(Rom) Die Figur des „emeritierten Papstes“ wurde von Benedikt XVI. nach seinem Amtsverzicht geschaffen, verfügt aber über keine Rechtsgrundlage. Nun könnte Papst Franziskus eine solche schaffen. Für sich selbst?
Seit dem überraschenden Amtsverzicht von Papst Benedikt XVI. lebt die Kirche mit der in ihrer zweitausendjährigen Geschichte beispiellosen Situation zweier Päpste: eines amtierenden und eines emeritierten. Einen Amtsverzicht wie jenen von Benedikt XVI. kannte die Kirchengeschichte nicht. In den raren Fällen von Rücktritten, die allerdings in einem völlig unterschiedlichen Kontext zustande kamen, nahm der zurückgetretene Papst wieder seine Kardinalswürde und seinen früheren Namen an.
Seit vergangenem Januar ist Benedikt XVI. länger „Emeritus“, als er zuvor regiert hatte.
Die Stellung eines „emeritierten Papstes“, die sich Benedikt XVI. selbst zulegte, führte zu heftiger Kritik von Kirchenrechtlern und Kirchenhistorikern. Zu den Kritikern zählt auch der persönliche Freund Benedikts, der deutsche Kardinal Walter Brandmüller, der im Juli 2016 mit „kirchengeschichtlichen Überlegungen“ darlegte, weshalb die Figur eines „emeritierten Papstes“ für die Kirche „große Gefahren“ berge: Der Amtsverzicht eines Papstes setze eine „sehr gefährliche kirchliche Situation voraus und schafft diese zugleich“.
Warum Benedikt XVI. sich diese Würde selbst zuerkannte, ist unklar und wird auch aus seinem Verhalten seit der „Selbstemeritierung“ nicht wirklich ersichtlich. Es gibt Kirchenvertreter, Benedikt wenig wohlgesonnene, aber auch wohlgesonnene, die vertraulich ohne Zögern die Beibehaltung des weißen Gewandes und des Papstnamens kritisieren und als Grund „eine gewisse Eitelkeit“ nennen.
Tatsache ist, daß von Papst Franziskus die Selbstzueignung Benedikts als „emeritierter Papst“ geduldet wird. In seinem eigenen Umfeld werden „Rücksichtnahmen“ genannt, „um sich den Rücken freizuhalten“. Mit anderen Worten: Benedikt XVI. diese „Freude“ zu belassen, sei eine „Kleinigkeit“ im Vergleich zum Risiko, ihn möglicherweise an der Spitze einer Gegenbewegung zu sehen. So stellte es ein Franziskus-Vertrauter vor vier Jahren dar. Dieses „Risiko“ scheint Franziskus nicht mehr zu sehen, wie sein Motu proprio Traditionis custodes zeigt. Von Benedikt XVI. scheint er keine Reaktion mehr zu befürchten.
Welche „Barmherzigkeit“ Franziskus für die Ecclesia-Dei-Gemeinschaften vorgesehen hat, wird sich im Herbst zeigen.
Es könnte sein, daß Franziskus parallel den Status eines „emeritierten Papstes“ sogar gesetzlich regelt und damit institutionalisiert. Dies schreibt gestern die Vatikanistin der Huffington Post Italia, Maria Antonietta Calabrò:
„Papst Franziskus könnte bald ein neues Gesetz (in Form einer Apostolischen Konstitution) erlassen, um den Rücktritt des Papstes und insbesondere den Status nach dem Rücktritt eines Papstes zu regeln. Damit soll auch eine ganze Reihe irreführender Interpretationen über die Existenz zweier Päpste, über ihr Zusammenleben, über die These eines ‚erweiterten Papsttums‘ und über andere Themen vermieden werden, die zwar die große Mehrheit der Gläubigen nicht berührt haben, aber die verborgenen Gifte der sogenannten ‚Papst-Vakantisten‘ genährt haben, die sogar vermuteten, daß Ratzinger der einzig wahre Papst sei. Kurz gesagt, es ist nicht einmal ausgeschlossen, obwohl es überraschend wäre, daß es für das neue Gesetz [doch] keinen emeritierten Papst geben würde.“
Um die Aussage zu verstehen, ist der Kontext zu kennen, in den er von Calabrò eingebettet wurde. Ausgangspunkt ihrer Darstellung ist ein kryptischer Hinweis des progressiven Langzeit-Vatikanisten John Allen. Dieser hatte am 1. August bei Crux Now eine mögliche „August surprise“ angekündigt. Worin diese päpstliche Überraschung bestehen sollte, sagte er allerdings nicht.
Calabrò mutmaßt, daß er damit für die Rücktritts-Spekulationen verantwortlich sei, wie sie von Antonio Socci, einem erklärten Kritiker des regierenden Papstes, angestellt wurden, zuletzt gestern in der Tageszeitung Libero:
„Im Vatikan wird immer nachdrücklicher von einem bevorstehenden Konklave gesprochen.“
Papst Franziskus, der im kommenden Dezember 85 Jahre alt wird, habe „die Absicht bekundet“, zurückzutreten.
Im Januar 2019 plagte das päpstliche Umfeld noch die Sorge, daß Franziskus zum Rücktritt gezwungen werden könnte. Grund dafür war der Druck, der durch den Fall McCarrick entstanden war und ihn schwer belastete. Die Sache war so brenzlig, daß sich selbst Kardinal Kasper zu Wort meldete, von einem „Komplott“ sprach und sich schützend vor Franziskus stellte.
Sandro Magister, der eigentliche Doyen der Vatikanisten, berichtete am 13. Juli über die Stimmung unter den jüngeren Kardinälen, die Franziskus nahestehen. Unter ihnen habe ein Umdenken stattgefunden. Nun laute die Devise:
„Die Zeit ist gekommen, sich von Franziskus zu distanzieren, wenn man sein Nachfolger werden will.“
Demnach könnte Franziskus die Figur eines „emeritierten Papstes“ für sich selbst institutionalisieren. Vorerst handelt es sich dabei allerdings um bloße Gedankenspiele, wenn auch die eines Papstes.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Vatican.va (Screenshot)
In welcher Form er abtritt, ist eigentlich egal. Hauptsache, er tritt ab und es gibt keinen Franziskus II.
Der Rücktritt hat die Gefahren für die Kirche objektiv gesteigert. Durch die Beibehaltung der weißen Gewänder, seines Papstnamens und ‑wappens, die Anrede „Heiliger Vater“, die Kreation des Begriffs „papa emeritus“ in seinem Umfeld wurde der Illusion, „irgendwie“ sei er doch noch Papst, massiv Vorschub geleistet. Allen Ernstes führte sein Sekretär, Erzbischof Gänswein, aus, Benedikt habe „keineswegs das Petrinische Amt verlassen hat“ sondern daraus ein „erweitertes Amt gemacht“, mit „einem aktiven und einem kontemplativen Mitglied“ in einer „kollegialen und synodalen Weise, quasi in einem gemeinsamen Amt.“ Folglich gäbe es aktuell zwei legitime Inhaber des Petrusamtes – gleichzeitig. Der eine betet, der andere handelt.
Dies befeuerte natürlich die skurrilsten Ansichten über einen nur teilweisen oder eventuell gar nicht erfolgten Rücktritt mit der Folge, dass nicht wenige Katholiken die Ansicht vertreten, Franziskus sei ein „Gegenpapst“ und Benedikt weiterhin der legitime Pontifex. Dessen klare Dementis werden dann i.d.R. als „erzwungen“ bezeichnet und er als eine Art „Gefangener im Vatikan“ stilisiert.
Nicht ungefährlich ist auch, dass durch dieses Treiben eine Art „bedingter Sedisvakantismus“ zu entstehen scheint: Wenn Benedikt stirbt und kein Nachfolger gewählt wird, sondern Franziskus – wie zu erwarten – weiter als Papst amtiert, müßten die Vertreter der These, Benedikt sei der legitime Papst, logischerweise von der Sedisvakanz ausgehen.
Durch dieses fortwährende Allotria wird die – sowieso bereits immense – Verwirrung unter den Gläubigen noch weiter gesteigert und die Herde zerstreut, anstatt gesammelt.