
„Gerade in dieser Adventszeit steht die große Liturgie der katholischen Kirche buchstäblich an den Antipoden der neuen wuchernden Naturreligion, mit der Erde als Muttergöttin“, so der Vatikanist Sandro Magister. Er veröffentlichte den Aufsatz von Fulvio Rampi, einem großen Kenner und Verehrer des viele Jahrhunderte alten Gregorianischen Chorals, der mit der katholischen Liturgie nicht nur verschmolzen, sondern ihr innigster Ausdruck ist.
„Der Himmel ‚läßt den Gerechten regnen‘ und die Erde ‚öffne sich und lasse den Heiland hervorsprossen“. Das ist es, was die Kirche singt und erhofft. Natur und Mensch haben keinen anderen letzten Grund als in Gott, ihrem Schöpfer und Erlöser“, so Magister.
Fulvio Rampi unterrichtet am Turiner Konservatorium Vorpolyphonie und leitet in Cremona die Männerschola Cantori Gregoriani und den gemischten Coro Sicardo, benannt nach Bischof Sighard von Cremona (1150–1215), dessen „Summe in neun Büchern über die katholische Liturgie“, „Mitrale, seu de officiis ecclesiasticis summa“, zu den Werken zählt, welche die liturgischen Kommentare späterer Autoren am meisten beeinflußten. Rampi ist zugleich Domkapellmeister von Cremona und Autor zahlreicher Bücher zu musiktheoretischen und musikgeschichtlichen Themen. In seinem Aufsatz „Die Ökologie nach dem Gregorianischen Choral“ zerpflückt er irreführende Verzerrungen der Öko-Sekte und bietet bewundernswerte Hörbeispiele.
Die Ökologie nach dem Gregorianischen Choral
Von Fulvio Rampi
Was jeden Gregorianischen Choral auszeichnet – jenen „Klang des Wortes“, den die lateinische Kirche exklusiv ihre ganz eigene Musiksprache nennen kann – ist in erster Linie seine Einbettung in einen bestimmten Moment der liturgischen Zelebration, der wiederum auf der ästhetischen Ebene notwendigerweise und eng mit den Eigentexten und einer spezifischen stilistisch-formalen Struktur verbunden ist.

Dem fügt sich die ebenso wesentliche diachrone Dimension hinzu, d. h. die Zugehörigkeit zu einer Festzeit, die jeden Abschnitt in den Mittelpunkt des christologischen Weges stellt, den das liturgische Jahr vorgibt.
In diesem immensen musikalischen Schatz lassen sich aber „rote Fäden“ erkennen, die den Fluß der liturgischen Zeit durchziehen und markieren und die verschiedenen Stücke mit einem wiederkehrenden Thema verbinden.
Einer der Fäden, die man erkennen kann, hat die Erde zum Thema, das heißt, der Blick, den der Gregorianische Choral sozusagen auf die „ökologische Frage“ wirft.
Das Thema der Erde liegt der Heiligen Schrift am Herzen, die vom ersten Buch, der Genesis, ausgehend lehrt, daß der Mensch und die Erde von Gott in eine enge Beziehung zu Ihm und zueinander gesetzt wurden. Der Mensch ist aus der Erde geformt, aus ‚Staub der Erde‘ gemacht, aber Gott haucht ihm seinen Geist ein. In offener Polemik gegen jeden Mythos, ob alt oder neu, der die Göttin Erde als Urmutter sakralisiert, erinnert uns die biblische Weisheit daran, daß der Mensch zwar eine zerbrechliche, gefallene Frucht der Erde ist, aber er ist nicht ihr Kind, denn er ist von Gott geschaffen.
Fern von jeglichem Götzendienst feiern Israel und die Kirche daher nicht die Erde an sich. Alles ist ein Verweis, der zu dem Einen hinführt, von dem alles kommt. Alle Einrichtungen und Ereignisse des Heils sind Gaben des mächtigen Odems Gottes, der seit der Erschaffung des Menschen diese Erde und ihre Geschichte befruchtet und sie über alle ihre Möglichkeiten hinaus lebendig macht und belebt. Der Gregorianische Choral, der sich durch die liturgischen Zeiten des Jahres zieht, bestätigt genau diese Lesart.
Schon die Communio des ersten Adventssonntags, „Dominus dabit benignitatem“ (Der Herr wird Güte geben) wird in die oben genannte Perspektive gestellt. Die Analyse dieses Abschnitts zeigt den Vorrang des Subjekts „Dominus“, der insbesondere durch das Melisma auf der letzten Silbe dieses ersten entscheidenden Wortes hervorgehoben wird. Der Herr ist das Hauptthema, von dem die ganze folgende Antiphon ausgeht: Die Erde „dabit fructum suum“, wird Früchte tragen, eben weil „Dominus dabit benignitatem“.
„Dominus dabit benignitatem:
et terra nostra dabit fructum suum.“
Psalm 84, dem der Text dieser Communio entnommen ist, erklingt auch im Offertorium des dritten Adventssonntags mit Vers 2: „Benedixisti Domine terram tuam“ (Begnadet hast du, Herr, einst dein Land), wobei die musikalische Betonung des „terram“ dem göttlichen Segen untergeordnet ist, der gerade am Anfang des Textes genannt wird.
Das Binom Mensch-Erde, das im Alten Testament weit verbreitet ist, findet seine Auflösung in Jesus Christus. Die Inkarnation stellt nämlich eine unumkehrbare Verbindung zum Heilsplan Gottes her. Der Sohn Gottes, das Wort, durch das alles geschaffen wurde – wie es im Prolog des Johannesevangeliums heißt – wird Mensch, das ist der Grund, warum die Erde nicht mehr eine Idee, sondern eine Person aufnimmt: nicht mehr die Gerechtigkeit, sondern den Gerechten, der sie verwirklicht; nicht mehr das Heil, sondern den Heiland, den Retter.
Dies wird am Vierten Adventssonntag mit dem Introitus „Rorate coeli“ verkündet, dessen ursprünglicher Text aus dem Propheten Jesaja von Hieronymus in seiner lateinischen Übersetzung in eine christologische Tonart gebracht wurde. Auf diese Weise wird die Gabe Gottes, die das Alte Testament in der Gabe der Erde gesehen hatte, auf die Person Christi übertragen.
„Rorate caeli desuper, et nubes pluant iustum:
aperiatur terra, et germinet Salvatorem.“
So kommen wir zu den drei Weihnachtsmessen, in denen in den jeweiligen Offertorien das Thema der Erde mit reichlich Nachdruck erwähnt wird: „Laetentur coeli et exsultet terra“ (Der Himmel freue sich, und es jauchze die Erde) in der Christmette; „Deus enim firmavit orbem terrae“ (Gott nämlich hat den Erdkreis fest gegründet), im Offertorium der Hirtenmesse in der Morgendämmerung; und schließlich „Tui sunt caeli et tua est terra“ (Dein ist der Himmel, dein auch die Erde) im Offertorium der Tagesmesse.
Gerade die Christmette ist der Kontext, in dem dieses Thema am präsentesten ist, zum Beispiel im Alleluja „Dies sanctificatus“, wo an einer Stelle gesungen wird: „Hodie descendit lux magna super terram“ (heute stieg ein großes Licht zur Erde hernieder), vor allem aber im Graduale und in der Communio, die dieselbe Zeile aus Psalm 97 aufgreifen: „Viderunt omnes fines terrae salutare Dei nostri“ (Alle Enden der Erde haben das Heil unseres Gottes gesehen). Mit einer besonderen Betonung, die gerade dem „terrae“ im ersten Teil der Communio vorbehalten ist.
„Viderunt omnes fines terrae
salutare Dei nostri.“
Mit der Epiphanie wird das Thema Erde mit dem Thema Anbetung verbunden. Es ist bemerkenswert, daß nicht nur die Heiligen Drei Könige, die Könige der Welt und die Völker (wie uns das Alleluja, das Offertorium und die Communio sagen) zur Anbetung gerufen sind, sondern auch die Erde selbst, die ganze Erde ist aufgerufen, den Herrn anzubeten.
Am zweiten Sonntag nach Epiphanie greift der Introitus den Text aus Psalm 99 auf: „Omnis terra adoret te, Deus“ (Die ganze Erde bete dich an, o Gott). Der entscheidende musikalische Akzent, sowohl melodisch als auch rhythmisch, liegt genau auf dem Verb „adoret“: Die Erde, die ganze Erde, ist aufgerufen, Gott anzubeten, in Resonanz mit der Offenbarung und dem Königtum, das einige Tage zuvor im Fest der Epiphanie gefeiert wurde.
„Omnis terra adoret te, Deus, et psallat tibi:
psalmum dicat nomini tuo, Altissime.“
„Es ist interessant, wie das Thema der Erde auch an Ostern hervorgehoben wird. Das Offertorium der Tagesmesse beginnt mit eben diesem Wort, kombiniert mit den beiden folgenden Verben mit entgegengesetztem Vorzeichen: „Terra tremuit et quievit“ (Die Erde erbebte und verstummte).
„Terra tremuit et quievit,
dum resurgeret in iudicio Deus, alleluia.“
Am nächsten Tag, der feria secunda der Osteroktav, nimmt der Introitus das Thema mit der Anspielung auf den Auszug aus Ägypten und den Einzug in das verheißene Land in einer christologischen Tonart auf: „Introduxit vos Dominus in terram fluentem lac et mel“ (Der Herr hat euch in das Land geführt, wo Milch und Honig fließen).
Die Osterzeit ist die Zeit des Alleluja, d. h. des Jubels und der Verkündigung. Auch die Erde nimmt daran teil, und jeder Sonntag der Osterzeit, nach dem Sonntag „in albis“, enthält diese Einladung in seinen eigenen Gesängen, vor allem im Introitus.
Dies gilt für den freudigen Introitus im achten Modus des dritten Sonntags mit dem Text von Psalm 65: „Iubilate Deo omnis terra“ (Jauchzet Gott, alle Länder). Der Jubel der Erde hat seine Wurzeln und seinen Grund in der Barmherzigkeit, mit der der Herr die Erde selbst erfüllt hat.
Das sagt uns der Introitus des vierten Sonntags nach Ostern mit den Worten des Psalms 32: „Misericordia Domini plena est terra“ (Voll der Huld des Herrn ist die Erde, Halleluja). Der melodisch-rhythmische Verlauf dieser Antiphon ist wesentlich verhaltener als das überschwengliche „Iubilate Deo“ des vorangegangenen Sonntags: Wir befinden uns hier im vierten Modus, dem „deuterus plagalis“, dem gleichen Tonika-Ton wie das überraschende „Resurrexi“ im Introitus des Ostersonntags.
Am fünften Sonntag nach Ostern kehrt das Thema des Jubels zurück, indem das Offertorium mit Psalm 65 verkündet: „Iubilate Deo universa terra“ (Jauchzet Gott, alle Welt!). Und nach der Vorbereitung, der Anbetung, der Barmherzigkeit und dem Jubel folgt das Thema der Verkündigung, die im Introitus des sechsten Sonntags nach Ostern mit „Vocem iucunditatis annuntiate“ (Verkündet die Stimme des Jauchzens) ihren Platz findet: eine freudige Verkündigung, die dazu bestimmt ist, die Enden der Erde zu erreichen, „usque ad extremum terrae“ (bis ans Ende der Erde), melodisch ausgedrückt mit den an die Grenze gehenden hohen Tönen der Melodie des gesamten Stücks.
Der rote Faden, der vom Advent ausgehend auch die Osterzeit durchquert, erreicht schließlich Pfingsten, den endgültigen Endpunkt einer Reise, die von der göttlichen Initiative für die gesamte Schöpfung geprägt ist, feierlich zusammengefaßt im Incipit des wunderbaren Introitus: „Spiritus Domini replevit orbem terrarum“ (Der Geist des Herrn hat den Erdkreis erfüllt).
Kurzum, der Gregorianische Choral, der ständig zwischen Himmel und Erde schwebt, wird zur erhabenen und demütigen Stimme (von „humus“, Erde) dieses Überflusses an Gnade. Sie intoniert immer die passende Antwort und wird von der Kirche zu ihrer eigenen gemacht.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Settimo Cielo