(Hongkong) Die Nachricht kommt überraschend. Msgr. Stephen Chow Sau-yan SJ, der Bischof von Hongkong, wird im kommenden April die Hauptstadt der Volksrepublik China aufsuchen. Seit bald 40 Jahren war kein Bischof von Hongkong mehr in Peking.
Die Reise von Bischof Chow ist für fünf Tage angesetzt und soll am 17. April beginnen. Der Jesuit wurde im Mai 2021 von Papst Franziskus zum neuen Oberhirten der Diözese Hongkong ernannt und im Dezember des Jahres zum Bischof geweiht. Zwei Jahre war der Bischofsstuhl zuvor vakant geblieben.
2019, das Jahr, in dem Chows Vorgänger, Bischof Michael Yeung Ming-cheung, überraschend verstarb, war von Bürgerprotesten gegen die Gleichschaltung Hongkongs mit der kommunistischen Diktatur in der Volksrepublik China geprägt, die vom Regime gewaltsam unterdrückt wurden. Zudem verfügt in Hongkong der charismatische emeritierte Bischof Joseph Kardinal Zen, die graue Eminenz der chinesischen Untergrundkirche, über großes Ansehen. In diesem Kontext mußte Papst Franziskus lange nach einem geeigneten Kandidaten für den 1841 errichteten Bischofsstuhl suchen, der allen Gesichtspunkten seiner neuen „Ostpolitik“ gegenüber dem kommunistischen Großreich entspricht.
Am 18. Mai 2021 schrieb Katholisches.info:
„Der neue Bischof soll vom Regime akzeptiert werden, aber gegenüber Peking dennoch unabhängig sein. Ein ganzes Jahr, wie es in Rom heißt, zogen sich die Beratungen hin. Die Wahl von Papst Franziskus, auf dessen geopolitischer Landkarte der Volksrepublik China eine wichtige Stellung zukommt, fiel frühzeitig auf Stephen Chow Sau-yan, einen Mitbruder im Jesuitenorden. Dieser lehnte zunächst jedoch ab. Er war aber erst dritte Wahl. Vor ihm waren bereits zwei Kandidaten für das Amt vorgesehen gewesen. Die beiden anderen Kandidaten waren aus politischen Gründen wieder zurückgezogen worden, was bestätigt, wie schwierig die Koexistenz mit dem Realen Sozialismus ist.“
Msgr. Chow war vor seiner Bischofsernennung Provinzial der chinesischen Jesuitenprovinz. In Rom wird er als „echter Chinese mit westlicher Ausbildung und gebürtiger Hongkonger“ bezeichnet, womit drei Aspekte genannt werden, die für den Heiligen Stuhl für seine Berufung relevant waren.
Hochpolitische Reise
16 Monate nach seiner Amtseinführung wird Bischof Chow in Übereinstimmung mit Santa Marta einer Einladung des Erzbischofs von Peking Joseph Li Shan folgen. Die Angelegenheit ist hochpolitisch. Das Regime in Peking läßt auch Bischöfe einfach „verschwinden“. Msgr. Li Shan wurde 2007 mit Zustimmung des Heiligen Stuhls ernannt, als eine kurze Phase des Tauwetters zwischen dem Vatikan und der Volksrepublik China herrschte. Seit dem Sommer 2022 ist Erzbischof Li Shan Vorsitzender der regimehörigen Patriotischen Vereinigung. Diese war 1957 gegründet worden, um den nach einer grausamen Verfolgung verbliebenen Rest der Kirche in einer von Rom losgelösten, schismatischen Kirche zu sammeln, die der Kommunistischen Partei Chinas unterworfen ist.
Im Vorjahr wurde die Spitze der Patriotischen Vereinigung umbesetzt. Bischöfe, die inzwischen zwar von Franziskus anerkannt sind, aber seinerzeit ohne Erlaubnis des Heiligen Stuhls geweiht wurden, finden sich darin nicht mehr. In Rom wertet man dies als eine Geste des guten Willens.
An der Abhängigkeit der regimehörigen Strukturen (Patriotische Vereinigung und Rat der chinesischen Bischöfe) ändert dies allerdings wenig. Parallel wurde nämlich für diese ein neuer Kontrollrat geschaffen, der mit Vertretern besetzt ist, die dafür umso enger mit dem Regime verbunden sind.
Als Erzbischof Li Shan zum neuen Vorsitzenden der Patriotischen Vereinigung ernannt wurde, ließ er eine Presseerklärung veröffentlichen, die gewohnten Mustern folgte: Die Rede war von „glänzenden Aussichten“ durch eine Vertiefung der „Sinisierung des Katholizismus in unserem Land“ und der Aufforderung „vorwärts zu blicken“ und dabei „Wahrheit und Pragmatismus“ zu suchen. Zudem wurde die Notwendigkeit betont, „die große Zahl von Katholiken zu einen und anzuleiten, Xi Jinpings Denken über den Sozialismus chinesischer Prägung für eine Neue Ära zur Richtschnur zu nehmen, weiterhin die Flagge des Patriotismus und der Liebe für die Religion hochzuhalten und an der Richtung der Sinisierung des Katholizismus im Land festzuhalten und energisch den Aufbau patriotischer Kräfte zu stärken“.
Diözese Hongkong will „Brücke“ sein
Die Diözese Hongkong betonte in einer Erklärung, mit der sie gestern die geplante Reise von Bischof Chow bekanntgab, daß der Besuch „die Mission der Diözese Hongkong unterstreicht, eine Brücke zu sein (…) und den Austausch und die Interaktion zwischen den beiden Seiten zu fördern“.
Zuletzt hielt sich mit Kardinal John Baptist Wu Cheng-chung (1974–2002) 1985 ein Bischof von Hongkong offiziell in Peking auf. Damals war die Stadt noch britische Kronkolonie.
Hongkong war (zusammen mit Macau) nach der kommunistischen Machtübernahme im Jahr 1949 wegen seines Kolonialstatus ein Rückzugsgebiet und ein wichtiger Stützpunkt für die katholische Kirche in China. Seit der Rückgabe der Stadt an Peking im Jahr 1997 werden die damals zugesicherten Sonderrechte jedoch immer mehr eingeschränkt und es erfolgt eine Gleichschaltung mit dem atheistischen totalitären Regime im übrigen Großreich. Die chinesische Corona-Politik offenbarte, wie weit eine totale Überwachung mit Hilfe der Digitaltechnik gehen kann.
Die Ostpolitik von Papst Franziskus
Papst Franziskus bemühte sich nach seiner Wahl um neue und direkte Beziehungen zu den kommunistischen Machthabern. Er verzichtete auf jede Kritik, auch gegenüber Menschenrechtsverletzungen, während engste Mitarbeiter paradoxes Lob über das chinesische Regime äußerten. Die Bemühungen seiner neuen „Ostpolitik“ mündeten im September 2018 in der Unterzeichnung eines Geheimabkommens über Bischofsernennungen, das bisher wenig konkrete Ergebnisse zeitigte. Umgekehrt verschärfte das Regime seither in verschiedenen Provinzen die antikirchlichen Maßnahmen, insbesondere jene, die sich gegen die Kinder und Jugendlichen richten, die von der Kirche ferngehalten werden sollen. Auch die Verhaftungen von Priestern und Bischöfen und die Zerstörung „illegaler“ Kirchen wurden fortgesetzt.
Formal erkennen seit dem Abkommen jedoch beide Teile der Kirche, die romtreue Untergrundkirche und die regimehörigen Schismatiker, den Papst als Oberhaupt an. Diese Überwindung des Schismas nannte Franziskus als einen Hauptbeweggrund. Welchen Nutzen das für die kirchentreuen Bischöfe, Priester und Gläubigen bringt, läßt sich noch nicht erkennen.
Vehemente Ablehnung gegen das Abkommen kam von Kardinal Zen, der darin ein Instrument sieht, mit dem das Regime auch die Untergrundkirche unter seine Kontrolle bringen will. Entsprechend äußerte er scharfe Kritik an der vatikanischen Ostpolitik, der er vorwarf, die kirchentreuen Katholiken den Kommunisten auszuliefern.
Diese Befürchtungen gelten auch für den Sonderstatus Hongkongs. Seit 2019 wurden Freiheiten und Demokratie abgebaut. Symbolisch steht dafür der Umgang mit Kardinal Zen, der im Mai 2022 verhaftet wurde und seither nur auf Kaution und unter Auflagen auf freiem Fuß ist. Gegen ihn ist ein Verfahren nach dem neuen Sicherheitsgesetz im Gange, das ihn unter einem Vorwand mit einer lebenslangen Gefängnisstrafe bedroht. Eine Symbolgestalt des Widerstandes soll geschwächt und andere sollen eingeschüchtert werden.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Wikicommons/Catholic Diocese of Hong Kong (Screenshot)