(Washington) Kardinal Blase Cupich, der Erzbischof von Chicago und Wortführer der bergoglianischen Minderheit in den USA, veröffentlichte gestern seine Umsetzung des traditionsfeindlichen Motu proprio Traditionis custodes. Es übertrifft an Radikalität jene für die Diözese Rom noch um Längen – mit der Zustimmung von Papst Franziskus.
Als Erzbischof von Chicago steht der von Franziskus ernannte und zum Kardinal kreierte Oberhirte neben Mailand und Köln einer dem der drei bedeutendsten Diözesen der Weltkirche vor. Als „Mann des Papstes“ bewies er zuletzt bei der Herbstvollversammlung der US-Bischofskonferenz, daß er, obwohl nur Vertreter einer Minderheit, der eigentliche starke Mann in der Kirche der USA ist.
Als Papst Franziskus am 16. Juli sein Motu proprio Traditionis custodes erließ, mit dem er den überlieferten Ritus und die Vertreter der Tradition beseitigen will, meldete sich Kardinal Cupich bereits fünf Tage später zu Wort. Mit Spannung wurde seine Reaktion erwartet, die erstaunlich zurückhaltend ausfiel. Er gab in einer Stellungnahme bekannt, das Motu proprio „studieren“ und darüber „nachdenken“ zu wollen. Er werde sich „mit anderen beraten“ und „zu gegebener Zeit einen Weg anbieten“. Der Kernsatz lautete:
„Unterdessen bleibt die gegenwärtige Praxis bezüglich des Missale von 1962 bestehen.“
Damit war Entwarnung gegeben, wenn auch nur vorerst. Eine Entscheidung, auf deren Vorbildwirkung für progressive Bischöfe hingewiesen wurde.
Vom Weihnachtsgemetzel zum weihnachtlichen Dolchstoß
Kurz vor der Heiligen Nacht veröffentlichte die römische Gottesdienstkongregation im Auftrag von Papst Franziskus Präzisierungen zum Motu proprio in Form von Responsa ad dubia, die zum Weihnachtgemetzel gegen die Tradition wurden.
Gestern folgten, schneller als erwartet, die endgültigen Richtlinien zur Umsetzung von Traditionis custodes im Erzbistum Chicago. Die beiden führenden progressiven US-Medien National Catholic Reporter und America, das Magazin der Jesuiten in den USA, und VaticanNews, das Nachrichtenportal des Heiligen Stuhls, gaben sie zeitgleich bekannt. VaticanNews veröffentlichte einen Bericht über die Chicagoer Leitlinien zur selben Zeit auf englisch und italienisch. Man wußte in den progressiven Kirchenkreisen in den USA und in Rom also vorab Bescheid und bereitete die Veröffentlichung gemeinsam vor. Daraus folgt, daß Kardinal Cupich, die Jesuiten und Santa Marta den Richtlinien für Chicago besondere Bedeutung beimessen.
Im National Catholic Reporter und im America Magazine hatte Kardinal Cupich am 10. November einen Aufsatz zu Traditionis custodes veröffentlicht. Weder VaticanNews noch die Pressestelle seines Erzbistums oder die ihn direkt betreffenden Kanäle in den sozialen Medien nahmen damals Notiz davon. Am selben Tag wurden die Richtlinien zur Umsetzung des Motu proprio im Bistum Rom mit radikalen Einschränkungen der Tradition veröffentlicht. Auch dieses Zusammenfallen der Ereignisse legt eine Koordination nahe.
In seinem Aufsatz erklärte Kardinal Cupich Traditionis custodes mit der „Notwendigkeit“, die Papst Franziskus sehe, „das Erbe des Zweiten Vatikanischen Konzils zu sichern“.
Nicht nur die genannte synchrone Veröffentlichung ist bemerkenswert, sondern ebenso die Nicht-Veröffentlichung der neuen Maßnahmen durch das Erzbistum Chicago selbst. Kein Medienkanal des Erzbistums berichtete darüber. Würde es nicht zumindest ein Minimum an Takt und Anstand erfordern, daß die betroffenen Gläubigen zuerst und direkt informiert werden?
Jeder vierte Sonn- und Feiertag gestrichen
Diese bezeichnende Veröffentlichungsform bedeutet, daß die Chicagoer Richtlinien von Santa Marta als das gewünschte Modell für die US-Diözesen betrachtet werden. Die USA spielen im Denken von Papst Franziskus eine zentrale Rolle, sowohl weltkirchlich als auch weltpolitisch. In den USA ist ein großer und vor allem lebendiger Teil der traditionellen Welt zu Hause, wie die Initiative Save the Latin Mass zeigt, gegen die sich Traditionis custodes richtet.
Die zeitgleiche Veröffentlichung signalisiert, daß Rom den Cupich-Maßnahmen das Placet erteilt hat. Damit wurde den bereitwilligen Bischöfen nicht nur die Möglichkeit gegeben, sich an diese „anzuhängen“, sondern von Santa Marta auch ein Maßstab vorgegeben, an dem das Verhalten der US-Bischöfe „überprüft“ werden kann.
Während Cupich am 21. Juli für Entspannung sorgte, indem er vorerst alles beließ, wie es war, schlug er nun mit voller Wucht zu. Die von ihm erlassenen Einschränkungen Archdiocese of Chicago Policy for Implementing Traditionis Custodes gelten ab dem 25. Januar 2022.
Sie sind so restriktiv, daß zugleich sogar die Zelebrationen ad orientem im Novus Ordo verboten werden. Alle Zelebrationen im neuen Ritus müssen künftig versus populum erfolgen.
In ihrer Radikalität geht Chicago noch über die Umsetzung im Bistum Rom hinaus. Kardinal Cupich verbietet an jedem ersten Sonntag des Monats die Zelebration des überlieferten Ritus. Das Kirchenjahr im Vetus Ordo wird durch Traditionis custodes zum löchrigen Schweizer Käse. Das Dekret für die Diözese Rom sieht „nur“ eine Lücke für das Triduum Paschale von Gründonnerstag bis Ostersonntag vor, in der Priester und Gläubige der Tradition gezwungen werden sollen, am Novus Ordo teilzunehmen bzw. zu konzelebrieren, um den Beweis ihrer Treue und Einheit mit Petrus und der Weltkirche zu liefern.
Kardinal Cupich fügt eine ganze Reihe weiterer Lücken hinzu, allein mit dem Zelebrationsverbot am ersten Sonntag eines jeden Monats sind es gleich deren zwölf. Doch damit nicht genug: Auch an Weihnachten und an Pfingsten darf keine heilige Messe mehr im überlieferten Ritus zelebriert werden.
Nach diesem Modell wurden 18 Sonn- und Feiertage für den überlieferten Ritus zum Tabu erklärt. Das entspricht je nach Gegend mehr als einem Viertel, in manchen Ländern fast einem Drittel aller gebotenen Feiertage. Mit Weihnachten, Ostern und Pfingsten werden ihm die Herzstücke herausgerissen.
Das neue Jahr wird die Tradition vor große Herausforderungen stellen.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Archdiocese of Chicago/Vatican.va/Save the Latin Mass (Screenshots)