
(New York/Paris) In den USA wurde eine weitere Anzeige wegen sexuellen Mißbrauchs gegen den ehemaligen Kardinal Theodore McCarrick eingebracht. In Frankreich beginnt im kommenden November der Prozeß wegen sexueller Belästigung gegen den ehemaligen Apostolischen Nuntius Luigi Ventura. In beiden Fällen handelt es sich um homosexuelle Taten. Doch Santa Marta und auch Bischofskonferenzen machen weiterhin einen großen Bogen um das Skandalthema Homosexualität und Mißbrauch.
Der Fall McCarrick
Theodore McCarrick, der frühere Kardinal und emeritierte Erzbischof von Washington, der im vergangenen Jahr wegen sexuellen Mißbrauchs von Minderjährigen und Seminaristen aus dem Priesterstand ausgeschlossen und laisiert wurde, ist Gegenstand einer neuen Anzeige im Staat New Jersey. Auch in diesem Fall wird er des homosexuellen Mißbrauchs von Minderjährigen bezichtigt. Die Tat habe sich laut Anzeige in einem Strandhaus vor 40 Jahren ereignet. McCarrick wurde vor kurzem 90.
Lokale Medien berichteten am Mittwoch über die neue Anzeige. Sie wird unter dem Pseudonym eines Mannes behandelt, der angibt, zwischen 1982 und 1983 im Alter von 14 Jahren erstmals von McCarrick zusammen mit einem anderen Jungen in ein Strandhaus in Sea Girt mitgenommen worden zu sein, um dort die Wochenenden zu verbringen. Dort habe sich McCarrick unter den eingeladenen Jungen, Seminaristen und Priestern seine Opfer ausgesucht, so die Tageszeitung New York Daily News. Auch der damals 14-Jährige sei dort erstmals gegen seinen Willen von McCarrick mißbraucht worden.
Jeff Anderson, der Rechtsanwalt des Opfers bezichtigte bei einer Pressekonferenz den ehemaligen Kardinal, der von einem anderen klerikalen Mißbrauchstäter als „Boss“ bezeichnet wurde, in seinem Strandhaus einen „Sexring“ betrieben zu haben. Es gehe dabei nicht nur um den Umstand, daß McCarrick zahlreiche verschiedene Opfer zu unterschiedlichen Zeiten dort hinlockte, sondern Opfer auch anderen klerikalen Tätern zugeführt habe. Die neue Anzeige richtet sich deshalb nicht nur gegen MacCarrick, sondern auch gegen andere.
McCarrick war damals erster Bischof des 1981 neuerrichteten Bistums Metuchen im Staat New Jersey und als solcher Suffragan des Erzbischofs von Newark. Diesen Erzbischofsstuhl bestieg McCarrick 1986 selbst, ehe er 2000 sogar als Erzbischof von Washington in die Bundeshauptstadt der USA befördert wurde. Damit verbunden wurde ihm 2001 auch die Kardinalswürde verliehen, die ihm Papst Franziskus im Sommer 2018 wieder entzog, nachdem die New York Times über das homosexuelle Doppelleben McCarricks samt Mißbrauchsvorwürfen berichtet hatte.
Wegen der päpstlichen Reaktion auf diese Enthüllung kam es zur bisher größten Krise des derzeitigen Pontifikats. Der Heilige Stuhl schien auf die Berichte der New York Times mit der Aberkennung der Kardinalswürde und der Einleitung eines kanonischen Verfahrens schnell und tatkräftig zu reagieren. Man habe bisher von den Vorwürfen nichts gewußt, wurde von Santa Marta beteuert. Hätte er früher davon erfahren, so Franziskus, hätte er natürlich eher reagiert. Das empörte den ehemaligen Apostolischen Nuntius in den USA, Erzbischof Carlo Maria Viganò, der Franziskus Heuchelei vorwarf. Er selbst, ließ der Nuntius in einem detaillierten Dossier wissen, habe Franziskus als offizieller Botschafter des Heiligen Stuhls in den USA bereits im Juni 2013 über entsprechende Vorwürfe gegen McCarrick unterrichtet. Stattdessen habe er zu seinem Erstaunen beobachten müssen, daß Franziskus McCarrick rehabilitierte und von den Sanktionen befreite, die ihm Papst Benedikt XVI. auferlegt hatte, und in Angelegenheiten der Kirche in den USA zu seinem maßgeblichen und einflußreichen Ratgeber machte. Zugleich zeigte der ehemalige Nuntius das homophile Netzwerk auf, das McCarrick und Gleichgesinnte geschaffen hatten.
Erzbischof Viganò, der sich seither zum Schutz seiner Person an einem unbekannten Ort aufhält, zeigte sich überzeugt, daß Franziskus auf Zuruf der New York Times handelte und einen solchen Skandal nur aufgrund der wohlwollenden Haltung der weltlichen „Leitmedien“ überstehen konnte. So attackierte die New York Times, das einflußreichste Medium der Welt, die den Fall McCarrick losgetreten hatte, im Dezember 2018 die Kritiker des päpstlichen Vorgehens und warf ihnen eine „Konspiration zum Sturz von Papst Franziskus“ vor.
Der Fall Ventura
Im Mittelpunkt eines ähnlichen Skandals wie McCarrick steht der ehemalige Apostolische Nuntius in Frankreich, Msgr. Luigi Ventura. In seinem Fall geht es nicht um sexuellen Mißbrauch, sondern um sexuelle Belästigung.
Im vergangenen Jahr wurden entsprechende Vorwürfe der homosexuellen Belästigung gegen ihn erhoben. Am kommenden 10. November muß sich der inzwischen 75jährige Vatikandiplomat in Ruhe dafür vor einem französischen Gericht verantworten.
Mehrere Männer werfen ihm vor, er habe sie unsittlich berührt.
Um die Strafverfolgung möglich zu machen, wurde vom Vatikan im Juli 2019 Venturas Immunität als Diplomat aufgehoben. Wie bei der Aberkennung von McCarricks Kardinalswürde handelt sich auch bei der Auslieferung Venturas um einen Präzedenzfall. Mit Erreichung des kanonischen Alters von 75 Jahren wurde Ventura im Dezember 2019 von seinem Dienst entbunden und als Botschafter in Frankreich emeritiert.
Seit 1995 war er im Rang eines Nuntius, das heißt eines Botschafter des Heiligen Stuhls, in verschiedenen Staaten tätig, darunter Chile und Kanada und zuletzt seit 2009 in Frankreich.
Der Rechtsbeistand von Msgr. Ventura, Bertrand Ollivier, versicherte, daß der ehemalige Nuntius im Gerichtssaal anwesend sein werde, „um seine Ehre und seine Unschuld zu verteidigen“.
Von einem „Sieg“ sprach hingegen Jade Dousselin, Rechtsvertreter eines der Kläger. „Die Staatsanwaltschaft macht sich zu eigen, was wir von Anfang an gesagt haben, und ermutigt die Opfer, Anzeige zu erstatten“.
Die erste Anzeige gegen Msgr. Ventura wurde im Februar 2019 eingebracht, als ein Saaldiener erklärte, der vatikanische Botschafter habe ihm bei einem Empfang im Pariser Rathaus an das Gesäß gefaßt.
Kurz darauf beschuldigten zwei weitere Männer den Nuntius derselben Tat. Die Vorfälle hätten sich 2018 ereignet. Wenig später folgte noch die Anzeige eines vierten Mannes zu einem Vorfall, der sich in Kanada zugetragen habe.
Ventura, der 1969 zum Priester geweiht wurde, studierte Kirchenrecht. Er absolvierte die Päpstliche Diplomatenakademie und trat 1978 in den diplomatischen Dienst des Heiligen Stuhls. Er arbeitete, nach ersten Einsätzen an den Apostolischen Nuntiaturen in Brasilien, Bolivien und Großbritannien, ein Jahrzehnt am vatikanischen Staatssekretariat in Rom. Anschließend erfolgte 1995 die Beförderung zum Apostolischen Nuntius.
Päpstliches Schweigen
Obwohl die Fakten erdrückend sind, wird der Zusammenhang zwischen Homosexualität und Mißbrauch in Santa Marta ignoriert: Die klerikalen Mißbrauchstäter sind vorwiegend homosexuell, 80 Prozent aller Mißbrauchsopfer sind männlich. Als häufigster Grund für das Verhalten von Papst und Bischöfen wird Angst vor einem Konflikt mit der Homolobby vermutet. Der Wunsch, einen Zusammenprall mit dem Zeitgeist zu vermeiden, ist ein Grundelement der derzeitigen Pontifikats, dennoch dürfte es noch weitere Gründe geben.
Obwohl das vatikanische Presseamt nach den Anschuldigungen von Erzbischof Carlo Maria Viganò gegen Papst Franziskus erklärte, die im Vatikan vorhandenen Unterlagen zum Fall McCarrick im Oktober 2018 zu veröffentlichen, ist das bis heute nicht geschehen.
Was sind die Gründe, daß der Vatikan zwei Jahre braucht, um einen Personalakt zu sichten und wie versprochen publik zu machen? Und das, obwohl im September 2018 Erzbischof Viganò vom Heiligen Stuhl bezichtigt wurde, die Unwahrheit gesagt zu haben und die im Vatikan vorhandenen Unterlagen bestätigen würden, daß Papst Franziskus nichts von McCarricks Machenschaften gewußt und in allem richtig gehandelt habe.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: MiL/NJTS (Screenshot)