Am 4. November 2025 veröffentlichte das Dikasterium für die Glaubenslehre im Auftrag von Papst Leo XIV. die lehrmäßige Note Mater populi fidelis („Mutter des treuen Volkes“) – ein Dokument, das die Verwendung bestimmter Marientitel in Kirche und Liturgie ablehnt. Nun bemühte sich Msgr. Maurizio Gronchi in einem neuen Interview erneut um „Klarstellung“ und Verteidigung der römischen Positionen – doch so recht will das noch immer nicht gelingen.
Die römische Note nimmt Mariens Beteiligung an Christi Erlösungswerk in den Blick und betont, daß Maria an der Erlösung lediglich teilnimmt – immer in vollständiger Abhängigkeit von Christus. Titel wie Corredemptrix (Miterlöserin) oder Mediatrix (Mittlerin aller Gnaden) werden theologisch problematisiert, weil sie nach Auffassung der Verfasser die einzigartige Rolle Christi als alleinigen Erlösers und Mittlers verwischen könnten.
Die offizielle Linie des Dokuments lautet, daß entsprechende Titel zwar nicht unbiblisch seien oder dogmatisch widerlegt würden, ihre Verwendung jedoch im amtlichen Sprachgebrauch der Kirche nicht angemessen sei.
„Immer unpassend“?
Der am meisten diskutierte Satz in Mater populi fidelis lautet unter Nummer 22: Es sei „immer unpassend“, den Titel Corredemptrix zur Beschreibung von Marias Mitarbeit an der Erlösung zu verwenden, da dies die einzigartige Mittlerschaft Christi verwischen könne.
In einem Interview mit der vatikanischen Journalistin Diane Montagna wollte Kardinal Victor Manuel Fernández, Präfekt des Glaubensdikasteriums, „klarstellen“, sorgte jedoch für weitere Irritation: Das Wort „immer“ solle nicht als historisches Dogma verstanden werden, so Fernández, sondern ausschließlich für den gegenwärtigen offiziellen Gebrauch der Kirche gelten. Das heißt: In offiziellen Texten und liturgischen Büchern soll der Titel künftig nicht mehr erscheinen. Zugleich bekräftigte Fernández, daß dies nicht bedeute, die Vergangenheit oder private Frömmigkeit zu verurteilen, und daß der Titel im Rahmen persönlicher Frömmigkeit oder theologischer Diskussion weiterhin verwendet werden könne, sofern er korrekt verstanden werde. Im Klartext: Wenn Heilige, Kirchenlehrer, Bischöfe und Päpste diese Marientitel in den vergangenen Jahrhunderten verwendeten, sei das nicht zu beanstanden, aber „ab jetzt“, werde die Kirche sie offiziell nicht mehr verwenden, weil sie „immer unpassend“ seien – zumindest „ab jetzt“.
Fernández betonte gegenüber Montagna, daß die Entscheidung nach jahrzehntelanger theologischer Diskussion getroffen worden sei – beginnend mit einer eingehenden Anfrage von Johannes Paul II. an Kardinal Ratzinger (später Papst Benedikt XVI.), der die theologische Relevanz und mögliche Mißverständnisse der Formulierung prüfen ließ. Nach Abschluß dieser Studien habe man nun beschlossen, die Terminologie für offizielle Dokumente nicht mehr zu verwenden, ohne aber den Kern der marianischen Lehre über Bord zu werfen. Die Rekurrierung auf die beiden genannten Päpste scheint etwas vorgeschoben, da diese selbst die beanstandeten Marientitel verwendeten.
Zur Einbindung von Mariologen
Aus einemCNA-Interview mit Msgr. Maurizio Gronchi, Professor für Christologie an der Päpstlichen Universität Urbaniana, Consultor des Glaubensdikasteriums und Consultor des Generalsekretariats der Bischofssynode zu mehreren Synoden, so der Familiensynoden 2014/2015 und der Amazonassynode 2019, ging hervor, daß für die Präsentation der Note „keine kooperierenden Mariologen gefunden wurden“. Gronchi berichtete, daß weder das päpstliche Marianum noch die Päpstliche Internationale Marianische Akademie an der Präsentation beteiligt waren. Dieses Detail hatte in Verbindung mit den „Klarstellungen“ von Kardinal Fernández gegenüber Montagna weitere Fragen zur Folge:

Zahlreiche Kommentatoren, darunter anerkannte Mariologen, weisen seit der Veröffentlichung von Mater populi fidelis darauf hin, daß die Titel Corredemptrix und Mediatrix in der Kirchengeschichte von zahlreichen Heiligen und Päpsten verwendet wurden und dabei immer theologisch subtil und korrekt eingeordnet waren, ohne irgendeine Gleichsetzung mit Christus zu implizieren. Diese Stimmen kritisieren, daß die neue Note das Verständnis der marianischen Mitwirkung herabsetze.
Am 19. Dezember sendete nun EWTN ein neues Interview mit Msgr. Gronchi, um bezüglich der Hintergründe und theologischen Überlegungen zur lehrmäßigen Note nachzuhaken. Dabei zog sich Gronchi auf die offizielle vatikanische Position zurück. Er führt aus, daß die Frage der beiden beanstandeten Marientitel Miterlöserin und Mittlerin bereits seit 1926 Thema im Dikasterium gewesen sei. Zahlreiche Anfragen aus der Kirche hätten eine Klärung notwendig gemacht, da diese Titel die Zentralität Christi im Erlösungswerk zu verwischen drohen könnten.
Gronchi beschreibt Maria bildhaft wie den Mond (in den romanischen Sprachen wie im Lateinischen weiblich), der das Licht der Sonne (in den romanischen Sprachen wie im Lateinischen männlich) reflektiert: Sie nimmt an der Erlösung teil, aber nur in Abhängigkeit von Christus. Ihre Rolle sei „dispositiv“: Maria helfe den Gläubigen, die Gnade Christi zu empfangen, sei jedoch weder Quelle der Gnade noch Mittlerin aller Gnaden. Die Teilnahme Mariens sei eine Herzensbeteiligung, während sie selbst nicht wie Jesus am Kreuz sterbe.
In bezug auf die Verwendung der Titel bestätigt Gronchi, daß es kein absolutes Verbot gebe. Offizielle Dokumente und liturgische Texte sollen die Titel künftig aber nicht mehr verwenden, während die Volksfrömmigkeit sie weiterhin nutzen könne, sofern der theologische Sinn verstanden werde. Andere Ehrentitel Mariens wie „Mutter des Herrn“, „Mutter Gottes“, „Mutter der Kirche“ oder „Mutter des treuen Volkes“ bleiben uneingeschränkt gültig, so der Christologe.
Gronchi warnt vor der Gefahr von Mißverständnissen: Die Vorstellung, Maria sei eine Art „Blitzableiter“ für Gottes Gnade, könne zu Aberglauben führen. Dieses Bild suggeriere einen strengen, unnachgiebigen Gott, dessen Barmherzigkeit auf Mariens Vermittlung angewiesen sei. Tatsächlich komme die Gnade allein von Gott, Maria und die Heiligen seien lediglich Interzessoren, wobei Maria durch ihre Beteiligung am Geheimnis der Erlösung eine besondere Stellung einnehme – jedoch stets untergeordnet.
Abschließend gibt Gronchi Gläubigen einen praktischen Rat: Es bestehe kein Grund zur Verwirrung. Das Gebet zu Maria, besonders der Rosenkranz, bleibe der einfachste und wirkungsvollste Weg, sie zu verehren. Dabei sollen die Gläubigen die Mysterien des Lebens Jesu betrachten. Ergänzende oder problematische Titel seien nicht notwendig; die traditionellen Ehrentitel genügten, um Maria als Mutter des Herrn, Mutter Gottes, Mutter der Kirche und Mutter des treuen Volkes zu ehren. In dieser Sicht bleibt Maria die mütterliche Begleiterin des Volkes Gottes, die mit Liebe und Zuneigung führt.
Wozu aber Mater populi fidelis?
Nun bleibt die Frage, was dieses Interview und die vorherigen römischen „Klarstellungen“ tatsächlich klären. Die kirchliche Lehre zur Erlösung durch Jesus Christus und dem Mitwirken Mariens daran waren immer klar. Kritik kam hauptsächlich von radikalen protestantischen Kreisen, die sich auf Calvin berufen und auf unehrliche und polemische Weise, vermengt mit ikonoklastischen Vorstellungen, der Kirche und den Katholiken vorwerfen, Maria „anzubeten“.
Seit demZweiten Vatikanischen Konzil gibt es eine kirchenpolitische Strömung, Maria zugunsten des Dialogs mit den Protestanten, aber auch den Orthodoxen und der Welt allgemein zurückzudrängen. Die Ostkirchen haben zwar kein Problem mit der Marienverehrung, reagieren aber ablehnend auf jede Neuerung. Die Einführung neuer Titel wird von ihnen strikt abgelehnt. Nicht aus theologischen, sondern prinzipiellen Gründen. Die kirchenferne laizistische Welt gebärdet sich zwar gerne feministisch, doch mit Maria, der Jungfrau und der Mutter, hat sie große Probleme.
Somit ist die erste Frage im Zusammenhang mit Mater populi fidelis, welche Notwendigkeit es für die lehrmäßige Note gab und warum diese also im Jahr 2025 veröffentlicht wurde.
Die Frage muß offenbleiben, da die dazu von Rom abgegebenen Erklärungen keine wirklich plausible Antwort geben. Daher muß zum Mittel der „Dietrologie“ gegriffen werden, wie man in Rom sagt, und nach den Hintergründen gefragt werden. Diesbezüglich gibt es tatsächlich einige Elemente, die zumindest Hinweise zu liefern scheinen. Es gibt deren viele, aber eines, das kaum zur Sprache kommt, soll hier angesprochen werden.
Seit dem 19. Jahrhundert ist eine Zunahme von Marienerscheinungen und anderer übernatürlicher Erscheinungsphänomene feststellbar. Das Tempo und die Dichte dieses Gesamtphänomens nehmen stetig zu. Es erlebte um das Kriegsende 1945 einen ersten Höhepunkt und weist seit den 1970er Jahren einen bisher noch nicht gekannten Schub auf. In den tatsächlichen oder vermeintlichen Botschaften dieser Phänomene wiederholen sich bestimmte Aussagen, darunter die Mahnung vor Strafen für eine gottlose Welt – die unter Franziskus auf wenig Gegenliebe in Rom stießen.
Doch entscheidender scheint, daß im Pontifikat von Franziskus ein so bis dahin nicht gekanntes Element auftritt: nämlich direkte Kritik durch „Erscheinungen“ an Franziskus und seinem Wirken.
Nun soll an dieser Stelle nicht auf die Echtheitsfrage eingegangen werden, da es sich um zahlreiche und sehr unterschiedliche Phänomene handelt, die einzeln behandelt werden müßten, was den Rahmen dieser Darstellung sprengen würde. Nur soviel sei gesagt, daß eine differenzierte Behandlung notwendig ist, da einige sich als offensichtlich falsch präsentieren, während andere jene vertiefte Aufmerksamkeit verdienen, die die Kirche in ihrer Geschichte solchen Ereignissen schenkte.
Neu aber, und das scheint wesentlich, war, daß Maria teilweise zur Anklägerin des von 2013 bis 2025 regierenden Papstes wurde. Ein derartiger Vorgang war in der Kirchengeschichte bisher unbekannt und löste im bergoglianischen Hofstaat erhebliche Unruhe aus. Dort interpretierte man diese Erscheinungen nicht als übernatürlich, sondern als irdischen Mißbrauch: als Betrug und ideologische Feindseligkeit, um das argentinische Kirchenoberhaupt zu diskreditieren.
Als Reaktion wurden eine Reihe von Maßnahmen ergriffen: die Errichtung einer vatikanischen Beobachtungsstelle für angebliche Marienerscheinungen und vergleichbare Phänomene, die Einführung neuer Normen für das Verfahren zur Beurteilung mutmaßlicher übernatürlicher Phänomene – Normen, die die Entscheidungsbefugnis, die historisch bei den Diözesanbischöfen lag, exklusiv nach Rom verlagerten. Am 27. November 2024 folgte das „Blatt für die Audienz mit dem Heiligen Vater: ‚Falsche Mystik und geistlicher Mißbrauch‘“, um die Daumenschraube weiter anzuziehen. Ein Straftatbestand „falsche Mystik“ wurde unter Franziskus nicht mehr in das Kirchenrecht eingeführt. Angeblich arbeitet eine unter Franziskus beauftragte Studiengruppe aus Vertretern der beiden Dikasterien für die Glaubenslehre und für die Gesetzestexte weiterhin daran.
Die neuen Normen für das Verfahren zur Beurteilung mutmaßlicher übernatürlicher Phänomene ermöglichen zwar ein schnelleres Urteil, doch wurde zugleich das Kind mit dem Bade ausgeschüttet: Die Anerkennung eines übernatürlichen Charakters ist nun nicht mehr vorgesehen. Dies kommt einer Kapitulation der kirchlichen Autorität gleich, da der Heilige Stuhl der skeptischen und gottfernen Welt signalisiert, daß nicht einmal er in der Lage sei, übernatürliche Erscheinungen als solche zu bestätigen. Die Folge: Es wird nicht nur die zukünftige Anerkennung solcher Erscheinungen ausgeschlossen, sondern auch bisherige Anerkennungen geraten in Zweifel. Kurz: eine Selbstdemontage kirchlicher Autorität – und das offenbar einzig mit dem Ziel, das „Erscheinungsphänomen“ unter Kontrolle zu bringen, da das Bergoglio-Pontifikat kritisiert wurde.
Vor diesem Hintergrund scheint auch die lehrmäßige Zurückhaltung gegenüber den Marientiteln „Miterlöserin“ und „Mittlerin aller Gnaden“ zu sehen zu sein. Sie erscheint im Kontext des „antimarianischen“ Kampfes der Bergoglianer, der darauf abzielt, Erscheinungen zu kontrollieren oder zum Schweigen zu bringen.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: MiL/Youtube/EWTN (Screenshots)

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