Papst Franziskus ist „ein großer Freund der Befreiungstheologie“

Frei Betto über Franziskus, die Zukunft der Menschheit und den Zölibat


Frei Betto: Für die Menschheit gibt es keine andere Zukunft als den Sozialismus.

Einer der füh­ren­den Ideo­lo­gen der mar­xi­sti­schen Befrei­ungs­theo­lo­gie, der bra­si­lia­ni­sche Domi­ni­ka­ner Frei Betto, gab der Tages­zei­tung Dia­rio Lib­re in der Domi­ni­ka­ni­schen Repu­blik ein Inter­view. Dar­in bezeich­ne­te er Papst Fran­zis­kus „als gro­ßen Freund der Befrei­ungs­theo­lo­gie“ und sprach über die Zukunft der Mensch­heit und den Zölibat.

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Der Sohn eines Jour­na­li­sten und einer Schrift­stel­le­rin, der selbst Jour­na­li­stik stu­dier­te, gehör­te in sei­ner Jugend der Katho­li­schen Akti­on an, die in Bra­si­li­en der Kom­mu­ni­sti­schen Par­tei nahe­stand. Sein Vor­bild wur­de der Kom­mu­ni­sten­füh­rer und spä­te­rer Gue­ril­le­ro Car­los Marig­hel­la. Auch Betto wur­de damals poli­tisch aktiv. Zugleich trat er 1964 in den Domi­ni­ka­ner­or­den ein, der in Sao Pau­lo mar­xi­stisch aus­ge­rich­tet war. Noch im Jahr sei­nes Ordens­ein­trit­tes wur­de er wegen sei­nes poli­ti­schen Akti­vis­mus vom Mili­tär für zwei Wochen ver­haf­tet und gefol­tert. 1966 leg­te er die Pro­feß ab und wur­de 1969 erneut ver­haf­tet, dies­mal für zwei Jahre. 

Berater kommunistischer Diktaturen

Nach sei­ner Haft­ent­las­sung wur­de er zum Ver­bin­dungs­mann revo­lu­tio­nä­rer Krei­se Bra­si­li­ens zum kom­mu­ni­sti­schen Regime auf Kuba. 1973 zog er sich in die Fave­la Vier­tel der Ärm­sten zurück und schloß sich als Nicht­kom­bat­tant der kom­mu­ni­sti­schen Gue­ril­la­be­we­gung Ação Libert­ado­ra Nacio­nal (Natio­na­le Befrei­ungs­ak­ti­on ALN) Marig­hel­las an. Die ALN ent­führ­te u.a. den dama­li­gen US-Bot­schaf­ter in Bra­si­li­en. Bettos Vor­bild Marig­hel­la wur­de 1973 vom Mili­tär im Domi­ni­ka­ner­klo­ster von Sao Pau­lo auf­ge­spürt und erschossen.

In den 80er Jah­ren war Frei Betto als Bera­ter sozia­li­sti­scher Dik­ta­tu­ren tätig, neben Kuba für die Tsche­cho­slo­wa­kei, die Sowjet­uni­on, Polen, die Volks­re­pu­blik Chi­na und Nikaragua.

2003 erzähl­te er, es habe drei „trau­ma­ti­sche“ Momen­te in sei­nem Leben gege­ben: den Sturz der chi­le­ni­schen Volks­front-Regie­rung von Sal­va­dor Allen­de, den Sturz der kom­mu­ni­sti­schen Regie­rung von Gra­na­da von Mau­rice Bishop und den Zusam­men­bruch der san­di­ni­sti­schen Revo­lu­ti­on in Nikaragua. 

Ver­gan­ge­ne Zei­ten: Frei Betto mit Bra­si­li­ens Staats­prä­si­dent Lula und Kubas Staats­prä­si­dent Fidel Castro.

Zusam­men mit sei­nem Freund und Befrei­ungs­theo­lo­gen Leo­nar­do Boff unter­stütz­te Betto in Bra­si­li­en sei­nen Freund Luis Ina­cio Lula da Sil­va und des­sen Arbei­ter­par­tei. Als Lula 2003 Staats- und Regie­rungs­chef wur­de, mach­te er Frei Betto zum Regie­rungs­be­ra­ter. Die UNESCO zeich­ne­te den Domi­ni­ka­ner „für sei­nen Ein­satz für Men­schen­rech­te und sozia­le Gerech­tig­keit“ aus. Im Kreis der Gleich­ge­sinn­ten ehrt man sich gegenseitig.

„Ich glaube an einen Gott ohne Religion“

Zu sei­nem publi­zi­sti­schen Werk gehört auch ein „Neu­es Cre­do, in dem er bekennt: 

„Ich glau­be an den vom Vati­kan und von allen heu­te und künf­tig exi­stie­ren­den Reli­gio­nen befrei­ten Gott. Den Gott, der vor allen Tau­fen, vor allen Sakra­men­ten ist, und der über alle reli­giö­sen Dok­tri­nen hin­aus­geht. Frei von den Theo­lo­gen ver­brei­tet er sich unei­gen­nüt­zig in den Her­zen aller, der Gläu­bi­gen und der Athe­isten, der Guten und der Bösen, jener, die sich für geret­tet hal­ten und jener, die sich für Kin­der der Ver­damm­nis hal­ten und auch jener, die dem Geheim­nis, was nach dem Tod sein wird, gleich­gül­tig gegen­über­ste­hen.
Ich glau­be an den Gott, der kei­ne Reli­gi­on hat […]
Ich glau­be an den Gott, der sich auf der Rück­sei­te der athe­isti­schen Ver­nunft versteckt […].“ 

Bereits am 29.Januar 2019 ließ Frei Betto in einem Inter­view mit der ita­lie­ni­schen Tages­zei­tung Il Fat­to Quo­ti­dia­no aufhorchen:

„Kar­di­nal Berg­o­glio war kein Pro­gres­si­ver, aber als Papst Fran­zis­kus ist er ein För­de­rer der Befrei­ungs­theo­lo­gie gewor­den. In sei­ner sozi­al-öko­lo­gi­schen Enzy­kli­ka Lau­da­to si (2015) geht er den Grün­den der Umwelt­zer­stö­rung nach. Und sei­ne Posi­tio­nen zur Kom­mu­ni­on für die Geschie­de­nen und zur Beich­te der Kin­der von Homo-Paa­ren sind gro­ße Schrit­te vor­wärts, auch wenn er sich durch­schlän­geln muß zwi­schen allen Hür­den, die ihm zwi­schen die Bei­ne gewor­fen werden.“

Papst Franziskus „ist heute der wichtigste Staatschef“

Anfang Mai war Frei Betto Gast der Inter­na­tio­na­le Buch­mes­se San­to Dom­in­go 2019. Bei die­ser Gele­gen­heit wur­de er von der domi­ni­ka­ni­schen Tages­zei­tung Dia­rio Lib­re inter­viewt, die ihn am 4. Mai als „Links­in­tel­lek­tu­el­len, Domi­ni­ka­ner und zen­tra­le Gestalt der Befrei­ungs­theo­lo­gie“ vorstellte.

In sei­nen Ant­wor­ten ver­tei­dig­te er das sozia­li­sti­sche Regime von Nico­las Madu­ro in Vene­zue­la, erklär­te, daß „es kein Land auf der Welt gibt, das die Men­schen­rech­te mehr ver­letzt hat als die USA“, und daß „die Rech­te“ in Bra­si­li­en mit „dra­sti­schen Maß­nah­men“ die gewähl­te Links­re­gie­rung besei­tigt habe.

Ins­ge­samt, so der Domi­ni­ka­ner, gebe es „kei­ne Zukunft für die Mensch­heit außer den Sozia­lis­mus“. Man kön­ne zwar sagen, der Sozia­lis­mus habe in der Sowjet­uni­on nicht funk­tio­niert, aber das hei­ße nicht, daß der Sozia­lis­mus geschei­tert sei.

Zu Papst Fran­zis­kus mein­te er: 

Der amtie­ren­de Papst brau­che Zeit, weil es vor ihm „34 Jah­re kon­ser­va­ti­ver Pon­ti­fi­ka­te“ gege­ben habe. Die Wahl von Fran­zis­kus sei jedoch ein gro­ßer Schritt vor­wärts, denn:

„Die katho­li­sche Kir­che ist heu­te ein kon­ser­va­ti­ver Kör­per mit einem pro­gres­si­ven Kopf.“

Und wei­ter:

„Fran­zis­kus ist ein gro­ßer Freund der Befrei­ungs­theo­lo­gie. Fran­zis­kus ist sicher­lich heu­te der wich­tig­ste Staats­chef, der den Mut hat, die Ärm­sten zu ver­tei­di­gen und die Flücht­lin­ge in Euro­pa, der den Mut, hat den Geld­im­pe­ria­lis­mus und die Markt­ver­göt­te­rung anzuklagen.“

„Die Zölibatssache muß aufhören“

Zur aktu­el­len Zöli­bats­de­bat­te schwa­dro­nier­te Frei Betto.

„Ja, das ist ein ande­res Pro­blem. Solan­ge die Kir­che nicht mit die­ser obli­ga­to­ri­schen Zöli­bats­sa­che auf­hört…, das muß auf­hö­ren. In Jesu Kopf gab es kei­ne Vor­stel­lung vom Pflicht­zö­li­bat. (…) Das Pro­blem liegt in der Macho-Tra­di­ti­on, die nach Jesus in der Kir­che begann und die­sen Zwang auf­er­leg­te. Es soll­te wie in den pro­te­stan­ti­schen Kir­chen sein, daß ein Pastor hei­ra­ten kann.“

Im Gegen­satz zu vie­len pro­gres­si­ven Hier­ar­chen in der Kir­che, kann man dem bra­si­lia­ni­schen Domi­ni­ka­ner zumin­dest nicht vor­wer­fen, sei­ne Über­zeu­gun­gen zu verschleiern.

Am 10. April 2014 wur­de Frei Betto von Papst Fran­zis­kus in Audi­enz emp­fan­gen. Von den bespro­che­nen The­men ent­hüll­te der Bra­si­lia­ner anschlie­ßend, Par­tei für einen exkom­mu­ni­zier­ten Mit­bru­der ergrif­fen zu haben:

„Ich habe den Papst zum Bru­der gefragt, der auf dem Schei­ter­hau­fen gelan­det ist und ihn auf­ge­for­dert, offi­zi­ell Giord­a­no Bru­no zu reha­bi­li­tie­ren. Ich den­ke, daß die Kir­che end­lich Gerech­tig­keit schaf­fen sollte.“

Papst Fran­zis­kus habe ihm kei­ne nega­ti­ve Ant­wort gege­ben, son­dern gesagt, daß er für Giord­a­no Bru­no „beten“ werde. 

Der ehe­ma­li­ge Domi­ni­ka­ner Giord­a­no Bru­no war am 17. Febru­ar 1600 als einer der weni­gen Ket­zer von der römi­schen Inqui­si­ti­on auf dem Schei­ter­hau­fen in Rom ver­brannt wor­den. Ins­ge­samt wur­den in Rom wäh­rend der 250 Jah­re, in denen die eigent­li­che Inqui­si­ti­on tätig war, 97 Men­schen hin­ge­rich­tet, die mei­sten waren Schwer­ver­bre­cher. Nach der ita­lie­ni­schen Eini­gung schu­fen die Kir­chen­geg­ner, allen vor­an die ita­lie­ni­sche Frei­mau­rer, einen Mythos um Giord­a­no Bru­no, um sei­nen Fall zu einem Instru­ment im Kampf gegen die Kir­che umfunk­tio­nie­ren zu kön­nen. Mit den histo­ri­schen Fak­ten nahm (und nimmt) man es dabei nicht so genau. Das war auch der Grund, wes­halb ihm der frei­mau­re­ri­sche Groß­ori­ent von Ita­li­en auf dem Cam­po dei Fio­ri, wo Giord­a­no Bru­no hin­ge­rich­tet wur­de, ein Denk­mal. Der mili­tan­te Athe­is­mus, der sich in Selbst­de­fi­ni­ti­on „kir­chen­kri­ti­sche Huma­nis­mus“ nennt, ver­ehrt den ehe­ma­li­gen Domin­ka­ner­bru­der als sei­nen „ket­ze­ri­schen Anti-Hei­li­gen“. Dazu zählt auch die athe­isti­sche Giord­a­no-Bru­no-Stif­tung in Deutsch­land und Österreich. 

Frei Betto befin­det sich in eigen­ar­ti­ger Gesell­schaft, aber das scheint ihn schon seit sei­ner Jugend nicht zu stören.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Dia­rio Lib­re (Scree­en­shot)

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3 Kommentare

  1. Nor­ma­ler­wei­se bekä­me ein sol­cher Häre­ti­ker eine Vor­la­dung um sei­ne The­sen zu revi­die­ren, denn sie ste­hen im kras­sen Wider­spruch zur Kirchenlehre.
    Sozia­lis­mus und Kir­che sind Fein­de in sich, da gibt es kei­ne Schnittmengen.
    Oder wie sag­te es der unver­ges­se­ne Autor Peter Bamm so tref­fend: “ Den Urchri­sten bedeu­te­te das Eigen­tum so wenig, das sie es weg­ga­ben, den Sozia­li­sten bedeu­te­te es so viel, das sie eine gan­ze Welt­an­schau­ung dar­um erbauten!“

  2. Man kann die Ansich­ten Bettos und Berg­o­gli­os tei­len und sogar gut nach­voll­zie­hen. Die Crux an der Geschich­te ist die Ideo­lo­gi­sie­rung des Sozia­lis­mu­sses. Betto ist nicht der Ansicht, der Sozia­lis­mus sei gescheitert.

    Betto wirkt wie ein Ver­stär­ker auf Berg­o­glio. Er deckt auf, wie Berg­olglio fühlt und denkt: naiv, ‚zärt­lich-mit­füh­lend‘ wie ein Kind. 

    Genau hier­in liegt die Gefähr­lich­keit die­ses Pontifikats. 

    Der Mensch wird zur Anar­chie und Rebel­li­on gegen jede Ord­nung angestachelt.

    Selbst wenn die grund­sätz­li­chen Moti­va­tio­nen gut sein soll­ten (‚für die Armen‘), wird der befrei­ungs­theo­lo­gi­sche Geist nicht nur im Athe­is­mus als ver­deck­ter ’natür­li­cher Reli­gi­on‘ mün­den, son­dern im Sata­nis­mus, in der voll­kom­me­nen Mani­pu­la­ti­on der Mas­sen und letzt­lich in der Eine-Welt-Regie­rung und Eine-Welt-Religion.

  3. Ich fin­de kei­ne Wor­te mehr, dass man so einen Mann als Papst hat, er hät­te lie­ber Poli­tik gemacht, denn er passt sehr gut zur Lin­ken Par­tei der 1968.

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