­la Sino­da­li­tà cit., S. 249–273; ibid.: Tra­di­zio­ne e pra­ti­che sino­da­li in Occi­den­te (Syn­oda­le Tra­di­tio­nen und Prak­ti­ken im Westen), in: Teo­lo­gia, 48 (2023), 1, S. 15–62; U. Sar­to­ri­us: Sino­da­li­tà. Per una chie­sa in rif­or­ma (Syn­oda­li­tät. Für eine Kir­che in Erneue­rung), in: Stu­dia pata­vina, 66 (2019), 2, S. 279–292; A. Bar­bi: Dis­cer­ne­re e deli­ber­a­re insie­me. Per­cor­si negli Atti degli Apo­sto­li (Gemein­sam unter­schei­den und ent­schei­den. Wege in der Apo­stel­ge­schich­te), in: Stu­dia Pata­vina, LXVI (2019), 2, S. 239–250; L. Per­ti­le et al.: Rif­or­ma sino­da­le del­la Chie­sa cat­to­li­ca e dia­lo­go ecu­me­ni­co: una pos­si­bi­le e fecun­den­za con­ver­gen­za (Syn­oda­le Reform der katho­li­schen Kir­che und öku­me­ni­scher Dia­log: eine mög­li­che und frucht­ba­re Annä­he­rung), in: Stu­dia Pata­vina, 69 (2022), 2, S. 207–242; La sino­da­li­tà del­la Chie­sa (Die Syn­oda­li­tät der Kir­che), Anna­les Theo­lo­gi­ci, 36 (2022) 2

7 S. M. Lan­zet­ta: Un Sino­do che vie­ne da mol­to lon­ta­no (Eine Syn­ode, die von weit­her kommt), in: Fides Catho­li­ca, 18 (2022), 1, S. 5

8 P. De Mar­co: La démo­cra­tie dans l’Ég­li­se. Réfle­xi­ons sur le „che­min syn­odal“ alle­mand (Demo­kra­tie in der Kir­che. Über­le­gun­gen zum deut­schen „syn­oda­len Weg“), in: Catho­li­ca, 149, aut­om­ne 2020.

9 Die neu­en „vita­len“ For­meln müs­sen, „um leben­dig zu sein, dem Glau­ben und dem Gläu­bi­gen ange­paßt sein und blei­ben“ (S.H. Pius X.: Pas­cen­di domi­ni­ci gre­gis. Über die Irr­tü­mer des Moder­nis­mus, 13).

10 M. Grech: Il popo­lo di Dio sog­get­to del per­cor­so sino­da­le (Das Volk Got­tes als Sub­jekt des syn­oda­len Weges), in: Teo­lo­gia“, 48 (2023), 1, S. 4

11 S. M. Lan­zet­ta: Un sino­do che vie­ne da mol­to lon­ta­no cit., S. 6.

12 Wie der Titel des bereits erwähn­ten Wer­kes von Ser­a­fi­no M. Lan­zet­ta cit. lautet.

13 Vgl. G. Canob­bio: Dal Sino­do alla sino­da­li­tà (Von der Syn­ode zur Syn­oda­li­tät), in: Stu­dia Pata­vina, LXIX (2022), 2, S. 243–259, ins­be­son­de­re S. 256–259

14 M. A. Fer­ra­ri: Sino­da­li­tà e demo­cra­zia: pun­ti di con­tat­to e dif­fe­ren­ze (Syn­oda­li­tät und Demo­kra­tie. Berüh­rungs­punk­te und Unter­schie­de), in: Anna­les Theo­lo­gi­ci, 36 (2022), 2, S. 475–494

15 G. Canob­bio: Dal Sino­do alla sino­da­li­tà cit., S. 255

16 Ebd. S. 256

17 Ebd. S. 257

18 „Aber wenn er am Ende immer noch das letz­te Wort hat, besteht die Gefahr, daß der Weg für neue Ver­ti­ka­lis­men geeb­net wird” (ebd, S. 258).

19 Vgl. S. Fon­ta­na: Esor­ta­zio­ne o rivo­lu­zi­o­ne? Tut­ti i pro­ble­mi di Amo­ris lae­ti­tia (Exhorta­ti­on oder Revo­lu­ti­on? Alle Pro­ble­me von Amo­ris lae­ti­tia), Fede & Cul­tu­ra, Vero­na 2019

20 „Die Vor­schlä­ge, die Kir­che einer Demo­kra­tie gleich­zu­stel­len, spie­geln sich in jenen, die sie als Mon­ar­chie bezeich­ne­ten” (G. Canob­bio: Sul­la Sino­da­li­tà cit., S. 258); „Auf jeden Fall brin­gen die Chri­sten – ob sie sich des­sen bewußt sind oder nicht – die demo­kra­ti­sche mens, von der die west­li­che Gesell­schaft durch­drun­gen ist, in die Kir­che ein“ (R. Repo­le: Sino­da­li­tà. Il con­tri­bu­to del­la teo­lo­gia cit., S. 525).

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Katho­li­sches war die erste katho­li­sche Publi­ka­ti­on, die das Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus kri­tisch beleuch­te­te, als ande­re noch mit Schön­re­den die Qua­dra­tur des Krei­ses versuchten.

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2 Kommentare

  1. Eine tief­schür­fen­de Ana­ly­se von Syn­oda­li­tät! Was ist gemeint mit „eine von der Meta­phy­sik getrenn­ten Her­me­neu­tik“? Muß man den Wahr­heits­an­spruch des Evan­ge­li­ums als „Meta­phy­sik“ bezeich­nen? Ein bes­se­rer Begriff wäre eher Onto­lo­gie. Für den gläu­bi­gen Chri­sten ist der Sach­ver­halt klar: Der Mensch kann sich nur von Gott her begrei­fen. Gott ist die Wahr­heit von allem. Was sind die Vor­aus­set­zun­gen, daß Wahr­heit gedacht wer­den kann? Die Leh­re der Kir­che war Jahr­hun­der­te lang dem Den­ken aus Wahr­heit ver­pflich­tet. Heu­te ist der Vor­gang umge­kehrt. Der Mensch macht sich ein Bild von Gott nach sei­nem eige­nen Den­ken, das die Ein­fach­heit der Wahr­heit ver­las­sen hat und glaubt, durch immer kom­pli­zier­te­re Argu­men­ta­tio­nen und Erklä­run­gen neue Wahr­hei­ten zu schaf­fen. Wahr­heit ist nicht mehr vor­ge­ge­ben, sie wird erzeugt im Sinn eines punk­tu­el­len zeit­li­chen Konsenses.
    Die Situa­ti­on ist absurd. Es gibt zwei Mög­lich­kei­ten: Man beläßt das Glau­bens­be­kennt­nis, die Dog­ma­tik und die Lit­ur­gie, so wie man die Evan­ge­li­en beläßt, aber man inter­pre­tiert das Bestehen­de unab­läs­sig neu. Oder man for­mu­liert kon­se­quent das Glau­bens­be­kennt­nis, die Dog­ma­tik und die Lit­ur­gie jeweils neu.

  2. Aarons Welt wider­spricht dem Mose. Wir sind Men­schen in einer unvoll­kom­me­nen Welt. Zurück­ge­wor­fen auf die sehr alte Moderne.
    Und mit Her­bert Mar­cuse rufe ich der neu­en und moder­nen Kir­che zu:
    „Dies ist die rei­ne Form der Knecht­schaft: als Instru­ment existieren.“

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