(Rom) Das Gerücht hat sich bewahrheitet: Heute wurde von der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung das Dokument mit einer restriktiven Auslegung des Motu proprio Traditionis Custodes veröffentlicht. Um jeden Zweifel auszuräumen, wurde hinter die Unterschrift von Präfekt Erzbischof Arthur Roche der Zusatz angefügt, daß Papst Franziskus dem Präfekten „seine Zustimmung dazu gegeben hat“.
Das neue Dokument wurde nicht wie vermutet in Form einer Instruktion veröffentlicht, sondern als Responsa ad dubia. Damit wird auf Fragen geantwortet, die mit Traditionis custodes aufgetreten sind, und um weitere Erläuterungen ergänzt.
Ausdrücklich heißt es, daß Franziskus bei einer Audienz mit dem Präfekten am 18. November 2021 „über die Veröffentlichung der vorliegenden RESPONSA AD DUBIA zusammen mit einigen ERLÄUTERUNGEN informiert wurde und seine Zustimmung dazu gegeben hat“.
Das Motu proprio Traditionis custodes vom 16. Juli war zunächst nicht auf Latein veröffentlicht worden. Das ist erst jetzt geschehen und wird nun als verbindliche Fassung ausgewiesen. Im Gegensatz zu den zunächst publizierten volkssprachlichen Fassungen ist der nun vorliegende lateinische Text an einigen Stellen schärfer. Damit wurde der Vorwand geschaffen, um die Restriktionen der Responsa zu rechtfertigen.
Im Artikel 4 etwa heißt es nun:
„Presbyteri ordinati post has Litteras Apostolicas Motu Proprio datas promulgatas, celebrare volentes iuxta Missale Romanum anno 1962 editum, petitionem formalem Episcopo dioecesano mittere debent, qui, ante concessionem, a Sede Apostolica licentiam rogabit.“
„Die Priester, die nach der Veröffentlichung dieses Motu Proprio geweiht werden und beabsichtigen, nach dem Missale Romanum von 1962 zu zelebrieren, müssen eine formale Anfrage an den Diözesanbischof richten, der vor der Erteilung der Genehmigung den Apostolischen Stuhl konsultiert.“
Was ursprünglich eine „Konsultation“ des Bischofs mit Rom war, wurde nun zu einem genehmigungspflichtigen Antrag, den der Bischof Rom vorlegen muß („der vor der Genehmigung vom Heiligen Stuhl die Erlaubnis erbitten wird“). Im Widerspruch zu der von Papst Franziskus verkündeten Dezentralisierung erfolgt eine weitere Stärkung des römischen Zentralismus, der erahnen läßt, daß der Heilige Stuhl die in dem Artikel genannten Anträge systematisch ablehnen könnte.
Damit verschafft sich der Vatikan die Handhabe, renitente oder als gegenüber der Tradition zu nachgiebig angesehene Diözesanbischöfe auszubremsen. Der Möglichkeit, durch Nichtanwendung von Traditionis custodes am Heiligen Stuhl vorbei an der bisherigen Praxis festzuhalten, wurde weltweit ein Riegel vorgeschoben.
Dem Beispiel des Dekrets für die Diözese Rom folgend wird im Kontext von Traditionis custodes nur mehr ein Sakrament, die heilige Eucharistie, erwähnt. Die anderen sechs Sakramente existieren nicht, was bedeutet, daß deren Spendung im überlieferten Ritus nicht mehr vorgesehen ist.
Die Maßnahmen sind so brutal, daß sogar ein weltliches Medienorgan wie Associated Press seinen Bericht mit der Feststellung beginnt:
„Papst Franziskus hat am Samstag seine Bemühungen verdoppelt, die alte lateinische Messe aufzuheben und in seiner jüngsten Salve gegen Konservative und Traditionalisten die Zelebration einiger Sakramente nach dem alten Ritus verboten.“
Seinen Feldzug gegen den überlieferten Ritus begründete Franziskus im Juli damit, daß dessen Förderung durch seinen Vorgänger, Benedikt XVI., seiner Ansicht nach „zu einer Quelle der Spaltung in der Kirche“ geworden sei und von Katholiken ausgenutzt worden sei, die das Zweite Vatikanische Konzil ablehnen, mit dem die Kirche und die Liturgie „modernisiert“ worden seien.
Diese Begründung wurde vom Vatikan heute wiederholt. Ebenso wurde betont, daß die Klarstellungen und neuen Restriktionen „notwendig“ seien, um die Einheit der Kirche und ihrer Sakramente zu bewahren.
Den Vertretern des überlieferten Ritus wurde erneut der Vorwurf einer „sterilen Polemik“ gemacht, den Ritus nur als Vorwand für „ideologische Gesichtspunkte“ auszunützen, so Kurienerzbischof Roche, der Präfekt der Gottesdienstkongregation.
Das harte Vorgehen von Franziskus gegen den überlieferten Ritus hat traditionelle Katholiken bereits in den vergangenen Monaten empört. Aus diesem Teil der Kirche war in den vergangenen Jahren wiederholt gegen Franziskus der Vorwurf erhoben worden, im Verdacht der Häresie zu stehen und die katholische Lehre zugunsten einer Anbiederung an den Zeitgeist zu verwässern.
Keine Priesterweihen mehr im überlieferten Ritus?
Die heutige Klarstellung zementiert, daß Neupriester ausdrücklich eine Ermächtigung durch den Heiligen Stuhl brauchen, um im überlieferten Ritus zelebrieren zu dürfen. Dem ging in den vergangenen fünf Monaten die noch bangere Frage voraus, ob überhaupt noch Priester im überlieferten Ritus geweiht werden dürfen.
Nein, sagt der Vatikan. Firmung und Priesterweihe im überlieferten Ritus werden ausdrücklich ausgeschlossen. Der Zugang zu Taufe, Eheschließung und Krankensalbung im überlieferten Ritus werden außerordentlich erschwert. Das entspricht zwar keinem expliziten, aber einem De-facto-Verbot. Diese Sakramente können, folgt man den römischen Restriktionen, nur mehr in den bereits bestehenden Personalpfarreien gespendet werden. Von diesen gibt es aber nur sehr wenige, im deutschen Sprachraum beispielsweise nur zwei, eine im Kanton Zürich und eine im Kanton Schwyz. Traditionis custodes schließt die Errichtung neuer Personalpfarreien ausdrücklich aus.
Die Tradition wurde von Franziskus im Schraubstock eingezwängt. Die traditionsverbundene US-Seite Rorate Caeli schrieb deshalb auf Twitter von „Roches Weihnachtsgemetzel“. Benedikt XVI. „hatte der Kirche Frieden gebracht. Der jetzige Papst hat beschlossen, ihn [den liturgischen Krieg] neu zu entfachen.“
Während Franziskus sich bis zum heutigen Tag weigert, auf die Dubia von vier Kardinälen zum Apostolischen Schreiben Amoris laetitia zu antworten, gehen die Antworten auf die traditionsfeindlichen Dubia zu Traditionis custodes in manchen Fragen bis ins kleinste Detail. Der Tradition und ihren Vertretern soll so wenig Spielraum wie möglich gelassen werden. Die Presseagentur AP bringt es wie folgt auf den Punkt: Die Seminaristen sollen abgehalten werden, den überlieferten Ritus auch nur zu erlernen.
Ein weiteres Beispiel für die neuen Schikanen, die Rom heute eingeführt hat: Fällt ein Priester, dem die Erlaubnis erteilt wurde, eine heilige Messe im überlieferten Ritus zu zelebrieren, im letzten Moment aus irgendeinem Grund aus, etwa weil er krank wird, kann er wegen des erschwerten Genehmigungsverfahrens nicht durch einen anderen Priester ersetzt werden.
Joseph Shaw, der Vorsitzende der Latin Mass Society von England und Wales, spricht von so massiven Einschränkungen, daß die Zelebration der heiligen Messe im überlieferten Ritus „extrem schwierig“ werde. Und noch schwieriger werde es für die Gläubigen, Zugang zu den anderen Sakramente im überlieferten Ritus zu erhalten.
Die Responsa ad dubia im vollständigen Wortlaut des Heiligen Stuhls.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Vatican.va (Screenshot)