Homosexualität, Arrupe und die Indietristen

Die Begegnung von Papst Franziskus mit den Jesuiten in Portugal


Papst Franziskus mit Jesuiten in Portugal
Papst Franziskus mit Jesuiten in Portugal

(Rom) Bei sei­nen Aus­lands­rei­sen gehört es für Papst Fran­zis­kus zum Pro­gramm, sich mit der Jesui­ten­ge­mein­schaft des von ihm besuch­ten Lan­des zu tref­fen. So war es auch in Por­tu­gal, wohin sich Fran­zis­kus zum Welt­ju­gend­tag bege­ben hat­te. Das Tref­fen mit den Jesui­ten fand am 5. August im Colé­gio de São João de Bri­to in Lis­sa­bon statt.

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Eben­so üblich ist, daß Pater Anto­nio Spa­da­ro, Papst­ver­trau­ter und Schrift­lei­ter der römi­schen Jesui­ten­zeit­schrift La Civil­tà Cat­to­li­ca, anschlie­ßend die Begeg­nung mit den Ordens­mit­brü­dern berich­tet, die hin­ter ver­schlos­se­nen Türen statt­fin­det und bei der die Jesui­ten dem Papst Fra­gen stel­len kön­nen. Heu­te ver­öf­fent­lich­te Spa­da­ro sei­ne Wie­der­ga­be des Tref­fens in Por­tu­gal. Media­le Auf­merk­sam­keit fan­den sofort Aus­sa­gen von Fran­zis­kus zur Homo- und Trans­se­xua­li­tät und zu „bestimm­ten Sek­to­ren“ in den USA. Die­se bei­den Fra­gen und die Ant­wor­ten von Fran­zis­kus wer­den voll­stän­dig wiedergegeben.

Homosexualität

Fra­ge: Hei­li­ger Vater, ich bin João, ich habe Sie vor ein paar Jah­ren in Rom umarmt, aber mei­nen Namen habe ich Ihnen damals nicht gesagt, weil ich zu auf­ge­regt war. Ich arbei­te im Uni­ver­si­täts­zen­trum von Coim­bra. Ich möch­te Ihnen eine schwie­ri­ge Fra­ge stel­len. In Ihrer Rede bei der Begrü­ßungs­ze­re­mo­nie am ver­gan­ge­nen Don­ners­tag hier in Lis­sa­bon sag­ten Sie, daß wir alle so beru­fen sind, wie wir sind, und daß es in der Kir­che Platz für jeden gibt. Jeden Tag füh­re ich pasto­ra­le Arbeit mit jun­gen Uni­ver­si­täts­stu­den­ten durch, und unter ihnen gibt es vie­le wirk­lich Gute, die sich sehr für die Kir­che enga­gie­ren, im Zen­trum ste­hen und sehr enge Freun­de der Jesui­ten sind, sich aber als Homo­se­xu­el­le iden­ti­fi­zie­ren. Sie füh­len sich als akti­ver Teil der Kir­che, aber oft sehen sie in der Leh­re nicht den Weg, ihre Affek­ti­vi­tät zu leben, und sie betrach­ten den Ruf zur Keusch­heit nicht als einen per­sön­li­chen Ruf zum Zöli­bat, son­dern eher als eine Zumu­tung. Kön­nen wir, da sie in ande­ren Berei­chen ihres Lebens tugend­haft sind und die Leh­re ken­nen, sagen, daß sie alle im Irr­tum sind, weil sie vor ihrem Gewis­sen nicht das Gefühl haben, daß ihre Bezie­hun­gen sünd­haft sind? Und wie kön­nen wir pasto­ral so han­deln, daß sich die­se Men­schen in ihrer Lebens­füh­rung von Gott zu einem Gefühls­le­ben beru­fen füh­len, das gesund und frucht­brin­gend ist? Kön­nen wir aner­ken­nen, daß ihre Bezie­hun­gen die Mög­lich­keit haben, sich zu öff­nen und Samen wah­rer christ­li­cher Lie­be zu geben, etwa das Gute, das sie tun kön­nen, die Ant­wort, die sie dem Herrn geben können?

Papst Fran­zis­kus: Ich glau­be, daß es über den an „alle“ gerich­te­ten Ruf kei­ne Dis­kus­si­on gibt. Jesus macht das ganz klar: alle. Die Gäste woll­ten nicht zum Fest kom­men. Und so sag­te er, auf die Stra­ße hin­aus­zu­ge­hen und alle, alle, alle zu rufen. Und damit es klar ist, sagt Jesus „Gesun­de und Kran­ke“, „Gerech­te und Sün­der“, alle, alle, alle. Mit ande­ren Wor­ten: Die Tür steht jedem offen, jeder hat sei­nen Platz in der Kir­che. Wie wird der ein­zel­ne es leben? Wir hel­fen den Men­schen, so zu leben, daß sie die­sen Platz mit Rei­fe ein­neh­men kön­nen, und das gilt für alle Arten von Personen.

In Rom ken­ne ich einen Prie­ster, der mit homo­se­xu­el­len Jugend­li­chen arbei­tet. Es ist offen­sicht­lich, daß das The­ma Homo­se­xua­li­tät heu­te sehr stark ist und die dies­be­züg­li­che Sen­si­bi­li­tät sich je nach histo­ri­schen Umstän­den ändert. Was mir aber gene­rell über­haupt nicht gefällt, ist, daß man mit der Lupe auf die soge­nann­te „Sün­de des Flei­sches“ schaut, wie es im Hin­blick auf das Sech­ste Gebot schon seit lan­gem prak­ti­ziert wird. Ob du die Arbei­ter aus­ge­beu­tet, gelo­gen und betro­gen hast, zähl­te nicht, rele­vant waren hin­ge­gen die Sün­den unter­halb der Gürtellinie.

Es sind also alle ein­ge­la­den. Das ist der Punkt. Und es ist not­wen­dig, für jeden die am besten geeig­ne­te pasto­ra­le Hal­tung anzu­wen­den. Wir dür­fen nicht ober­fläch­lich und naiv sein und Men­schen zu Din­gen und Ver­hal­tens­wei­sen zwin­gen, für die sie noch nicht reif oder nicht fähig sind. Men­schen spi­ri­tu­ell und seel­sor­ge­risch zu beglei­ten erfor­dert viel Fein­ge­fühl und Krea­ti­vi­tät. Aber alle, alle, alle sind geru­fen, in der Kir­che zu leben: Ver­geßt das nie.

Ich bin von Ihrer Fra­ge inspi­riert und möch­te noch etwas hin­zu­fü­gen, das trans­se­xu­el­le Per­so­nen betrifft. An den Gene­ral­au­di­en­zen am Mitt­woch nimmt eine Ordens­frau von Charles de Fou­cauld teil, Schwe­ster Gene­viè­ve, die acht­zig Jah­re alt ist und zusam­men mit zwei ande­ren Ordens­frau­en Kapla­nin des Zir­kus von Rom ist. Sie woh­nen in einem Wohn­wa­gen neben dem Zir­kus. Eines Tages besuch­te ich sie. Sie haben die Kapel­le, die Küche, den Bereich, in dem sie schla­fen, alles gut orga­ni­siert. Und die­se Ordens­frau arbei­tet auch viel mit Mäd­chen, die Trans­gen­der sind. Und eines Tages sag­te sie zu mir: „Kann ich sie zur Audi­enz mit­neh­men?“ „Klar!“, ant­wor­te­te ich: „War­um nicht?“ Und so kom­men immer Grup­pen von Trans­frau­en. Als sie das erste Mal kamen, wein­ten sie. Ich frag­te sie, war­um. Eine die­ser Frau­en sag­te mir: „Ich hät­te nicht gedacht, daß der Papst mich emp­fan­gen wür­de!“ Dann, nach der ersten Über­ra­schung, gewöhn­ten sie sich dar­an, zu kom­men. Jemand schreibt mir und ich ant­wor­te per E‑Mail. Alle sind ein­ge­la­den! Ich habe gemerkt, daß sich die­se Men­schen zurück­ge­wie­sen füh­len, und das ist wirk­lich hart.

Die Begeg­nung mit den Jesui­ten in Por­tu­gal fand am 5. August in Lis­sa­bon statt

General Arrupe und die Indietristen

Fra­ge: Papst Fran­zis­kus, ich möch­te Ihnen als Ordens­mit­bru­der eine Fra­ge stel­len. Ich bin Fran­cis­co und habe letz­tes Jahr ein Sab­bat­jahr in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten ver­bracht. Es gab eine Sache, die mich dort sehr beein­druckt hat und die mich manch­mal lei­den ließ. Ich habe gese­hen, wie vie­le, sogar Bischö­fe, Ihre Art, die Kir­che zu füh­ren, kri­ti­siert haben. Und vie­le beschul­di­gen auch die Jesui­ten, die nor­ma­ler­wei­se eine Art kri­ti­sche Res­sour­ce für den Papst sind, daß sie jetzt nicht so sind. Sie möch­ten sogar, daß die Jesui­ten Sie aus­drück­lich kri­ti­sie­ren. Ver­mis­sen Sie die Kri­tik, die die Jesui­ten frü­her am Papst, am Lehr­amt, am Vati­kan geübt haben?

Papst Fran­zis­kus: Du hast fest­ge­stellt, daß die Situa­ti­on in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten nicht ein­fach ist: Es gibt eine sehr star­ke reak­tio­nä­re Hal­tung, die orga­ni­siert ist und die eine Mit­glied­schaft auch affek­tiv struk­tu­riert. Ich möch­te die­se Leu­te dar­an erin­nern, daß Indiet­ris­mus nutz­los ist und man ver­ste­hen muß, daß es eine rich­ti­ge Ent­wick­lung im Ver­ständ­nis von Glau­bens- und Moral­fra­gen gibt, solan­ge man die drei Kri­te­ri­en befolgt, die Vin­zenz von Lérins bereits im fünf­ten Jahr­hun­dert ange­deu­tet hat: daß die Leh­re sich ent­wickelt ut annis con­so­li­de­tur, dila­te­tur tem­po­re, sub­li­me­tur aet­a­te. Mit ande­ren Wor­ten, auch die Leh­re schrei­tet vor­an, dehnt sich mit der Zeit aus, kon­so­li­diert sich und festigt sich, aber immer vor­an­schrei­tend. Der Wan­del ent­wickelt sich von der Wur­zel an auf­wärts und wächst mit die­sen drei Kriterien.

Kom­men wir zu den kon­kre­ten Din­gen. Heu­te ist es eine Sün­de, Atom­bom­ben zu besit­zen; die Todes­stra­fe ist eine Sün­de, sie kann nicht prak­ti­ziert wer­den, und das war frü­her nicht so; was die Skla­ve­rei betrifft, so haben eini­ge Päp­ste vor mir sie gedul­det, aber heu­te sind die Din­ge anders. Man ändert sich also, man ändert sich, aber mit die­sen Kri­te­ri­en. Ich ver­wen­de ger­ne das Bild „auf­wärts“, d. h. ut annis con­so­li­de­tur, dila­te­tur tem­po­re, sub­li­me­tur aet­a­te. Immer auf die­sem Weg, von der Wur­zel aus­ge­hend, mit einem Saft, der auf­steigt und auf­steigt, und des­halb ist die Ver­än­de­rung notwendig.

Vin­zenz von Lérins ver­gleicht die bio­lo­gi­sche Ent­wick­lung des Men­schen mit der Wei­ter­ga­be des depo­si­tum fidei von einem Zeit­al­ter zum ande­ren, das im Lau­fe der Zeit wächst und sich festigt. Eben, das Ver­ständ­nis des Men­schen ver­än­dert sich mit der Zeit, und so ver­tieft sich auch das Bewußt­sein des Men­schen. Auch die ande­ren Wis­sen­schaf­ten und ihre Ent­wick­lung hel­fen der Kir­che bei die­sem Wachs­tum des Ver­ständ­nis­ses. Es ist falsch, die Leh­re der Kir­che als einen Mono­li­then zu betrachten.

Aber es gibt eini­ge, die sich abmel­den, die rück­wärts gehen, das sind jene, die ich „Indiet­ri­sten“ nen­ne. Wenn Du rück­wärts gehst, bil­dest Du etwas Geschlos­se­nes, das von den Wur­zeln der Kir­che abge­kop­pelt ist, und man ver­liert den Saft der Offen­ba­rung. Wenn Du nicht nach oben ver­än­derst, gehst Du rück­wärts, und dann nimmst Du ande­re Kri­te­ri­en für Ver­än­de­run­gen an, als sie der Glau­be selbst Dir gibt, um zu wach­sen und Dich zu ver­än­dern. Und die Aus­wir­kun­gen auf die Moral sind ver­hee­rend. Die Pro­ble­me, mit denen sich die Mora­li­sten heu­te aus­ein­an­der­set­zen müs­sen, sind sehr ernst, und um sie anzu­ge­hen, müs­sen sie das Risi­ko ein­ge­hen zu ver­än­dern, aber in die Rich­tung, die ich nannte.

Du warst in den USA und sagst, daß Du ein Kli­ma der Ver­schlos­sen­heit erlebt hast. Ja, ich neh­me wahr, daß man die­ses Kli­ma in man­chen Situa­tio­nen erle­ben kann. Aber so ver­liert man die wah­re Tra­di­ti­on und wen­det sich Ideo­lo­gien zu, um Unter­stüt­zung und Hil­fe jeg­li­cher Art zu erhal­ten. Mit ande­ren Wor­ten, die Ideo­lo­gie ver­drängt den Glau­ben, die Zuge­hö­rig­keit zu einem Teil der Kir­che ersetzt die Zuge­hö­rig­keit zur Kirche.

Ich möch­te den Mut von Arru­pe wür­di­gen. Arru­pe fand eine Gesell­schaft [den Jesui­ten­or­den] vor, die sich sozu­sa­gen fest­ge­fah­ren hat­te. Gene­ral Ledóchow­ski hat das Epi­to­me ver­faßt… wißt Ihr jun­gen Leu­te, was das Epi­to­me ist? Nein, nicht im Traum, vom Epi­to­me ist nichts übrig geblie­ben! Es war eine Aus­wahl der Kon­sti­tu­tio­nen und Regeln, alles durch­ein­an­der. Aber Ledóchow­ski, der sehr ordent­lich war, mit der Men­ta­li­tät der Zeit, sag­te: „Ich stel­le es zusam­men, damit die Jesui­ten über alles genau Bescheid wis­sen, was sie zu tun haben“. Und er schick­te das erste Exem­plar an einen Bene­dik­ti­ner­abt in Rom, einen gro­ßen Freund von ihm, der mit einer Notiz ant­wor­te­te: „Damit haben Sie die Gesell­schaft getötet“.

Mit ande­ren Wor­ten, es ent­stand die Gesell­schaft des Epi­to­me, die Gesell­schaft, die ich im Novi­zi­at erlebt habe, wenn auch mit gro­ßen Leh­rern, die eine gro­ße Hil­fe waren, aber eini­ge lehr­ten bestimm­te Din­ge, die die Gesell­schaft ver­stei­ner­ten. Das war die Spi­ri­tua­li­tät, die Arru­pe vor­fand, der den Mut hat­te sie in Bewe­gung zu set­zen. Eini­ge Din­ge lie­fen aus dem Ruder, was unver­meid­lich ist, wie die Fra­ge der mar­xi­sti­schen Ana­ly­se der Wirk­lich­keit. Da muß­te er eini­ge Din­ge klä­ren, aber er war ein Mann, der es ver­stand, nach vor­ne zu schau­en. Und mit wel­chen Mit­teln begeg­ne­te Arru­pe der Wirk­lich­keit? Mit den Exer­zi­ti­en. Und 1969 grün­de­te er das Igna­tia­ni­sche Zen­trum für Spi­ri­tua­li­tät. Der Sekre­tär die­ses Zen­trums, Pater Luís Gon­za­lez Her­nan­dez, wur­de beauf­tragt, in der gan­zen Welt Exer­zi­ti­en zu hal­ten und die­ses neue Pan­ora­ma zu eröffnen.

Ihr, die Jün­ge­ren, habt die­se Span­nun­gen nicht erlebt, aber was Du über bestimm­te Berei­che in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten sagst, erin­nert mich an das, was wir bereits mit dem Epi­to­me erlebt haben, das eine Men­ta­li­tät her­vor­ge­bracht hat, die ganz steif und kan­tig ist. Die­se ame­ri­ka­ni­schen Grup­pen, von denen Du sprichst, sind so ver­schlos­sen, daß sie sich iso­lie­ren. Und anstatt nach der Leh­re zu leben, nach der wah­ren Leh­re, die sich immer ent­wickelt und Früch­te trägt, leben sie nach Ideo­lo­gien. Aber wenn man die Leh­re im Leben auf­gibt, um sie durch eine Ideo­lo­gie zu erset­zen, hat man ver­lo­ren, man hat ver­lo­ren wie im Krieg.

Einleitung/​Übersetzung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: La Civil­tà Cat­to­li­ca (Screen­shots)

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