Mißbrauchsgipfel ohne über die Homosexualität zu sprechen?

Wortmeldungen von außen


Mißbrauchsgipfel ohne über das Haupttatmotiv Homosexualität zu sprechen? Gläubige fordern vor dem Vatikan Nulltoleranz.
Mißbrauchsgipfel ohne über das Haupttatmotiv Homosexualität zu sprechen? Gläubige fordern vor dem Vatikan Nulltoleranz.

(Rom) Im Vati­kan wird heu­te in Anwe­sen­heit von Papst Fran­zis­kus der Gip­fel zum sexu­el­len Miß­brauch durch Kle­ri­ker fort­ge­setzt. Der Papst ließ der Ver­samm­lung einen Maß­nah­men­ka­ta­log mit 21 Punk­ten vor­le­gen: psy­cho­lo­gi­sche Tests, mehr Selek­ti­on, Aus­bil­dungs­pro­gram­me, eine ver­stärk­te Unter­schei­dung… Doch an das eigent­li­che Haupt­pro­blem, die Homo­se­xua­li­tät, wagt er sich nicht.

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Das Pro­blem Homo­se­xua­li­tät wur­de gestern von ande­ren auf­ge­grif­fen, die nicht am Tref­fen in Rom teilnehmen.

Der Gip­fel selbst wur­de mit einem Gebet und kur­zen Zeug­nis­sen von Opfern eröff­net. Anschlie­ßend folg­te eine Eröff­nungs­re­de von Papst Fran­zis­kus, in der er die 21 Punk­te erwähn­te, die sich in Richt­li­ni­en fin­den, die von ver­schie­de­nen Kom­mis­sio­nen und Bischofs­kon­fe­ren­zen aus­ge­ar­bei­tet wur­den. Der Papst mach­te sie sich zu eigen, weil er mit ihnen über­ein­stim­me. Damit liegt ein gan­zer Maß­nah­men­ka­ta­log vor, der mehr oder weni­ger brauch­ba­re Instru­men­te ent­hält. Die For­de­rung, das Min­dest­al­ter für eine Ehe­schlie­ßung auf 16 Jah­re zu erhö­hen – bis­her wird im Kir­chen­recht ein Min­dest­al­ter von 16 Jah­ren für den Bräu­ti­gam und 14 Jah­ren für die Braut genannt – wäre eine blo­ße For­ma­li­tät ohne prak­ti­sche Auswirkungen. 

Kon­kre­ter ist eine genaue­re Aus­wahl der Kan­di­da­ten, die in ein Semi­nar auf­ge­nom­men oder zur Prie­ster­wei­he zuge­las­sen wer­den. Die Rede ist von „mensch­li­cher, geist­li­cher und psy­cho­sexu­el­ler Reife“. 

Die zen­tra­le Fra­ge ist jedoch, ob sich die Wort­mel­dun­gen beim Gip­fel­tref­fen auf eine all­ge­mei­ne Beto­nung des Keusch­heits­ver­spre­chens beschrän­ken oder auch die Homo­se­xua­li­tät anspre­chen, die für min­de­stens 80 Pro­zent aller sexu­el­len Miß­brauchs­fäl­le durch Kle­ri­ker ver­ant­wort­lich ist.

Frédéric Martel 

Gestern wur­de par­al­lel zur Eröff­nung des Gip­fels in Rom auch das Buch „Sodo­ma“ des fran­zö­si­schen Autors Fré­dé­ric Mar­tel vor­ge­stellt. Das Buch war bereits in den Tagen zuvor mit gro­ßem Medi­en­rum­mel ange­kün­digt wor­den. Zahl­rei­che Medi­en ver­öf­fent­lich­ten vor­ab Aus­zü­ge aus dem Buch. Mar­tel, selbst beken­nen­der Homo­se­xu­el­ler, behaup­te­te bei der Vor­stel­lung, daß es sehr wohl einen Zusam­men­hang zwi­schen dem Miß­brauchs­skan­dal und der Homo­se­xua­li­tät gebe, zog dar­aus aller­dings sei­ne eige­nen Schlüs­se. Mar­tel wider­sprach damit aber der all­ge­mei­nen Sprach­re­ge­lung von Papst Fran­zis­kus und auch von Bischofs­kon­fe­ren­zen wie der deut­schen, die jede Erwäh­nung der Homo­se­xua­li­tät im Zusam­men­hang mit dem Miß­brauchs­skan­dal vermeiden.

Die „Ver­tu­schung“ von sexu­el­lem Miß­brauch in der Kir­che sei, so Mar­tel, eine Fol­ge der „all­ge­mein ver­brei­te­ten, sexu­el­len Nei­gung“. Das sei ein „Schlüs­sel­fak­tor, wes­halb der Bischof den Prie­ster schützt“.

Kardinal Urosa Savino

Aus Vene­zue­la mel­de­te sich Kar­di­nal Jor­ge Libera­to Uro­sa Savi­no zu Wort, der von Fran­zis­kus 2018 eme­ri­tier­te Erz­bi­schof von Cara­cas. Wie zuvor bereits die Kar­di­nä­le Mül­ler, Brand­mül­ler und Bur­ke rief er in Erin­ne­rung, „daß der Groß­teil des Miß­brauchs an Min­der­jäh­ri­gen homo­se­xu­el­le Bezie­hun­gen zu Jugend­li­chen sind“. Der Kar­di­nal, der die Hoff­nung auf kon­kre­te Abhil­fe durch den Miß­brauchs­gip­fel in Rom äußer­te, beton­te, daß die­se Tat­sa­che nach „Auf­merk­sam­keit, Lösung und Kor­rek­tur“ verlangt.

Sowohl Mar­tel als auch Kar­di­nal Uro­sa rück­ten, wenn auch aus ganz unter­schied­li­chen Per­spek­ti­ven, die zen­tra­le Rol­le der Homo­se­xua­li­tät beim Miß­brauchs­skan­dal in den Mit­tel­punkt. Genau das wur­de von Rom bis­her auf auf­fäl­li­ge Wei­se ver­mie­den. Wenn in Rom bis­her zur Homo­se­xua­li­tät Stel­lung genom­men wur­de, dann nur um einen Zusam­men­hang zu bestreiten. 

So tat es Kar­di­nal Bla­se Cupich, der Erz­bi­schof von Chi­ca­go, und „Mann des Pap­stes“ in der Ame­ri­ka­ni­schen Bischofs­kon­fe­renz. Cupich, der in der Ver­gan­gen­heit wie­der­holt durch homo­phi­le Äuße­run­gen auf­ge­fal­len war, und nicht Kar­di­nal O’Malley, obwohl päpst­li­cher Sach­ver­stän­di­ger bei der Bekämp­fung des sexu­el­len Miß­brauchs, wur­de zum Erstau­nen von Beob­ach­tern von Papst Fran­zis­kus in das Orga­ni­sa­ti­ons­ko­mi­tee des Miß­brauchs­gip­fels beru­fen. Bei der Pres­se­kon­fe­renz zur Vor­stel­lung des Gip­fels gab Cupich auf Nach­fra­ge der Jour­na­li­sten zwar zu, daß „in der Mehr­zahl der Fäl­le die Miß­brauchs­op­fer männ­lich“ sind, bestritt aber, daß die Homo­se­xua­li­tät „an sich eine Ursa­che“ dafür sei. Für den Papst-Ver­trau­ten mache „die Gele­gen­heit“ den Miß­brauch, der vor allem Aus­druck einer „gerin­gen Bil­dung“ sei.

Cupich darf heu­te mit päpst­li­cher Zustim­mung eine zen­tra­le Rol­le beim zwei­ten Tag des Gip­fels spie­len. er refe­riert zum The­ma: „Syn­oda­li­tät: gemein­sa­me Ver­ant­wor­tung“. Die ein­fluß­rei­che Stel­lung, die Fran­zis­kus dem ein­zi­gen Ver­tre­ter beim Gip­fel zuer­kann­te, der in den USA in den jüng­sten Skan­dal um Ex-Kar­di­nal McCar­ri­ck ver­wickelt ist, wirkt nicht vertrauenserweckend.

Im Gegen­satz dazu woll­te man einen ande­ren US-Ame­ri­ka­ner, Kar­di­nal O’Malley, zunächst nicht ein­mal am Gip­fel teil­neh­men las­sen. Erst nach­träg­lich bekam er zusam­men mit den ande­ren C9-Mit­glie­dern doch noch eine Ein­la­dung. Kar­di­nal O’Malley kam im ver­gan­ge­nen Jahr gleich zwei­mal Papst Fran­zis­kus in die Que­re, jeweils zum The­ma Miß­brauch. Anfang des Jah­res übte er Kri­tik an der päpst­li­chen Hal­tung im Fall des chi­le­ni­schen Bischofs Juan Bar­ros. Im ver­gan­ge­nen Herbst fand er deut­li­che Wor­te, als Fran­zis­kus der Ame­ri­ka­ni­schen Bischofs­kon­fe­renz einen Maul­korb ver­paß­te, als die­se kon­kre­te Maß­nah­men wegen des Miß­brauchs­skan­dals ergrei­fen wollte.

Fran­zis­kus bestä­tig­te den Kar­di­nal im Febru­ar 2018 zwar an der Spit­ze der Päpst­li­chen Kin­der­schutz­kom­mis­si­on, eine Umbe­set­zung inmit­ten des Bar­ros-Tiefs, bei dem erst­mals auch das Image von Fran­zis­kus Scha­den erlitt, wäre in jedem Fall ungün­stig gewe­sen. Seit­her wur­de das Ver­hält­nis zwi­schen Papst Fran­zis­kus und Kar­di­nal O’Malley aber „gespannt und for­mell“, so das Wall Street Jour­nal ver­gan­ge­ne Woche.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: NBQ

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